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Vorhalle eines großen Bauernwirtshauses, mit einfach weiß getünchten Wänden, dazwischen braune Balken sichtbar, wie in ländlichen Gebäuden üblich. Rechts und links Seitenthüren. In der Mitte ein großer offener Thorweg. durch welchen man ins Freie sieht. Die Wände, sowie der Thorweg sind mit Girlanden von Laubwerk geschmückt, die in Festons den oberen Teil der Wände einfassen und dem Ganzen ein festliches Ansehen geben. Die Zwischenmusik muß ein heiteres ländliches Fest verkündigen.
Etienne, Collin, Pierre und mehrere andere Bauernbursche stehen festlich gekleidet, mit Sträußen auf dem Hut, an dem offenen Thor und sehen hinaus.
Etienne. Na, nun müssen sie jeden Augenblick kommen, die Saint-Andochemesse ist längst aus.
Pierre. Sind ja drin auf dem Tanzboden schon Dirnen genug; gehen wir hinein – was warten wir noch auf die von der Priche?
Etienne. Weil das die hübschesten aus der ganzen Gegend sind!
Pierre (spottend). Und die reichsten dazu, ha, ha, ha!
Collin. Du denkst wohl die Madelon Caillard zu kriegen, Etienne? Die schnappt dir der Landry vom Zwillingshof weg.
Etienne (kommt nach dem Vordergrund). Wer sagt's?
Collin. Die alte Therese aus der Priche hat's meiner Muhme vertraut, die Madelon hat Gefallen an dem Landry.
Etienne (zornig). An dem langen Kerl, der jünger ist als sie? Bah – ich weiß besser, wer ihr gefällt!
Collin (boshaft lachend). Na, sie läßt sich doch vom Landry in die Backen kneifen, das haben gestern die Knechte gesehen.
Etienne (wirft den Kopf hochmütig auf). Wenn ich's selber sehe, dann glaub' ich's. – Holla, da kommt der Zug schon an! Juchhe! Nun sucht eure Tänzerin, ich habe die meine!
Collin. Bah! Ist's keine von diesen, wird's auch für uns noch was geben.
Etienne (plötzlich lachend). Für dich, Knirps, bleibt immer noch ein Schulmädchen oder eine alte Jungfer übrig. Kannst ruhig sein!
Pierre (lacht). Ha, ha, ha!
Collin (wütend). Nimm dich in acht, Etienne, die kleinen Mücken stechen am schärfsten!
(Man hört aus der Seitenthür rechts ländliche Musik. in welcher Dudelsack und Pfeife durchgehört werden muß, jedoch nicht zu laut, damit der Dialog nicht gestört wird.)
Etienne (lacht geringschätzig, zieht die Schultern und geht nach dem Mitteleingang). Die schöne Madelon vorne dran, wie ihr gebührt!
Die Vorigen. Madelon, Susette, Mariette, Annette, zwei andere junge Mädchen, immer zwei und zwei, festlich geputzt in französischer Bauerntracht, kleidsam und zierlich. Blumensträuße vor der Brust, niedliche weiße Häubchen und jede eine Blume auf dem Kopf, treten Arm in Arm von links Mitte auf, hinter ihnen mehrere junge Bauernbursche, alle festlich geputzt.
Etienne und Pierre. Vivat Saint-Andoche!
Alle Ankommenden (in lustigem Chor). Vivat! Vivat!
Etienne (den Hut in die Höhe werfend). Vivat die schönen Dirnen aus der Priche!
Alle Mädchen (lachend). Wir danken.
Madelon (ein schönes junges Mädchen; lebhaft). Schönen Dank, Etienne! Da geht wohl der Tanz schon los? (Sich gegen die Seitenthür rechts wendend.) Und ohne uns – will's nicht hoffen!
Etienne. Ei, bewahre! Die Musikanten wollen uns nur sagen, daß sie längst warten.
Madelon (sich umsehend). Sind denn alle Bursche von Cosse schon versammelt?
Collin (naseweis). Sind alle auf dem Tanzboden; keiner fehlt, als die vornehmen Herren vom Zwillingshof.
Madelon (gedehnt). So? – Ei!
Etienne (mit einem zornigen Blick auf Collin). Na – ich denke, die Zwillinge braucht man hier nicht, um lustig zu sein. (Er macht einen Kratzfuß und streckt Madelon die Hand hin.) Madelon Caillard, ich bitte Euch zum Tanz für das ganze Fest.
Madelon (freundlich mit einem Knix). Thut mir leid, Etienne, habe mich gestern schon an Landry Barbeaud versagt.
Etienne (fährt zurück). Was – was? Aber Ihr verspracht mir doch, Madelon –
Madelon (schnippisch). Einmal mit Euch zu tanzen, nun ja – aber das war nicht zum Andochefest; heute müßt Ihr Euch schon eine andere suchen.
Collin (dreht sich auf dem Absatz um). Kannst ja eine alte Jungfer nehmen, Etienne, wird schon so was für dich übrig bleiben!
Alle (lachen). Ha, ha, ha!
Etienne (schleudert ihm grimmige Blicke zu). Bin nicht so schlecht, dir deine Schätze wegzuschnappen!
(Die Musik rechts hinten hört wieder auf).
Die Vorigen. Landry und Didier, sie sind beide gleich aber noch reicher gekleidet als die anderen, kommen von links Mitte.
Alle. Da sind die Zwillinge! (Sie begrüßen sich.)
Madelon (die Lippen aufwerfend). Haben sich nicht sehr geeilt!
Landry (heiter auf Madelon zu). Guten Tag, Mademoiselle Madelon!
Madelon (schnippisch). Schönen Dank, Landry Barbeaud. Ich dachte schon, Ihr hättet Euch besonnen, den Andoche bei Euren Alten hinter dem Ofen zu feiern.
Landry (mit funkelnden Augen). Das dachtet Ihr nicht, Madelon! Ihr wißt wohl, daß der Landry kein Wasser in den Adern hat und nicht zum Stubenhocker taugt.
Didier (der mit Susette gesprochen). Wir mußten die Alten nach der Messe erst heim geleiten, so wollt' es der Vater.
Landry (fest). Und da war's an uns zu gehorchen, wie Ihr wohl einseht, Madelon.
Madelon (freundlich zu Landry). Das war recht von euch, (halb zu Didier gewandt) ihr seid beide brave Söhne. Nun, Landry (mit einem Lächeln des Einverständnisses), da Ihr mich gestern abend gebeten habt, Euch heut zum Fest den ersten Tanz –
Collin (hat sich indes, um Etiennes zornigen Blicken zu entkommen, etwas gegen den Hintergrund gezogen und zuweilen boshaft auf Landry gezeigt, schreit plötzlich, durch den Thorweg nach links Mitte sehend). Heißa, Etienne! Da kommt deine Tänzerin! Hat sich die prächtig ausstaffiert. Hu! Die brennt lichterloh!
Pierre (nach links Mitte blickend, lachend). Seht den Aufputz! Alle Donner! Die hat sich angegriffen, trägt eine Windmühle auf dem Kopf!
Susette und Mariette (ebenso). Die Grille! Die Grille! Hu! Wie eine Spatzenscheuche!
Landry (fährt bei dem Ausruf: »die Grille« zusammen und wird unruhig, ohne sich umzuwenden).
Collin. Die letzte Mode vom Hexensabbath! Alles für dich, Etienne! Ha, ha, ha!
Alle (lachen). Ha, ha, ha!
Madelon (gleich den anderen neugierig nach rückwärts sehend). Pfui! Die häßliche Kröte!
(Die Musik fängt rechts hinten wieder an.)
Madelon. Kommt, Landry!
Didier (erschrocken und verwirrt wie Landry, leise zu ihm). Gehen wir hinein, Landry, mir graut vor ihr!
Beide (wenden sich nach rechts, um zu gehen).
Die Vorigen. Fanchon kommt von links Mitte, in einem alten weißbunten, großblumigen Kattunrock, der ziemlich kurz, mit einer gleichen Jacke, welche in altmodischen Schößen, die aufgezogen sind, auf den Rock fällt, und mit engen Ärmeln, die bis über den Ellbogen herabreichen; darüber trägt sie eine wollene Schürze von greller hochroter Farbe, mit einem Brustlatz, der an den Schultern angesteckt ist; um den Hals ein verblichenes blauseidenes Tüchelchen mit alten Goldspitzen verbrämt, das Hals und Schultern bedeckt; auf dem Kopfe eine große alte weiße Haube mit langen gesteiften Seitenflügeln, die stark abstehen, und einer roten Blume; weiße Strümpfe mit roten Zwickeln und sehr niedliche Lederschuhe mit Schnallen; das Ganze auffallend und sichtlich nicht für ihre Gestalt gefertigt.
Alle (ziehen sich rechts und links von Fanchon zurück, sodaß sie wie durch ein Spalier geht).
Einige (kichern, andere lachen hinter der Hand).
Fanchon (sieht sich keck um, die Lachenden sehen sie verblüfft an und werden still; sie geht gerade auf Landry los, an Madelon vorüber, welche Fanchon mit Verwunderung und einem verächtlichen Lächeln ansieht, das sie nicht beachtet, und tritt vor Landry hin, mit trockener Bestimmtheit). Da bin ich, Landry Barbeaud, und weil Ihr gestern abend darauf bestandet, daß ich Euerm Wunsche willfahre, so werden wir jetzt drei Tänze miteinander thun, nach der Vesper drei und nach dem Ave Maria einen, welches zusammen sieben ausmacht, und ferner werdet Ihr mit keiner anderen an die Reihe treten, sei's Mädchen oder Frau, ohne meine Bewilligung zu haben. So soll's sein!
Alle (in äußerster Verblüffung sehen von einem auf den anderen und murmeln). Was! Wie!
Landry (steht wie vom Blitz getroffen, glühend). Aber Fanchon – ich –
Madelon (zitternd vor Zorn, stolz). Weißt du, Grille, daß ich Landrys Versprechen habe, der mich gestern abend zum ganzen Fest erbat?
Fanchon (wie oben). Landrys Versprechen an mich ist das ältere, es ward vor einem Jahr gegeben und gestern nur erneuert. (Spöttisch.) Es kommt jetzt nur darauf an, wem Landry Barbeaud sein Wort zu halten Lust hat.
Landry (in sichtlicher Wut mit sich selbst kämpfend). Ich – gab dir freilich mein Wort, Fanchon, und du hast das Recht zu fordern, was du soeben begehrt, allein ich wußte nicht –
Madelon (ihn zornig unterbrechend). Ihr habt dem Geschöpf ein solches Wort gegeben, Landry? (verächtlich.) Das ist ein anderes, das müßt Ihr freilich halten, und ich werde Euch dabei wahrlich nicht im Wege sein! (Boshaft lachend.) Ich möchte der schönen Grille nicht den einzigen Tänzer nehmen, auf den sie Hoffnung hat! Mir bleiben deren ja genug zur Auswahl, und einer ist so viel wert wie der andere – tanzen können sie alle.
Landry (mit einem finsteren, fast traurigen Blick). Das wußt' ich nicht, Mademoiselle Madelon, daß Euch jeder gleich ist, wenn er nur tanzen kann! – Komm, Grille! (Er reicht ihr mit abgewandtem Gesicht die Hand.) Tanzen kannst du auch.
Fanchon (mit einem triumphierenden Blick auf Madelon, zuversichtlich). Ja, das kann ich, und wie! (Sie wendet sich stolz und gravitätisch an Landrys Hand zwischen den anderen durch nach rechts.)
Didier (geht Landry nach, als wolle er ihn abhalten).
Landry (winkt ihm zurückzubleiben).
Landry und Fanchon (gehen nach rechts ab).
Alle (sehen ihnen erstaunt nach).
Die Vorigen ohne Landry und Fanchon.
Susette (schlägt die Hände zusammen). Hat man so was erlebt! Mit der Grille tanzt der stolze Zwilling, dem sonst kaum eine von uns gut genug war?
Mariette. Die muß ihn verhext haben!
Madelon (ihren Ärger verbeißend). Mir einerlei, mit wem er tanzt. Kommt, Etienne, wir wollen lustig sein!
Etienne (der mit Schadenfreude dem ganzen Auftritt zusah). Werd' Euch um den nächsten Tanz bitten, Mademoiselle Madelon! Für diesen habe ich mich soeben der hübschen Annette versprochen. (Er faßt eines der jungen Mädchen um die Taille, beide gehen Arm in Arm nach rechts hinein.)
Madelon (beißt sich auf die Lippen, für sich). Den Schimpf soll mir der Landry bezahlen!
Didier (der in heftiger Aufregung alles beobachtete, froh für sich). Er liebt die Madelon doch nicht! (Zu Madelon tretend.) Gebt mir den Tanz, Madelon, und zürnt dem Landry nicht, er ist gewiß unschuldig; dieser kecke Kobold muß es ihm angethan haben.
Madelon (giftig lachend). Jawohl, durch ihre Schönheit – und die prächtige rote Schürze! Danke, Didier, ich tanze heute mit keinem Barbeaud. (Sie geht nach rechts hinein.)
Zwei junge Bursche (folgen ihr).
Didier (für sich). Ob er sich wirklich drein ergiebt, mit der Grille zu tanzen? (Er folgt den Vorausgehenden nach rechts.)
Susette (wütend). Der Landry muß verrückt geworden sein, einem Mädchen aus der Priche, seines Meisters Tochter, solchen Schimpf anzuthun!
Mariette (ärgerlich). Ich sag' es Euch ja, verhext hat sie ihn! Mutter Gervaise hat es mir anvertraut; sie trägt ein schwarzes Band um den Hals, daran hängt eine Teufelskralle, und wenn sie die nach außen kehrt, so kann sie alles durchsetzen, was sie will.
Pierre (lachend). Wäre der Kuckuck! Die Teufelskralle müssen wir zu sehen bekommen.
Collin (zu Susette, mit welcher er zuweilen heimlich sprach). Schönste Susette, wie steht's? Wollt Ihr?
Susette (naserümpfend und geringschätzig). Du bist zwar ein sehr junger und sehr kleiner Tänzer, Collin; wenn du mir aber versprichst, die Mädchen aus der Priche an der unverschämten Grille zu rächen, und uns die Teufelskralle zu sehen verschaffst, so wähle ich dich zum Saint-Andoche und schenke dir zehn Tänze.
Collin. Heißa! Es gilt. Das wird ohne Hexerei zu machen sein! Kommt jetzt nur, daß wir den Spaß einfädeln.
Alle (gehen nach rechts hinein und lassen die Thür offen).
(Inzwischen hörte man zeitweise die Musik.)
Didier und Landry kommen nach einer Pause von rechts.
(Die Musik hört auf.)
Landry (glühend, mit fieberhafter Aufregung). Gott sei Dank! Ein Tanz wär' überstanden! Wie soll ich das aber aushalten, ohne vor Zorn und Scham zu sterben? Didier, wenn du wüßtest, wie mir zu Mute ist!
Didier. Gewiß nicht schlechter als mir, da ich dich in solcher Betrübnis sehen muß! Wo hast du denn deine Tänzerin gelassen?
Landry (mit Ingrimm). An derselben Stelle, wo wir standen, als die Musik aus war.
Didier (eifrig). Aber das kleine Ding tanzt doch leicht wie eine Feder! Es war eine Freude, euch zuzusehen! Du kannst mir's glauben! Sie hat die schönsten Augen im Lande, und wenn sie nur nicht so abscheulich aufgeputzt wäre, sie machte dir mit ihren kleinen flinken Füßchen wahrlich keine Schande.
Landry (sieht ihn verwundert an). Was fällt dir ein? Schweig doch, du willst mich nur trösten über meine Schmach. Was geht mich diese boshafte Grille an. Aber – die Madelon! Didier, was muß die Madelon von mir denken! (Er stampft mit dem Fuß.) Sie hält mich für ein schlechten Burschen, und weiß Gott, ich bin's nicht.
Didier (bitter). Ja, die Madelon liegt dir freilich mehr am Herzen als die ganze Welt! Was aber konnte dich dann zwingen, sie so zu beleidigen der Grille wegen, die dir doch ein Greuel ist?
Landry. Das kann ich dir und niemand sagen! Ich hatte ihr einmal mein Wort zu erfüllen und ahnte gestern nicht, als ich das Versprechen gab, daß mir die hämische Kröte diesen Schlag zugedacht; sie hat mich überlistet.
Didier (gutmütig). Aber mich hat sie gestern gerettet! Ich hab's dir gesagt, sie hat mir vernünftiger zugesprochen, als ich jemals einen Menschen reden hörte, und selbst wenn sie eine Hexe sein sollte, wir sind ihr doch Dankbarkeit schuldig.
Landry (zornig). Nichts sind wir ihr schuldig – jetzt ist's abgemacht zwischen uns für immer! Sieben Tänze bis zum Ave Maria! O, sie hat sich heute bezahlt gemacht!
Die Vorigen. Madelon von rechts.
Landry (freudig auf sie zu). Ah, die Madelon!
Didier (tritt verdrießlich zur Seite und bleibt abgewandt trotzig stehen).
Madelon (für sich). Da ist er allein! Ob er sich entschuldigen wird?
Landry. Madelon! Ihr habt allen Grund, mir böse zu sein, denn obgleich wir uns gestern abend nicht zu heute versprochen hatten, so mußtet Ihr doch sehen, daß ich es herzlich wünschte –
Madelon (mehr traurig als böse). Ich glaubte, Euch eine Freude dadurch zu machen, Landry Barbeaud, daß ich mich als Euch zum Saint-Andoche versprochen betrachtete, obgleich Euer Bruder (auf Didier) uns unterbrach, als ich Euch das gestern sagen wollte. Nachdem Ihr mir aber einen solchen Schimpf angethan –
Landry (feurig). Ich that es gezwungen, Madelon, ich bin unschuldig, ich hatte keine Ahnung von der Beleidigung, die ich Euch heute zufügen mußte, (leiser, zu ihr geneigt) und Ihr sollt es auch allein erfahren, weshalb ich der Grille –
(Man hört rechts großen Lärm, Stimmen durcheinander, Lachen und Rufen.)
Stimmen (rechts innen). Sie soll's zeigen! – Wir wollen es sehen!
Landry (tritt von Madelon weg).
Madelon (tritt sogleich nach der anderen Seite).
Landry. Was giebt's denn?
Didier. Die Grille!
Madelon (für sich, kichernd). Ah, jetzt wird der Tanz losgehen!
Die Vorigen. Fanchon kommt von rechts, ohne Haube, ihr Haar hängt in langen, halb aufgelösten Flechten über den Rücken herab, das blaue Tüchelchen hängt offen um ihren Hals; sie hält eine kleine medaillonartige Kapsel von Gold, die an dem schwarzen Bändchen um ihren Hals hängt, mit beiden Händen auf der Brust fest; ihre Augen blitzen vor Zorn, sie ist atemlos und zittert an allen Gliedern. Susette, Mariette, Collin, Etienne, Pierre, Bursche und Mädchen folgen ihr.
Fanchon. Laßt mich! Ich will und werde nicht!
Mehrere (rufen). Sie soll, sie muß!
Fanchon. Ihr sollt mich nicht zwingen!
Landry (zu Collin). Was habt ihr mit der Grille? Was soll's?
Susette. In der Kapsel da, die man ihr aus dem Mieder zog, trägt sie eine Teufelskralle.
Collin. Oder ihr Hexenalphabet, womit sie junge Bursche berückt und worauf sie so stolz ist.
Madelon (mit einem triumphierenden Blick). Ja, das soll sie uns zeigen, die schöne Grille (sie zeigt auf die Schürze) mit dem roten Hexenpanier.
Alle (außer Landry und Didier dringen auf sie ein; lachend und schreiend). Her mit der Teufelskralle – mit dem Hexenalphabet!
Fanchon (wild). Wer mich anrührt, dem kratze ich die Augen aus!
Alle (weichen zurück).
Collin (lachend). Nehmt euch in acht, sie hat Klauen, und wenn sie will, so zeigt sie euch die Fledermausflügel – denn ihre saubere Mutter ist schon davongeflogen, ehe die Junge flügge war –
Fanchon (fährt zusammen). O – du – Bube du! (Sie bekämpft sichtlich die Thränen.)
Collin (als hätte er nichts gehört). Und damit das Töchterchen nicht zurückbleibt, hat ihre Großmutter, die Hexe, ihr die Teufelskralle umgehängt, damit sie auch fliegen kann, wohin sie will.
Susette (welche ihn aufhetzte). Ja, fliegen kann sie, das ist wahr! Das sieht man!
Fanchon (mit bitterer Verachtung). Dummes Volk! Denkt ihr wohl, ich hörte euern Unsinn und eure Bosheit an, wenn ich fliegen könnte? Ich ließe mir die Haube vom Kopf zerren, wenn ich Krallen hätte? Ha, könnt' ich fliegen, ich wollt' euch über die Köpfe wegfahren, daß es zeitlebens drin surren sollte. Meine arme Großmutter, die euch und euern Alten so oft geholfen, als ihr Hilfe bei ihr gesucht, scheltet ihr eine Hexe, weil sie mehr Verstand in ihrem alten Kopf hat als das ganze Dorf zusammen. Pfui! Undankbares Volk! Damit ihr aber doch seht, welche Teufelskralle, welches Hexenalphabet sie mir umhing, als ich zur heiligen Firmelung ging – (Sie macht die Kapsel auf und nimmt ein vielfach zusammengelegtes bedrucktes Papier heraus, in der Form wie die gedruckten Gebete, welche in katholischen Kirchen verteilt werden, das sie Madelon hinreicht.) Da, lest es, Madelon.
Madelon (wirft einen verwirrten Blick auf das Blättchen. stockend). Ich – ich mag nicht, ich –
Fanchon (mit einem triumphierenden Lächeln über ihrem Gesicht). Ah, richtig, Ihr könnt nicht. Lesen und Schreiben braucht Ihr nicht, Ihr seid ja reich und schön! (Sie hält Landry mit trotzigem Blick das Blatt hin.) Landry, wollt Ihr vielleicht dem Volk da sagen, was hier gedruckt steht? Mir glauben sie es nicht (höhnisch) und lesen können sie's nicht.
Landry (zwischen dem Unwillen gegen Fanchon und dem Zorn über die anderen schwankend, nimmt das Blatt schnell und liest). »Gebet einer frommen Jungfrau zu der allerreinsten Mutter aller Gnaden.«
Alle (treten verblüfft einige Schritte zurück). Ah! – Ein Gebet!
Landry (fast gerührt). Arme Grille! (Große Pause.)
Fanchon (nimmt ihm das Blatt aus der Hand). Hört ihr? So lautet mein Hexenalphabet, damit gehe ich schlafen und damit stehe ich auf! (Sie legt das Blättchen sorgfältig zusammen und dann in die Kapsel und steckt sie ins Mieder.) Das ist mein ganzer Reichtum, und weiter will ich auch keinen, denn so lange ich das Gebet auf dem Herzen trage, weiß der liebe Gott, was an mir ist, das ist mir genug. Euch hab' ich's gezeigt, nicht weil ich euch fürchte, denn ich hätte mich eher umbringen als zwingen lassen – aber ich that's freiwillig, um meiner alten Großmutter willen, die ihr eine Hexe schimpft, und die mich doch in Gottesfurcht erzogen hat; meinetwegen geschah's wahrlich nicht, denn (den Ton wechselnd) damit ihr es nur wißt, ihr mögt von mir so schlecht denken, als es euch gefällt – ihr seid so abergläubisch, so dumm und feig, daß ich euer Lob wie euern Tadel aus Grund meines Herzens verachte!
Alle (durcheinander, ohne Landry und Didier). Was untersteht sie sich! – Schlagt sie nieder! – Jagt sie vom Tanzplatz!
Landry (zwischen sie tretend, mit voller Kraft). Ruhe! Keiner hebe die Hand auf gegen sie, das rat ich euch, ich, der Zwilling Landry!
Didier (sich an seine Seite stellend, komisch zaghaft). Und ich, der Zwilling Didier!
Alle übrigen (brummen).
Landry (wie oben). Ruhe! Die Grille hat euch nur die Wahrheit gesagt; feige Wichte seid ihr Bursche, daß ihr ein wehrloses Mädchen so mißhandelt – schämen solltet ihr euch, ihr Dirnen, daß ihr an solcher Roheit Gefallen zeigt.
Alle übrigen (murren).
Landry. Fanchon Vivieux, du bist meine Tänzerin für Saint-Andoche, und wer dich beleidigt, beschimpft mich. Das merkt euch, ihr Bursche!
(Die Musik fängt rechts hinten wieder an.)
Landry. Ha! Da rühren sich die Musikanten! Nun, wir haben noch sechs Tänze zu gut. Komm, Fanchon! (Allgemeines Staunen und Bewegung.)
Fanchon (ihren Ohren nicht trauend, starrt ihn staunend an; ihre Augen funkeln, ihre Lippen beben, ihr Atem fliegt, sie bekämpft mit aller Macht die hervorbrechenden Thränen; mit bebender Stimme). Wie! Landry, Ihr – nehmt Euch nun der Grille an, die Euch heute mehr gekränkt, als sie es wußte und wollte?! Das ist recht, das ist brav von Euch! Dafür geb' ich Euch setzt Euer Wort zurück, Ihr sollt nicht mehr mit dem verachteten Waisenkind, Ihr sollt tanzen, mit wem Ihr wollt, Ihr sollt frei nach Euerm Herzen wählen, sollt froh und glücklich sein! Ich dank' Euch! – Gott befohlen! (Sie läuft nach der Mitte.)
Landry (ihr nach). Bleib, Fanchon, bleib – ich will mein Wort nicht zurück!
Fanchon (schüttelt den Kopf heftig, streckt die Hände abwehrend von sich). Ihr habt es ehrlich gelöst, Landry, wir sind quitt! (Sie läuft durch den Torweg nach links Mitte ab.)
Landry (steht einen Augenblick unschlüssig, dann rasch). Nun, Didier – gehen wir auch heim, ich mag nicht mehr tanzen! (Ab nach links Mitte, ohne die Anwesenden zu grüßen.)
Didier (sichtlich vergnügt, folgt ihm). Ich mag auch nicht mehr!
Madelon (schlägt ein höhnisches Gelächter auf). Ha, ha, ha!
Alle übrigen (stehen wie versteinert in verschiedenen Gruppen).
(Der Vorhang fällt rasch.)