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Der alte Meister Gottlieb, der in seinem Leben schon so viele Tische, Stühle, Schränke, Laden, Kommoden, Bettstellen gemacht hatte, daß man das ganze Schloß des Kaisers damit hätte vollstellen können, saß vor seiner Werkstatt und rauchte seine Pfeife. Denn es war Feierabend, und sein Tagewerk war getan.
Da klopfte es an die Türe, und ein kleines, buckliges Männchen trat herein, das einen langen weißen Bart. und so hellblaue Augen hatte, daß man glauben konnte, es hätte zwei Stücke vorn Himmel im Gesicht. Mit diesen Augen lachte das Männchen gar wunderlich, indem es sprach:
»Du, Meister Pflaume, sieh mal, was ich da habe!«
»Was sollst du denn weiter haben«, antwortete Meister Gottlieb; – »ein Scheit Holz hast du in der Hand. übrigens verbitte ich mir, daß du mich Pflaume nennst. Ich heiße Gottlieb –«
»Na ja doch«, kicherte das Männchen, »ist schon gut. Gottlieb heißt du, aber Meister Pflaume bist du, denn deine Nase ist blau wie eine reife Pflaume. Das kommt wohl vom vielen Hobeln? Hehe!«
»Wovon ich meine rote Nase habe, denn sie ist bloß rot und noch lange nicht blau, geht dich so viel an, wie mich angeht, wovon du deinen Buckel hast«, antwortete der alte Gottlieb. »Aber was willst du denn mit dem Holz?«
»Aus dem sollst du mir ein Tischbein machen, Meister Pflaume. Das heißt: wenn du kannst! Aber ich glaube, du kannst es nicht«, erwiderte das Männchen.
»Was? ich soll kein Tischbein aus dem Stück Tannenholz machen können?« rief Meister Gottlieb ärgerlich aus; »als ob es das erste Tischbein wäre, das bei mir bestellt worden ist! Das wäre noch schöner! Zeig mal her!«
Das Männchen schob ihm das Stück Holz mit einem sonderbaren Lächeln hin, und Meister Gottlieb betrachtete es aufmerksam. Es war ein armdickes Stück Tannenholz, etwa von der Höhe eines kleinen Jungen von fünf Jahren, und Meister Pflaume erkannte sofort, daß es von einem jungen Tannenstämmchen herrührte. Wo es oben und unten abgesägt war, quoll gelbes Harz heraus, das frisch wie Wald roch, und rundherum saß feste braune Rinde.
»Aus dem Stück kann ein Lehrbub ein Tischbein machen«, murmelte der Meister.
»Na, na«, sagte das Männchen, »wenn du dich nur nicht irrst!«
Da wurde Meister Pflaume aber wild und rief: »Potz Hobel und Sägespän'! In einer Viertelstunde ist das Tischbein fertig, und wenn's gleich schon Feierabend ist. Du kannst darauf warten.«
Aber das Männchen zog seine langen grauen Brauen hoch, zwinkerte dann mit den Augen, wackelte mit seinem großen Kopf hin und her und sprach: »So viel Zeit habe ich nicht, Meister Pflaume! Ich muß heute abend noch in den Wald zurück. Meine Kinder erwarten mich. Das da heißt Zäpfel Kern.«
»Was heißt Zäpfel Kern?« fragte erstaunt Meister Gottlieb.
»Das Kind da«, antwortete der Alte.
»Was für ein Kind?«
»Das hölzerne da, aus dem du dir einbildest, ein Tischbein machen zu können.«
Meister Pflaume sah den Alten groß an und schüttelte den Kopf; dann sprach er: »Ich glaube, du willst mich zum Narren haben!«
»Gott behüte«, sagte das Männchen.
»Oder bist du selber einer?«
»Ein Narr, meinst du?«
»Na ja! Was redest du auch von einem Kind, das gar nicht da ist.«
»Du siehst es bloß nicht.«
»Dummes Zeug. Ein Stück Holz, punktum. In einer Viertelstunde ist es ein Tischbein.«
»Oder auch nicht.«
»Wollen wir wetten?«
»Nein, denn du würdest doch verlieren. Ich will dir lieber sagen, warum das Kind Zäpfel Kern heißt.«
»Unsinn!«
»Wart ab, Meister Pflaume! Es heißt Zäpfel Kern, weil es aus einem Tannenzapfen oder genauer aus einem Kern in einem Tannenzapfen gekommen ist. Aus einem Kern voller Leben, Meister Pflaume! Paß nur auf! Du wirst es schon merken! – Und nun leb wohl! Und viel Glück!«
Sprach's und war mit einem Mal verschwunden. Meister Gottlieb starrte auf den Fleck, wo er eben das bucklige Männchen noch hatte stehen sehen, und kratzte sich dann, wie er immer zu tun pflegte, wenn er erstaunt war, unter seiner Perücke, denn vom vielen Hobeln waren ihm die Haare ausgegangen. Dann murmelte er: »Ich glaube, der Alte hat zu viel Wacholderschnaps getrunken.«
Das brachte ihn auf eine Idee. Er ging zu einem Schrank, nahm eine Flasche heraus, setzte sie an den Mund und machte brr! Wischte dann mit dem Handrücken den Mund und sagte zu sich selber: »Nun wollen wir aber doch mal sehen, ob wir noch ein Tischbein machen können!«
Und er nahm seine gut geschaffene Axt in die rechte Hand, hielt mit der linken das Stück Holz vor sich hin und holte aus. Da, was war das? Seine Hand blieb mit der Axt mitten im Hieb in der Luft stehen, denn er hatte deutlich ein dünnes Stimmchen vernommen, das sprach: »Nicht so derb, Meister Pflaume!«
»Nanu?« murmelte er und ließ seine Blicke rings in der Werkstatt herumwandern, »wer hat sich denn hier versteckt?«
Und er stand auf und revidierte. Sah unter die Hobelbank – nichts. Schaute in den Sägespänekorb – niemand. Guckte in den Schrank – keine Seele. Blickte zur Türe hinaus auf die Straße – kein Mensch.
»Aha!« murmelte er und lachte dazu, »die Stimme kam aus der Wacholderflasche! Ich hab' einen Schluck übern Durst genommen... Aber das Tischbein muß trotzdem heute abend noch fertig werden!«
Und er nahm die Axt und ließ sie auf das Holz niedersausen, daß ein großes Stück Rinde absplitterte.
Kaum daß dies geschehen war, schrie es laut auf: »Au, au! du tust mir aber weh!«
Meister Pflaume ließ Axt und Holz fallen und machte kein sehr gescheites Gesicht. Er fuhr sich mit beiden Händen unter die Perücke, kratzte sich den kahlen Kopf und rief mit bebenden Lippen: »Das... das... das ist doch... das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Wie kommt denn das Stück Holz dazu, au zu schreien? Holz kann zwar weinen, aber doch nur Harz! Hat man es je gehört, daß ein Stück Holz schreit?«
Und er sah das Stück Holz mit weit herausstehenden Augen an; aber das lag nicht anders da als sonst ein Stück Holz: steif, starr, stumm.
Meister Pflaume stieß es mit dem Fuß an und sprach: »He, du! du! Bist du's gewesen? Na?« Das Holz wackelte ein bißchen und lag dann still. Meister Pflaume fuhr sich mit den Fingern in die Ohren und murmelte: »Schäm dich, alter Gottlieb! So alt und noch so dumm! Aber das kommt davon, wenn man noch nach Feierabend arbeitet. Das beste wäre, ich schmisse das Stück in den Ofen und kochte mir eine Suppe davon. – Aber nein, da würde mich der Bucklige auslachen. Also her mit dem Hobel.«
Und er legte das Holz auf eine Hobelbank, setzte den Hobel an und führte ihn mit ruhigen Strichen hin und her. Erst kreischte es nur leise, wie das Holz immer tut, wenn die Hobelspäne sich wie Locken von ihm kräuseln, aber plötzlich klang's wie halb unterdrücktes Kichern: »Nicht doch! Nicht doch! Du kitzelst mich ja am Bauch!«
Das war zuviel für Meister Pflaume. Er ließ den Hobel fallen und setzte sich breit auf die Erde. Sein zahnloser Mund öffnete sich weit, die Zunge streckte sich in höchstem Entsetzen hervor, und seine Nase wurde vor Grausen dunkelblau.
Wie Meister Pflaume so auf dem Erdboden saß und sich wunderte, daß seine Nase noch blauer werden konnte, als sie für gewöhnlich war, klopfte es an die Türe.
Froh, daß ihm jemand Gesellschaft leisten wollte in dieser Dämmerung voll unheimlicher Stimmen, rief Meister Pflaume, ohne sich zu erheben: »Herein!«, und es erschien sein alter Freund Meister Zorntiegel, ein sehr lebhafter alter Mann, der immer große Pläne in seinem Kopf, auf seinem Kopf aber eine gelbe Perücke hatte, von der ihm der Spitzname »Nudelhaar« geworden war, denn wirklich, diese falschen Haare hatten ganz die Farbe von Suppennudeln. Da aber Meister Zorntiegel große Stücke auf seine Perücke hielt und fest davon überzeugt war, daß sie das schönste Kunstwerk aus Haaren sei, das auf der ganzen Welt existierte, versetzte es ihn in die höchste Wut, wenn ihn jemand bei diesem Namen nannte.
Wie er nun seinen alten Freund so auf der Erde sitzen sah, rief er aus: »Guten Abend, Meister Gottlieb! Könnt Ihr bloß Stühle machen, aber auf keinem Stuhl sitzen?«
»Ich sitze, wo ich Lust habe«, antwortete Meister Gottlieb.
»Aber die Ameisen werden Euch in die Hosen kriechen«, entgegnete Meister Zorntiegel.
»Wenigstens stellen sie keine dummen Fragen«, erwiderte Meister Pflaume. »Aber was führt Euch denn heute abend noch zu mir her?«
Und Meister Zorntiegel begann: »Ich habe eine Idee!«
»Die habt Ihr immer.«
»Gott sei Lob und Dank, ja! Aber diese Idee wird machen, daß ich eines Tages auch Geld haben werde.«
»Dann ist es eine gute Idee.«
»Eine ganz ausgezeichnete Idee, lieber Freund. Ich will Theaterdirektor werden.«
»Seid Ihr sicher, daß Ihr dabei Geld verdienen werdet?«
»Vollkommen sicher, alter Gottlieb! Ich will nämlich nicht mit lebendigen Komödianten herumziehen, sondern mit künstlichen.«
»Aha! Die essen nicht, die trinken nicht und verlangen keine Gage. Ihr seid ein Schlaumeier.«
»Nein, ich bin ein Genie.«
»Meinen Segen habt Ihr. Aber was soll ich Euch dann helfen?«
»Hört nur zu! Das erste, was ich brauche und was ich mir fabrizieren will, ist eine Kasperlepuppe, die tanzen, fechten und purzelbaumschlagen kann.«
In diesem Augenblick rief in der Dunkelheit eine Stimme: »Bravo, Meister Nudelhaar!«
Dies hören und mit geballten Fäusten auf Meister Pflaume losgehen, war für Meister Zorntiegel eins.
»Was schimpft Ihr mich?«
»Wer schimpft Euch?«
»Ihr! Ihr habt Meister Nudelhaar gesagt!«
»Ich habe kein Wort gesagt!«
»Dann bin ich es wohl gewesen?«
»Vielleicht.«
»Ihr wart es!
»Nein!«
»Ja!«
»Nein!«
»Ja!«
Und nun fielen sie übereinander her, als wollten sie sich umbringen. Sie balgten sich wie zwei Kater auf dem Dach und kugelten sich ebenso auf dem Fußboden herum. Als sie genug von diesem Vergnügen hatten, fand es sich, daß Meister Pflaume die gelbe Perücke Meister Zorntiegels in der Hand – und Meister Zorntiegel die graue Perücke Meister Pflaumes zwischen den Zähnen hielt.
»Meine Perücke her!« schrie der Mann mit der ausgezeichneten Idee.
»Gib mir meine, wenn du sie nicht ganz aufgefressen hast!« schrie der Tischler.
Darauf wechselten sie gegenseitig die haarigen Siegeszeichen aus, gaben sich die Hand und schwuren einander, von nun an die besten Freunde zu bleiben bis ans Ende ihrer Tage.
Und Meister Pflaume sprach: »Zum Beweis dafür will ich Euch sofort den Gefallen tun, den Ihr von mir haben wollt. Wenn ich nur erst wüßte, welchen!«
Meister Zorntiegel aber erwiderte ganz sanft: »Ich möchte bloß ein Stück Holz von Euch haben zu der Puppe, die ich machen will.«
»Wenn's weiter nichts ist«, sagte der Tischler, »das Stück Holz sollt Ihr gleich haben.« Sprachs's und holte, froh es loszuwerden, das Stück, das ihm so unheimlich mitgespielt hatte, aus der Ecke, wo es jetzt lag.
Wie er es aber dem Freund übergeben wollte, da, merkwürdig, gab sich das einen Schwung und schlug dem armen Meister Zorntiegel mit voller Wucht auf das Schienbein.
Der rieb sich die schmerzende Stelle und schrie: »Sapperlot, sapperlot! Ich wollte was geschenkt und nicht aufs Schienbein haben.«
»Ich habe Euch nichts aufs Schienbein gegeben«, knurrte der Tischler ärgerlich.
Das brachte den zornmütigen Zorntiegel gleich wieder außer sich, und er rief: »Also habe ich mich wohl selber zu meinem Vergnügen aufs Schienbein gehauen?«
»Das Holz war's«, erklärte Meister Pflaume.
»Natürlich war's keine Wurst«, entgegnete Meister Nudelhaar, »aber das Holz war in Eurer Hand!«
»Es ist mir ausgerutscht.«
»Geschlagen habt Ihr mich!«
»Ist mir nicht eingefallen.«
»Doch!«
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!«
»Ihr seid ein Lügner!«
»Und Ihr seid Meister Nudelhaar!«
»Pflaume!«
»Nudelhaar!«
»Pflaume!«
»Nudelhaar!«
»Wacholderflasche!«
»Nudelhaar!«
Viermal dieses Wort anzuhören ging über Zornriegels Kraft. Es wurde ihm rot vor den Augen, und er ging zum zweiten Mal mit geballten Fäusten auf den Tischler los, der seinerseits auch nicht mit Glacéhandschuhen zugriff. Kurz, sie wiederholten das Schauspiel der entzweiten Kater auf dem Dach und walkten einander weidlich durch, was zur Folge hatte, daß, wie ihre Kräfte nachließen, jeder ein kleines Andenken an die zweite Meinungsverschiedenheit sein eigen nennen konnte. Meister Pflaume wies ein paar rote Kratzer auf seiner blauen Nase auf, und Meister Zorntiegel besaß nun eine Weste, der zwei Knöpfe fehlten.
Da somit jeder auf seine Kosten gekommen war, gaben sie sich die Hände und schwuren einander, gute Freunde zu bleiben bis ans Ende ihrer Tage.
Darauf nahm Meister Nudelhaar sein Stück Holz untern Arm, sagte: »Schönen Dank für alles« und ging befriedigt, wenn auch etwas hinkend, nach Haus.
Sehr reich sah es in seiner Stube nicht aus. Sie hatte schiefe Wände und ein einziges kleines Dachfenster. Ein wackliger alter Tisch stand in der Mitte – und darauf eine kleine Öllampe. Wie Meister Zorntiegel die angezündet hatte, konnte man noch ein schmales Bett erblicken, einen Stuhl, einen Waschtisch und ein Regal, auf dem allerhand Messer zum Schnitzen, ein paar Leimtöpfe und bunte Puppenkleider lagen. Ferner schien auch noch ein Ofen da zu sein, der, obgleich es schon Mai war, vor Hitze glühte. Es sah aber bloß so aus. Denn der glühende Ofen war mit bunten Farben an die Wand gemalt, genauso wie der dampfende Suppentopf, der auf ihm stand.
Woraus man deutlich ersehen kann, daß Zorntiegel wirklich ein Künstler und ein Genie war.
Zorntiegel trat an den gemalten Ofen heran und hielt seine etwas kaltgewordenen Hände darüber.
»Das tut gut«, sprach er, »wenn man ein bißchen friert. Wenn man Phantasie hat, braucht man keine Kohlen.«
Dann holte er sein Schnitzmesser, hob den Stuhl an den Tisch, setzte sich darauf und nahm das Stück Holz vor.