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Der Geist von Locarno

Historische Rundschau für Einst und Jetzt

Künstlicher Umsturz füllte alte Schläuche mit gärendem Most und Jauche. Sogenannte Demokratie wechselt nur Klassenherrschaft, Monarchie jagt man weg, damit Plutus I seinen Absolutismus aufrichtet. Das Zauberwort Republik kirrt nur Gimpel, »Res Publica« hieß einfach Staat, wobei Adels- und Handelsoligarchie sich verflicht wie in Athen, Rom, Florenz, Venedig, Holland. Optimaten und Großkaufleute geben den Ton an, und wo wie in Amerika und Frankreich nur Plutokraten und Advokaten regieren, verschwistert sich ihnen als Handlanger der schärfste Militarismus. In der Wiege des großen Bürgerkrieges zwischen New Yorker Industrie und agrarischer Baumwolle, den die »Sklavenemanzipation« heuchlerisch maskierte, knäuelte sich die Klapperschlange eines zentralistischen Imperialismus. Da Klappern zum Handwerk gehört, fütterte man ihre Giftzähne mit goldener Milch frommer Denkungsart durch gelbe Dollarpresse und erstickte jede Provinzialfreiheit, deren Ausleben sich früher den Kontinent unterwarf. Die Ringe schlossen sich in Washington mit einschnürenderem Zentralismus, als je in den Kaiserstädten Berlin, Wien, Petersburg. Zentralismus, Großkapitalismus, Imperialismus sind die Ringel der gleichen Schlange. Wie man äußere Staatsform nennt, ist so bedeutungslos, daß Lenin als Iwan der Schreckliche den Sowjetstern über einen Obrigkeitsstaat erstrahlen ließ, neben dem selbst die Zarenwirtschaft ein milder Stern von Bethlehem. Lloyd George, der »Demokrat« sprach unverfroren: »Über Gemeinwohl steht Staatsbedürfnis«, Männer also nur Milben im Käse der »Staatsmänner!« »Gemeinwohl« (Commonwealth) nannte sich Cromwells Republik, doch »Gleichmacher« (Levellers) mengten sich so rasch ein, wie »Adamiten« der Hussiten oder Anarchisten, gegen die Ziska wie Robespierre Front machten. Cromwells Eisenhauben und Bonapartes Prätorianer setzen stets den Schlußpunkt jeder Demokratie, die mehr sein will als ein Handelsgeschäft mit Streikintermezzi. Bezeichnenderweise gab es geschichtlich nur einen Sozialstaat und das war eine Monarchie, Inkas im alten Peru; denn eine religiös angehauchte Sozialmonarchie scheint weit möglicher als eine atheistisch verseuchte Arbeiterrepublik. Nur offene oder verkappte Diktatur verbürgt Stabilisierung gerechter Ordnung, denn die Massen wollen nicht »frei«, sondern gut regiert sein. Man vergesse nicht Talleyrands Wort: »Napoleon blieb bis zuletzt der König des Volkes«. Die Pariser Arbeiter verlangten 1815 stürmisch Waffen, um für ihn zu fechten, selbst steife Republikaner wie Carnot anerkannten ihn in der Not als gekrönten Vertrauensmann. Das »souveräne« Volk wird bald inne, daß es selber Souveräne bedarf; ob legitime oder usurpatorische, gilt gleich. Man haßte nicht so grimmig Rückkehr der Bourbons, sondern ihre Unfähigkeitsmißbräuche.

Napoleon machte Gelehrte wie Laplace und Chaptul zu Ministern, alle Literaten zu Staatspensionären, Cromwell den Privatgelehrten Blake zum Admiral, Studenten und Kesselflicker zu Generälen, Dichter Milton zum Staatssekretär, wollte sogar den volksfeindlichen Philosophen Hobbes als Minister an sich ziehen. Doch Diktatur eines großen Mannes steht nur auf zwei Augen, die legitimen Louis XIV. und Wilhelm I. hatten trotz eigenem Majestätsgefühl scharfen Blick für geeignete »Handlanger«. Erst recht darf man hierin keiner republikanisch-parlamentarischen Form den Vorzug geben, im Gegenteil. Ein Thron ist nur ein Sessel, nur wer sich daraufsetzt, gibt ihm Wert, doch auch dem kurulischen Sessel der Präsidenten, denn außer Lincoln besetzten ihn in transatlantischen Freistaat nur Streber des Parteihandels. Treten gar anmaßend selbstherrliche Intriganten dafür ein (Roosevelt, Wilson, Poincaré, Clemenceau), so präsentieren sie Wechsel auf kurze Sicht, die nicht prolongiert und auch nur mit Wucherzinsen bezahlt werden. Selbst eine bloße Gelehrtenrepublik, wie Renan sie empfiehlt, reizt zum Lachen Swifts über »Laputa«. Purpurgeborene haben bessere Erziehung für ihren Beruf und angeborenes Verantwortungsgefühl. Woher nimmt man den Mut, die Hohenzollern als odium generis humani anzuprangern? Das einzige Herrschergeschlecht, das viele Tüchtige, 3 Bedeutende, einen Ganzgroßen auf den Thron stellte!

Den sogenannten preußischen Militarismus übernahmen sie nur vom Deutschen Orden, unter dessen Banner auch fremde Feudalherren wie der spätere englische König Henry Bolingbroke stritten, was die Ritterrepublik nicht an eifriger Bürgerfreundschaft hinderte, ein Ordensmarschall hieß »Bauernfreund«. Also auch Feudalismus braucht kein Übel zu sein, solange er nicht noblesse oblige vergißt. Buckles These, Monarchenschutz erniedrige das Schrifttum, d. h. die Nationalseele, wird Lügen gestraft durch das männlich aufrechte Literatengeschlecht im künstlerischen Zeitalter des Grand Monarque, der sich von seiner nie servilen »Akademie« abweisende Rüffel gefallen ließ und sich vor Boileau als Oberzeremonienmeister des Parnaß beugte: »Sie verstehen das besser als ich«. St. Beuve bemerkt dazu: »Wir kennen minder zartfühlende Herrscher«, wir auch, Puppenallee und Siegesspargel beweisen nichts gegen Versailles. Die dem Staatsschutz später entlaufene »wissenschaftliche« Literatur unter Louis XV. gebar nur oberflächliche Propaganda und hinterhältige Menschen wie Montesquieu, Voltaire schmeichelte der Pompadour, Diderot der Zarin, Aufschwung »exakter« Naturwissenschaft veredelte weder den Charakter noch stand ihr trockener Spezialismus, wie man vorgibt, in Beziehung zur politischen Revolution, die ja ihr nachher die klassische Abwehr erteilte: »Die Republik bedarf keiner Gelehrten« (Prozeß Condorcet). Es gewährt auserlesenen Genuß, die unorthographischen Gerichtsakten bei Cheniers Hinrichtung zu lesen, wo die Kleinkrämer sich über einen Versifex empörten, der keinen festen Lebensunterhalt und keinen Empfangsschein über »Effekten« habe. Carrier rapportierte, er zerstöre alle literarischen Gesellschaften: »Ich verhaftete soeben ein Fräulein, sie hat Geist und ist daher verdächtig, sich über uns lustig zu machen.« Dies »Daher« ist unbezahlbar. Der selbst jakobinische Chemiker Fourcroy klagte: »Man will alle Bibliotheken verbrennen«, bettelte umsonst um Almosen. Das mögen sich unsere bolschewistischen Berliner Literaten gesagt sein lassen.

Jede Banausenrepublik verholzt den Geist. Selbst Athens Ostrazismus trieb Aeschylos in die Verbannung, warf Phidias ins Gefängnis, reichte Sokrates den Giftbecher. Florenz duldete nicht Dante und Leonardo fand erst beim Herzog Moro die rechte Zuflucht in Mailand, das erst als Fürstentum zu hoher Kultur aufstieg. Der Medicäer Güte blühte mehr im päpstlichen Rom als im freien Florenz, und wie das kleine Ferara, blieb Weimar bis zum Weltkrieg ein fürstlicher Musensitz, alle geistigen Bewegungen gingen von solchen Residenzen aus, seit den Babenbergern und der Wartburg; ohne Ludwig I. wäre nichts aus deutscher Malerei, ohne Ludwig II. nichts aus Wagners Sieg geworden. Dies ist historischer Überblick ohne Parteiparole, sicher aber haben geistige Bestrebungen nichts von demokratischer Internationale zu erwarten.

Eine geistige Internationale gabs im Mittelalter: Papst- und Kaiseridee, die ursprünglich zusammengehörten, doch sich gegenseitig durch Herrschsucht zerstörten. Der Kirche unsterbliches Kulturverdienst und mehrfach volksfreundliche Richtung zur Dämpfung des Feudalübermuts versandeten, bis Papst Julius weltlichen Harnisch trug und Loyalas Jesuitengenerale die Ecclesia Militans disziplinierten, um aufs neue den Größenwahn von Gregor und Innocenz zu beleben, Europa unter internationalen Absolutismus der Kurie zu beugen. Schon früher verkaufte man sich, um sich deutschem Kaisertum zu entziehen, ans allerchristlichste Frankreich, dann ans allerkatholischste Spanien, d. h. ans ausschließliche Romanentum und kam dabei an unrechte Schmiede. Denn wie Kalif und Sultan den Obermuftie und der Zar Gospodar den Generalprokurator des Synod zu abhängigen Beamten herunterdrückten, so mißhandelten Karl V. und Philipp II. die Päpste als spanische Vasallen, die Inquisition wurde nur politisches Instrument, um jede freie Regung als Ketzerei auszurotten. Später wollte auch Louis XIV., da die Gallikanische Kirche seit Konzil von Bourges allzeit die Krone gegen Rom stützte, den Sultan eines katholischen Islam spielen. Rom gewann also nichts dabei, daß es sich der Kaiserüberwachung durch Otto III. und Heinrich III. entwand und sich mit den erzfeudalen Staufen nicht zu gemeinsamer Volksunterdrückung verband. Barbarossa verbrannte Arnold v. Brescia und bedrückte sogar seine Krönungsstadt Mainz, Friedrich II. verfolgte die Waldenser, sein »Konstitution von Melfi« konstituierte nur Steuerdruck, Scheusal Ezzelino war ihm als Vogt gerade recht, er duldete nur einen freien Menschen, sich selbst. Wären die Staufen echte Vertreter des Kaisergedankens, so hätte Heines Kyffhäuserspott Berechtigung: »Wir brauchen gar keinen Kaiser«. Doch mit ihrem gewöhnlichen Undank vergessen die Deutschen ihren größten Kaiser Heinrich III., dessen unseliger genialer Sohn von ihm die Erbschaft einer Sozialmonarchie antrat. Dieser Bändiger der Päpste stützte sich ausschließlich aufs Bürgertum, wie auch ein anderer Heinrich III. »Der Kränkliche« von Kastilien, der leider noch früher starb als sein großer deutscher Namensvetter. Spanien, jede Bulle verlachend, war im Mittelalter ein Schrecken der Kurie, noch auf dem Konstanzer Konzil verlangten spanische Bischöfe und Mönche freiheitliche Reform. Dies blühende Reich bürgerlicher Cortesfreiheit ging ein durch Kirchendruck oder Finanznöte, wie Rankes Aktenklauberei sie für Spanien und Türkei feststellt? Nein, diese Weltmächte erstickte blutsaugerischer Absolutismus, der im »Rat von Indien« auch die Kolonien zentralistisch ruinierte und sich selber das Gold des Crassus in den Schlund goß. Mißwirtschaft und tote Hand der Kirche waren nur Symptome des politischen Krebses, den Reformkönig Karl im 18. Jahrhundert nicht mehr heilen konnte.

Deutschland ging den umgekehrten Weg. Noch Kaiser Albrecht trumpfte auf, ein König der Deutschen sei Herr der Christenheit auch ohne Kaiserkrönung, unsere Bischöfe verpönten lange Ultramontanismus, noch Maximiliens Gesandter führte in Rom die gröbste Sprache. Doch Konzil von Basel und Wiener Konkordat vereitelten kirchliche Unabhängigkeit, die unvermeidliche Reformation vollendete aber Losreißung nur auf Kosten der Einheit. Bis ins 17. Jahrhundert war Zwiespalt zwischen Kleinfürsten und Zentralgewalt keine deutsche Eigentümlichkeit, er bestand in ganz Europa. Solange Papst- und Kaiseridee in Italien und Deutschland ein geistiges Einheitsband zusammenhielten, hob Dezentralisierung die Kultur und stiftete nur äußerlich politischen Schaden. Als aber beide Ideen versumpften, kam ein Mischmasch von föderativer Kleinstaaterei, die sonst überall in Europa ausstarb, und Habsburger Imperialismus heraus, gewürzt mit konfessionellem Hader. Wären Kaiser- und Papstideen vereint geblieben, hätte Rom sich auf Deutschland gestützt, so hätte eine Internationale der Christenheit die Auswüchse eines bis heute Europa zerfleischenden Nationalchauvinismus nicht zugelassen. Längst wurde das Papsttum eine Filiale romanischer Herrschsucht, deren Geschäfte es allein besorgt, selbst wenn katholische Völker sich innerlich von der Kirche abwenden. Im Weltkrieg verhielt Rom sich aus Rücksicht auf Österreich äußerlich neutral, man merkte aber nichts davon, daß der Heilige Stuhl ein wahres Friedenswerk beschattet und dem sogenannten Völkerbund einen soliden Mittelpunkt gewährt. Zur Frage Monarchie oder Republik nahm Rom stets nur opportunistisch Stellung. Es verdammt Hinrichtung Karls I. und Louis XVI., doch wo blieb Abscheu vor Fürstenmord bei Ermordung Heinrichs IV. und Wilhelms v. Oranien, geplanter Erdolchung der Queen Beß? Heiligkeit gekrönter Häupter gilt nur für katholische, man ist nur »von Gottes Gnaden« durch Segen des Vizekönigs Jesu, den hatten ja aber beide Napoleons; warum hießen sie später Usurpatoren?

Würde Rom den Forderungen der Jetztzeit kein non possimus entgegensetzen, so könnte religiöse Wiedergeburt von ihm ausgehen, doch es hat nicht den Anschein, als ob es auch nur den Tridentiner Dogmen entsagen wolle. Dagegen hat die Kaiseridee Hoffnung auf Wiedergeburt, wenn sie ein für allemal den Feudalismus über Bord wirft und einer Sozialmonarchie mit völkischer Grundlage zustrebt. Brachen die Hohenzollern als Revenants der Hohenstaufen ein für allemal das Rückgrat? Man kann dies um so weniger glauben als alles Antimonarchische sich einzig gegen die Person ihres letzten Kronenträgers richtet. Auch wir verdammen sein Wirken, selbst sein angeblicher Kulturschutz war nur Ausfluß dynastischer Eitelkeit und Karikatur eines Grand Monarque, wie ihn schon der Assyrerkönig Asurbanipal vorstellte. Unter der Potsdamer Kultur-Wachtparade hießen Meister Wenzel und der Bataillonsmaler v. Werner beide Exzellenz. Doch wälzt man nicht auf Wilhelm II. allein ab, was einfach neudeutschem Wesen entsprach? Es war Helmholtz' schönster Tag, als man ihn in den Adelsstand »erhob.« Fassade-Ornamentik des Briefadels besteht fort, obschon ein Großteil des Blutadels seit dem 30jährigen Krieg ins Bürgertum untertauchten. Virchow achtete peinlich darauf, daß man ihn »Geheimrat« anredete, Haeckel spottete in »Indischen Reisebriefen« über professionale Schulmeisterei, Titel und Orden, doch er selber nahm sie behaglich auf bisher unbefleckte Brust und erkannte sich ironisch selbst als Schulmeister. So wenig Wilhelm den Weltkrieg verschuldete, so schuf das Wilhelminische und selbst Bismarcks Paktieren mit dem Ewig-Gestrigen, das Jeden erniedrigt, eine Atmosphäre dafür. Er muß sich gefallen lassen, daß Eulenburg sein Haus »Amusisch« nennt, weil der allmächtige Reichskanzler äußerlich jeden Anhauch seiner musischen Jugend abstreifte. Alles rächt sich im Kreis immanenter Gerechtigkeit, so auch Moltkes altväterischer Klassizismus, der im 2. Akt der »Meistersinger« die Oper verließ: »Nun wollen wir zu Hause gute Musik machen«, und harter Realismus. Siehe den Betrug beim Versailler Waffenstillstand in Sachen Bourbaki, für dessen Rettung Gambetta unterschrieb und für seine Einwilligung nur den Fußtritt erhielt, den man Frankreich mit nutzloser und schädlicher Grausamkeit ins Grab nachschleuderte. Erinnerte sich Foch vielleicht daran, als er uns unerträglichen Waffenstillstand diktierte zu historischer Vergeltung?

Was hat aber Entartung militärischer Gewaltpolitik mit den Hohenzollern gemein, von denen kein Einziger den latino-slawisch-angelsächsischen Eroberertrieb rückhaltlos ausprägte außer im Zwange der Notwendigkeit? Im Weltkrieg erschien ein Schandbuch »Liebesintrigen der Kaisersöhne«, dessen Verfasser, Northcliffe-Bediente Le Queux, schon früher Begabung für Brunnenvergiftung im Romänchen über ein vergiftetes Borgiamanuskript verriet. Dies Borgiagift in englischer Worcester-Sauce wird unter der Marke »echt« kredenzt, indem Le Queux sich als englischer Spion in Düsseldorf und Berlin ausgibt und sich nicht scheut, deutsche Grafen und Gräfinnen als seine Informanten zu nennen. Seine Lakaien der Hintertreppe banden ihn aber Bären in Germaniens Urwäldern auf, die Echtheit sieht so aus, daß ein Baron Güter in Sibiria statt Silesia hat und Prinz Eitel die Garde in Frankfurt am Main inspiziert und was der Scherze mehr sind. Wir mögen in die Kloake nicht hinuntersteigen, wo Prinzen als Einbrecher, Fälscher und Erpresser herumschwimmen und gewisse erotische Einzelheiten für den Kundigen zwerchfellerschütternd die blöde Unkenntnis des Giftmischers bekunden. So werden die Kaisersöhne für eine Horde geistiger Rothäute festgebunden, die an dem fingierten Marterpfahl einen Skalptanz aufführen. So aber wird die ganze Hohenzollerngeschichte von westlichen Ignoranten zugerichtet und die Deutschlands dazu. Man hat nichts gelernt und nichts vergessen, oder vielmehr alles vergessen, was zur Erkenntnis führt. Die Unsittlichkeit deutscher Höfe ahmte höchstens die westlichen Greuel nach, und wenn Lord Malmesbury das Berlin vor 1806 »Sodom« nannte, wie stand es dann mit dem Gomorrha London? Feigenblätter wünscht England noch mehr als der deutsche Staatsanwalt, doch ein kräftiger Roman »Hüter des Hauses« enthält die treffende Sentenz übers heutige Highlife: »Solange unsere jungen Herren mit Straßendirnen und unsere Mißes sich mit ihren Kutschern gemein machen, sollten wir uns freuen, daß erstere noch nicht in ihre Bedienten und letztere nicht in ihre Zofen verliebt sind.« Heute kann man in ganz Europa zwar nicht bloß Splitter in des Nächsten Augen sehen, sondern hanebüchene Balken, aber diese findet man ebenso im eigenen Besitz.

Jede deutsche Fürstenhetze wird sinnlos durch Vergleich mit dem Ausland. Über »Schmach und Schande der Nation« klagte der brave Fürst Anhalt, weil man den romantischen Kaiser Maxel in goldener Rüstung, der für seine Luxuszüge bei allen Welsern und Fugger herumpumpte, zum Gespött machte, doch selbst dieser Ägirsänger des »Theuerdank« machte eine gute Figur als letzter Ritter neben schmutzigen Despoten der Westvölker. Scotts »Talisman« schildert Leopold, den hochgebildeten Babenberger, als dummen Trunkenbold, den Tiger »Löwenherz« als feinen Kavalier, den rohesten Barbaren. England mußte sich seinen einzigen anständigen König Wilhelm III. aus Holland borgen, Louis XIV. stand eben nur zwischen zwei anderen elenden Louis; Philippe und Karle der Valoislilie erinnerten an Shakesspeares Spruch: »Nichts stinkt so wie verfaulte Lilien«, Edwards und Henrys der Plantagenets, Lancester, York, Tudor zeigten nur Leopardenkrallen. Vom listigen Scheusal Louis XI. sagt Comines, er sei der einzige Fürst, von dem man wenigstens politisch etwas Gutes sagen könne. Nichtsdestoweniger florierte das Volk unter der Monarchie so viel besser als unter ordnungslosem Feudalismus, daß Paris den griesgrämigen Lüdrian Louis XII. zum »Vater des Vaterlandes« ernannte und London den Erpresser Edward IV. hochhielt, Mailand seinen ruchlosen Visconti gern hatte, man hüte sich also, tadelswerte Monarchen mit monarchischem Prinzip zu verwechseln. Einige deutsche Kaiser waren so wenig Mehrer des Reichs, daß Friedrich II. Lübeck und Hamburg den Dänen auslieferte (denen ein kleiner Graf von Schwerin ihren Raub abjagte, so stark blieb noch jedes dezentralisierte Reichsglied), aber außer den Staufen war keiner ein brutaler Gewalttäter wie die Despoten des Westens. Auch erfreute sich Deutschland noch bis ins 16. 17. Jahrhundert so vorzüglicher Kleinfürsten wie den Landgrafen von Hessen und Christoph von Württemberg, und daß hessische und schwäbische Ritterschaft sich treulos erwies und dem bösen Ulrich gerade sein Landvolk Treue wahrte, auch Hipplers »Bauernkonstitution« die Kaiser-Idee verherrlichte, gibt historischen Vermerk, daß monarchisches Fühlen bei uns stets volkstümlich austönte. Es überlebte auch die Paviangalerie jener Fürstlichkeiten, die uns die Denkwürdigkeiten der Schwester Friedrichs des Großen zur Schau stellen, ihr monomanischer Vater offenbarte eine Gorillastärke des patriarchalischen Despotismus. Übrigens gaben auch zu Friedrichs Zeiten einzelne Fürsten wie Ferdinand von Braunschweig und später Goethes Freund Franz von Dessau (sehr verschieden vom Alten Dessauer) ein Beispiel vornehmer Humanität und waren nicht Karl August und Kaiser Josef edle Erscheinungen, Friedrich Wilhelm III. und sein geistreicher Nachfolger, obwohl ihrem Amt nicht gewachsen, wohlmeinend und wohlwollend? War nicht die Weide, unter der Moritz von Sachsen starb, eine Trauerweide für Deutschlands Schicksal, seine Todeskugel eine schwarze Kugel unserer Geschichte? Fürstenhetze ausgerechnet in deutschen Gauen ist eben fremdes Gewächs ohne bodenständige Logik.

Unwissender Hochmut der Westvölker schreibt Geschichte, als ob sie stets allein das Machtschwert schwangen, während England erst seit Elisabeth, Frankreich seit Richelieu entscheidend mitredeten. Bis dahin verödeten Bürgerkriege seit Simon Montford, kommunistische Aufstände, (Wat Tyler unter Richard II., Jack Cade unter Heinrich VI.) England so, daß man auf Meilen keine Menschen traf, wie ein Chronist sagt, und hundertjähriger Hugenottenkrieg nebst englischer Invasion (der »ritterliche« Schwarze Prinz verbrannte mal 500 Dörfer an einem Tage) verzehrten französischen Wohlstand, daneben sind Adolf von Nassaus Verwüstung Thüringens oder die Fehden des bösen Fritz von der Pfalz oder Beutezüge rheinischer und fränkischer Raubritter nur harmlose Episoden, sogar die Verheerung des 30jährigen Krieges scheint übertrieben geschildert, denn nachher hob sich der Steuerzensus. »Deutsche Armut« war immer ein Märchen, deutsche Bauern hatten es besser als englische und gar französische, deren Elend La Bruyère und später Young herzbeweglich schildern, bei uns hatte der Edelmann nicht eigene Gerechtsame und Münzrecht wie die französische Noblesse. Auch in Republiken wie Venedig lastete der Staatsdruck viel härter, Reichs- und Hansestädte genossen mehr Freiheit unter Monarchenschutz, als man es irgendwo kannte außer in Flandern. Beim Feudalhaß gegen die »Pfeffersäcke« erinnert man sich aber, daß man die mittelhochdeutsche Dichtung dem Adel verdankt. Trotz Abälard und Joachim von Florio zog allgemeinere Bildung in Frankreich erst mit Leonardos Reise unter Franz I. ein, der spätere Papst Aeneas Silvius pries die Überlegenheit deutscher Kultur. Trotz politischer Dezentralisierung waren »die Deutschländer ( Les Allemagnes) so groß und mächtig«, daß Montaigne sie bewunderte, ein englischer Reisender über die Städtepracht staunte. Der Chronist Karls des Kühnen gesteht, man habe sich beleidigenden Dünkel des Schellenpopanz Friedrich III. gefallen lassen, weil Burgund, die Kronen Frankreichs und England von oben herab brüskierend, sich vor den deutschen Fürsten fürchtete. Nachher gab bei den flandrischen Städten für Bewerbung um die Hand von Marie de Bourgogne, wie ihr französischer Biograph zugibt, den Ausschlag, daß der Kaisersohn Max so viel vornehmer sei als ein französischer oder englischer Kronprinz. Brauchen wir weiter Zeugnis, wie naiv nicht nur die Fremden, sondern auch unsere eigenen Historiker die europäischen Verhältnisse verdrehen, als ob seit den Staufen Deutschlands Weltgeltung erloschen sei! Man braucht nur einen Blick auf die Heeresmacht zu werfen. Frankreich, England, Spanien zusammen konnten keine 150 000 aufbringen, wie Friedrich II. sie gegen Mailand, andere Kaiser sie gegen Wenden, Polen, Hussiten führten. Was waren die übermütigen Templer neben dem Deutschen Orden, der stärksten Militärorganisation des Mittelalters! Das kriegerische Ansehen blieb noch so groß, daß 1100 Deutsche gegen hundertfache Burgundermacht Neuß hielten, daß die Osmanen vor Steiermark Halt machten. Noch im Schmalkalder Krieg wären protestantische Fürsten und Städte militärisch und finanziell der Weltmacht Karls V. überlegen gewesen, wenn ihre deutsche eifersüchtige Zänkerei nicht den rechten Augenblick verpaßte. Die Schweizer galten als »Allemans« und nannten sich später noch stolz »Reichsverwandte«, ihr Kriegsprestige erlosch vor dem deutschen Landsknecht, der auch Hollands Befreiung erwirkte und kurzen Vorrang von Albas Infanterie erledigte. Im 30jährigen Krieg war Deutschland-Österreichs Waffenaufgebot stärker als das des ganzen christlichen Europa zusammen, Deutsche schlugen Frankreichs und Schwedens Schlachten, Banner nannte sie die besten Soldaten der Welt. Die Osmanenmacht, vor der alles zitterte, brach sich an Wien und deutschen Reichsheeren, Marlborough und Prinz Eugen besiegten die Franzosen fast nur mit Deutschen. Deutsche »Reiters« und Fremdregimenter standen seit Henri IV. dort hoch im Preise, noch bei Roßbach standen sie fest unter allgemeiner Flucht. Ohne deutsche Soldtruppen konnte England nicht Krieg führen, noch bei Waterloo taten deutsche Legion, Hannoveraner, Braunschweiger, Nassauer das Beste. Friedrichs kleines Preußen trotzte allen Großmächten. Nie hätte Napoleon den Rhein überschritten ohne Preußens »Baselei« und den Rheinbundverrat, selbst der spätere deutsche Bund blieb so stark, daß 1859 Frankreich-Italien erlegen wären, wenn Preußen beisprang. Louis Napoleon wußte, daß er weder Louis XIV. noch Napoleon I. mimen durfte. Selbst Englands Meerbeherrschung entsprang nur dem deutschen grauen Elend verpaßter Möglichkeiten. Unser selbsternannter »Admiral des atlantischen Ozeans« schwang einen unfertigen Dreizack, doch Wallenstein als »Admiral der Ostsee« hätte das Hansaerbe bald erweitert, da trieb ihm deutsche Untreue den Großmachtkitzel aus, diese berechtigte Eigentümlichkeit der Serenissimi, die unverbrüchlich mit deutscher Treue jedem schadenfroh ein Bein stellten, der zu hoch hinaus wollte.

Glaubt Europa, die kriegerisch stärkste Nation auf den Aussterbeetat zu setzen? Geheimer Furchtinstinkt mahnt an jene Vergangenheit, wo trotz Zerfall der Kaiseridee Deutschland so hoch stand, daß Karl V. seine Weltmacht nur durch Kaiserwahl gründen und nur mit Frundsbergs Landsknechten bei Pavia siegen konnte. So lebendig wirkte damals noch stolzes Nationalgefühl, daß man die Schwarze Bande in französischem Sold als Landesverräter niedermachte. Daß es in Deutschland wohl eine kirchliche Reformation, doch keine politische Revolution wie die englische und französische gab, ist kein Beweis von Rückständigkeit, wie Spengler und Kemmerich es in ihren Tabellen auffassen, vielmehr gingen ja Huttens und Münzers Bestrebungen denen der Westvölker weit voran, sondern nur dafür, daß das Monarchische bei uns nicht mit der Härte von Bourbons und Stuarts reizte und eher als Bedürfnis galt. Dagegen entsprang unsere ohne jeden Enthusiasmus verlaufene Revolution nur dem Augenblicksbedürfnis des Kriegsunglücks, denn eine Notwendigkeit lag nicht vor, nicht mal für die Arbeiter, deren Erwerbslage unbedingt besser war als anderswo. Bei der französischen und russischen Revolution wirkte als Hauptfaktor chronische Hungersnot der Bauern. Wir gehen nicht mit Taines einseitigem Pamphlet einig, der Jakobinismus hatte unwillkürliche Glanzseiten aufwühlender Verjüngung, seinen Heeren konnte man zurufen: in Deinem Lager ist Frankreich. Doch die Republik bedeutete als Erbe Louis XIV. nur eine Gloire-Vorschule des Cäsarismus. Man starb nicht in Schönheit unter übelriechenden Ohnehosen, die rote Medusa erlaubte kein Techtelmechtel mit schwärmender Ideologie, Feuerschein einer Brandstiftung täuschte nur Morgenrot vor. Das Volk gewann nichts dabei, bekam Steine für Brot, politische Umwälzung stillt nicht den Hunger, Phrasen füllen nicht den Magen. Nur durch Napoleons monarchische Kolbenstöße kam Ordnung in diese Fuhrmannskneipe, wo man sich um Bermat-Trinkgelder balgte und »Accapareurs« den Unterschleif bourbonischer Generalpächter fortsetzten.

Darf man die Gegensätze nur mit rosafarbener oder pechschwarzer Brille sehen? Ein Vernunftsmonarchist scheut sich nicht, den Fürsten ihr Sündenregister vorzuhalten wie einst der gewiß konservative Lagarde. Verschachern deutscher Besitztümer war meist auch des Junkers Lust, ob nun ein Fürstenberg als Reichsgeneral oder als Straßburger Bischof welsche Silberlinge empfing. Noch den 7jährigen Krieg faßten unsere Katholiken als Religionskrieg gegen Ketzer auf. Wenn Bismarck meinte, er habe den Patriotismus deutscher Fürsten unterschätzt, so lassen wir dies fürs Geschlecht der Einheitskriege geradeso gelten wie für damalige Edelleute und Militärs. Deshalb durfte unsere Beschreibung des Bismarcklebens bis 1871 nur streng antidemokratisch sein, dagegen muß unser Standpunkt von da ab sich wesentlich ändern. Entrüstung über eine jeder Nationalgesinnung bare Republik, zuerst nur ein Arbeiterstreik, später bourgoise Reaktion, bekehrte natürlich jeden Patrioten von demokratischem Überschwang. Aber leider bekehrte jüngst der Eigennutz fürstlicher Entschädigungsforderung, ebenso rechtswidrig wie gegnerischer Wunsch völliger Enteignung, viele royalistisch Eingestellte von treuherziger Sehnsucht nach dem alten Föderativstaat. Man fragt: Wir, durch betrügerische Aufwertung an den Bettelstab gebracht, sollen Euch mit Wucherzinsen Eure Fürstenrevenuen zurückschanzen? Ach so, Ihr seid von Gottes Gnaden? Nun aber Schluß! Zwischen solchen Fürsten und Vernunftsmonarchisten bleibt das Tischtuch zerschnitten. Da stand das Ancien Regime von 1789 höher. Mit einem lahmen Fuß schon im Lager des Feindes, dessen verlarvtes Gorgogesicht sie nicht ahnte, beging jene Adelsgesellschaft Selbstmord durch opferfreudigen Liberalismus. Aber wogen 13 Monate Terreur 13 Jahrhunderte feudaler Schreckensherrschaft auf? Wischten Noyaden das Brandmal der Autodafes unterm Geisterjoch des Klerus ab? Wenn Pompadurgünstlinge das Volksmark fraßen und die Fahne entehrten, soll man dies tollen Revolutionsweibern vorziehen? Eines Amerikaners Spott, der Mann liebe am Ewigweiblichen mehr das Teuflische als das Himmlische, paßt wohl mehr auf manche Katharina und Dubarry als auf die zinnoberroteste Rosa Luxemburg. Das Frauenstimmrecht mag ja Chestertons Hohn verdienen, daß die praktischen Frauen ihren Haß gegen das Publichause (Wirtshaus) aufs öffentliche Plapperhaus übertragen, doch parlamentarische Mitarbeit des schönen und starken Geschlechts könnte heilsam helfen bei Ausmerzung muffiger Vorurteile aus neuen Gesetzbüchern. Die politischen Frauen lassen sich aber leider nur gefühlsmäßig bestimmen, sei es als Rechts-Romantikerinnen, sei es als Links-Illusionistinnen. Revolutionen sind Elementarereignisse, deren Vorüberziehen zu berichtigen wie Taine sehr unphilosophisch erscheint, obwohl sie meist mit »Cäsars Bildsäule« enden wie in Donnellys Phantasie, einer Schädelpyramide, die in sich selbst zerfällt. Die deutsche Revolution konnte nur eine blasse Fehlgeburt als Republik taufen. Aber Personen und Kulissen dieses Kasperletheaters prangt Shakesspeares Motto: »Bloße Spieler, sie treten auf und treten wieder ab«. Kaum stottert ein Statist, »die Pferde sind gesattelt«, als er auch schon in der Versenkung verschwindet.

Als die parfümierten Emigrantenherrchen den roten durch weißen Schrecken vertreiben wollten mit obligaten Protestanten-Pogroms unter Pfaffensegen, bereiteten sie nur neuen Sturz der Bourbons vor und die Geheimfeme unserer rüdigen Reaktionsbanden kann nur die ersehnte Monarchie diskreditieren. Die Verbrechen der Jakobinersekte hatten wenigstens einen heißen Odem, Konventedikte rühren oft durch Wärme mißleiteter Menschenliebe, die mit rasender Überstürzung Paradiesbäume pflanzen wollte; der Wohlfahrtsausschuß leistete ehrliche Arbeit gegen den Landesfeind, während unsere Jammerrepublik jede Posse von Locarno und jede Komödie von Genf begrüßt, weil sie sich nur in Schwäche und Faulheit wohlfühlt und dem Vernichtungswillen feige Schlagworte zu Füßen wirft. Aus Genf könnte nur Gutes kommen, wenn nicht Futterkrippen-Schieber dort aufmarschieren, sondern aufrechte Gestalten. Haltet Euer Pulver trocken, heißt der Weisheit letzter Schluß im Völkerleben!

II.

Wilhelm beschuldigte vor Franz Joseph den »ungehorsamen Untertan«: Dessen persönlicher Egoismus hintertreibe jede kriegerische Austragung. Nun, Bismarcks fruchtloses Sozialistengesetz bedeutete ein Alterssymptom, Scharfmacherei wäre besser in auswärtiger Politik am Platze gewesen. Er hinterließ die Losung »Saturiertheit«, doch was heißt Sättigung, wo doch die zahlenmäßig viel kleineren Weststaaten ihr Expansionsbedürfnis zum Fleck an der Sonne rücksichtslos durchsetzen? Gewiß, einst konnte die in allen Fugen krachende Rüstung nicht solche Ausrenkung des Reichs von Düna bis Rhone, von Eider bis Etsch ertragen. Nachdem sich Friedrich II. in Toulouse als König von Arelate krönen ließ, nannte auch Karls IV. goldne Bulle Arles, Genf, Mailand, Pisa Reichsstädte. Bischöfe von Utrecht, Lüttich, Verdun und Herzöge von Lotharingien blieben der Kaiser treuste Schildhalter, den Erwerb von ganz Italien unter Heinrich VI. konnte das feurigste Ghibellinentum nicht behaupten. Doch heut? Zurückschrauben von 80 Millionen Deutscher auf ein Areal, dem man ganze Fetzen mit deutschen Minoritäten vom Leibe riß, solch unnatürliche Entmachtung kann kein Versailles in Genf befehlen. Ein dem Ausland unbegreiflicher Expansionsverzicht, um nur nicht zum Schwerte greifen zu müssen, schien schon lange zu bestehen: Wir Neudeutschen fürchten zwar nicht Gott, sonst Alles auf der Welt. Band Bismarcks »chauchemar des coalitions«? Freilich, wo Könige Bausteine zusammenschleppen, da bauen die Kärner. Die Wilhelmstraße übersetzte solche Friedensweisheit noch ins Dilettantische, fuhr Spritzen statt Kanonen auf, zugleich Friedenswart und Attila. Für die chinesische Boxerposse quittierte später Lloyd Georges Knockout-Boxerei, das knackfüßige »Völker Europas«, wo ein schlitzäugiger Buddha die Beine unterschlägt, kam in Kiantschau zu japanischer Auktion, die heiligsten Güter wurden sehr wohlfeil losgeschlagen. Spiele nicht mit Schießgewehr! Man schafft nicht Brennholz zum eigenen Scheiterhaufen, Schaukeln bringt nur Hereinfall, friedliche Profitmacherei trainiert nicht zum Kampf um Sein oder Nichtsein. Man lebt nicht gesund im völkerbundlichen Kuckucksheim, doch auch nicht in Kaserne eines Kürassiergeistes, der mit Siebenmeilenstiefeln poltert und Faustrecht proklamiert und doch immer nur auf dem Flecke stampft. Statt festem Auftreten nervöse Panthersprüngchen, statt entschlossener Aussprache nur Briefe, die ihn nicht erreichten wie in der Burenpendelei. Will man Weltpolitik, soll man nicht als Friedenskaiser glänzen.

Aber lavierte denn Greis Bismarck mit sicherm Steuer, indem er sich auf wertlose Rückversicherung einließ? Kleine Geschenke erhalten nur die Feindschaft, die trotz der Tunisgabe lieber Englands Faschodaohrfeige einsteckte. Weil Albion sich nur mit dem Stolz seiner Leitartikel umgürtete, mußte man es deshalb streicheln, desinteressiert in Ägypten, statt englisch-französischen Interessengegensatz zu verschärfen, und eigene Kolonialpolitik hintanstellen, Peters anfangs als Abenteurer desavouieren und ans Foreign Office denunzieren! Unvergleichliche Meisterschaft bis 1871 ging in Ängstlichkeit über, die auf dem Berliner Kongreß als ehrlicher Makler nicht mal Gebühren einstrich. Bulgarien nicht die Knochen eines pommerschen Grenadiers wert? heut bleichen da viele deutsche neben bulgarischen, der Balkan wurde keine »angenehme Erinnerung«, Nichteinmischung in russische Wühlarbeit kostet uns mehr als dem Battenberger. Politische Erbschaft unbedingter Desinteressiertheit mischte sich nun mit schnarrendem Kommandoton sprunghafter Launen Wilhelms, ohne jede Konsequenz zu ziehen. Bagdadbahn und Türkenfreundschaft muß man an sich billigen, doch ließ sich vorhersehen, daß England lieber den persischen Honig mit dem russischen Bären teilte, als den Weg nach Indien durch den Halbmond beleuchten zu lassen. Solche Unternehmungen beginnt man nur, wenn man sich aufs Äußerste gefaßt macht. Bei uns gabs nur Atrappen, Schein ohne Wesen, wie Waldersees Weltmarschalat auf angeblichen Vorschlag des Zaren dreist erschwindelt, damit Philisterkneipen es mit Hurrah begießen. Französische Raubsucht zerbricht sich zuletzt die Eisenräder, doch deutscher Staatswagen, nur für Gummiräder eingerichtet, wird stets umkippen, wenn nicht andere Kutscher andere Pferde einspannen.

Siegfried stieg von des Vaters Burg herab ... wäre er nur früher gestiegen und hätte Vater Bismarck nicht so still gesessen! Er leugnet die 1875-Krise als Erfindung Gortschakows, Gontaud-Vicons Erinnerungen beweisen das Gegenteil. Damals konnte man Revancherüstung im Keim ersticken und noch viel später in der Boulangerhitze, doch gegebener Augenblick wurde verpaßte Möglichkeit. Krankhafte Friedenssucht um jeden Preis blieb als testamentarische Verfügung des alten Kurses und der neue Herr prahlte nur mit Volldampf voraus des neuen Kurses. Preisend mit viel schönen Reden seiner Länder Macht und Zahl, warnte er fortwährend: Jetzt komme ich mit Donnerwetter, und kam nie. Das ließen offene und geheime Feinde sich gesagt sein, er wartete, bis sie kamen. Noch 1909 genügte in der bosnischen Krise ein Wink nach Petersburg und der tobende Feindbund hielt sofort das Maul, so groß blieb damals noch unser militärisches Übergewicht. Russische Revolutionskrise offenbarte erneut die Ohnmacht des Gegners und wir rechnen es dem sogenannten Friedenskaiser zur Ehre, daß er gern zugegriffen hätte. Doch Rußlands drohende Auflösung diente nur dazu, turmhohe Dynastenfreundschaft liebedienerisch zu unterstreichen in der kindischen Voraussetzung, Niky werde für Willys Beistand in Dankbarkeit zerfließen. Dabei gab es solche Turmhöhe nie, den Verrat von Tilsit ergänzte 1814 das Attentat auf Danzig (vergl. Friccius). Jede Schonung Übelwollender rächt sich. Fühlt man sich als Adler, spielt man umsonst die Taube mit dem Ölzweig. So konnte blöde Langmut nachher als Lauern auf Überfall mißdeutet werden. Cleopolds von England ausgeschrieene Kongogreuel verwandelten sich flugs in Hunnengreuel am »schuldlosen« Belgien, die noch von Kingsley als Mutter europäischer Kultur gepriesene Germania in angebliche Kriegsfurie.

So scharf schießen die Preußen nicht wie Hödur auf Baldur schießt: angebliche deutsche Objektivität sucht die Philisterstärke darin, das Eigene zu untergraben. Diesen Scharfschützen Lokis nahmen die Germanen in ihren Götterhimmel auf, solche Selbsterkenntnis rechtfertigt Napoleons Hohn, die Deutschen flögen auf jeden Leim. Das verstehen westliche Vogelfänger für Welschgänger, Michel aber versteht nicht seine Sprichwörter »mit Speck fängt man Mäuse«, »nur die allergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber«. Ultramontane Römlinge werden von westlich orientierten Demokraten abgelöst, altes und neues System wechseln nicht die nationale Physiognomie. Polizeipräsident Eichhorn warnte Neugierige, wat ne richtige revolutionäre Zuhälterpolizei is, doch sein Vorgänger, Verehrer einer Egeria von Theaterbörsesalons, war auch eine Nummer! Caprivis jüdische Egeria hat heut ähnliche Nachfahrinnen, während man politische Umtriebe fürstlicher Damen der Bismarckzeit schmähsüchtig aufbauschte.

Mosts Formel »Ordnungsbestien« richtete sich nicht gegen das monarchische Deutschland, sondern gegen Amerika, Liebknecht lachte, seine Amerikareise mache ihn fast zum deutschen Patrioten, die Liebe deutscher Republik aber suchte Ordnung in so rührender Objektivität, daß sie den Mittelstand erwürgte, doch dafür ihre Todfeinde mit Gehältern und Pensionen zu bestechen hoffte. Solche Feigheit sticht von westlichen Allüren ebenso ab wie deren entschlossene politische Kraft, die wir seit 1871 bei unserer Miselsucht vermißten. Wenn Präventivkrieg ein Verbrechen sein soll, was ist dann Zaudern vor Unvermeidlichem? Was fruchtet die akademische Doktorfrage, ob Krieg immer Unrecht und Unglück sei! Ethisch gewiß, doch dem Bösen nicht widerstreben heißt ihm einen Freibrief gewähren und Selbsterhaltungstrieb kann nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. Der Starke ist nicht am mächtigsten allein, wenn man ihm das Fell über die Ohren zieht. Des Kronprinzen »Feste druff« war nur jugendlicher Aufschrei gesunder Vernunft. Erbübel deutscher Willensschwäche lähmte noch im Weltkrieg. –

Der Schweizer General Wille fertigte Delbrücks Ludendorff-Pamphlet ab, des »eminenten Historikers« – – ist das Ironie? »Delbrück hoch, hoch, hoch!« brüllte ja Berliner Pöbel, für den Titel als Charakter gilt. Wille aber meint, nur Wille des Charakters mache den Feldherrn. Das zielt gegen frühere Überschätzung kriegsakademischen Wissens, gleichfalls übertriebener Rückschlag. Wille ohne Intellekt setzt gelegentlich etwas durch, wie ein Kathederprofessor ein gelegentlicher Historiker sein kann. Bei schlechten Feldherrn erkennt man aber weniger Willens- als Geistesschwäche als Fehlerursache. »Für richtiges Handeln gibt es kein Rezept?« ja, so wenig man aus Lehrbüchern der Poetik das Dichten lernt, doch der geborene Feldherr wird trotzdem gewisse grundlegende Kunstgesetze studieren. Wille sei das Entscheidende, der Verstand nur sein Diener? Entscheidend sprach vielmehr Napoleon von geviertem Gleichgewicht zwischen Geist und Wille, denn wahre Willenskraft keimt nur aus wahrer Einsicht. Optimismus taugt im Kriege besser als Pessimismus, doch wodurch überwanden große Feldherren große Krisen? Durch Vertrauen auf Glück und Stern? Nein, durch genialen Intellekt, Vorbedingung klaren Selbstvertrauens. »Truppenführung ist eine freie Kunst« eben nur für den Künstler, beim Können stellt sich Energie von selber ein, kein Genie ohne leidenschaftliches Wollen (Schopenhauer), doch darf man umkehren: keine Energie ohne Genie? In Unsinnigkeit solcher Frage liegt der Nerv des Problems. »Nebel der Unklarheit halben Wissens« schade nur, »nur auf der Schulbank gelerntes korrektes Handeln« versage? Hiermit trifft der Berufsmilitär Wille grade den Grundfehler jedes Militärsystems, das wie in Kathederwissenschaft alles examenmäßig eindrillt und so nur unselbständige Köpfe erzeugt. Pflege der Wissenschaft, wovon Wille nichts wissen will, ist dort nur Pflege des Traditionsschlendrians eingelernter Methoden. Kaum stellte Schlieffen sein Cannaebeispiel auf, flugs betete man es als unfehlbares Rezept nach, das eben ist halbes Wissen. Daß die Umstände immer verschieden sind d. h. Materiereibung sich nie genau gleicht, beschädigt nicht die Wahrheit, daß Kriegslagen sich ungemein ähneln und daher für theoretischen Vergleich sich decken. Glaube an Präjudize mache unfrei? Wer fröhnte mehr solchem Aberglauben als das Steckenpferd-Steepelchase mit dem Schlieffenplan! Irriger Glaube an einheitliche Oberleitung? Dies gerügte »falsche Denken« findet man grade im Weltkrieg wenig außer bei Ludendorffs straffem Zusammenfassen, wohl aber zeitigte die von uns theoretisch bekämpfte »Selbsttätigkeit« der Unterführer eine Wunderblüte in der Marneschlacht.

Politische Pronuntiamentogenerale verfehlen ihren Beruf, doch darf Ludendorffs politische Haltung über seinen Feldherrnberuf bestimmen? Delbrücks maßgebende Autorität (!) sprach: seine Studenten können ins Kollegheft nachschreiben. Wegwerfend behandelte er L. als geistig Unbemittelten mit Kadettenausbildung, als ob Universitätsbrotstudium auf höhere Universalbildung Anspruch erheben dürfte. Sprach er doch einst dem General Boguslawski die Ebenbürtigkeit ab, als dieser Delbrücks »doppelpolige Strategie« nicht gelten ließ! Professor Pflugk-Hartung und General Lettow-Vorbeck warfen sich Unsachlichkeit vor: da beide selber auf ungründlicher Sachkenntnis in der Waterloofrage fußten und durch Überhebung ersetzten, was ihrer vorgefaßten Meinung an Sachlichkeit abging, so belächeln wir solche Fehde professoraler und offizierlicher Unbescheidenheit. Bemängelung maßloser Prestigen lohnt sich nur, wenn Schicksalslaune ein Piedestal errichtet, wozu die Figur des Ruhmträgers nicht paßt. Wer aber wie Hannibal, Robert Lee und Ludendorff in verlorener Sache auf dem Posten steht, den vor der unmündigen Menge als Nichtskönner herunterreißen, ist kein beneidenswertes Vergnügen, da Unglück alle Nobelgesinnten zur Verteidigung aufruft. Wenn sein Wille zusammenbrach, so stammte dies leider aus Ermüdung des Intellekts. Gleichsfalls aber wäre ein Unrecht, Delbrücks Magisterei als Allgemeintyp für Stubentheoretiker anzuprangern. Massenas und Neys praktische Kriegserfahrung schätzte Theorie so hoch, daß Massena den erst kürzlich uniformierten Zivilisten St. Croix, noch bevor Napoleon ihn als Genie entdeckte, sich als Stabschef und den Kriegshistoriker Pelet als Beirat ausbat, Ney den Zivilbeamten Jomini, dessen Schriften er drucken ließ, zum General und Stabschef mit Napoleons Billigung erkor. Nun wohl, hätte Jomini, Theoretiker ohne Praxis, den Marnerückzug befürwortet? Sowenig wie Praktiker Ludendorff, denn Haupterfordernis ist hoher Intellekt, nur dieser löst den dann von selber kommenden richtigen Willen aus.

Was man auch am mißglückten Heldenposeur aussetzen mag, der nur Imperatorgrimassen und keine Keulen schnitt, an Versäumung aller Möglichkeiten seit 1906 trägt Wilhelm keine besondere Schuld, mit deutscher Leisevertreterei läßt sich eben nichts anfangen, unschlüssiges Schaukeln ist dem deutschen Charakter angeboren.

Voltaire rühmt sich in »Geschichte Louis XV« 12 Schlachten überschlagen zu haben, da solche ohne Bedeutung seien! doch ohne diese Schlachten wäre eben historische Entwicklung eine andere gewesen. Das Buch »Südafrikanische Sphinx« des Ingenieurs Nebel rechnet Krüger und Leeds ihre Korruptionssünden vor, doch Englands Räuberei berufe sich falsch darauf: Weil mein Nachbar sich unanständig aufführt, darf ich ihn doch nicht aus seinem Hause werfen. So aber wird es immer wieder zugehen, jeder Brite bekommt Lachkrämpfe, wenn Persius den Satz »right or wrong, my country« edel übersetzt: Mein Land muß stets auf dem Rechtsweg bleiben. Und jeder Franzose bleibt unbelehrbar. Das antimilitaristische Buch »Drapeaux« beklagt würdevoll die Unterwerfung von Schleswig-Holstein, dessen Bewohner er für Dänen hält, Deutsche Befreiungskämpfe werden so Frevelannexionen! Das Pamphlet »vive l'Empereur« beschuldigt die Republik, daß sie verblendet die Bochebedrohung zu spät würdigte, angesichts 40jährigen Haßgeheuls in amtlichen Schulbüchern! »O Gerechtigkeit, so geliebt von meinen Landsleuten!« schwärmt das Buch »La Vérité«, so sieht französische Wahrheit aus, denn wann hätten Gallier je Gerechtigkeit geübt! Kein Nichtdeutscher will die Frechheit begreifen, Unterdrückung großer deutscher Minderheiten durch Polen und Tschechen auf gleiche Stufe damit zu stellen, daß früher deutsche Kulturbringer über Millionen von Halbbarbaren ein wohltätiges Regiment führten. Welch Mordgeschrei würden Briten aufschlagen, wenn ein paar Englischsprachige vergewaltigt würden wie die Südtiroler! John Bull hört eben »lieber 10 Lügen übers Ausland als 1 Wahrheit über sich selbst« (Byron). Pazifismus ist günstigenfalls Selbstbetrug, besorgt aber stets nur Geschäfte des Auslandes, dem er jede Backe zum Ohrfeigen hinhält. Nichtdeutsche Genossen schütteln verblüfft den Kopf, daß man als Sozialist ein vaterlandsloser Lump sein müsse, ihr heiliger Egoismus trägt Verbrüdern nur unnützlich im Munde. Krieg ist eine Gottesgeisel, Friede ein Gut aufs innigste zu wünschen, frisch-frei-fröhlichen Krieg wünschen nur Kadetten, aber da Kampf der Vater aller Dinge, wie soll dann im ewigen Klassenkampf Frieden herrschen, im unlautern Wettbewerb der Nationen je Krieg vermieden werden?

Hellpach irrt, daß nur gemeinsame Sprache die gemischte deutsche Rasse zusammenhalte, wie Chamberlain irrt, daß Religion die Rasse mache. Keltische und slavische Mischung ist bei uns unendlich schwächer als die heterogene in England, Frankreich, Italien, Spanien, Rußland (man findet wunderbare Aufklärung über drei ganz verschiedene Rassenblöcke Frankreichs in Thierrys Geschichte der normannischen Eroberung). Trotz getrennter Stammgeschichte besteht so einheitlicher deutscher Typ, daß man Stammunterschiede nur schwer herausfindet. Dies färbt sogar auf die Juden ab, sofern sie länger ansässig als die erst spät eingewanderten polnischen Juden, man denke an den Typ Rathenau, der an unglücklicher Liebe fürs Germanentum krankt wie Heine und Lassalle bei sich herausfühlten. Als deutsche Kulturglieder unterscheiden sich solche Juden entschieden von den ausländischen. Der deutsche Typ als gesonderte abgeschlossene Rasse muß gegen Verwässerung verteidigt werden, internationale Esperanto-Überschwemmung wäre Untergang jeder höhern Geistbestrebung. Doch Wahrung der Nationalität, was doch Briten und Franzosen bei sich am höchsten schätzen, bedingt steten Kampf, das Kriegsschiff des Völkerbunds läuft trotz Aufstecken falscher Wimpel nicht in den Friedenshafen ein.

III.

Außer der roten gibt es auch eine blaue und goldene Internationale, von der schwarzen ganz zu schweigen. Doch sehr mit Vorbehalt. Der jugendliche Stammhalter des Hauses Bismarck jubelte: »Wir freuen uns über den Wahlsieg der englischen Tories« und Hitlers Völkische priesen den Herzog von Northumberland und den Oskar Wilde-Mignon Lord Douglas als treue Antisemiten, ohne zu ahnen, daß die Jingos unsere unversöhnlichen Feinde bleiben. Die Lords wissen vom Juden nichts weiter, als daß leichtsinnige Edelleute, so gern sie sich als Aufsichtsräte auf Schwindelprospekten bestechen lassen, seine Schuldner sind. Die blaublütige Freimaurerei stellt unter sich keine Freipässe aus, wie der amerikanische Gesandte in Berlin für Solche, die fern von Madrid über Deutschland sicheres Verderben nachdenken wollten. Deutsche Adelsemigranten fänden keinen Anschluß an ausländische Standesgenossen, höchstens Hinauswurf, denn der westliche haßt den deutschen Adel, weil er von ihm stramme Nationalgesinnung erwartet, deutsche Republik wäre ihm grade recht. Graf Gontaud-Biron fragte vorm Weltkrieg an, ob meiner »tiefen Gelehrsamkeit« ein Brief Louis XVI. an den Preußenkönig bekannt sei, worin er sich fremde Intervention verbittet. Mitten im Weltkrieg wanderte dieser Graf nach Genf, weil ihm Republiksieg, gegen deutsche monarchische Ordnung zuwider. Ein Pariser Film malt Entkommen des Dauphins Louis XVII. als Tatsache, als ob Identität des Uhrmachers Naundorf in Potsdam und Holland oder des Fischers Barebone wie in Merrimans Roman historisch erwiesen sei. So unbeanstandet bleibt Royalismus, der vielleicht eine Zukunft hat, doch Royalisten oder Faschisten haben deshalb noch keine Sympathie für deutsche Gesinnungsgenossen.

Ebenso naiv glaubt deutsche Hochfinanz an internationale Interessengemeinschaft, Handelsinteressen drehen sich aber stets um weltweite Konkurrenz. Babylons ausgebildete Industriegesellschaft, Syndikate der Phöniker, Hebräer, Aramäer hatten so wenig Solidarität wie die von Venedig und Florenz, zwischen Holland und der Hansa herrschte nur Konkurrenzzwist, Holland ruinierte die Spanisch-Portugiesische Konkurrenz im Trust mit England, nur um später von England ruiniert zu werden. Die Bankiers im Römerreich diskontierten und lombardierten wie die italienischen und Augsburger, doch so wenig wie diese arbeiteten sie für einander. Die Börsen von Rom, Alexandria, Antiochia befehdeten sich, nicht mal die semitischen schlossen sich gegen die lateinischen zusammen. Geschäft ist Geschäft, Jeder für sich und der Teufel für uns Alle. Den Zinswucher kannte schon Rom im Überfluß, Milliardär Crassus und Anarchist Catilina verkörpern die Zustände unter jeder Plutokratie. Nur, wo es sich um gemeinsame Aussaugung des Auslands und des eigenen Volkes handelte, bildeten die Equites eine geschlossene Kaste wie die Optimaten. Da mußte selbst der hochgeborene Lukullus den vereinten Schiebern weichen, als er in Kleinasien dem Erpressungssystem steuern wollte. Doch von internationaler Amalgamierung keine Spur.

Verdankt man dieser Kulturerrungenschaft allein die Verelendung, wie der Sozialismus behauptet? Gewiß nicht, denn auch ohne eigentlichen Kapitalismus zeigt die mittelalterliche Agrargesellschaft gleiche Züge. Bodenreformer gab es von Grachus bis Henry George, das moderne eiserne Lohngesetz, ist nicht vom Kapital selber, sondern vom Maschinenzeitalter geschaffen. Weltwirtschaft hängt nur noch indirekt am Boden, die Maschine, dies als goldenes Kalb schillernde gefräßige Ungetüm wird durch keine Eisenkur weggeschafft. Verstaatlichung der Produktionsmittel wäre kein Allheilmittel bei steigender Übervölkerung, das Weltproletariat müßte sich auf Tod und Leben um Futterplätze raufen, dann würden unsere von Moskau gespeisten Kommunistenwühler bald inne werden, daß die Herren vom Roten Stern keineswegs mit deutschen Gimpeln teilen möchten und zuletzt nur Nationalinteressen das Feld behaupten. Es gibt nur eine wirkliche Internationale, die der Schufte, und selbst hier sind Antinationale fast immer die Leidtragenden, Separatismus (Landesverrat) wird ein gutes Geschäft nur für des Feindes Nationalismus. Solidarität blamierter Europäer bekam einen zu scharfen Riß, die flottesten Brüller der Internationale brüllen noch eines Tages »ein garstig Lied, pfui ein französisch Lied!« Proletarier aller Länder, schlagt euch den Schädel ein!

Wahrlich, es bedarf nicht »Neuer Reden an die deutsche Nation«, wenn das »Adelsblatt« Verkuppeln mit Jüdinnenmitgift als Verjüngung empfiehlt. Prosit Profit! Eine Revolution darf man so wenig mit Schneiderellen messen wie ein Erdbeben, doch auch sie folgt Naturgesetzen. Ihr Knäuel verwirrt sich so, daß nur Schwerthiebe den gordischen Knoten lösen, denn unausbleibliche Abrechnung mit den Rötesten schwächt revolutionäre Triebkraft. Nachdem Robespierre die Kommunisten auf Henkerkarren abschob, wußte er, was er tat, als er das »Fest des höchsten Wesens« stiftete. Doch war es zu spät. Massenplünderer verurteilen jedes Gouvernement Revolutionair zum Tode durch inneres Absterben, nur Grundstimmung gläubiger Hingabe kann schöpferisch aufbauen. Vernunft unnützlich im ungewaschenen Maul führen und jeden Glauben auslächeln, solche Geistesrichtung erlaubt kein deistisches Intermezzo, sondern endet folgerichtig mit Konkordatküssen des päpstlichen Hirtenrings voll napoleonischer Ironie. Doch während die Gottabsetzung des Jakobinertaumels etwas Dämonisches hatte, bleibt ein naturwissenschaftlich kostümierter Sozialismus nur ein nüchterner Hanswurst. Er irrt grausam wenn er seelische Stärkung beim Materialismus sucht, der sein Gewaltrecht notwendig dem Gewaltstaat anfreundet und nur mit anderer Begründung als die Kirche gottgewollte Obrigkeit als naturhaft Entstandenes begrüßt. Man vertreibt nicht den Teufel mit Beelzebub, nur der darf Gerechtigkeit befürworten, wer moralische Weltordnung als transzendentales Prinzip anerkennt. In der Natur gibt es nicht sichtbare Moral oder Gerechtigkeit, und wenn man Erklärung der Menschenrechte deklamiert und »Krieg den Palästen«, »Friede den Hütten« verkündet, so hat der Feudale das gleiche Materierecht, nur die Machtfrage entscheidet. Enterbtenumtriebe verzichten auf jeden lebensfähigen Gemeinsinn, nur heiliger Egoismus katzbalgt sich für und wider.

Klassenkampf setzt sich nur fort aus Rassenkampf. Kein Franzose erinnert sich, daß selbst während der Revolution begeisterte Elsässer »Tyrannenfeinde« ihr Deutschtum betonten, die Völkerverbrüderung verschloß ihr Ohr so unbescheidener Aufforderung, man wollte vielmehr den ganzen Rhein haben. »Nous l'avons eu, votre Rhin allemand« drohte Musset noch unter dem Bürgerkönig, dessen Regenschirm gern Lanze geworden wäre.

Wie man das flämische Burgund von Amiens bis Lille fraß, möchte man noch heut Flamenland bis Antwerpen und Brüssel verschlingen, die Walonen sind nur Avantgarde der großen Nation, der von rechts wegen alles gehört, z. B. Anrecht Charlemagnes auf Westfalen und Österreich! Zwar plaudert Sue's Romanserie »Volksgeheimnisse« aus, gegen die Franken müsse die Guillotine benutzt werden, ein echter Gallier kann keinen Franken leiden, doch seine Eroberungen trinkt er gern. Unsere Berliner Franzosen säuseln unentwegt von Versöhnung, und wenn Vaterlandslose jüdischer Literaturrichtung in Paris vor hergelaufenen Deutschen und ein Paar Freimaurergesellen ihren Quatsch verzapfen, jubelt die Demokratenpresse über vollzogene Verständigung. Unsere Vogelstraußler wundern sich, daß man ihnen den Hals umdreht, den sie in den Sand stecken. Genfer Hirtenschalmeien stoßen nur in Reklameposaunen. Heut genoß Elsaß welsche Segnungen derart, daß es Autonomie verlangt, würde Genfer Völkerbefreiung es je bewilligen? Ein Sturm französischer Entrüstung wird alle Brasilianer, Chinesen, Japaner überzeugen, daß dies bezahltes alldeutsches Manöver für Elsässer Dickköpfe sei.

Wer mit theatralischem Antisemitismus die Weisen von Zion für den Weltkrieg verantwortlich macht, will dessen wahre Wurzel nicht sehen ebenso wenig die wahre Wurzel des Pseudosozialismus: Neidgier der Enterbten-Rachsucht, die nur im Bolschewismus offen ihre Karten aufdeckt. Selbstbetrügend wird gelehrt, die französische Revolution sei unverbindlich für sozialistische, weil erstere von der Bourgoisie bestimmt sei. Nur anfangs, ihr Frohlocken »welch schöne Revolution werden wir haben!« gab sich bald auf der Guillotine ein Stelldichein. Die Praxis knüpfte einfach an die einstige Jaquerie an, aus der Agrarrevolte keimte erst später die Diktatur des Stadtpöbels. Bald bekommt der Umstürzler zahlungsfähige Moral, seine Bemühung muß anstandshalber bezahlt werden: Ganzkommunisten überboten kaum den jakobinischen Halbkommunismus. Ihr Führer, der von Krapotkin verherrlichte Babeuf, zweimaliger Urkundenfälscher, grad aus dem Zuchthaus kam er heraus und die Welt sah ihm so wunderlich aus. Alles wackelt, wir wackeln mit dem Kopf, es muß mehr Bewegung in die Bude kommen, das ist nicht Mühsam und Toller kanns nicht werden. Bolschewismus beschränkt jeden faulen Zauber auf die schlichte Formel: Was dein, ist mein, aber was dann mein, ist nicht dein. Also Voltaire und Rousseau konnten sich freuen, daß man ihre Gebeine ins Pantheon trug, bei welcher Bildungskomödie waschechte Ohnehosen grinsten. Was war denn Genosse Rousseau? ein Bourgeois. Man hätte die Erzväter der Revolution um einen Kopf kürzer gemacht, verdächtig aristokratischer Vernunft, die nur als Dirne des Atheismus im Kalender stand. Diese von razionalistischem Aufkläricht heraufbeschworene Göttin war nur solid gebaut, wenn sie mit der Gasse Unzucht trieb und nach der Gosse roch. Ein Volksrepräsentant, vor dem ein Theaterpublikum nicht aufstand, schmetterte das große Wort: »Ihr tatets vor dem König und wollts nicht vor mir, der ich so viel mehr bin als ein König«. Solchen Größenwahn treffen wir noch heute bei Demokratenhäuptlingen, die als historische Persönlichkeiten auf die Nachwelt kommen wollen, weil sie Gemeinplätze ausspeien. Gleichheitsschwindel braucht nur Automaten allgemeiner Unwissenheit, und wenn Fanatiker das Wunderbare suchen, bleibt das größte Wunder, daß die unbotmäßigen Intellektuellen angedrohte Bartholomäusnacht von den Sowjets noch nicht vollstreckt wurde.

Mirabeaus Vater opferte sein Vermögen als »Volksfreund«, diese Schicht wahrer Aristokraten von Laffayette bis zu unserem Egidy wird notwendig weggerafft. Mirabeaus Sohn begriff besser, daß man mit Revolutionen seine Schulden bezahlt. Der berühmte Lump riß mal dem gelehrten Volney dessen schriftlich vorbereitete Rede aus der Hand, um sie selbst auf der Tribüne elegant herauszubrüllen, und starb rechtzeitig, um dem »Volksfreund« anderer Couleur Platz zu machen, dem ungewaschenen Marat, der seine Hände in Blut und nicht in Unschuld wusch. Carlyle aber zieht den Saukerl Danton, den Winkeladvokaten der Schieberei, dem alles nur ein Saufgelage, dem rechtschaffenen Denker Robespierre vor, dem »blutigen Heuchler«, uneingedenk, daß seine Landsleute seinem geliebten Cromwell den gleichen Schimpf antun. Der Ideologenverachter Napoleon ehrte nur Robespierres Andenken, dessen von Taine gefälschte Reden echte Gedankentiefe atmen und dem in unserer Revolution als schwacher Abklatsch vielleicht Rathenau glich. Solche Leute müssen weg, da Ultras rechts und links sie mit gleichem Haß beehren, Bolschewisten verbünden sich zuletzt mit Bankiers und Freimaurern. Als Robespierre dem jüdischen Wucher im Elsaß ein Ende machte und St. Just den Bolschewisten Schneider aufs Schaffot schickte, entfernten die Thermidoristen solche Störenfriede. General Marquis de Lafayette (vor allen Damen seines Kreises zieht man im englischen Buch »Haushalt der Lafayette« ehrerbietig den Hut) war gewiß ein Faselhans, doch Bürgergeneral Graf Barras ein nationaler Verbrecher. Zwar bekam Bonaparte rein zufällig von ihm das Kommando, weil der echte Republikaner Dumas sich verspätete – natürlich von uraltem Blutadel, hieß nämlich Marquis de la Pailleterie, vgl. Alexander Dumas' Memoiren – aber es liegt Schicksalssymbolik darin, daß Napoleon ausgerechnet von Barras dessen abgelegte Kleider erhielt. In dies Stadium des Verwesungsdirektoriums traten wir heute ein. Republikanische Generale sterben entweder wie die Grafen Custine, Bixon, Beauharnais oder verschwinden im Dunkel wie Barras, sobald der kaiserliche Feldherr die Futterkrippe ausleert. Endlich merkt dann das Bürgertum, wohin Bombenerfolg der Roten Garde führt. Wie bezeichnend, daß Schwinger der roten Fahne schon ihren »Märtyrer« Toller verleugnen, weil er in einigem zur Besinnung kam! Da die Oberräuber selbst den bewährtesten Banditen nicht gutgebratene Tauben aus Schlaraffenland ins Maul stecken können und das Magenbedürfnis der Arbeiter durch keinen Terror gestillt wird, da man den Fischzug gegen den Mittelstand nicht so straflos gegen die Wirtschaft, d. h. den Großkapitalismus wendet, so muß der Sozialismus sich zuletzt mit dem gehaßten Kommunismus verbinden. Die Leibgarde der heiligen Freiheit rekrutiert sich am besten aus Zuhälterkreisen, fehlt nur der aristokratische Führer Catilina, wie den Spartakisten der Fürstensohn Spartakus, ohne Blutedelleute gehts nun mal nicht. Der deutsche Bauernkrieg brachte sich um, als Ritter Florian Geyer sich von den Plünderern trennte. Als die sogenannten Arbeitslosen in Pariser Nationalwerkstätten auf Staatskosten faulenzten, endete ihre Junischlacht als Vorspiel der »Kommune«, wo Ideologen sich vom Pöbelanarchismus fortreißen und ihre gar nicht kommunistische Absicht vergiften ließen. Seit eisgrauer Zeit schrie diese Wiederkunft des Gleichen sich heiser. Rosafeuer des Bolschewismus geht zuletzt immer in »Rauch« auf, ohne »Neuland« zu bestrahlen (Turgeniews Romantitel). Disteln und Schakale richten eine Petition an die Natur, daß Eichen gefällt und Löwen geköpft werden, die Natur antwortet mit Hohnlachen, doch das Armselige phantasiert weiter, Disteln würden nun selber Eichen und Schakale Löwen werden. Jeder Mensch wird als Genie geboren, predigte der hochselige Eisner zum Jubel aller Schafsköpfe. Kommunismus wäre höchstens die Anschauung einer geistig und sittlich sehr hochstehenden Zukunft, doch auch dann würde sie stolpern über das »Eigentum des Einzelnen« (Stirner), die ewige Ungleichheit. Vorerst würde Zertrümmerung des Kapitalismus nur Wegwischung jeder Kultur bedeuten. Wenn sozialistisch Gesalbte früher anders spintisierten, so belehrte uns Erfahrung gründlich eines Besseren.

Gerechterweise muß man obigem eine Glosse anhängen, um nicht in Taines Einseitigkeit zu verfallen. Kleinhacken ist kein Zimmern, Herostrat kein Baumeister, wir wollen kein bloßer Herostrat des Revolutionstempels sein. Jede Medaille hat eine Kehrseite, jede Revolution ein Janusgesicht, die englische und französische brachten wirklich Verjüngung, die Märtyrerkönige Karl Stuart und Louis Capet verdienten kein sentimentales Beileid. Macaulay spottet: wäre doch Karl kein guter Familienvater und ein besserer König gewesen!, über seine meineidige Treulosigkeit sind die Akten geschlossen. Louis rief als Landesverräter die ausländische Sippe an, sein Lieblingsvergnügen war, in Eingeweiden erlegter Hirsche zu wühlen. Fürstenerziehung erlaubte selbst ihm mannhaft zu sterben, Marie Antoinette erhob sich im Leid zu wahrer Vornehmheit, ihr letztes Wort an den Henker: »Pardon, Monsieur« hat geschichtliche Weihe, doch man braucht nur Lauzuns Memoiren zu kennen, um die übermäßigen Verleumdungen gegen Madame Veto zu begreifen. Mit dem Adel stand es ähnlich, der Blutadel scharte sich um die Fahnen der Republik, denn wodurch erhielt sich diese so lange? einzig durch Krieg gegen das Ausland! Die deutsche Republik hat wahrlich keinen Anlaß zu solchem Vergleich, deshalb blieb ihr jede Verjüngung aus außer bei einem Teil der Jugend, sonst nur Wettrennen verschmitzter Mittelmäßigkeiten. Unsere Friedenshetzer gleichen jener karthagischen Partei, die begeistert jedes Diktat des Todfeindes unterschrieb und sich auf dessen Gnade verließ, während Hannibal Gift nahm. Deutscher Legionen waffengewaltige Heimat als karthagische Krämerhochburg, welch bitterer Spaß!

Kausalvergeltung ist keine Schicksalslaune. Die Posten englischer »Nationalschuld« konnten allmählich gestrichen werden, doch die viel drückendere ethische Schuld der Themsefirma endet noch mit Fallisement. Denn hier ist Gott der Gläubiger, der unerbittlicher Schulden eintreibt als transatlantische Geschäftsleute, sein Dawesplan ist kein Erpressungsmanöver, er berechnet Reparationen klarer als Keynes. Stirbt auch Frankreich in seiner Sündenmaienblüte? Anders als sonst in Franzosenköpfen malt sich Berliner Franzosen die Welt, die sie mit Brettern ihrer Verkehrtheit vernagelten. Vielleicht fallen die künstlichen Ketten von selber ab, doch daß dem geschorenen Simson wieder die Locken wachsen und er sich aufreckt, den Versailler Tempel zu durchstoßen, versteht sich von selbst wie ein Naturprozeß. Nachdem Bismarck den Michel in den Sattel setzte und der nicht reiten konnte, sondern in Wolfsgruben purzelte, will Hinterlist ihm erneut die kosmopolitische Schlafmütze über- und die Hosen stramm ziehen. Zu Befehl, Hand an der Hosennaht! Als Alarmruf Großfeuer ums deutsche Haus schrillte, seufzte mancher Löscheifrige heimlich: »Ich habe wenig Grund, dies Stück der Welt als Vaterland zu lieben« (Byren), doch die Idee blieb lebendig: o Deutschland hoch in Ehren! Noch tragen viele als Erben der Vergangenheit das ganze Deutschtum im Leibe. Nur der Hochgebildete fühlt in sich wahre völkische Eigenart, die er im Zeichen des Verkehrs gesondert wissen will. Der wirkliche Geheimrat Witz spottet mit Heine »wat jehen Ihnen die jrinen Beeme an«, wenn Unter den Linden der ungebildete Prolet und der halbgebildete Demokraterich vor Friedrichs des Großen Standbild nichts davon empfinden, daß auch die Hohenzollern zu den Erbheiligtümern gehören und die maßlose Erbitterung gegen den Ägirsänger grade dem Zorn entspringt, daß er so wenig dies Erbe mehrte. Mit voller Gerechtigkeit nach rechts und links werden Verblendete, Verstockte nie zufrieden sein, doch geschichtliche Schuld muß getilgt werden von Geschlecht zu Geschlecht, Schuld und Strafe sind untrennlich vom Leben selber, »denn die wahre Schuld des Menschen ist, daß er geboren ward« (Calderon).


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