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An Herrn Professor Fritz von Uhde in München
Cocumella, den 30. Juni 1902.
Sehr verehrter Herr von Uhde! In unsres Herrgotts Hause sind viele Wohnungen, und jede ist anders eingerichtet. Früher hieß es, nur die, die sich Italien nennt, sei »wirklich« schön, und alle anderen mußten nach ihr eingerichtet werden. Daß dem nicht so ist, hat keiner so klar und schön bewiesen, wie Sie. Der Aberglaube, daß es nur eine Schönheit ultra montes gebe, ist vorüber. Aber, nicht wahr, wir wollen nun auch nicht gleich behaupten, daß diese ultramontane Schönheit überhaupt nichts wert, oder auch nur unmodern sei. Alles wirklich Schöne ist ewig, so weit uns Menschen dieses Wort erlaubt ist. Nur darf aus keiner Schönheit, auch der höchsten nicht, ein Dogma gemacht werden, und jeder Schöpferische hat ein Recht, sich als Protestant aufzurichten. Doch heißt das nicht, daß er eine vorhandene Schönheit bestreitet; er protestiert nur dagegen, daß sie die alleinseligmachende sei; – denn ihn macht eine andere selig, die, die er heraufführt.
In diesem Sinne, der aber noch einen Sondersinn in sich begreift, sind Sie mir immer als der Stärkste deutsche Protestant der Kunst erschienen, und Sie wissen, wie ich es versucht habe, diesen künstlerischen Protestantismus ganz zu verstehen und damit ganz zu genießen als einen Ausfluß vaterländischen Wesens, der sich einem unverbildeten Deutschen nicht anders als beglückend mitteilen kann.
Wäre dieser Protestantismus, wie so manche meinen, eng und ausschließend, hätte er etwas von dem muckerischen Protestantismus unserer »Evangelischen«, die im Papst den Antichrist und im Katholizismus eitel Götzendienst erblicken, so würde die Versenkung in ihn die Unfähigkeit in sich schließen, auch über den Bergen die Schönheit zu finden. Gottlob, daß dem nicht so ist. Einer Schönheit, deren erstes Gebot lautete, du sollst keine andere Schönheit anerkennen und genießen neben mir, würde ich den Dienst kündigen, denn ich würde mir sagen: sie ist eine Gouvernante und keine Göttin. Ich bin ästhetisch so konfessionslos wie religiös und habe hier wie dort den gleichen Vorteil davon, daß ich das Gute und Schöne nehme, wo ich es finde. So gewiß der liebe Gott ein guter Mann ist, ist die Schönheit eine gute Göttin. Das ist mein credo, und ich glaube, daß es auch das Ihre ist, wenn Sie gleich als Schaffender eine andere Art des Bekennens haben, wie ich als Genießender. Warum ich diese Gemeinplätze einem Briefe vorausschicke, in dem ich Ihnen ein Stück von meiner Reise erzählen will? Weil sie sich mir hier immer mehr befestigt haben, und weil ich gerade hier öfters an Ihre Kunst gedacht habe, mich fragend: würde hier ein Uhde noch auf mich wirken? Sie sehen, ich nehme es genau als ein rechter Deutscher und ermangle nicht der Bedenklichkeiten, die unsre Rasse auszeichnen. Es ist das eine Art Krankheit, glaub ich, daraus entstanden, daß wir Deutschen eine fremde Kultur empfangen haben. Es steckt in uns ein Widerspruch, der dem Wälschen fremd ist. Aber durch ihn sind wir doch auch innerlich reicher und dazu geeignet worden, das aufnehmendste aller Völker zu werden. Nur sind wir leider infolgedessen auch allzu geneigt, uns selber aufzugeben. Daher es mir recht heilsam war, hier oft an Sie und Ihre rein deutsche Art und Kunst zu denken. Ich bin ihr nicht untreu geworden, so andächtig ich auch an fremden Altären gebetet habe. Vor Ihrer »Heiligen Nacht« werde ich, zurückgekehrt, nicht minder tief als früher die schöne Kraft deutscher Innigkeit empfinden, trotz aller primitiven Madonnen und reifen, oft überreifen Raffaels. Ja, ich werde sie jetzt noch viel besser zu verstehen und zu würdigen wissen, denn ich weiß nun besser als je, daß Ihre deutsche protestantische Kunst keine Widersacherin der alten Schönheit, sondern nur eine jüngere Schwester von ihr mit rein deutschen Zügen ist.
Und nun lassen Sie mich Ihnen von hier erzählen, wie man in Briefen erzählt, die aus einem schnellen Gefühl des Tages, der Stunde, des Augenblickes entstehen und nichts weiter wollen, als dem Empfänger Eindrücke vermitteln, die irgendwie stark genug waren, um den Wunsch zur Mitteilung rege zu machen.
Ich sitze hier in einem ehemaligen Kloster und empfinde etwa von der Annehmlichkeit klösterlichen Daseins, obwohl, Gottlob, meine Frau neben mir sitzt. Man kann es in Deutschland, man kann es in Italien sehen: wo geistliche Orden sich ansiedelten, da ist gut sein. Darin ist kein Unterschied zwischen den einzelnen Kongregationen: die Kutten mögen schwarz, braun, weiß, von rauhem oder glattem Stoffe, derb oder fein im Schnitte sein: das Kloster liegt immer an angenehmem Orte. Es sei ferne von mir, daß ich das vermerkte, um den Kuttenträgern eins anzuhängen. Im Gegenteil, der Umstand macht sie mir sympathisch, denn er beweist Eigenschaften, die ich schätze. Ein beschaulicher Sinn, der Gefühl für Naturschönheit hat, ist nichts Gemeines. Und es ist in der Tat schon ein Stück Gottesdienst, wenn man sich zur Schönheit der Natur bekennt. Das Wesen von Finsterlingen ist das eigentlich nicht. Denen ist es gleichgiltig, wo sie hocken. –Diese Gedanken kommen mir hier immer wieder. Wie feinsinnig ist das hier Alles angelegt. Das ganze Haus scheint nur bestimmt, zum Genusse dessen einzuladen, wovon es wundervoll umgeben ist. Hohe Fenster allenthalben und, wo es nur angängig ist, freie Ausbauten. Diese, die Terrassen, sind nicht, wie bei uns, schmale Balkone, sondern geräumige Plätze, Zimmer im Freien. Denn, wenn sie auch keine Wände und kein Dach haben, so sind sie doch eingeschlossen und bedeckt von dichtem Grün. Unsre Terrasse, die vom zweiten Stockwerk ausgeht, hat eine breite Brüstung und empfängt ihren Schatten von zwei riesigen Rebstöcken, die, von der Dicke eines Mannesarmes, am Hause heraufgezogen sind und hier oben eine solche Fülle von Laubwerk entfalten, daß man oben und an den Seiten von ihnen eingeschlossen ist, ohne daß indessen die Aussicht völlig verwachsen wäre. Das Spiel der Ranken in der Luft, wie sich die schönen, hellgrünen Blätter gegen das Blau des Himmels abheben, das Niederhängen der üppigen großen, wenn auch jetzt noch grünen, Trauben aus dem Blattwerk, – alles das ist von einer primitiven Schönheit, der gar nichts fehlt. Jede Hinzutat wäre vom Übel. Es ist dies ja nur der Rahmen des Bildes, das der genießt, der sich hier aufhält. Da ist, als Nächstes, dieser unglaublich dichte immergrüne Garten mit seinen Orangen- und Zitronenbäumen, deren dunkles Laub leuchtet wie lackiert, und die in einer märchenhaften Weise mit Früchten beladen sind. Orangen am Baum ist etwas unbeschreiblich Schönes, denn es ist nicht zu sagen, wie das rote Gelb dieser saftstrotzenden Bälle auf dem dunkeln Hintergrunde der fetten Blätter und des Baumschattichts leuchtet. Täglich wird von diesen Bäumen geerntet, und sie erscheinen immer noch voll, – aber schon runden sich auch die Früchte der nächsten Herbsternte: es ist, als wollten diese Bäume überhaupt nie leer werden. Blickt man weiter, so erheben ein paar Pinien ihr Wipfeldach, und unfern von ihnen, streben die blau-grünen Säulen riesiger Cypressen hoch, – beides Bäume, die den Eindruck machen, als könne es keinen Sturm geben, der stark genug wäre, sie aus ihrer monumentalen Ruhe zu bewegen. Sie sind das pathetische Element dieser Landschaft, deren Stil übrigens, bei aller Fülle und Heiterkeit, durchaus gemessen ist. Die weißmarmorne Dachbrüstung des Schlosses der Fürstin Gortschakoff zieht eine von ein paar Figuren unterbrochene leuchtende Linie zwischen das Grün des Gartens und das Blau des Meeres, hinter dem, nur wie eine Ahnung, das Cap Miseno auftaucht. Rechts aber, vollste, massivste Wirklichkeit, erhebt sich in einer so vollkommenen Linie, daß man sich verwünschen könnte, weil man nicht zeichnen kann, der Vesuv. – Wie ich das da hingeschrieben habe, ist es, so voll ich auch alles empfand, doch ein kümmerliches Gestammel, und ich sehe wohl: es ist unmöglich, mit Worten eine solche Landschaft aufzuzeichnen. Beneidenswert der, dem es gegeben ist, diese Konturen mit dem Stifte nachzuziehen, diese Linien, die wohltun wie eine alte, edle und doch innige Melodie, festzuhalten mit der Kunst des Griffels. – –
Wir leben hier wirklich wie die Phäaken. Sind wir nicht auf unsrer Terrasse, so sind wir unten am Strand. Sorrent und seine Umgebung liegt hoch über dem Meere auf einem steilen Felsen, der voll von Grotten ist und fast durchweg direkt aus dem Meer aufsteigt. Daher ist nur wenig Strand vorhanden. Der beste und größte ist der unsere. Die Brandung ist leicht und nicht zu vergleichen mit der in deutschen Seebädern. Keine heranrollenden Sturzwellen, kaum, daß ab und ab einmal ein paar Wellchen Schaumkronen tragen. Aber der Grimm der Nordsee würde auch schlecht hierher passen. Auch das Meer ist von gelassener Ruhe und bestrebt, seine schöne Linie nicht zu verlieren. Es badet sich aber darum nicht weniger angenehm in ihm, und der Erfolg des Bades für das allgemeine Befinden ist derselbe wie bei anderen Seebädern. – Meine Freunde von neapler Aquarium her, die Einsiedlerkrebse, kann ich hier in freier Natur beobachten, und ich tue das mit vielem Vergnügen, doch ist das Vergnügen nur auf meiner Seite, denn den Krebsen ist es, wie allen rechtschaffenen Einsiedlern, offenbar nicht vergnüglich, beobachtet zu werden. – Die beste Badezeit, der Sonne wegen, ist vormittags, aber wir steigen auch gegen Abend gerne zum Strand herunter, um zu sehen, mit welcher Feierlichkeit hier die Sonne Abschied nimmt. Um dieselbe Zeit pflegen die Fischer hier einen Fang zu tun, und auch das ist ein schöner Anblick. Es geschieht auf keine andre Weise, als es schon zu des Odysseus Zeiten geschehen ist: riesige Netze werden durch Kähne ins Meer gelassen und dann von der ganzen Fischergesellschaft, wohl an die vierzig Köpfe, ans Land gezogen. Die Fänge sind selten sehr beträchtlich, und manchmal geschieht es, daß im letzten Augenblick durch irgend ein Mißgeschick alles verloren geht. Bei solchen Gelegenheiten kann man Ausbrüche von Leidenschaftlichkeit beobachten, wie sie sich bei unseren schmallippigen Fischern an der Ost- und Nordsee gewiß nie entläd, denn diese sind Philosophen, während ihre Kameraden am tyrrhenischen Meere temperamentvolle – Katholiken sind. Ich muß diese Antithese erklären, indem ich, soweit es möglich ist, einen solchen Ausbruch wiedergebe. Das Netz kam, im letzten Augenblick zerrissen, herein, nachdem die Leute fast eine Stunde schwer gezogen hatten, denn es war offenbar sehr voll gewesen. Wie das der älteste unter den Fischern bemerkte, warf er die Netzleine unter sich, trat mit den Füßen darauf und ballte die beiden Fäuste gegen den Himmel, indem er (ich gebe alles in sehr gemilderter Form wieder) rief: »Da, Du . . . . . von einem Christus! Weiter kannst du nichts?« Ihm war die Religion offenbar ein Vertrag: Seine Leistung – Beten, Christi Leistung – beim Fischfang helfen, und er fühlte sich in diesem Augenblicke schwer übervorteilt. Aber er wird doch wieder beten und das nächste Mal, wenn es gut geht, seiner Dankbarkeit nicht minder heißblütigen Ausdruck verleihen, wie jetzt seiner Wut. – Übrigens sind die Leute hier von viel angenehmerer Art, als das Gassenvolk von Neapel. Keinerlei Aufdringlichkeit, keine Bettelei. Die hübschen Dinge aus Oliven- und Orangenholz oder aus Korallen und Muscheln, sowie schöne Seidenwaren sind sehr preiswert, und es wird in auffällig geringem Maße der Versuch gemacht, den Käufer über die Gebühr zu schrauben. Der Grund dafür mag darin liegen, daß Sorrents Hauptsaison die sommerliche Badezeit ist, während der die Besucher des Orts fast nur Italiener sind, denen gegenüber die Künste des Vorbietens und ähnliche Tricks der Fremdenindustrie nicht verfangen. Immerhin fehlt es nicht an dem, was sich überall einstellt, wo ein starker Zufluß von fremden Gästen ist, an Spekulation. Hier ist es die Tarantella, die industriell ausgebeutet wird, indem man sie in den Gesellschaftsräumen der Hotels »vorführt«. Aber was ist ein Volkstanz, der nicht zum Vergnügen, sondern als Spezialität und gegen Trinkgeld getanzt wird? Er wird zur Tingeltangelkunst, und ich kann auf keine Weise schneller und tiefer »in Wehmut getaucht« werden, als wenn man mir derlei vormacht. Geschieht es ganz einfach und direkt als Schauspiel, etwa in einem Varietetheater, wo die Leute eben nicht als »Künstler« genommen werden wollen, dann hat es nichts auf sich, aber an Ort und Stelle agiert mit der Vortäuschung, als wäre es eine ernste Äußerung des Volkswesens, ist es überaus widerwärtig anzusehen. – –
Welch ein Glück, daß die Natur nicht nach Trinkgeldern dürstet, welch ein Glück, daß sie keine Extravorstellungen für Fremde inszeniert! – Wir haben nun, indem wir von hier nach Amalfi gefahren sind, den südlichsten Punkt unsrer Reise im Laufwagen erreicht, und wir sind gewiß, daß sich uns bei dieser Fahrt auch das Schönste an Landschaft aufgetan hat, was uns für diese Reise beschieden war. Die Straße von Sorrent nach Amalfi hin und zurück in einem guten Laufwagen bei schönem Wetter zu befahren gehört zu den auserlesensten Reisegenüssen überhaupt. Kennte man die Schwerfälligkeit der modernen Italiener in geschäftlichen Unternehmungen nicht, so müßte man sich darüber wundern, daß hier noch keine Laufwagenpost eingerichtet ist. Diese wunderbare Straße (eine der schönsten, die es überhaupt gibt, auch abgesehen von der unsäglichen Schönheit, durch die sie führt) ist wie gemacht für das Automobil. Wunderschön fest und glatt, durchweg breit genug zum ausweichen, durch feste Brüstungen überall geschützt, würde sie, auch wenn sie Steigungsschwierigkeiten hätte, dem Laufwagenfahrer das vollkommenste Vergnügen bei absoluter Sicherheit gewähren. Aber sie bietet noch mehr. Sie ist auch hinsichtlich der Kehren, der Steigungen und Gefälle geradezu ideal schön. Niemals erhebt sie sich so stark, daß der Wagen sein Tempo im Aufstieg verlangsamen muß, nie fällt sie so streng, daß man genötigt ist, scharf zu bremsen, keine Kehre ist so kurz, daß man fürchten muß, einen »Rumpler« zu machen. Es ist eine so glatte Fahrt auf und ab wie in einer Rutschbahn, und man möchte glauben, daß man dahin schwebt. Und durch welche Landschaft! Nie hat uns unser Adlerwagen, dem wir doch schon viel verdanken, ein solches Vergnügen bereitet. An der einen Seite immer dieses südliche Meer, dessen Anblick allein schon froh und klar macht, auf der anderen Seite das felsige Gebirge in immer abwechselnden grandiosen Formen, und, was von Menschenwerken sich zeigt, stimmt in unvergleichlicher Weise zu dieser Natur. Diese Ortschaften, oft Schluchten hinaufgebaut, liegen da, als wären ihre Häuser im schönsten Wurfe von einem Genius hingesät. Es ist, künstlerisch gesprochen, kein leerer Fleck in diesen Bildern; und wie sich alles in der Waage hält, Form und Farbe, – es ist wie ein Wunder! Der Grundton ist eine Art nachgedunkeltes Weiß, in dem aber, sieht man genauer hin, alle Farben sind. Die Häuser scheinen organisch mit dem Felsen zusammenzuhängen. Und es sind griechische Architekturen: lauter Flachkuppelbauten, ein ebenso ungewohnter wie schöner Anblick. Am Gestade, auf vereinzelten Felsen, zahlreiche alte Wart- und Feuertürme: Vorposten europäischer Kultur gegen orientalische Räuberei, jetzt verfallend und dadurch noch malerischer. Auf einem von ihnen befindet sich, höchst seltsam anzusehen, ein Friedhof. Ist dies nicht Griechenland, so ist es ein Abglanz davon. Auch die Bevölkerung zeigt griechischen Typus, und nur das eine fehlt: antike Gewandung. Sie allein paßt in diese selige Landschaft. Ich sage das nicht aus bloßer Phantasie, denn uns ist eine Gestalt in mindestens antikisierender Tracht begegnet, und diese allein stimmte in die Umgebung. Herr Anniser, der Schwiegersohn des Besitzers der Cocumella und Mitdirektor der Società Napolitana di Navigazione a vapore (an der auch unser Norddeutscher Lloyds beteiligt ist), klärte uns über diese Gestalt auf: es war ein Schüler des glücklich hier an den rechten Ort gekommenen Münchener Malers und »Kohlrabiapostels« Diefenbach. Der prächtig gewachsene junge Mann sah mit seinem langen blonden Haupthaar und dem schönen lockigen Blondbart ganz aus wie ein Hellenenpriester, wie er in seinem weißen Gewande nacktbeinig daher kam, ein Bild der Gesundheit und Lebensfreude. Ich erinnere mich noch gut, dem Meister Diefenbach in ebensolcher Gewandung oft genug in und bei München begegnet zu sein, ohne daß er mir wie ein Priester aus Hellas erschienen wäre. Ich fand seine Erscheinung auf der schwäbisch-bayrischen Hochebene vielmehr absurd. Hier aber ist seine Hosenfeindschaft am rechten Platze, und ich wünschte, daß er unter der Bevölkerung des Landstriches, in dem er jetzt wohnt und von Malerei und Früchten lebt, recht viele Nachahmer fände. – An meinem Geburtstag haben wir Capri und die blaue Grotte besucht, sind auch hoch zu Esel bei der schönen Carmelina eingekehrt, die uns aber nicht persönlich die Honneurs machen konnte, weil sie wichtigeres zu tun hatte, denn sie ist kürzlich Mutter geworden. – Capri ist eine Insel, auf der sich sehr viele Hotels und Pensionen befinden, die meistenteils von Deutschen bewohnt werden. Die kleinen Capresen sagen schon längst nicht mehr »Addio«, sondern »auf Wiedersehen«, und wen man zu Schiffe geht, stellen sie sich feierlich auf und singen: »Muß i denn, muß i denn zum Städtle 'naus«. Sonst aber ist die Insel wirklich so schön, wie es im Bädeker steht, und, was noch merkwürdiger ist, die blaue Grotte erscheint selbst neben den Ansichtspostkarten, die von ihr im Handel sind, beträchtlich blau. Das will gewiß etwas heißen, denn die lithographischen Anstalten, die diese Karten (natürlich in Deutschland!) herstellen, wetteifern miteinander, sich durch die äußerste Bläue gegenseitig zu übertrumpfen. Immerhin verlieren so viel betastete Schönheiten von ihrem Reiz, und die Art, wie einem die blaue Grotte gezeigt wird, hat etwas von der Jahrmarktsbude. Der Dichter der Heinzelmännchen, August Kopisch, ist es bekanntlich gewesen, der sie, die seit Jahrhunderten vergessen war, wieder entdeckt hat. Da muß es freilich ein Anblick zum in die Kniee sinken gewesen sein.
Cocumella, den 2. Juli 1902.
Wir müssen an die Rückreise denken, und seltsam, wir denken gerne daran. Nach diesem ruhigen Verweilen tut uns wieder Bewegung not, und wir sehnen uns, seit der herrlichen Fahrt nach Amalfi, mehr denn je nach unserm Adlerwagen. Aber die Fortsetzung des Reisewegs bereitet einiges Kopfzerbrechen. Sollen wir wieder über Rom und dann durch die Maremmen nach Pisa und Genua, oder sollen wir durch die Abruzzen hinüber nach dem Adriatischen Meere und über Ancona zurück? In diesem Falle würden wir Rimini noch einmal berühren und, um nach Mailand zu gelangen, von wo aus wir den Rückweg über die Schweiz nehmen wollen, über Bologna, Modena, Parma fahren. Die Abruzzen locken, die eben genannten Städte auch, während die Maremmen im Rufe stehen, von der Malaria noch stärker heimgesucht zu sein, als die pontinischen Sümpfe. Trotzdem werden wir diesen Weg nehmen. Er läßt sich besser in große Tagesreisen einteilen, und solchen haben wir jetzt vor, um zuletzt auch diese Seite des Laufwagenreisens genauer kennen zu lernen: das schnelle Durcheilen größerer Strecken. Wir wollen von hier nach Monte-Cassino zu den gastfreundlichen Benediktinern, von da nach Rom; von da nach Grosseto; von da nach Pisa; von da nach Genua. Gewalttouren sind das noch immer keineswegs, denn die ganze Strecke umfaßt nur etwa achthundert Kilometer. Aber wir würden, wollten wir mehr »machen«, unserm Grundsatze untreu werden müssen, nach dem wir ja reisen und nicht rasen wollen. Auch gedenken wir wie bisher so fernerhin weder Mensch noch Tier an seinem Leben zu schädigen, und auch unsren guten Führer Riegel wollen wir gesund nach Hause bringen. Ob dies aber so sicher wäre, wenn wir ihm mehr zumuteten, bezweifle ich. Man kann wohl einmal eine übermäßige Tagestour riskieren; wünscht man aber mehrere Tage hintereinander ohne längere Ruhepause stark zuzufahren, so wird man auf Gewaltleistungen verzichten müssen, denn die Lenkung eines Motorwagens im südlichen Sonnenbrande ist eine Arbeit, die angreift. Auch darf man nicht vergessen, daß der Chauffeur, wenn er den Wagen glücklich an Ort und Stelle gebracht hat, nicht sogleich der wohlverdienten Ruhe genießen kann, vielmehr noch ein paar Stunden scharf am Wagen zu arbeiten hat, soll dieser am nächsten Tage fahrbereit und sauber zur Verfügung stehen. Mit einem überanstrengten Chauffeur zu reisen, wäre aber nicht nach meinem Geschmack, ganz abgesehen davon, daß das seine Gefahr hätte. Denn das muß man immer im Auge behalten bei einer Laufwagenfahrt: vom Maschinisten hängt ebensoviel ab, wie von der Maschine. Oder eigentlich noch mehr, denn die Maschine und ihre Leistungsfähigkeit, hängt von ihm ab. Es ist ein ganz ähnliches Verhältnis wie zwischen Kutscher und Pferd, nur daß Verfehlungen des Maschinisten in den Folgen noch bedenklicher sind, denn ein zu Schanden getriebenes oder durch schlechte Behandlung krankes Pferd kann eher ersetzt werden, als ein Motor, der einen Knacks weg hat. – Überdies bin ich überzeugt, daß die meisten der vielen Automobilunfälle, wenn nicht auf Unvorsichtigkeit so auf Überanstrengung des Chauffeurs zurückzuführen sind. – Ein bißchen Vernunft und Maßhalten gehört auch zu diesem Vergnügen, das durch nichts so sehr kompromittiert wird, wie durch die törichte Maßlosigkeit vieler, die sich ihm hingeben und so sich wie andere gefährden.