Otto Julius Bierbaum
Studentenbeichten
Otto Julius Bierbaum

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Die falsche Kindbetterin

Die alten Herren sind auch einmal jung gewesen.

Manche verstellen sich zwar und thun so, als wären sie schon als Großväter auf die Welt gekommen, kühl und weise und gemessen, aber sie haben die schönen Geschichten, die das Gegenteil beweisen könnten, wahrscheinlich nur vergessen. Andere, die ein lustigeres Gedächtnis haben, machen keinen Hehl daraus, daß es eine Zeit gegeben hat, wo ihnen die Mütze im Nacken saß und das Herz gewaltig hinter allerlei Mädchen herschlug. Mit solchen ist es lustig und lehrreich zu plaudern.

Ich kannte einen alten Herrn dieser fröhlich aufrichtigen Art, als ich in München mit den »Modernen« zusammen feurige Reden wider die verächtliche Welt schwang, die Paul Heyse liest, und gleichzeitig für anderen Lesestoff sorgte, indem ich verwegene Gedichte und Novellen von mir gab. Dieser alte Herr hielt zu uns Jungen, obgleich er ein königlich bayerischer Oberlandesgerichtsrat a. D. war. Er fand, wir seien gar nicht so schlimm, wie man uns nähme, und vielleicht nicht einmal so schlimm, wie wir uns gaben. Ja er meinte sogar, seine Generation sein ein gut Teil schlimmer gewesen, als wir, und er pflegte hinzuzufügen: Gott lob!

Er meinte nämlich, eine gewisse Portion Untugend sei direkt ein jugendliches Reservatrecht, und wie er, der im übrigen kein Partikularist war, es nicht wünschte, daß das bayerische Wesen allzuviel norddeutschen Drill annähme, so wollte er auch nicht, daß die Jugend gleich so vollkommen reputierlich wäre, wie das Alter.

– Jugend soll drauflos gehen und ihre Lust haben! war sein Wort, deshalb soll sie freilich nicht ausschweifen, denn das ist recht eigentlich wider den Geist einer gesunden Jugend. Überschäumen – ja! Aber nicht auslaufen! Eine Jugend, die der reifen Mannheit nichts übrig läßt, zeigt erkrankte Instinkte. Sie ist ein Strohfeuer, das wer weiß wie wild aussieht, und hinter dem doch nichts steckt, als frühe Dürre. Den Saft erhalten, junge Leute! Nicht so schnell Glatzen kriegen! Lebfrisch bleiben und uns Alten ein fröhlicher Anblick! Dann wird euch kein Verständiger sauer ansehen, wenn ihrs auch mal ein bischen toll treibt!

Im alten Hofbräuhaus oben im »Offiziersverein« haben wir manchmal zusammengesessen, und ich habe ihm immer mit der gleichen Lust zugehört. Er konnte so nett erzählen, ein bischen im altmodischen Stile, so eine Spur kalenderhaft-behaglich; mir gefiel das außerordentlich. Oft habe ich ihm gesagt: Aber das müssen Sie schreiben! Das ist ja eine Novelle! Genau so wie Sies erzählen, sollten Sies schreiben, nichts dazu und nichts davon, und es wäre köstlich!

Aber davon wollte er nichts wissen:

– Erzählen, – ja; schreiben, – nein. Nicht etwa, weil ich dächte, es lohnte sich nicht, oder es gehörte sich nicht für mich, sondern ganz einfach: Ich kanns nicht. Ich habs nämlich früher schon ein paar mal versucht, aber erstens ist mirs sehr sauer geworden, und dann hat mirs schließlich nicht einmal gefallen, wie ichs gelesen habe. War alles so steifbeinig und mühsam, wie mit Reißzwecken aufgenagelt, kalt und kahl; mit einem Worte: man mußte merken, daß der Mann, der das geschrieben hatte, nicht vom Handwerk derer war, die mit Kunst erzählen. Ich weiß auch nicht, wie das kommt, aber es ist nun so: Sobald ich die Feder in die Hand nehme, krieg ich den Juristenstil und verliere alle Laune. Und überdies: Ihr schreibt ja gerade genug; da soll unsereins nicht auch noch mitthun wollen.

Trotzdem glaube ich, daß er die Geschichte, die ich jetzt versuchen will, ihm nachzuerzählen, sehr viel besser geschrieben hätte, als ich es vermag, der ich die Zeit, in der sie spielt, nicht miterlebt habe. Ich will mir alle Mühe geben, wenigstens den Ton zu treffen, in dem er sie mir erzählt hat, und ich hoffe, daß er mir kein zu gestrenger Kritiker sein wird, wenn sie ihm oben in seinem »Juristenhimmel« zu Gesichte kommen sollte, wohin er leider vor ein paar Jahren abgegangen ist.

 

Wir waren auf dem Wege zum Hofbräuhause einem Herrn begegnet, an dem mir eine überaus starke Ähnlichkeit mit einem Altersgenossen und Freunde meines Begleiters aufgefallen war: mit dem alten knurrigen Professor Störzer. Dieser alte Herr, der nun auch tot ist, war der direkte Gegensatz zu dem Oberlandesgerichtsrat. Er mochte die Jugend gar nicht und am allerwenigsten uns, die er einen »geistlosen Aufguß des jungen Deutschland« nannte und gerne mit dem zornigen Langzeiler, ich weiß nicht, welches römischen Poeten, regalierte, der, wenn ich ihn recht behalten habe, also lautet: Proveniebant oratores novi stulti adolescentuli.

Er zeigte sich trotzdem manchmal an unserm Tisch, aber es gab dann immer Streit und Unerquicklichkeit. Denn zu allem übrigen kam auch noch, daß er, der alte Hagestolz, ein eingefressener Weiberfeind war, der es durchaus nicht verwinden konnte, wenn Einer von uns sich mannhaft als Gegner des Wortes bekannte: Das Weib ist bitter. Zumal für erotische Lyrik hatte er nur das eine Wort: Larifari! Und wir waren doch alle so ungemein erotische Lyriker.

Also diesem alten Weiberfeinde und Professor sah der Herr auffällig ähnlich, der uns begegnete, als wir zum Hofbräuhaus wandelten. Nur mochte er nicht wie dieser schon über die siebzig, sondern etwa fünfzig sein. Er grüßte meinen Begleiter, und ich fragte diesen deshalb: Ist das ein Verwandter vom Professor Störzer?

Der Oberlandesgerichtsrat lächelte sonderbar und sagte blos: Oh ja, sehr.

– Wieso? fragte ich weiter.

– Das ist eine kleine Geschichte, die ich Ihnen gleich nachher erzählen will, wenn nicht etwa der Professor oben ist. Denn Sie wissen ja: Der liebt die erotischen Geschichten nicht.

Wir fanden unsern Tisch leer und blieben den Abend über allein. Der Oberlandesgerichtsrat gab erst sein Urteil über das Bier ab, dann fing er gleich zu erzählen an:

Sehen Sie, das ist auch so eine Geschichte, aus der Sie ersehen können, daß Sie die Liebe und den Leichtsinn nicht erfunden haben, und daß vor Ihnen auch schon Leute da waren, die an der Quelle lagen und tranken. Seien Sie also künftig nicht unbescheiden und thun Sie fürder in Ihren Novellen nicht so, als wären Sie die Entdecker des gelobten Landes.

Nun warten Sie mal; wie fang ichs an, daß ich Ihre gute Meinung von meinem novellistischen Talente nicht lügen strafe! Ich kann schon gar nicht mehr gemütlich erzählen, seitdem Sie mich zum Dichter gekrönt haben. Das ist wirklich unbequem; ich fange schon an, zu disponieren und zu komponieren. Alte Leute muß man nicht eitel machen. Das ist schonungslos.

Also lassen Sie mich denn dichten! Das heißt, nota bene, Sie dürfen Gift darauf nehmen: Das Leben hats vorgedichtet. So was fällt blos dem Leben ein. Warten Sie, ja wann war es doch . . . richtig: 1847. Da kam er von der Schule in Bamberg und zog nach München, dort Philologie und Geschichte zu studieren. Er war ein verteufelt hübscher Junge, und noch nicht neunzehn alt, hochaufgeschossen, sehnig, stramm, – heute würde man schneidig sagen. Aber doch sah er anders aus, als die, die heute schneidig aussehen wollen.

In parenthesi: Wir sahen damals wirklich hübscher aus, als ihr heute. Wir hatten ein anderes Ideal von Männlichkeit. Wir wollten nicht wie Leutnants aussehen, sondern eher wie . . . aber das ist nicht leicht zu sagen . . . uns schwebte so was vor wie Freiheitsdichter, Volkstribun, – na kurzum irgend etwas Ideales, Deutsches, mit langen Haaren und schwärmerisch kühnen Augen.

Hans Störzer kam diesem Ideal sehr nahe, und noch heute denke ich mit Lust daran, wie schön er aussah mit seiner langen blonden Mähne à la Chamisso, die ihm bis über den hohen Rockkragen wegfiel, seiner scharfen Nase, seinen großen, natürlich unbezwickerten Augen und dem feinen Mund mit dem bischen Schnurrbart darüber. So wie er aussah, hätten wir Alle aussehen mögen, schon der Mädchen halber, die ihm in einer Weise nachliefen, daß wir es schamlos finden mußten.

Wiederum in parenthesi: Unsre münchener Mädchen von damals, wohlverstanden: die guten Bürgersmädchen, waren, so will mirs scheinen, von einem verliebteren Schlage, als die heutigen, ganz abgesehen davon, daß sie viel hübscher waren. Ich glaube: die Rasse war noch reiner, die Dingerchen waren bayerischer, runder, lustiger, und, wenn auch ein braves Teilchen Schwärmerei und Romantik in ihnen steckte, so war das doch keine Verstiegenheit ins Kalte und Nebulose, sondern vielmehr eine Promenade ins Schäferliche, wo das alte gefällige Lied durch die heimlichen Büsche klingt:

Was kann man denn dawider,
Wenn man nun einmal muß.

Wer die Welt blos als moralische Anstalt betrachtet, wird dagegen seine Einwendungen haben, aber es giebt ja auch andere Standpunkte, und, was uns damals betraf, so standen wir auf denen und fühlten uns recht wohl dabei. Ich kann mich nicht erinnern, daß irgend Einer von uns jemals mit einem käuflichen Frauenzimmer zu thun gehabt hätte. Wir hätten das als Geschmacksverirrung, oder aber als Beweis dafür betrachtet, daß er nicht imstande war, mit honetten Mädchen umzugehn.

Hans Störzer aber war direkt ein Meister in dieser angenehmen Kunst, und er hatte es noch viel weniger als irgend ein anderer von uns nötig, die Liebe von ihrer unsaubersten Seite sehen zu müssen. Er war in einer Weise Hahn im Korbe, daß wir uns nicht gewundert hätten, wenn die Rede gegangen wäre, daß sich Prinzessinnen um ihn zankten.

Er hatte aber auch wirklich alles, was den Mädchen damals gefiel. Nicht allein, daß er ein schöner, aufrechter Bursche war, dem man auf zehn Schritte unverdorbene Lebenskraft ansah, er war auch bald bekannt und bewundert als ein Kerl, der reiten, tanzen und fechten konnte, wie kaum ein anderer. Dies aber, ohne darum in den Ruf eines Krafthubers zu kommen; denn ebenso bekannt war es, daß ein Stück Poet in ihm steckte. Die Mädchen, die ihn auf dem Reitfelde, das nun zum Maximiliansplatz geworden ist, seinen Rappen tummeln sahen, wußten zugleich, daß er auch den Pegasus zu zügeln wußte, und seine Auslage auf dem Fechtboden war nicht eleganter, als die zierliche Form seiner Sonette und Terzinen.

Nur eines war bedenklich an ihm: er war in der Liebe nicht so beständig wie im Fechten und Reiten. Den schönen hohen Rappen Maxl hatte er semesterlang, aber bei einem Mädchen hielt ers nicht lange aus.

Das Nannerl ist nett,
Das sieht wohl ein Jeder,
Aber die Babett,
Die ist auch nicht von Leder.

Richtig verliebt war er wohl eigentlich nie dabei; die Liebe war für ihn auch blos so eine Art Kraftübung, – ihr würdet heute Sport sagen. Daß er darin den höchsten Rekord hatte, that ihm wohl; daß ein paar liebe Dinger darum Herzweh leiden mußten, berührte ihn wenig. Übrigens glaube ich auch nicht, daß das Herzweh im allgemeinen sehr groß war. Hans gehörte zu jener Art verführerischer Jungen, in die sich die Mädchen gern schnell, aber nicht tief verlieben. Sie merken es ihnen gleich an, daß es sich bei ihnen immer blos um Durchgangsstationen der Liebe handeln kann, und gerade das ist für viele ein Reiz mehr. Diese Art Don Juans (d. h. diesen Ausdruck möcht ich gleich wieder zurücknehmen, denn er giebt ein falsches Bild) ist im Grunde nicht sehr gefährlich. Herzbrüche giebts da selten, weil eben das Herz nur selten dabei ist.

Das hindert nicht, daß manchmal etwas passiert, das übel ausläuft. Und so was bildet den Inhalt der Geschichte, die ich nun erzählen will. Sie gehört zur Gattung der Tragikomödien.

Bei ihr muß ich nun aber wirklich den Novellisten spielen und alle Parenthesen beiseite lassen, sonst kommen Sie aus dem protestierenden Kopfschütteln gar nimmer heraus, und mein Renommé auf dem neuen Parnaß ist beim Teufel. Aber warten wir auf Kathi mit der neuen Maaß! . . . Also nun!

Die Mädchen sollen zuerst vorgestellt sein. Marie hieß die älteste, war dreiundzwanzig Jahre und brünett; dann kam die Elies; die war zweiundzwanzig und schwarz; aber die jüngste hieß Cenzi und war blond und neunzehn. Hübsch waren alle dreie, und ihr Vater war Professor an der Ludovico-Maximiliana. Er las Geschichte, ganz alte Geschichte; was nicht mindestens altassyrisch war, interessirte ihn garnicht. Trotzdem war sein Haus in der Theatinerstraße lustig und von den Studenten gerne besucht. Das kam natürlich in erster Linie von den Töchtern, aber die Frau Professorin hatte auch ihr gut Teil Verdienst daran. Denn sie war so eine wichtige, lustige, gemütliche, launige Altmünchnerin, der man die zweiundvierzig durchaus nicht ansah, die sie auf ihrem rundlichen Rücken hatte.

Bei Frauen wird Humor selten gefunden; sie hatte welchen; d. h. ich meine hier Humor in dem umfassenden Sinne, wo das Wort Weltanschauung und Lebensdirektive bedeutet. Bei ihr speziell sah dieser Humor so aus: sie nahm die Welt wie sie gebacken ist, seelenruhig und heiter gelassen hin, ohne auch nur im mindesten daran zu denken, wie dies oder das wohl anders sein sollte, möchte oder könnte. Sie sah in der Hauptsache nur das Gute und Ersprießliche im Leben; kams aber mal bös und grob, so wußte sies schnell und ohne viel Aufregung so zu drehen, daß sie und ihr Haus nach Möglichkeit gut aus der Affaire kam. Es gab schlechterdings keine Überraschung für sie. Ein häufiger Spruch von ihr war: Dem Leben ist alles zuzutrauen; darum muß man sich nie aus dem Konzept bringen lassen. Immer, wenn sie ausging, trug sie einen umfangreichen Regenschirm bei sich, und wenn man sie dann auf den völlig wolkenlosen Himmel aufmerksam machte, antwortete sie: Der Himmel ist imstande und regnet ohne Wolken; hab ich mein Regendachl, brauch' ich mich um den Himmel nicht zu kümmern.

Etwas ganz exemplarisch schönes war ihr Verhältnis zu den drei Töchtern. Ich habe derlei nie wieder gesehen. Sie stand zu ihnen wie eine ältere Freundin, vor der es kein Geheimnis geben konnte, weil es ganz unmöglich schien, ihr etwas zu verschweigen; denn ihr Urteil, ihr Spruch war zu allem nötig. Dabei hatte dieses Verhältnis aber nichts Laxes; sie stand vielmehr in sehr großem Respekt bei den Dreien, nur, daß dieser Respekt auch nicht den geringsten Schein von Angst, von Entferntheit in irgend einem Punkte hatte. Es war einfach dies: die Mädchen fühlten nicht blos die unmittelbarste und innigste Liebe zu ihr, als der Mutter, sondern sie hatten auch die klare Empfindung, daß diese eine besondere, überlegene Frau war, so wenig sie das äußere Wesen davon an den Tag legte. So war Liebe und Respekt in Einem da, und beides war reines Naturprodukt, nicht Katechismusresultat oder sonstwie Pfropfwerk.

Ähnlich war das Verhältnis der beiden Alten zu einander, nur daß der gute Professor doch auch ein klein wenig von seinen eigenen Qualitäten überzeugt war, sodaß das Gefühl irgendwelcher Inferiorität glücklich vermieden blieb.

In dieses Haus nun, wo es viel fröhliche Abende mit Musik und Gesang und recht oft auch Tanz gab, ließ sich Hans Störzer sehr gerne einführen. Zu keinem anderen Zwecke als eben diesem hatte er ja bei dem Professor ein Kolleg über assyrische Geschichtsquellen belegt, die ihm im übrigen so gleichgültig waren, wie einem Mediziner das kanonische Recht.

Hans verkehrte sonst nicht gerne in Familien, denn das stimmte nicht zu seinen Anschauungen von freier Burschenherrlichkeit. Er hatte es ja auch nicht nötig; die Mädchen legten im allgemeinen weniger Wert auf seine Besuche in ihren Häusern, als auf ihre in seinem. Das war eben das angenehm Unverbindliche in diesen Verhältnissen mit dem gepriesenen schönen Haus.

Nun aber war es ihm einmal ergangen wie dem Mohammed, und er hatte sich wie dieser schnell entschlossen gesagt: Kommt der Berg nicht zum Propheten, so muß eben der Prophet zum Berge kommen; der Effekt ist ja der gleiche.

Und in der That, es kam, wie er gewünscht und ohne weiteres angenommen hatte: alle drei Mädchen verliebten sich in ihn.

Die erste, die das merkte, war die Mutter. Eine gute Menschenkennerin, die sie war, erkannte sie sogleich, daß das keine Sache von bedenklicher Tiefe war, und so dachte sie sich: mögen sie sich immerhin ein bischen abraufen die dreie um den hübschen Jungen. Wärs blos eine, so wärs bedenklich; nuns aber alle dreie sind, wird eine der andern aufpassen, und so wirds ohne schlimme Streiche vorbeigehen. Auch rechnete sie wie mit einem absolut sicheren Faktor darauf, daß eine nach der andern zu ihr kommen werde, Rat und Spruch einzuholen. Einstweilen hielt sie es für ein genügendes Präventiv, wenn sie mit ein bischen mehr Ernst als sonst den Finger erhöbe und vor diesem Allerweltshans warnte, hinter dessen Sporen- und Sonettgeklingel die gesammte Gänseherde Münchens einherschnatterte.

Es ist eigentlich sonderbar, daß die kluge Frau Professorin, die sonst auch das scheinbar Unmögliche immer mit in Rechnung zog, in diesem Falle blos an das Wahrscheinliche dachte. In der Liebe aber, das hätte sie bedenken müssen, geht es immer unwahrscheinlich zu. Daß sie das übersah, und vor allem, daß sie nicht an die Heimlichkeit als wesentliches Ingredienz verliebter Abenteuer dachte, war verhängnisvoll.

Das Unwahrscheinliche, das sich begab, war dies: die drei Schwestern waren ohne jede Eifersucht aufeinander und vergötterten ihren Hans gemeinschaftlich. Und eben, weil dies so gemeinschaftlich geschah, dachten sie nicht daran, sich der Mutter zu offenbaren. Eine alleine hätte es am Ende nicht gewagt, vor ihr ein Geheimnis zu haben, aber alle drei zusammen, das ergab so eine Art Komplottstimmung, in der die erste Pflicht ist: du sollst deinen Kameraden nicht angeben.

So geschah es, daß sich die Mutter, die nur immer darauf achtete, daß die Mädchen nicht einzeln aus dem Hause kamen, ganz sicher fühlte und nichts übles ahnte. Sie hielt es nicht mal mehr für nötig, zu warnen, oder die drei auch nur mit dem schönen Hans zu necken. Als dieser dann auch bald aus dem Hause wegblieb, dachte sie mit Genugthuung für sich: hier haben seine Reit- und Reimkünste einmal versagt.

Mittlerweile aber hatte der schöne Hans ruhig unermüdet und vergnüglich mit drei Werken gemahlen. Dieses Abenteuer in triplo war wirklich die Krone seiner Liebessiege. Derlei war außer ihm sicher noch keinem gelungen. Er stieg damals mit einer richtigen Triumphatorenmine einher. Eben hatte er die Entdeckung gemacht, daß sich mit den drei Namen der Schwestern zusammen ein wunderhübsches Anagramm-Sonett prägen ließe (er brauchte nur bei Elies das e weg zu lassen), da raubte ihm eine Eröffnung, die ihm Marie als die älteste machte, alle Lust an Reimspielen und jedes Triumphgefühl.

Sie trat ganz ruhig vor ihm hin und sagte ihm: Du mußt Cenzi heiraten; thust Du das nicht, so bist Du ein schlechter Mensch.

Auch ohne Kommentar merkte er, was hier in der Mühle verschüttet war, und er machte das übliche betroffene Gesicht dazu. Aber zum Heiraten mochte er sich nicht verstehen. Nein, das ging doch einfach nicht. Seine Jugend, sein Studium, seine Eltern . . . . es war ja alles ganz richtig. Marie erkannte die schöne Seele des schönen Hans sogleich und legte sich keinen Augenblick aufs Bitten. Sie eröffnete ihm nur noch, daß sie sich, nachdem er für sie nicht mehr in Betracht käme, nun an die wenden müßten, an die sie leider und zu ihrem Unheile die ganze Zeit nicht gedacht hätten, an ihre Mutter. Das war dem schönen Hans über die Maaßen unangenehm zu hören, und er bat, so gut er bitten konnte, man möge damit doch um Gotteswillen noch eine Weile warten (nämlich, bis er in die Ferien ausgekniffen wäre, um im nächsten Semester nach Würzburg zu gehen; denn er fürchtete sich schrecklich vor der Frau Professorin), aber Marie sah ihn blos groß und verächtlich an und ging.

Erst gabs wohl noch ein großes Weinen der dreie, wobei Cenzi viel und leidenschaftlich umarmt wurde, dann traten Marie und Elies vor die Mutter hin und bekannten.

Ich bin ja nicht dabei gewesen bei dieser Szene, und mir hat auch niemand darüber berichtet, aber ich bilde mir ein, genau zu wissen, wie sich die Frau Professorin dabei benommen hat. Geweint hat sie gewiß nicht und gewiß auch nicht gezetert, aber dennoch werden die unberatenen Kinder etwas von einem Ernst und einer Anklage gespürt haben, das ihnen, wenn Strafe überhaupt noch not war, Strafe genug gewesen ist.

Das liebe Publikum, das in solchen Fällen ein so dankbares Publikum ist, wie sonst nur selten, hat aber garnichts davon zu merken gekriegt, daß es in diesem lustigen Hause eine so ernste Szene gegeben hat.

Dafür hat es drei Monate später um so mehr Feuer erhalten, die Köpfe erstaunt zusammenzustecken und zu tuscheln: Sagen Sie, ist Ihnen nicht auch was aufgefallen an der Frau Professor Ferner, oder kommt es blos mir so vor? Es ist ja kaum glaublich in dem Alter, aber . . . . die Zunahme an Umfang . . . . Wie?

Nach noch einmal drei Monate wurde schon nicht mehr gefragt, und es gab nur ein Kopfgeschüttel mit Anspielungen auf das späte Glück der alten Sarah.

Ein merkwürdig ernstes Gesicht hatte der Professor aufgesteckt, und seine Kollegen, die gerne witzig gratuliert hätten, merkten bald, daß das hier deplaziert wäre. Es ist ja auch nicht gerade angenehm, meinten sie unter sich, in dem Alter nochmal zur Kindstaufe bitten zu müssen. Und noch dazu bei drei erwachsenen Töchtern. Ganz gescheidt, daß sie die aus dem Hause geschickt haben. Peinlich so was.

Erst wie der Frau Professorin die Wochenstube gerüstet war, hieß es: Die drei Mädchen sind wieder da; nun, an sorgsamer Pflege wird es der späten Wöchnerin jetzt nicht fehlen; hoffen wir, daß alles gut vorüber gehen wird; es ist doch eigentlich kein Glück so was . . . . . Und nun hat auch noch die Jüngste, die Cenzi, krank werden müssen! Es muß halt immer alles zusammen kommen. Der arme Ferner steckt jetzt in keiner guten Haut. Er sieht aber auch danach aus.

So war viel Mitgefühl unter den erstaunten Leuten da, und die Wochenstube wäre gewiß von sorglich teilnehmenden Gevatterinnen nicht leer geworden, wenn nicht Professor Thalhammer, der damals berühmteste Geburtshelfer in München, der als ältester und intimster Freund des alten Ferner natürlich die Wochenpflege und später die Entbindung auf sich genommen hatte, ernst erklärt hätte: Die Wöchnerin darf durchaus niemand bei sich empfangen.

Was nun folgt, braucht nicht erzählt zu werden. Die List der Frau Professor war geglückt, der Ruf der kleinen Cenzi war gerettet, der schöne Hans rieb sich in Würzburg die Hände.

Aber . . . aber . . . Sehen Sie: eigentlich ist die Sache doch nicht ohne komische Züge, und der alte Boccaz hätte sie wohl als lustiges Abenteuer erzählt und erzählen dürfen, aber ich habs nicht gekonnt, so gerne ichs gemocht hätte. Denn in den Einzelheiten schwebt mir diese Geschichte immer wie ein ausgelassenes Fastnachtsspiel vor; komm ich aber hinein, muß ich ernst werden. Ja, wenn alle Menschen vom Schlage dieser lieben resoluten falschen Kindbetterin waren, dann ginge wohl auch heute so was leichter dahin. . . . Die gute Frau Professorin hat sich alle redliche Mühe gegeben, nach ihrer Weise auch diesmal das Unabänderliche so in das Leben ihres Hauses einzufügen, daß es nichts an dessen Harmonie und Heiterkeit änderte, aber es ist ihr nicht gelungen.

Die arme Cenzi hats im Hause nicht geduldet. Sie ist irgendwo Schulschwester geworden und im weißen Kleide der Dominikanerinnen bald gestorben. Und auch Marie und Elies habens nicht verwunden. Sie blieben unverheiratet im Hause und zogen den kleinen Peter auf, der bald nach dem Tode seiner wirklichen Mutter auch die vorgeschobene verloren hat.

Was aber aus dem schönen Hans geworden ist, wissen Sie. Er hat bald aufgehört, sich zufrieden die Hände zu reiben. Sehen Sie, an ihm hat sich das gerächt, wovor ich die jungen Leute immer warne: das maßlose Aufgehen in der Ausschweifung und der herzlose Mißbrauch in der Liebe.

Was sich an der armen kleinen Cenzi und ihrer Familie erfüllt hat, das ist schließlich die Schuld einer engbrüstigen Moral, die selbst so aufrechte, prächtige Menschen wie diese Frau Professorin zwingt, gefährliche Komödien zu spielen, die nun ihrerseits eben deshalb nicht gut und klar ausgehen können, weil sie bei all den guten Absichten, die ihnen zu Grunde liegen, doch mit den infamen Mitteln dieser Moral: mit Verheimlichung, Lüge arbeiten müssen.

Was sich aber am schönen Hans erfüllt hat, das ist eigene Schuld; er hat seinen Lohn dahin, weil er wider die wahre Sexualmoral gesündigt hat, als welche aus der Natur selber und aus dem Pflichtkodex des Kulturmenschen stammt. Er hat unmoralisch gehandelt, indem er ohne Maaß und ohne Liebe frivol mit einem Triebe spielte, der ohne Maaß und ohne Liebe immer zum Laster ausartet und fast immer Fluch im Gefolge hat. Daraus gewinnt dann auch immer wieder jene falsche Moral Kraft und Einfluß, die den Trieb selber zur Sünde stempeln möchte, oder ihn wenigstens nur unter Verhüllungen anerkennt. Die Sünder wider die wahre Liebesmoral werden meistens so grimmige Apostel des Moralgespenstes, wie unser knurriger, giftiger Professor Störzer. Der predigt nun Ekel, weil er sich übergessen hat, und schimpft auf die Weiber, weil sie die schwarze Stelle in seinem Gewissen sind.

Führen Sie ihn und seinesgleichen nur immer frisch und fröhlich ab, aber nicht blos in Worten, sondern auch in Werken! Und wenn man Sie deswegen unmoralisch nennt, so denken Sie an diese Geschichte!

 


 


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