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Wohlhäbiges Bauernzimmer.
Mittelthür. Seitenthür rechts. Rechts hängt eine große Schwarzwälder Uhr, darunter steht ein Tisch, mit bunter Decke bedeckt. Links vorn ein Fenster, das offen steht. Rechts und links im Vordergrund Holzstühle und ein Schemel.
Rechts und links wird vom Schauspieler aus angenommen.
Mutter Barbeaud. Vater Barbeaud.
Mutter (in der Tracht einer reichen Bäuerin, steht am Fenster links vorn und sieht hinaus, ist in großer Unruhe). Es rührt sich nichts, kein Landry und kein Didier zu sehen! Mein Gott, welches Leid bereitet mir der Junge!
Vater (stattlicher Sechziger, reicher Bauer, Hauskleid, aus einer kurzen Pfeife rauchend, kommt aus der Seitenthür rechts). Na, Mutter, dein Nesthäkchen noch nicht da?
Mutter. Ach lieber Gott – nein! Der Landry ist nun wohl eine Stunde nach ihm aus – er scheint ihn auch nicht zu finden!
Vater (setzt sich auf den Stuhl rechts). Thue nur nicht so jammervoll, Mutter, als ging's ans Leben! Der Didier ist ein eigensinniger Schlingel – wer weiß, was für eine Narrheit dem Jungen wieder im Kopfe steckt.
Mutter (die Hände faltend). Das ist's ja eben. Fortbleiben, einen ganzen Tag! Hat man so etwas schon von dem sanften jungen Blut erlebt?
Vater (ärgerlich). Aber was ist denn eigentlich vorgegangen?
Mutter. Weiß ich's? Didier war schon lange still und traurig, er konnte sich nicht darein finden, daß sein Bruder Landry bei dem Vetter Caillard in der Priche arbeitet und nicht mehr bei uns wohnt. Die Leute hatten recht, die immer sagten: »Zwillinge dürfe man nicht trennen.«
Vater (beständig rauchend). Bah, das ist dummes Zeug! Zwillinge sind Menschen wie alle anderen und müssen deshalb leben lernen wie die anderen. Darum that ich auf des Herrn Pfarrers Rat die Bursche auseinander, da sie nun schon mannhafte Kerls sind – mußten sich endlich einmal an Trennung gewöhnen. Der Landry ist ein tüchtiger Bauer, wie es unser Schlag immer war; aber der Didier ist ein schwächliches verzogenes Milchgesicht, das sich einbildet: Jeder soll ihm zu Willen sein!
Mutter (eifrig). Und wer denn hat ihn verzogen?
Vater (bläst den Rauch von sich). Na, wir haben beim Verziehen beide unsere Schuldigkeit gethan. (Ungeduldig.) Aber ich weiß deshalb noch immer nicht – warum er seit gestern nicht zum Vorschein kam.
Mutter (verzweifelt). Ich weiß es ebenso wenig! Er war gestern abend ganz froh und rüstig nach der Priche hinüber gegangen, um Landry heimzuholen zum Saint-Andochefest. Didier kam spät, als du schon schliefst, zurück; er war still und blaß – und ich sah, daß er geweint hatte; ich frug, wo der Landry bleibe? »Hat noch Arbeit, kommt erst morgen abend heim!« damit ging er nach seiner Kammer. Heute mit dem Frühesten war er fort – diesen Mittag kam er nicht zu Tische heim. Der alte Pierre sah ihn nach der Binsenwiese die Schlucht hinabgehen – seitdem weiß niemand, wo er geblieben.
Vater (seine Unruhe verbergend). Nun, und was meinte denn der Landry, als der heute von der Priche kam?
Mutter. Er erschrak, daß er blaß wurde, und als ich sagte: »Ist etwas vorgefallen, habt ihr euch vielleicht gezankt?« – wurde er blutrot und rief: »Mutter, werde ich mich mit meinem Zwillingsbruder zanken?« Dann lief er ganz desperat fort, ihn zu suchen und – –
Die Vorigen. Der Zwilling Landry, ein blühender Jüngling, in reicher kleidsamer Bauerntracht. sehr niedergeschlagen, kommt durch die Mitte. Dann Fanchons Stimme.
Vater (auf die Mittelthür weisend). Da ist er wieder – und (er springt auf) allein?
Landry. Allein, Vater! Er ist nicht aufzufinden.
Mutter (fällt in den Stuhl). Gott erbarme sich – wenn du ihn nicht bringst, Landry, so hat er sich ein Leid gethan!
Landry (entsetzt). Mutter! – Ich kann nichts dafür, daß der Junge ein Narr ist! Als er mich gestern holen kam, sah er zufällig, daß ich – na, daß ich der hübschen Madelon einmal in die Backen kniff, was ich zum erstenmal that, Mutter, Ihr könnt's glauben!
Vater (in sich hinein brummend). Wär' auch kein Unglück, wenn's zum zweitenmal geschehen wäre.
Landry (aufhorchend). He? Was sagt Ihr, Vater?
Vater (barsch). Nichts! Na – und, was weiter?
Landry. Nun bildet er sich ein, ich sei verliebt in das Mädchen, und ist eifersüchtig. (Er stampft mit dem Fuß.) Ist eine wahre Qual mit dem verkehrten Burschen!
Mutter (besänftigend). 's ist eben ein Zwilling, Landry.
Landry. Ich bin auch einer und hab' ihn herzlich lieb, aber ich wollte, er vergaffte sich in zehn Dirnen und ließe mir Ruhe. (Entschlossen.) Mutter, sagt mir ein Mittel, nennt mir einen Menschen, der mir raten kann, wie ich Didier finde.
Mutter (schüchtern). Ich kenne nur eine Person, die da helfen könnte. Was meinst du, Vater – soll er nicht die alte Fadet aufsuchen?
Landry. Die greuliche Hexe! Pfui, Mutter!
Vater (nickt). Eine Hexe ist sie, und ein böser Drache dazu, das ist ebenso gewiß, als daß die Alte mehr weiß als der Herr Pfarrer und unser Maire zusammen; hat uns vor vierzig Jahren Arbeit genug gemacht mit ihrem höllisch klugen Kopf! Hm, (den Kopf wiegend) die weiß alles Gestohlene und Verlorene nachzuweisen, die könnte schon Rat geben – wenn sie wollte.
Landry (rasch). Sie will aber nicht, darauf könnt Ihr schwören, Vater. Ihr wißt, sie haßt unsere Familie so grimmig, daß sie eher eine Stunde Umweg macht, nur um nicht an dem Zwillingshof vorbei zu müssen. Die sagt uns nichts, Mutier.
Mutter (nachdenklich). Freilich, freilich, hat auch seine Gründe! Aber – wißt ihr was? Ihre Enkelin, die kleine Grille, soll schon klüger sein als die Alte selbst; wie wär' es, wenn du die aufsuchtest?
Landry (fährt zurück). Den boshaften Kobold? Gott bewahre, lieber noch will ich mit der alten Hexe zu thun haben als mit der jungen.
Vater. Da hat der Junge nicht unrecht. Das ist eine ganz boshafte unheimliche Kreatur und die Plage aller ehrbaren Leute im Dorf. Sie ist neugierig wie ein Rotkehlchen, geschwätzig wie eine Elster, häßlich und faul wie eine Grille.
Mutter (einfallend). Aber auch lustig wie diese, darum hat sie ja auch den Spottnamen. Lustige Kinder sind selten von Herzen böse; such' dir nur die Grille auf, vielleicht –
Landry (verwirrt). Nein, Mutter – das kann ich nicht, aber ich will zur alten Fadet gehen!
Fanchons Stimme (vor dem Fenster links). Putt! Putt! Putt! – Hier, mein Hühnchen, hier! Putt! Putt! Putt!
Vater (aufhorchend). Wenn die Grille dem Zwillingshof jemals auf weniger als tausend Schritt zu nahe käme, so sagte ich: das ist ihr wildes Geschrei!
(ein weißes schönes Huhn fliegt durch das Fenster herein, gerade über das Zimmer, und setzt sich auf die Uhr.)
Mutter (fährt erschrocken zusammen). Herr Gott, was flattert da über meinem Kopf?
Vater (lachend, weist auf das Huhn). Ein fremdes Huhn, das sich's bei uns bequem machen will!
Die Vorigen. Fanchon wird am Fenster links vorn in alter, verschlissener, geflickter Kleidung sichtbar.
Fanchon. Putt! Putt! Schlechtes Tier! (Sie steckt den Kopf zum Fenster herein, nur auf das Huhn sehend.) Aha, du Spitzbube! Jetzt hab' ich dich! (Sie steht mit einem Satz im Zimmer und schließt schnell das Fenster hinter sich zu.) Da hinaus sollst du nicht mehr, mein Puttchen. Mit Verlaub! (Sie nimmt rasch einen Schemel, ohne sich um die Anwesenden zu bekümmern, eilt zum Tisch, setzt den Schemel hinauf, trägt sich dann einen Stuhl zum Tisch, ist mit einem Satz auf dem Tisch, dann auf dem Schemel, reißt sich die Schürze ab und wirft sie dem Huhn über den Kopf.)
Die anderen (haben ihr überrascht und erstaunt zugesehen).
Vater. Was machst du denn da in unserer Stube?
Fanchon (packt die Henne, nimmt sie auf den Arm, sich nach ihm umwendend, trocken). Ich hole mir mein Huhn wieder.
Mutter (sich von ihrem Staunen erholend, unwillig). Aber – das ist denn doch eine sonderbare Art, Grille, den Leuten in ihrem eigenen Hause zum Fenster herein zu fallen!
Vater (erbost). Auf Tische und Stühle zu springen, Kobold du!
Fanchon (hat ihr Huhn sorgfältig in die Schürze gewickelt, hält es unter dem Arm, steigt während des Folgenden gemächlich herab, Stuhl und Schemel zurecht rückend. halb lustig, halb spöttisch). Es ist nicht meine Schuld, Mutter Barbeaud, daß die Reichen so sonderbare Hunde halten wie die Eurigen, die nur armer Leute Hühner zerreißen, wie sie mir schon gethan, den Euren aber kein Federchen krümmen. Da es nun Euer Nero ist, der mein Hühnchen und mich hier herein hetzte, so werdet Ihr schon vergeben müssen, daß ich mein Eigentum wieder hole, wo ich es eben finden kann, und mit meinen groben Schuhen den zierlichen Zwillingshof befleckte. (Schnippisch.) Ist gewiß nicht gern geschehen!
Vater (barsch). Deshalb aber konntest du doch, wie jeder andere vernünftige Mensch, zur Thür herein kommen, Grille.
Fanchon (keck lachend). Derweilen wäre mein Huhn zum Fenster hinaus wieder abgefahren und Freund Nero gerade in die Zähne. Nichts für ungut, Vater Barbeaud, ich thue es gewiß nicht wieder. (Spitz.) Übrigens bin ich Fanchon getauft, wenn Ihr sonst einmal Lust haben solltet, mich zu rufen. Guten Tag! (Sie geht zur Mittelthür.)
Vater (brummend). Kecke Range!
Mutter (zögernd). Höre, Fanchon, wenn dein Huhn vielleicht zu Schaden gekommen, so magst du dir ein anderes aus meinem Hühnerhof aussuchen.
Fanchon (kurz). Danke. Das Hühnchen hab' ich mir vom Ei an aufgezogen, und darum hab' ich es lieb. ein anderes mag ich nicht – wenn's zehnmal schöner wäre als mein's! (Zärtlich das Huhn streichelnd.) Wenn mir das tot gehetzt ist, kann's kein fremdes ersetzen. (Listig.) Wenn Euch Euer schöner Zwilling, der Didier, verloren ginge – nähmt Ihr wohl Andours Crispin oder Germains Collinet für ihn?
Mutter Du weißt von ihm?
Landry (gleichzeitig). Fanchon – hast du meinen Bruder gesehen?
Fanchon (sieht ihn von der Seite an, wirft die Lippen auf und wendet sich mit verächtlichem Lächeln von ihm ab). Denkt Ihr, ich würde es Euch sagen?
Mutter (in zitternder Angst). Aber mir, der Mutter, würdest du doch die Liebe erweisen –?
Fanchon. Und warum Euch? Was habt Ihr mir Liebes gethan? Die Menschen machen sich nichts aus mir, warum sollt' ich mir was aus den Menschen machen? (Lustig.) Es ist so auch gut! (Plötzlich spöttisch.) Fragt doch meine Großmutter, die alte Fadet, die ist ja eine »Hexe« und muß alles wissen, und wenn sie Lust hat, Euch zu sagen, wohin sich Euer ungezogener Junge verkrochen, so macht's wie ich mit meinem Huhn, holt ihn Euch, wenn Ihr ihn kriegt! (Sie dreht sich rasch um und läuft durch die Mittelthür, indem sie ruft) Putt, Putt, Putt, in den Stall, mein Liebchen, in den Stall! (Ab durch die Mitte.)
Die Vorigen ohne Fanchon.
Vater (außer sich). Dein Glück, daß du gehst, Giftkröte! Ich könnte den kecken Balg erwürgen!
Mutter (gutmütig). Nur ruhig, Vater – sei billig, man muß Nachsicht haben mit dem verwahrlosten jungen Ding: sie ist wild aufgewachsen, seit ihre Mutter mit dem Soldatendoktor davonlief, und wird viel geplagt um dieses schlechten Weibes willen; die Grille kann doch nichts für ihr Vergehen.
Landry (der seinen Zorn immer niederkämpfend zur Seite stand). Mutter, es geschieht ihr recht, sie will's nicht anders haben Aber – (entschlossen) ich versuch's – ich gehe zur alten Fadet. (Er wendet sich zum Gehen.)
Mutter (ängstlich). Sei auf deiner Hut, daß sie dich nicht mit dem bösen Auge ansieht.
Landry. Bah! wird mir den Kopf nicht abbeißen. (Ab durch die Mitte.)
Vater (zornig). Mutter, das sag' ich dir, diesmal sollst du den Burschen nicht retten; wenn ihn Landry heimbringt, so soll er ein Gericht Prügel genießen, wie er keines geschmeckt, seit er auf der Welt ist, um uns zu ärgern!
Mutter. Ach, Vater, wenn er nur erst da ist, dann laß den ausgehungerten Jungen sein Abendbrot essen, dein Gericht (lachend) könnte indes kalt werden! (Sie nimmt ihn am Arm.)
Vater (brummt und schüttelt den Kopf)
Beide (gehen durch die Seitenthür rechts ab).
Verwandlung.
Freie Gegend. Rechts auf einem kleinen Hügel die Hütte der alten Fadet, von Bäumen überdacht. Links gradaufsteigende Felswände, vorn ein kleiner praktikabler Hügel oder Steinbank. Quer im Mittelgrund läuft ein schmaler Fluß, von Schilfgras und hohen Wasserpflanzen begrenzt; einige Stufen führen nach einer ländlichen Brücke, die sich schräg von der rechten Seite nach der linken hinüber zieht zu einem Fußsteig, der in die Höhe führt und links in den Felsen verschwindet. Die ganze linke Seite besteht aus Felsstücken und wenig Baumwuchs, die rechte ist von Bäumen begrenzt; die Mitte hinter dem Flüßchen mit Erlen und Gestrüpp bedeckt; tief im Hintergrund eine freie, von Wasser durchschnittene Gegend. Abendröte.
Die alte Fadet und Martineau, ein rüstiger Bauer, kommen von rechts hinter der Hütte.
Fadet (Greisin von einigen sechzig Jahren mit scharfen, stark markierten Zügen, trägt ein rotes Tuch um den Kopf, worunter einzelne verworrene graue Haare hervorhängen, einen grauen Rock, schwarze Überjacke. ein gelbes Tuch um den Hals, graue Schürze, alles alt. zerflickt, bettelhaft; sie geht gebückt an einem Krückstock, ihre Stimme spitz und gellend). So, so! der Mathieu hat also die bösen Krämpfe wieder? Ei, ei!
Martineau. Ja, Mutter Fadet, leider Gott!
Fadet (lächelt tückisch). Dann habt Ihr dem armen Jungen mein Kräutersäftchen nicht gegeben.
Martineau (verdutzt). Ei freilich, Mutter Fadet.
Fadet (stützt sich mit beiden Händen auf den Stock, feierlich). Ihr habt es ihm dreimal gegeben: beim ersten Hahnenschrei, mittags beim Zwölf-Uhr-Läuten, und während es Mitternacht schlug, da der Mond voll wurde?
Martineau (noch verdutzter). Gewiß, Mutter Fadet – so haben wir's gemacht.
Fadet (richtet sich auf). Ihr lügt, Vater Martineau, Ihr habt ihm den Saft nicht gegeben, sonst wär' er jetzt gesund. Hab' ich Euch jemals Asche für Holz, Sand für Mehl verkauft? Haben Euch meine Mittel nicht jederzeit das Vieh kuriert?
Martineau. Ja, das Vieh, aber der Mathieu –
Fadet. Denkt Ihr, der habe ein anderes Eingeweide als Euer schwarzer Stier? Tiere sind wir alle – wir gehen auf zwei Beinen, das ist der ganze Unterschied. (Zornig.) Wenn ich nun Eurem Vieh half, warum sollte ich Eurem unglücklichen Jungen nicht auch helfen können?
Martineau (kratzt sich hinter den Ohren). Ja, das meinte ich auch. Aber der Bader sagte: »Das sei lauter Teufelsspuk und Hexenwerk, er wolle den Jungen fein christlich kurieren,« und so warf er uns das Fläschchen zum Fenster hinaus!
Fadet (wütend, stampft mit dem Fuß). Was? Was? Den kostbaren Saft? (Grimmig). Geht Eurer Wege, Dummkopf, was wollt Ihr jetzt noch von mir?
Martineau (zieht ein Papier heraus). Na, seid nur gut! Als der Mathieu heute die Krämpfe wieder kriegte, sagte meine Frau: »Geh in Gottes Namen zur Mutter Fadet. Wenn unserem Jungen geholfen wird, ist mir's am Ende einerlei, ob christlich oder durch Hexerei, sie soll dir den Saft nochmals geben, sie wird's thun.«
Fadet (schneidend auflachend). Ha, ha, ha! Sie wird's bleiben lassen.
Martineau. Sie wird es thun, wenn du ihr diesen prächtigen, funkelnden, blanken (wickelt bei jedem dieser drei letzten Worte Papier um Papier ab, aus dem dritten Blättchen bringt er ein neues Silberstück hervor) Fünf-Frank-Thaler in die Hand drückst. (Er thut es mit saurem Gesicht.)
Fadet (faßt gierig darnach). Fünf-Frank-Thaler? (Betrachtet ihn mit blitzenden Augen und wiegt ihn auf der Hand.) Der ist echt! (Sie ruft.) He! Fanchon! Bring meine Apotheke heraus! – Holla! Grille! Range! Hörst du nicht? (Pause.) Ist wieder nicht daheim, die Landläuferin, die faule Grille! (Sie hebt den Stock auf.) Na, warte! Warte! Sollst mich spüren, wenn du erst da bist. (Sie geht gegen die Hütte.) Kommt, ich will Euch den Saft geben.
Martineau (im Gehen). Mutter Fadet, Ihr schlagt das Mädchen zu viel, dabei kommt nichts heraus.
Fadet (im Gehen stehen bleibend). Schwachkopf Ihr, wollt Ihr mich erziehen lehren? Dem Kind muß die nichtsnutzige Mutter ausgeklopft werden; davon versteht Ihr so viel – als von meiner Wissenschaft. Kommt und kümmert Euch um Eure Kälber, nicht um die meinen!
Beide (gehen in die Hütte rechts ab).
Didier, ein zarter schlanker Jüngling; einfaches Bauernkostüm, dem ähnlich, das Landry trägt, aber zierlicher, geschonter; das Hemd offen, ein seidenes Halstuch hängt nachlässig geschlungen um seinen Nacken, sein langes blondes Haar um Gesicht und Schläfe, sein Gesicht ist bleich; er kommt nach einer Pause aus einem Spalt der Felswand links. Dann Fanchon.
Didier (sieht sich ängstlich um). Ach – wo bin ich hingeraten? (Erschrocken.) Das ist ja der obere Weg nach der Priche – und dort das Häuschen der alten Fadet. Hu! wie komme ich in die verrufene Gegend! (Nach dem Vordergrunde gehend.) Ich bin ganz betäubt von Schmerz und Hunger, bin müde wie ein gehetztes Wild – ich kann nicht mehr vorwärts – (Er wirft sich auf den Hügel links.) Gleichviel, wo ich sterbe!
Fanchon (kommt von rechts hinter der Hütte und bleibt lauschend stehen, leise). Hei! Da ist er ja, der kostbare Zwilling! (Sie nähert sich sachte.) Na – was fehlt ihm denn? (Fast mitleidig.) Wie elend sieht er aus! (Laut.) Holla, Didier, was willst du hier?
Didier (wendet erschrocken den Kopf nach ihr). Ach, der Quälgeist! (Mit dem eigensinnigen Trotz eines Kindes.) Laß mich, böse Grille, und geh deiner Wege, ich habe nichts mit dir zu schaffen
Fanchon (lächelnd). Aber ich mit dir! Was? Du machst dir's bequem auf unserem Grund und Boden und willst mich weiter schicken?
Didier (wie oben). Du hast recht, ich kann auch gehen – es ist einerlei, wo ich sterbe! (Er erhebt sich halb.)
Fanchon. Ah so, du willst sterben? Na, wenn's weiter nichts ist – so will ich dir schon Platz machen. (Sie geht.)
Didier (gereizt). So, du meinst also, es liegt gar nichts an mir?
Fanchon. Ich meine nur, wenn ein Glückskind wie du aus heiler Haut sterben will, ohne allen Grund, so ist's ein Gottloser oder ein Narr, und da ist's um keinen schade.
Didier. Ohne allen Grund? Was verstehst du! Du hast niemand lieb in der Welt, du weißt nicht, was es heißt, (halb in Thränen, halb zornig) das Herz dessen zu verlieren, der einem lieber ist als die ganze Welt.
Fanchon (ihm näher tretend). Das ist wohl Landry, den du meinst?
Didier (erbost). Ja, der Landry! Der Abscheuliche, der die Madelon gern hat –
Fanchon (fährt zusammen). So? Ei – wie weißt du denn das?
Didier (in komischem Schmerz). Wie? Er ist schon seit Wochen kalt und verändert gegen mich, und gestern, da ich nach der Priche hinüberkam, überraschte ich ihn, wie er eben der Madelon (verzweifelt) in die Backe kniff, und dabei sah er sie an mit einem Blick – so hat er mich nie angesehen!
Fanchon (humoristisch). Wirklich!
Didier (eifrig). Und da nahm ich mir vor, daß ich nicht mehr leben mag. (Trotzig.) Nein, erst recht nicht! Sterben will ich, aus Zorn und aus Hunger, daß sie sich alle totweinen müssen nach mir. (Reißt sich sein Tuch vom Halse und wirft es wütend auf die Erde.)
Fanchon (trocken). Das werden sie bleiben lassen; lohnte auch wohl der Mühe, sich um dich zu grämen, du dummer Junge!
Didier (fährt auf). Verspottest du mich schon wieder, häßlicher Kobold? Aber ich weiß gar nicht, warum ich mich mit dir einlasse?
Fanchon (wie oben). Ich weiß es auch nicht, Didier; die Ehre hast du der Grille in Jahr und Tag nicht angethan – muß dir schon recht jämmerlich zu Mute sein, daß du dich mit mir begnügst.
Didier (aufspringend). Laß mich in Ruhe, hämisches Geschöpf – ich gehe schon! (Er faßt nach dem Herzen.) O weh, wie wird mir! (Er sinkt wieder auf den Hügel.)
Fanchon (lachend). Wie einem Narren, der vor Hunger sterben will und sich das Essen nicht abgewöhnen kann. – Du hast mich seit unserer Kindheit mit Steinen geworfen, wo ich dir quer in den Weg kam, nun kann ich's dir endlich vergelten! (Sie greift in die Tasche und zieht ein großes Stück Schwarzbrot hervor.) Da pass' auf! Hussa! Aufgefangen! (Sie wirft ihm das Brot zu.)
Didier (faßt es gierig auf). Was – was soll's damit?
Fanchon. 's ist mein Abendbrot! Ich hatte noch nicht Zeit, es zu essen, mußte erst mein Huhn in Sicherheit bringen; bin auch nicht halb so hungrig, als du aussiehst. (Halb gutmütig, halb spöttisch.) Iß immer zu, es hat's keine Hexe gebacken, kommt vom Bäcker drunten und schmeckt ganz erträglich, wenn es auch schwärzer ist als das vom Zwillingshof.
Didier (mit sich selbst kämpfend). Aber, Grille – ich kann's doch nicht nehmen, so sehr mich hungert – ich kann's nicht!
Fanchon (bitter lachend). Weil's von mir kommt; freilich bist du zu vornehm dazu!
Didier (mit Entschluß). Nein. Ich habe dir immer nur böse Reden gegeben und dir Schlimmes angethan, weil – weil sie es eben alle so machten, ich kann jetzt nicht Gutes für Übles von dir nehmen. (Er reicht ihr das Brot.) Behalte dein Brot.
Fanchon (ernsthaft, indem sie es einsteckt). Meinetwegen! Da du also fest erschlossen bist, Hungers zu sterben, weil dein Bruder einem Mädchen in die Wangen kniff, so will ich dir einen Ort zeigen, wo du das mit aller Ruhe kannst, und wo dich niemand sieht als der liebe Gott, vor dem du dich ja nicht fürchtest . . .
Didier (aufhorchend). Wer sagt dir, daß ich Gott nicht fürchte, Grille?
Fanchon. Nun, solch ein arger Bursche wie du, der aus kindischer Bosheit seinen Leuten ein so großes Herzeleid zufügen will, der weiß ja nichts von Gottesfurcht.
Didier (sieht sie erstaunt an, dann beschämt vor sich nieder). Grille!
Fanchon (fortfahrend). Du thust das alles nur, weil du niemand gern hast als dich selber, weil du alles für dich allein haben, den Landry zwingen willst, nur für dich auf der Welt zu sein, was gar nicht Gottes Wille ist, sonst hätte er nicht Knaben und Mädchen geschaffen! (Vertraulich.) Aber unter uns, Didier, du drohst nur, dich umzubringen. Du denkst nicht daran, das kannst du mir glauben; wenn es dir erst an Hals und Kragen geht und der rechte Hunger kommt, den du nicht kennst, dann kriechst du von selbst aus der Schlucht hervor und schreist um Brot, daß man's bis in den Zwillingshof hinunter hört!
Didier (zwischen Scham und Trotz mit dem Fuße stampfend). Nein, nein, das thu' ich nicht! Du keckes junges Ding, du weißt viel, was mir fehlt.
Fanchon. O ich will dir's wohl sagen, was dir fehlt: harte Arbeit, grobe Kleider, nicht alle Tage Brot, aber alle Tage tüchtige Schläge, das fehlt dir; die Schule, in der die kleine Grille siebzehn Jahre alt und nicht dumm noch gottlos dabei wurde, hätte einen ganz anderen Burschen aus dir gemacht. Komm, ich führe dich in eine Felsspalte, wohin ich mich verkrieche, wenn mir Großmutters Stock einmal zu hart wird. Dort denke nach, hungere, bis du genug hast, und dann – gehe heim, bitte deine Leute um Verzeihung und mach' keine solchen Streiche wieder. So wird's wohl am besten für dich sein, meinst du nicht? Na! Vorwärts! (Sie läuft über die Brücke nach dem Felsenstege links ab.)
Didier (ganz starr). Herr Gott, wie geschieht mir – ich möchte sterben vor Zorn und Scham und muß ihr doch folgen, wenn ich auch nicht will. Ja, die Grille ist gewiß eine Hexe! (Er läuft Fanchon über die Brücke nach.)
Die alte Fadet und Martineau aus der Hütte rechts.
Fadet (ihn begleitend). So! Nun wißt Ihr alles! Folgt Ihr diesmal pünktlich, so wird der Junge gesund.
Martineau. Ist so viel, als wär' er's schon. Guten Abend. (Er geht nach rechts.)
Fadet (ihm nachrufend). Vergeßt nur nicht: Beim ersten Hahnenschrei!
Martineau (im Gehen). Ist ja die Hauptsach' (Ab hinter der Hütte rechts.)
Die alte Fadet allein.
Fadet (höhnisch). Die Hauptsache, Dummkopf, daß man Euch Hokuspokus macht – gewiß! Das Bauernvolk glaubt an nichts, was es begreift. Hi, hi, hi! Hexerei muß dabei sein, dann hilft's und bringt Geld. (Sie sieht das bunte seidene Tuch am Boden, das Didier verlor.) Holla! Wie kommt der schöne bunte Fetzen daher? (Vergnügt.) Hei, das war reicher Leute Kind, der das verlor! (Wohlgefällig.) Giebt einen prächtigen Sonntagsstaat für die Fanchon! (Mit saurer Miene.) Das Ding wird ohnedem alle Tage älter und kostspieliger die arme Pflanze ißt viel und arbeitet wenig. Aber klug ist das Kind, klug zum Erschrecken, und brauchbar für die Heilkunst, sehr brauchbar! (Plötzlich wild.) Wo sie nur steckt? (Sie schreit.) Fanchon! Grille! Racker! Hörst du nicht?
Die alte Fadet. Landry kommt atemlos aus der Felsenspalte von links.
Landry. Mutter Fadet!
Fadet (fährt zurück). Was – alle Welt! Der schöne Landry vom Zwillingshof! Warum schlägst du denn nicht drei Kreuze, hochmütiger Bursche, stehst doch vor der alten Fadet! (giftig) der »Hexe« –
Landry. Mutter, seid gut und laßt ein vernünftiges Wort mit Euch reden – es soll Euer Schade nicht sein! (Er greift in die Tasche.)
Fadet (mit lüsternem Blick) Ah – du klimperst mit Geld, du denkst: die alte Fadet liebt den Silberklang? Hast recht, hast recht, (sie streckt grinsend die Hände aus) liebe das Geld, Geld ist viel in der Welt, ist alles! Was wär auch dein Vater Barbeaud ohne sein Geld! (giftig.) Aber vom Zwillingshof nehm' ich keins, und wenn es sonst keinen Sou im Lande gäbe.
Die Vorigen. Fanchon, von links auf dem Felsensteg kommend, geht während des folgenden bis auf die Mitte der Brücke, wo sie, beide Arme auf das Geländer stützend, den Vordergrund überblickt.
Landry. Herr Gott! Habt Ihr denn gar kein Herz, Fadet! Hört doch! Mein Bruder Didier ist fort seit gestern, die Alten sind in Angst, er könnte sich ein Leid gethan haben – Ihr seid eine kluge Frau, vielleicht wißt Ihr Rat.
Fadet (hohnlachend). Ach, jetzt also wißt Ihr mich zu suchen? – Schön! Vater Barbeaud fürchtet, er habe sich ein Leid gethan, sein verzärtelter Junge? So, so! (Den Kopf wiegend.) Wär ein böser Streich für so reiche Leute. (Von einem Gedanken ergriffen.) Holla! (Sie zieht das Tuch aus der Tasche.) Ist dir der Fetzen vielleicht bekannt?
Landry (aufschreiend, faßt danach). Didiers Tuch! Wie kommt Ihr dazu?
Fadet (in grimmiger Freude, mit zitternder Stimme). Wenn das Didiers Tuch ist, so suche deine Hälfte nur bei den Fischen, schöner Zwilling! (Auf den Fluß deutend.) Ich fand es dort am Ufer! – Grüß mir auch den Vater, Landry, hörst du? – Hi, hi, hi! (Ab in die Hütte rechte)
(Es fängt an, dunkel zu werden, aber sehr langsam.)
Landry. Fanchon.
Landry (steht wie erstarrt, an allen Gliedern zitternd). Es ist nicht möglich! Im – Fluß! Nein, nein, so gottlos kann Didier nicht enden! (Er bricht in Thränen aus.)
Fanchon (auf das Brückengeländer gestützt, trocken). Ängstet Ihr Euch so schwer um den Bruder, Landry?
Landry (aufhorchend, dreht sich um und sieht Fanchon). Ha! – Dacht' ich's doch – daß sie hinter einer Hecke oder auf einem Zaune lanschte, die neugierige Grille! Was willst du von mir?
Fanchon (ohne sich von der Stelle zu rühren). Ich war eine Närrin; ich hatte Mitleid mit Euch – wollt' Euch sagen, daß der Didier nicht im Fluß liegt, wollt' Euch noch einmal helfen –
Landry (rasch). Nicht im Fluß! Du weißt also, wo Didier ist?
Fanchon (wiegt das Haupt, leise singend).
Schrille, schrille, Kleine Grille – Zirpe lustig, la, la, la! |
Landry (stampft mit dem Fuße). Du weißt, wo Didier ist! (flehend.) Willst du mir's sagen?
Fanchon (kurz). Nein!
Landry (wie oben). Fanchon, was verlangst du, was soll ich dir geben? Du sollst alles haben, mein weißes Lamm, das braune Zicklein – sprich nur!
Fanchon (lacht laut auf). Landry – Ihr seid dumm!
Landry (drohend). Grille!
Fanchon (kommt, während sie spricht, von der Brücke herab). Dumm seid Ihr, daß Ihr mich noch für ein Kind haltet, wie ich es vor einem Jahre war, und Euch einbildet, ich könnte noch etwas glauben, das Ihr versprecht.
Landry (sieht vor sich nieder). Aber Fanchon –
Fanchon (kommt immer mehr in den Vordergrund, bis sie dicht vor Landry steht, ihn mit untergeschlagenen Armen fixierend). Ihr denkt wohl, ich habe die Nacht vor dem Saint-Andochefest im vorigen Sommer vergessen? Wer war es, der damals in der Finsternis von der Priche kam und, um den Weg abzuschneiden, durch die Furt im Thal gehen wollte?
Landry (wie oben). Ich war es, Fanchon.
Fanchon (trocken, wie oben). Richtig! Und weil Ihr abergläubisch seid wie ein altes Weib, so jagte Euch ein kleiner Irrwisch, der vor Euch herhüpfte, in Furcht und blendete Euch so, daß Ihr blindlings in den Fluß hineinranntet, ohne zu merken, daß Ihr die Furt verfehlt hattet, und mitten in die Strömung oberhalb der Mühle geraten wart! Das Wasser trat Euch bis an die Kehle, und wenn ich Eueren Hilferuf nicht gehört, wenn ich Euch nicht mit meiner großen Angelstange herausgebracht hätte – was wäre dann geschehen, Landry Barbeaud?
Landry. Ich wäre unter die Mühlräder gekommen und jämmerlich zu Grunde gegangen.
Fanchon (wie oben). Richtig! Und als wir beide zitternd und naß wie die Mäuse heraus waren, was sagtet Ihr da?
Landry (fast bittend). Fanchon!
Fanchon (wie oben). Ihr sagtet: »Grille, du hast mir einen Dienst geleistet, was soll ich dir dafür schenken? (Höhnisch.) Fordere nur, willst du ein Lamm von der Herde oder ein schönes Huhn, oder was sonst?« Und was sagte ich?
Landry (ärgerlich). Du fuhrst mich höhnisch an, meintest: du brauchtest nichts von mir und wolltest nichts – du habest mir geholfen, weil ich eben ein Mensch sei, bezahlen ließest du dich nicht.
Fanchon. Und als du schwurst, du gingst nicht von der Stelle, ehe ich etwas von dir gefordert: »Weil es dir eine Schande wäre, einen Dienst von mir umsonst anzunehmen« – da antwortete ich: »Nun, Landry, wir wollen sehen. Ich weiß jetzt nicht, was ich von dir verlangen werde, oder ob ich's jemals thue; wenn ich aber eines Tages vor dich hin trete und sage: Landry – das gefällt der Grille, das will sie haben, versprichst du mir's dann zu geben?« Was thatest du da?
Landry (mit niedergeschlagenen Augen). Ich sagte: »Es gilt – wenn es bei mir steht zu geben, was du forderst.«
Fanchon. Und du gabst mir den Handschlag darauf, es war abgemacht! Ist's so?
Landry (mit Überwindung). Ja, so ist's – aber –
Fanchon (ihn unterbrechend). Aber das ist jetzt ein Jahr her – Ihr gingt mir aus dem Wege, wo Ihr mich von ferne saht, Ihr dachtet nicht mehr an das Versprechen; Ihr hattet es ja nur der kleinen verachteten Grille gegeben und meintet: sie hätte euer Wort so schnell vergessen wie Ihr den Dienst, den sie Euch geleistet. Aber das ist nicht wahr, ich bin kein dummes Kind mehr wie damals, ich weiß, daß nur der ein rechtschaffener Mann ist, der sein Wort hält!
Landry (sieht sie sehr befremdet an). Ich that unrecht an dir, Fanchon, ich wußte nicht, daß du so vernünftig sprechen kannst!
Fanchon (bitter). Woher solltet Ihr's wissen? Ihr habt ja nie ein Wort mit mir gewechselt, ehe Euch das Wasser an Hals und Kragen ging; dazu war die Grille ja viel zu arm und schlecht!
Landry (bewegt). Fanchon, laß es gut sein, du siehst mich beschämt.
Fanchon (mit einem dämonischen Lächeln). Ja, das seh' ich – und das freut mich!
Landry. Weshalb freut dich das?
Fanchon (mit einer Art Ingrimm). Weil ich Euch nicht mag.
Landry (verdutzt). Weshalb aber – magst du mich nicht?
Fanchon (trocken). Weil ich Euch nicht achte!
Landry (auffahrend). Höre, Grille –
Fanchon (energisch). Hört Ihr, Landry Barbeaud! Ich achte nicht Euch, der vor Hochmut strotzt, nicht Eueren Vater noch Euere Mutter, denn sie haben Euch gelehrt, abergläubisch und undankbar zu sein, und nach der Feigheit ist der Undank das Schlechteste an einem Mann.
Landry. Ich habe gefehlt gegen dich, Fanchon, aber ich bin nicht allein schuld. Du sahst mich seit jener Nacht so höhnisch – ja, oft so verächtlich an, daß ich dir aus dem Wege ging, um nicht laut von dir verspottet zu werden. Ich will aber jetzt gut machen, du sollst jetzt eine Belohnung haben, welche du forderst.
Fanchon. Belohnung! Ha, ha, ha! Ich verachte alles, was von Euch kommt, weil Ihr nicht den Mut hattet seit jener Stunde, wo sie Euch aus der Todesnot geholfen, mit der armen Fanchon ein einziges Wort zu reden! (Leidenschaftlich werdend.) Euer Herz ist hart und schlecht, Landry, sonst hätt' es Euch gesagt: »die Grille wollte keine Bezahlung von mir, darum ließ sie sich das Gelöbnis machen, nur damit sie mich los ward; und das arme Ding ist keine geschwätzige Elster, sonst wüßte das ganze Dorf, daß der große hoffärtige Landry Barbeaud aus Furcht vor einem Irrwisch ins hohe Wasser läuft!« Dann wärt Ihr gekommen, mir freundlich »Schön Dank« zu sagen, der Handel wäre abgemacht, und ich hielte Euch für einen braven Burschen, statt daß ich jetzt für mein Lebtag eine recht schlechte Meinung von Euch habe. So ist's, Landry. Gute Nacht. (Sie geht nach der Hütte.)
(Es ist inzwischen finster geworden.)
Landry (ihr nach). Fanchon, was muß ich thun, dich gut zu machen? Sag's!
Fanchon (bleibt stehen und dreht sich rasch um). Bitte mich um Verzeihung, Landry.
Landry (fährt zurück). Ei, du forderst stark! Ich soll –
Fanchon (bestimmt). Mich um Verzeihung bitten, der reiche schöne Zwilling die arme häßliche Grille.
Landry (halb lachend, halb zornig). Du bist nicht klug, Fanchon! Ich thue ja alles, was ich thun kann. Ich biete dir nichts mehr an, ich erneuere nur mein Wort von damals; sage mir, wo ich Didier finde, und dann fordere, was ich für dich thun soll.
Fanchon. Also du bittest mich nicht um Verzeihung? Gut. (Mit scharfer Stimme.) Es mag gelten! Du bist bereit, mir jederzeit zu willfahren, was ich auch von dir verlange, wenn's nicht gegen die Ehrbarkeit und den lieben Gott ist? Gelobst du das? (Sie hält ihm die Hand hin.)
Landry (einschlagend). Ich gebe dir mein Wort zum zweitenmal und will es besser halten.
Fanchon (kalt, nachlässig den Arm nach der Brücke ausstreckend). Nun gut! Geh dort über die Brücke den Steg hinauf, zehn Schritte bis zu dem Erlengebüsch an der Felswand; in dem Spalt, den es deckt, findest du den Bruder.
Landry (mit Leidenschaft). Grille! Wenn du mich jetzt nicht foppst, wenn ich ihn finde, so sollst du sehen, daß der Landry weder ein hartes noch schlechtes Herz hat, und dir zeitlebens dankbar sein wird. (Er eilt über die Brücke den Steg hinauf und verschwindet hinter dem Felsen links.)
Fanchon allein.
Fanchon (hüpft plötzlich wie besessen umher, schlägt in die Hände, lacht und jubelt). Ha, ha, ha! So hab' ich dich doch, schöner Zwilling! – Stolzer Bauer, feiger undankbarer Bursche, du bittest nicht um Verzeihung, da du für Wohlthat unrecht gethan? Hei, und nun hat dich die Grille in Händen, der verachtete kleine Kobold! Ha, ha, ha! Und morgen ist Saint-Andochefest, da schnurrt der Dudelsack – da schrillt die Pfeife – da giebt es Tanz und Lust – hei –! und die Grille wird tanzen – tanzen – tanzen!
(Der Mond geht plötzlich rechts auf und erhellt die schroffe Felswand links glänzend.)
Fanchon (steht so, daß ihr Schatten auf die Felswand fällt). Ha! Ihr sollt erfahren, ihr hochmütigen Dirnen aus der Priche, daß die »häßliche Kröte« doch etwas besser kann als ihr alle! Wie werd' ich fliegen und schweben, euch und ihm zum Possen! (Sie sieht ihren Schatten.) Heißa! Da ist mein Schatten! (In wilder Lustigkeit.) Komm her, schwarzer Bursche, ich habe keinen anderen Tänzer! Laß sehen, was wir zwei können! (Sie singt, schlägt sich dazwischen bald den Takt, bald bewegt sie die Arme in der Luft, indem sie dazu tanzt.)
Lustig, schrille, Kleine Grille! Bist auch häßlich, schwarz und klein, Küßt dich doch des Mondes Schein. Mücke tanzt im Sonnenstrahl, Grille zirpt im dunklen Thal. Lustig, schrille, Kleine Grille! |
(Ihr Tanz und Gesang muß ländlich und einfach, nicht herausfordernd, aber feurig und in wilder Lustbarkeit gehalten sein.)
Die Vorige. Landry und Didier kommen während des Tanzes hinter dem Felsen hervor, den Steg herab, und stehen, sich umschlungen haltend, auf der Brücke still, indem sie entsetzt auf Fanchon blicken. Später die Stimme der alten Fadet. Das Folgende wird im raschesten Tempo gesprochen.
Landry. Gott steh uns bei! Siehst du, Didier? Was treibt die Fanchon?
Didier (schaudernd). Hexerei!
Landry (hinabrufend). Grille! Was machst du da?
Fanchon (sich zu ihm wendend). Was? Ich habe mir einen Tänzer geladen morgen zum Saint-Andochefest, wie er sich zu mir schickt! Ha, ha, ha! (Sie tanzt fort.)
Lustig, schrille, Kleine Grille! Bist auch häßlich, schwarz und klein, Küßt dich doch des Mondes Schein! |
Didier (zieht Landry mit sich über die Brücke). Komm! Fort! Mir graut vor ihr!
Fadets Stimme (aus der Hütte, grell und schrillend). Fanchon! Fanchon!
Fanchon (hört plötzlich auf und wendet den Kopf nach der Hütte). Gleich, Großmutter! (Sie wirft dem Schatten eine Kußhand zu.) Gute Nacht, mein schwarzer Kamerad! Auf morgen! (Spottend zu den Brüdern.) Gute Nacht, ihr Feiglinge! Landry, denk' an dein Wort! Ha, ha, ha! (Sie läuft lachend, halb singend, halb sprechend nach rechts in die Hütte.) La, la, la! Schrille, Grille!
Landry (von Didier fortgezogen). Ich werd' es nicht vergessen! (Sie eilen nach links ab.)
Der Vorhang fällt.