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Der Weg zog sich indessen doch mehr in die Länge, als Zäpfel Kern gedacht hatte. Aber nach Verlauf von drei Stunden kamen sie wirklich an eine Landesgrenze, die von einer großen Schar Bluthunde bewacht wurde, die gar nicht angenehm aussahen. Doch der Fuchs brauchte nur mit den Augen zu zwinkern, und die Zollsoldaten ließen die drei durch, nicht ohne jedem eine dicke Zollplombe angeheftet zu haben, der Katze und dem Fuchs an den Schwanz, Zäpfel Kern an die Nase.
»Das ist das Schlaraffenland?« fragte erstaunt das Kasperle.
»Jawohl!« antwortete kurz der Fuchs.
Zäpfel Kern hatte sich das Schlaraffenland ganz anders vorgestellt: Üppig, lustig, voll Scherz und Tanz und Schmauserei, ein Land der ewigen Kirmes und Heiterkeit. Statt dessen bot die Stadt, in die sie nun kamen, ein Bild des Jammers, der Armut, des bittersten Elends. Halb verhungerte Kaninchen und Hunde krochen bettelnd in den öden Straßen herum zwischen Hühnern und Gänsen, die vergeblich nach einem Körnchen, einem Grashalm suchten. Auch ein paar jämmerliche Fasanen waren zu sehen, aber ihre bunten Schweife waren ihnen ausgerissen. Desgleichen humpelten entsetzlich magere Pfauen die Straßen entlang, die kein Rad mehr schlagen konnten, weil auch sie keine Schwanzfedern mehr hatten. Dagegen fuhren in prächtigen Kutschen große Wölfe umher, auf deren Mützen die Fasanen- und Pfauenfedern prangten. Aber keiner dieser dicken Equipagenbesitzer hatte auch nur einen Blick für das arme Volk.
»Diese Stadt ist mir höchst unsympathisch«, meinte Zäpfel Kern, »machen wir, daß wir hinauskommen.«
»Gleich hinter ihr liegt das berühmte Feld!« sagte der Fuchs.
Und richtig, wie sie die Stadt hinter sich hatten, lag ein weiter, steiniger, kahler Acker vor ihnen.
»Gut gedüngt sieht das nicht aus«, meinte Zäpfel.
»Natürlich, weil gute Vorsätze ein unsichtbares Düngemittel sind und ihre Wirkungen mehr innerlich haben. Daß sie aber wirken, wirst du gleich merken, wenn du tust, wie ich dir gestern gesagt habe.«
Und Zäpfel Kern tat treulich nach des Fuchses Rezept: er grub zwei Löcher in die Erde, schön weit auseinander, damit die Zwanzigmarkbäume Platz hätten, sich auszubreiten, tat seine zwei letzten Goldstücke hinein, warf Erde darauf, streute Salz darüber, holte in seinem Zuckertütenhut Wasser, goß es darauf, wackelte ernsthaft wie ein Hexenmeister mit dem Kopf und sagte höchst feierlich:
»Erde und Salz! Wasser und Schmalz! Pinkus! Gold und Quark! Hunderttausend Mark!« |
»Halt!« rief der Fuchs. Jetzt mußt du sagen: Fünfzigtausend Mark!«
»Schade!« meinte Zäpfel, aber er wiederholte:
»Erde und Salz! Wasser und Schmalz! Pinkus! Gold und Quark! Fünfzigtausend Mark! Pinkus!« |
Dann fragte er, ganz rot vor Aufregung: »Und was muß ich jetzt tun?«
»Spazierengehen«, antwortete der Fuchs und rieb sich die Pfoten, »ein halbes Stündchen in der Stadt spazierengehen. Da wir dort Freunde haben, tun wir desgleichen. Doch haben wir nicht dieselbe Richtung. Wir müssen, rechts, du links!«
»Aber hoffentlich sehen wir uns doch wieder, wenn ich das Geld habe«, sagte Zäpfel Kern. »Ich möchte euch doch gerne was abgeben, als Dank für den guten Rat!«
»Du beleidigst uns!« sagte der Fuchs streng.
»Du hältst uns für gemeine Seelen!« miaute die Katze empört.«
»Wir gehören zu der leider aussterbenden Rasse der selbstlosen Wesen, die, was sie tun, aus gutem Herzen und nicht um eines Vorteils willen tun!« fügten beide mit frommem Augenaufschlag gleichzeitig hinzu und trotteten gemächlich ab, einem kleinen Wäldchen vor der Stadt zu.
Von weitem aber rief der Fuchs, indem er die Pfoten an den Mund legte: »Vergiß die Goldsäcke nicht!«
Und die Katze schrie: »Und die Ochsen!«
»Ochsen!« schallte es im Echo aus dem Wald,
»Ochsen! Ochsen! Ochsen!« klang es noch dreimal dorther.
Zäpfel Kern aber ging nachdenklich in die unsympathische Stadt zurück.
Er ging, da er keine Uhr besaß und seine Fünfzigtausend-Mark-Ernte um keinen Preis auch nur eine Minute zu spät beginnen wollte, auf den Marktplatz der Stadt, wo ein Uhrturm stand, und behielt die Uhr genau im Auge. Trotzdem sah er mancherlei, das sein Erstaunen erregte.
Zum Beispiel: Ein sehr böse aussehender Wolf packte mitten auf dem Marktplatz einen jungen Goldfasan, der noch seine Schwanzfedern hatte, am Genick und riß ihm die besten Federn aus. Der Fasan schrie fürchterlich, das Volk: Hühner, Gänse, Hunde, Kaninchen usw. lief zusammen und schrie gleichfalls. Da winkte der Wolf einen in der Nähe stehenden Polizisten herbei, eine entsetzlich aussehende Bulldogge.
Was? dachte Zäpfel Kern, der Räuber zeigt sich selber an?
Aber er hatte sich geirrt. Der Wolf knurrte: »Schaff' Er mir das Gesindel vom Leib. Es belästigt mich. Und steck' Er diesen unverschämten Fasan ein. Der Bursche wagte aufzumucken, weil ich mir kraft meines Rechts des Stärkeren eine an ihm befindliche Schmuckfeder angeeignet habe. Melde Er das Seiner Gestrengen, dem Herrn Staatsanwalt Schakal.«
Die Bulldogge nahm den kreischenden Fasan zwischen die Zähne und schleppte ihn davon. Zäpfel Kern wandte sich an einen Schäferhund, dem beinahe die Rippen durchs Fell stachen, so dürr war er, und fragte: »Entschuldigen Sie, Herr Schäferhund, geht das bei Ihnen immer so zu, daß der Beraubte eingesperrt wird und der Räuber mit seiner Beute unbehelligt davongeht?«
»Pscht! Pscht!« antwortete der Schäferhund, »nicht so laut! Wenn uns wer hörte! Räuber! Beraubte! Nicht doch! Der Herr Wolf hat nur sein Recht ausgeübt und der dumme Fasan hätte ihm dafür die Pfote küssen sollen. So bestimmt es das Gesetz in Hurrasien.«
»Das ist hier also nicht das Schlaraffenland?«
»Pfui! Wie können Sie nur so spotten! Sie befinden sich im Reiche Hurrasien, das unter der glorreichen Regierung Seiner Majestät des Kaisers Frißall wunderbar blüht und gedeiht, wie Sie sehen.«
»Ihnen sehe ich das nicht an, mein Lieber.«
»Natürlich nicht, ich bin auch kein Raubtier. Und Hurrasien ist der Raubtierstaat, in dem es nur auf das Gedeihen der adligen Raubtierrassen ankommt. Wir anderen sind zum Hungern da, damit die edlen Herren von Reißzahl und Klaue es erst recht angenehm merken, wie lieblich es ist, wenn man den Bauch voll hat.«
»Das ist aber doch gemein und niederträchtig!« rief Zäpfel empört aus.
Kaum hatte er dies gesagt, so drückte sich der Schäferhund scheu davon, wie wenn er fürchtete, durch die Nähe Zäpfel Kerns eine gefährliche Krankheit zu bekommen.
Indessen war der Zeiger an der Turmuhr soweit vorgerückt, daß es Zäpfel an der Zeit fand, auf das Feld zurückzukehren. Die Säcke und Ochsen gedachte er sich später für einige seiner Goldstücke einzuhandeln.
Je näher er dem Feld kam, um so heftiger arbeitete seine Phantasie.
»Wer weiß«, sagte er zu sich selber, »ob heuer nicht ein besonders gutes Jahr für Zwanzigmarkstücke ist! Dann könnte es vielleicht doch sein, daß ich statt fünfzigtausend Mark sechzigtausend Mark ernte oder gar siebzigtausend Mark? Ach, es könnten sogar achtzigtausend, ja hunderttausend Mark sein! Die Witterung ist, wie mir scheint, sehr günstig für das Gedeihen von Zwanzigmarkstücken... Hm! ja!... Und was fange ich dann mit dem vielen Geld an? Natürlich, zuerst des Meisters Rock! Das versteht sich. Und fürs Schwesterchen lasse ich mich photographieren, denn sonst hat sie alles. Für mich aber? Ein kleines Auto? Natürlich! Und ein lenkbares Luftschiff! und eine Bibliothek! Aber in den Büchern statt der Blätter lauter Kuchen und Bonbons!«
Unter diesen angenehmen Vorstellungen war er auf dem Feld angekommen, und nun sah er sich sogleich nach seinen Nußbäumen um. Da er mit bloßem Auge keine erblickte, so legte er die Hände wie ein Fernrohr an die Augen, aber auch auf diese verschmitzte Weise wollte es ihm nicht gelingen, einen Nußbaum zu entdecken.
»Vielleicht bin ich zu früh daran, und sie sind noch ganz klein«, sagte er sich und rannte zu der Stelle, wo er die Zwanzigmarkstücke versteckt hatte. – Aber es war noch nicht das geringste Triebchen sichtbar.
»Hm!« machte er und kraute sich hinter den Ohren, obwohl er wußte, daß das nicht anständig ist.
Da hörte er deutlich lachen: »Hihihihihihihi!«, drehte sich um und sah hinter sich auf einem Galgen einen Papagei sitzen.
»Lach nicht so dumm!« schrie er den Papagei an. »Du hast gerade Ursache, du mit deinen paar struppigen Federn.«
»Immer noch mehr als du!« kicherte der Papagei.
»Das werden wir gleich sehen!« entgegnete das Kasperle, lief zum Brunnen, holte eine Handvoll Wasser und begoß nochmals seine Zwanzigmarkstücke.
»Hihihi! Hilft alles ni-ni-ni-nix!« lachte wieder der freche Vogel.
»Wieso?«
»Geld wächst nicht von Wasser, sondern von Schweiß.«
»Was heißt das?«
»Das heißt: Geld will verdient sein.
Wer ohne Mühe will Geld gewinnen, Verfällt oft Schwindlern und Schwindlerinnen, Kriegt nix dazu, verliert, was er hat. Hihihihihi!, die Rechnung ist glatt.« |
Zäpfel Kern wurde von einer schrecklichen Ahnung erfaßt. Er stotterte: »De... de... denkst du am E... E... Ende, mein Ge... Ge... Geld ist fu..... fu... futsch?«
»Ich würde sagen, daß es beim Kuckuck wäre, wenn ich nicht wüßte, daß es beim Fuchs und bei der Katze ist.«
Zäpfel Kern bekam wieder einmal Krebsaugen, stürzte sich mit seiner ganzen Länge auf die Erde, grub zwei Löcher, groß genug, zwei Esel zu begraben und sich dazu, fand aber nichts als einen Zettel, den sich das dumme Kasperle von dem gescheiten Papagei vorlesen lassen mußte, weil es selber ja immer noch nicht lesen konnte:
»Von Seiner Durchlaucht dem Prinzen Schafszipfel Zäpfel Kern 40 Mark bar und richtig als
Dummheitssteuer
und Belehrung für eifrig geleistete Arbeit in der Schenke ›Zum gespickten Heuschreck‹ sowie als Honorar für den Unterricht im Zappeln am Eichenbaume empfangen zu haben bestätigen hiermit bestens dankend und mit der Bitte um weitere Beschäftigung
Alopex Opex Pix Pax Pux Fuchs Freiherr von Gänseklein auf Hühnersteig
Miaula Gräfin Mietsinsky auf und zu Dachhausen
Am 1. Ochstober des Jahres, in dem das dümmste Kasperle Europas auf die Welt gekommen ist.«
»Oh, diese Schurken«, rief Zäpfel Kern aus und rannte mit dem Zettel in die Stadt, keinen andern Gedanken im Kopf als den, sein Recht beim Richter zu suchen.
Ein düsteres schwarzes, von Bulldoggen bewachtes Gebäude wurde ihm als das Reichsgericht von Hurrasien bezeichnet.
»Was will Er?« bellte ihn eine zähnefletschende Bulldogge an.
»Mein Recht!« rief Zäpfel.
»Worum handelt es sich?«
»Um Raub, Betrug, Diebstahl, Schurkerei und Schufterei –«
»Das ist das Ressort des Obertribunalrats Gorilla. Drei Treppen links, Zimmer 7896.«
Zäpfel fiel mehr die Treppen hinauf, als er sie hinaufstieg. Am Zimmer 7896 klopfte er an.
»Herein!« schrie eine heisere Stimme.
Zäpfel Kern, noch ganz keuchend, trat ein. Das, was er erblickte, war nicht geeignet, ihm Vertrauen einzuflößen. Auf einem Tisch, der ganz mit abgenagten Knochen und unzähligen Büchern bedeckt war, saß in einem ungeheuren Tintenfaß ein kolossaler rotzottiger und entgegen aller Naturgeschichte langschwänziger Gorilla, der mit seinem buschigen Schwanz emsig schrieb. Auf dem Kopf hatte er ein schwarzes Barett, vor den triefenden Augen eine goldene Brille ohne Gläser.
»Was will Er?« kreischte ihn der Gorilla an.
»Mein Recht!« rief Zäpfel und legte den Zettel auf den Tisch.
»Warum nimmt Er sich's nicht?«
»Ich bin beraubt, bestohlen, betrogen, hintergangen!«
»Bravo!«
»Mein Vertrauen ist auf scheußliche Weise von Baron Alopex und Gräfin Mietsinsky getäuscht worden.«
Der Gorilla nahm respektvoll sein Barett ab und sprach: »Ehre, wem Ehre gebührt! Preise Er sich glücklich, so vornehmen Leuten Gelegenheit gegeben zu haben, ihren Witz zu zeigen.«
»Was? Glücklich preisen soll ich mich? Ich verlange, daß die Schurken bestraft werden.«
»Einen Monat!« rief der Gorilla, tunkte seinen Schwanz in die Tinte und machte eine Notiz.
»Ich verlange, daß die Elenden gehängt werden.«
»Zwei Monate!« rief der Gorilla und tat wie vorhin.
»Und mein Geld will ich wiederhaben!«
»Einen Monat!« rief der Gorilla, machte nochmals eine Schwanznotiz und sprach dann: »Noch was?«
»Weiter verlange ich nichts«, entgegnete Zäpfel Kern.
»Macht also zusammen vier Monate«, sagte der Gorilla, drückte auf einen Knopf und befahl zwei darauf eintretenden Bulldoggen: »Fesselt diesen Verbrecher und werft ihn ins Loch! Ich diktiere ihm vier Monate strengen Kerker zu wegen Ausstoßung gröblicher Schimpfnamen und Beleidigungen gegen zwei Edelleute sowie wegen unverschämten Begehrens, gerichtet auf Zurückerstattung einer Summe, die ihm rechtmäßig abgenommen worden ist. Im Namen Seiner Majestät Frißall! Punktum! Streusand drauf!«
Zäpfel Kern wollte protestieren, aber die Bulldoggen machten kurzen Prozeß und schnitten ihm das Wort ab, indem sie ihm einen faustgroßen Knebel in den Mund steckten. Dann führten sie ihn in einen unterirdischen Kerker, in dem er das Vergnügen hatte, vier Monate bei faulem Wasser und schimmligem Brot in Gesellschaft von Skorpionen, Spinnen, Tausendfüßlern und zwei ebenso dicken wie übelriechenden Ratten zuzubringen.
Nach genau vier Monaten (auch um keinen Tag weniger) erhielt Zäpfel Kern einen Tritt auf den Teil des Körpers, den er jetzt am meisten benutzt hatte, und einen Ausweisungsbefehl aus dem Land Hurrasien. Darüber war er gar nicht böse, denn dieses Land war ihm schon recht zuwider, und mit einem wahren Vergnügen ließ er sich die Zollplombe von der Nase abnehmen.
Wie immer, wenn er etwas Unangenehmes überstanden hatte, war er jetzt von guten Vorsätzen angefüllt, daß es ihm ganz schwer davon im Magen war. Nichtsdestoweniger lief er schnell und munter des Wegs dahin, der ihn nach seiner Meinung nach dem Schloß der Fee führen mußte.
Da es offenbar monatelang geregnet hatte, war dieser Weg fußhoch mit Schlamm bedeckt. Aber was macht das einem Kasperle in Holzrindenschuhen?
Spaß machte es ihm. Je mehr der Schlamm um ihn herumspritzte, desto tiefer patschte er hinein und sang dazu:
»Jetzt geht's zu meinem Schwesterlein, hurra! Nun will ich immer artig sein, hurra! Und hab' ich auch kein Geld im Sack, Mein Herz geht dennoch ticketack. Froh sein wird mein Meister, ja, Den ich so lang nicht sah. Hurra! Hurra! Hurra!« |
Aber das letzte Hurra blieb ihm im Halse stecken, als er plötzlich dicht vor sich mitten auf der Straße eine ungeheure Schlange liegen sah, die durchaus nicht Miene machte, ihm Platz zu machen. Mit einem seiner berühmten Kasperlesprünge machte er einen Satz von drei Metern nach rückwärts.