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Der Tod des Königs Brian Boroimhe

Episches Intermezzo.

Als Brian Boroimhe, der Held vom Stamme O'Brien, noch jung war, lag ein schwerer Schatten über der Welt. Die Lebenden harrten dem tausendsten Jahre Christi bangend entgegen, denn in diesem Jahr, so kündeten im ganzen Abendland die Gottesgelehrten, würde der Herr erscheinen zum jüngsten Gericht. Es gab Männer, die diese Kunde zu tatenloser Andacht lähmte, gab andere, die sie zum genußtollen Taumel peitschte. Doch der junge Brian Boroimhe sah um sich im grünen Erin. Sollte der Heiland das Land seiner Apostel wiederfinden? Sollten Sankt Patrick und Sankt Columban, zur Rechten des Weltrichters stehend, ihre Häupter verhüllen aus Scham für ihr Irland? Die wilden Dänen, Räuber aus nordischer Heidenwelt, schwärmten mit Feuer und Schwert durch die heiligen Gaue und feig beugte sich das Volk unter ihrer blutigen Geißel. Zu schwach war Malachy, der Hy-Nial, Hochkönig der Iren zu Taras weit berühmter Halle. Wohl wußte er ein wildes Roß zu zähmen, nicht aber die Wikinge aus dem Land zu jagen. Da stand Brian auf, um sein Land zu reinigen für das jüngste Gericht. Männer von Munster, starke Gebirgsleute, scharten sich um den Helden. Im Namen des Kreuzes und des kommenden Tages griff Brian Boroimhe die Heiden an und der Sieg war mit ihm. Dann aber faßte er mit entschlossener Hand nach der alten Krone, die nicht fest saß auf Malachys Haupt und willig beugte sich der Rossebändiger dem Bändiger der Heiden, willig ein guter Mann dem besseren Manne. Ard-Reagh, Hochkönig der Iren, grüßte das Land den Befreier. Stattlich saß er in Taras weit berühmter Halle, zu seinen Füßen die Könige Meath und Ulster, von Leinster und Connaught, jeder Häuptling thronend unter seinem Schild, in Purpurgewändern, in goldenen Schuhen prangend und goldenem Gurt, den goldverzierten Speer in der Hand. Langbärtige Weise, Künder des Gesetzes, saßen neben dem Herren der Könige und aller Barden Harfen sangen sein königliches Lied.

Und neue Dänen kamen über das Meer, herausgeschleudert aus der unheimlichen Fülle nordischer Nebelländer, Schiff für Schiff. Und wieder erhob König Brian das Heerbanner mit Kreuz und Harfe; wieder traf sein Schwert die Feinde Gottes und der heiligen Kirche von Irland. Schätze ohne Zahl und blondlockige Geißeln gewann Brian Boroimhe, »König Brian von dem Tribut« priesen ihn die Gesänge der Barden. Doch wenig achtete Brian des irdischen Goldes; es galt, höheren Schatz zu gewinnen. Knirschend vor Wut beugten sich die Seekönige des Nordens dem christlichen Glauben und pflanzten auf den Zinnen ihrer bezwungenen Burgen das Kreuz auf. Und näher kam der Tag, an dem das Gericht sich erfüllen sollte. Neue Dänen auf neuen Drachenschiffen kamen über das dunkle Meer. Den Tag des Ziels vor den brennenden Augen, siegte Brian von neuem.

Und dann kam der Tag, von dem die Gottesgelehrten gekündet hatten. Ruhig und ein wenig müde saß Brian Boroimhe in seiner Halle, sein Werk war getan, der Richter mochte kommen. Und das Unbegreifliche geschah. Sonne für Sonne sank in die See und der große Tag stieg niemals aus dem Meere empor. Nur neue Dänen kamen, nicht aber des Heilands Gericht.

Da stand König Brian abermals auf und schlug die Dänen. Die Jahre verflossen, stets kamen neue Dänen über die See. Und immer wieder zog Brian wider sie. Doch sein Bart bleichte, seine Stirn wurde matt. Nicht mehr lauschte er den Liedern der Barden in Taras weit berühmter Halle; er saß und träumte. Oft wurde er wirr in seinen Gedanken, denn nicht mehr wußte er, wozu seine Taten geschahen. Vor ihm lag ein wilder Abgrund, die endlose, kommende Zeit.

Da geschah es, daß neue Dänen in Drachenschiffen über die wogende See zogen. Brodar, der Wiking, und Sigurd, Jarl von Orkney, fielen gleich nordischen Wölfen ins Land. Kjarli Canutson rüstete schnellsegelnde Schiffe, die Iren zu plündern. Die Nordmänner, die auf der Insel Man gehaust, zogen aus gegen das grüne Erin. Von Schottlands Küste, vom fernen Norweg kamen blondlockige Recken, Berserker, gierig nach Beute. Da brach auch Sitric, Seekönig von Dublin, das lang getragene Joch. Von seinen Wällen riß er das Kreuz, das dort Brian Boroimhe gepflanzt. Odins heilige Rabenfahne flatterte über Sankt Patricks Stadt. Und der blutige Kriegspfeil wanderte von Küste zu Küste; Runenbotschaft rief im Namen der Nordlandsgötter zum Kampf.

Doch träumend saß Brian Boroimhe. Unwillig schalt ihn Morogh, sein streitbarer Sohn. Torlogh, Sohn Moroghs, murrte unter kampfgierigen Jünglingen.

»Der Richter kam nicht«, sprach Brian, der Ard-Reagh. »Und immer wieder kommen neue Dänen über das Meer. Ich bin müde und habe so oft das Kriegsbanner getragen, den Heiden entgegen. Du magst es jetzt tragen, Sohn Morogh. Doch ich weiß nicht, wozu.«

Und Morogh, Sohn Brians, rief Irlands Söhne ins Feld. Da kamen die Stämme, mannhaft im flatternden Mantel, mit Lederhelm, Keule und Schwert. O'Neills und O'Sullivans, Mac Carthys und O'Briens, aus Ulster, aus Munster, aus Connaught und Meath. Kriegerisch klangen im Lande die Lieder der Barden. Heilige Bischöfe segneten scheidende Streiter.

Am Strand von Clontarf ordnete Morogh das christliche Heer. Von fernher winkten die Zinnen von Dublin; Sankt Patricks geschändetes Münster flehte um Hilfe. Torlogh, Sohn Moroghs, führte Jungmannen zum Kampf, begeisterte Knaben, berauscht vom Getöne der Harfen. »Mit uns ist Brian Boroimhe«, sprachen sie unter sich. »Alt ist der Dänensieger von Sulcost, der Sieger so vieler Gefechte. Doch kämpfen wir alle für des Hochkönigs heiliges Haupt. Sankt Patrick ist heute mit uns und Sankt Columban!«

So sprachen die Knaben. Aber Brian Boroimhe, der Ard-Reagh, wandte sein Auge hinweg von der Schar. Er zog an den Strand des Meeres, zwischen Wald und Wellen, weitab vom Getöse der Schlacht und ließ einen köstlichen Teppich ausbreiten vor seinem Königszelt. Da saß er und betete leise. Karfreitag war es, ein Tag des Gebets. »Der heilige König ist alt, doch er betet für uns«, sagte das irische Heer. Brian Boroimhe aber dachte nicht an den heutigen Kampf. Er hatte viele Kämpfe gesehen und immer neue Dänen waren über die dunkle See gekommen, an deren Strande er kniete. »Komm«, sprach er zum Heiland, »komm, wie du es verheißen hast, und bereite der Zeit ihr Ende. Sollen stets neue Übel von neuem stets über die dunkle See kommen? Herr, gib uns ein glückliches Ende der Zeit.«

Und dröhnend schallten die Heerhörner der Wikinge, drangen ein auf den vollen Klang der irischen Harfen. Drohend stieg Odins heilige Fahne, von düsteren Raben umschwebt. Brodar, der Norweg, und Sigurd, Jarl von Orkney, stürzten mit Schlachtgesängen gegen den Feind. Auf den Mauern der Burg, auf den Dächern der Hallen, standen mit flatterndem Blondhaar die Frauen der Dänen, den Kampf zu sehen. Runensprüche murmelten sie, glückverheißende. Unsichtbar aber, auf unsichtbaren Feuerrossen, flogen Odins Schlachtjungfrauen über den Walplatz, manch sterbenden Recken emporzutragen nach Asgard. »Christus und Sankt Patrick«, riefen die Iren und schlugen mit dröhnendem Erz an die Schilde. Grün wehte die Kreuzesfahne.

Mit düsterem Antlitz standen vor Brians Zelt die gewappneten Wachen, die treuen Diener. Da nickte der König dem stummen Wunsche Gewährung: »Geht!« Da hielt es sie nicht länger, da stürzten sie schlachtfroh von dannen, dem Klange der Kriegsharfen nach. Betend kniete der alte König am Strande des Meeres; der Seewind spielte in seinen langem schneeweißen Bart. Nur ein alter Knecht stand stumm hinter dem König.

Und Torlogh, Sohn Moroghs, sprang Sigurd an, Jarl von Orkney. Da blitzten die blanken Schilde. Armud, Inselkönig von Man, rief mit scheltendem Hohnwort Morogh, Sohn Brians, zum Zweikampf. Mann gegen Mann fochten die riesigen Heere; Recken aus Irland gegen O'Neills Clanmannen, Wikinge vom northumbrischen Strande gegen wildbärtige O'Mahonys, Canuts Jüten gegen Mac Carthys, O'Sullivans.

Morogh, Sohn Brians, schlug Armud, Inselkönig von Man, doch aus hundert Wunden blutete Brian Boroimhes Sohn. Torlogh, Sohn Moroghs, streckte Sigurd von Orkney tot in den Staub. Doch aus hundert Wunden blutete Brian Boroimhes Enkel. Auf schnaubendem Roß sprengte ein Bote zum Meeresstrand: »Komm, o Ard-Reagh! Sterbend liegt dein Sohn auf dem Schlachtfeld.« Doch König Brian Boroimhe schüttelte müde das greise Haupt. Wozu? Es würden neue Dänen kommen.

Und auf schnaubendem Roß raste ein neuer Bote herbei: »Komm, o Ard-Reagh! Sterbend liegt dein junger Enkel in seinem Blut. Wer soll uns führen?« Doch Brian betete leise und tief. Hörte er die Kunde, wußte er, daß Irlands junge Hoffnung tot lag? Daß das Reich verging, so vieler Schlachten glorreicher Preis? Müde war Brian Boroimhe und er wußte, es würden neue Übel über die dunkle See geschwommen kommen, endlose Übel für Irland. Denn der Herr war nicht erschienen zum Gericht und kein Ende war da der flutenden Zeit.

Und Irlands Söhne sahen die Führer sterbend im Staub. Da klammerten grimmige Hände sich fester um den heißen Schwertgriff, da sausten schwarze Keulen nieder mit verzehnfachter Wut. Rastlos schwebten die blonden Walküren hinab zum dampfenden Schlachtfeld und die brechenden Augen nordischer Recken sahen die Unsichtbaren und Asgards weit geöffnetes Tor. Lauter und lauter aber wurde das Siegesgetön irischer Harfen. Die Nordlandstöchter auf Dublins ragenden Zinnen verhüllten wehklagend die Häupter. Da flohen, jählings verscheucht, die Raben Odins das sinkende Banner. »Christ und Sankt Patrick«, riefen die irischen Streiter. König Brian Boroimhe hörte den fernen Klang des Sieges. Noch einmal schoß das alte Königsblut ihm in die schlaffen Wangen. Aber er wandte seufzend sein schweres Haupt zum Meere und löste den goldenen Gurt des Schwerts, es in die Fluten zu werfen. Es würden neue Dänen kommen nach seinen Tagen, neue Blutfeinde von jenseits der See.

Brodar, der Wiking, führte ächzend den letzten Streich. Da fuhr ihm blitzgleich der Schrecken der Mutigen in die starken Glieder, die Angst, die besiegte Helden vom rühmlichen Schlachtfelde fegt, wie Schafe, die des Wolfes Rachen gewittert. Schreiend stürzte Brodar von dannen, um ihn sein Heergefolge, bleich und wund. Breite Blutspuren markten den Weg der Flucht. Zum Strande stürzte Brodar hin, ein Drachenschiff zu besteigen, nordwärts zu fliehen über die See.

Spähend stand hinter Brian Boroimhe sein alter Knecht. »Rette dich, König Brian, die Feinde nahen!« »Erlöse uns von dem Übel«, betete König Brian. Da klirrten Waffen im Walde; mit glühenden Augen, mit flatternden Gelbmähnen rasten die Dänen zwischen den Bäumen dahin, das rettende Meer zu erreichen. Auf seinem köstlichen Teppich vor dem purpurnen Zelt stand König Brian Boroimhe, ein betender alter Mann, schwertlos, mit wallendem Bart.

Brodars Schildträger hob eine verstümmelte Hand. »Sieh, Brodar Jarl, so wird der Tod wackerer Recken gerächt. Dieser ist König Brian, der Feind der Götter. Töte ihn, Brodar Jarl, bevor wir enteilen.«

Doch Brodar sagte: »Der Alte? Das ist ein knechtischer Mönch, ein geschorener Pfaffe. Nie stand König Brian Boroimhe fern von der Schlacht.«

Da wandte der Alte sein Haupt ihm zu und königlicher Glanz strahlte aus seinen Augen. »Du lügst, du Heide. Brian Boroimhe bin ich, vom Stamme O'Brien, Ard-Reagh von Irland zu Taras weit berühmter Halle. Und schwereren Kampf als du focht ich heute.«

Mit wildem Staunen blickte Brodar der Wiking dem Greise ins Antlitz. Dann fluchte er laut den Göttern von Asgard. In kräftigem Schwunge hob der Tolle die Axt. Da neigte Brian Boroimhe ihr sanft seinen silbernen Kopf entgegen. »Erlöse uns von dem Übel!« betete er. Da fiel die Axt auf das Königshaupt. Schamrot lief Brodar davon, nicht froh wie ein Held, der wacker den Feind erschlagen. Schon hörte man das Klirren irischer Waffen im Walde.

Groß war das Weinen um Brian, den König. An seinem Prunkgrab zu Armagh klagten die Barden.

Und neue Blutfeinde Irlands kamen über die dunkle See.


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