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Am Waldrand unweit des alten Springbrunnens war über Nacht ein Schirmpilz aus der Erde geschossen, ein großer, stattlicher, breithutiger Schirmpilz. Er stand neben einer Gesellschaft violetter Waldglockenblumen und bot in seinem Umkreis Schutz vor den Sonnenstrahlen.
»Ei, welch schönes, schattiges Plätzchen,« sagte eine Stimme aus dem Grase und ein Wichtelmännchen mit Schusterschürze und Schusterwerkzeug kam herbei. »Gut zum Ausruhen, gut zum Ausruhen,« brummte ein zweites mit dickem Vollmondgesichte und streckte sich neben seinem Kameraden ins Moos. »Gut zum Träumen, gut zum Träumen,« meinte ein drittes und nahm neben den andern Platz. Der lustige kleine Schuster hörte auf den Namen Lachgern, sein dicker Bruder wurde, was meint ihr wohl, warum, Eßgern geheißen, der dritte Wichtelmann ward Träumgern genannt. Von drüben kam das Geplätscher des alten Springbrunnens herüber, silbern und fein.
»Ob wir nicht einmal die Springbrunnenfee erblicken werden?« nahm Träumgern das Wort und blickte nach dem Brunnen hinüber, der seine Strahlen in die Höhe warf und als Perlen wieder 8 zurückfallen ließ. »Meine Muhme, das Wurzelweiblein, hat mir oft von ihr erzählt. Ein Kleid von gesponnenen Wassertropfen und aus gewebten Regenbogenfarben hat die Springbrunnenfee an. Auf dem Kopfe trägt sie ein Krönlein von glitzerndem Wellenschaum. Ihre Augen sind dunkel wie unergründliche Flut, ihr Mund plaudert so unermüdlich wie der alte Brunnen selbst. Es müßte sehr schön sein, der Springbrunnenfee zu begegnen!«
»Unsinn!« brummte Eßgern und streckte sich im Grase aus. »Was sollte sie wohl mit uns beginnen und was fingen wir mit jemandem an, der zart und silbern ist und uns am Ende gar unter den Händen zerfließt?«
»Ach, wenn sie uns doch einen Wunsch tun ließe, den sie dann erfüllte,« sagte Lachgern und hörte auf zu hämmern. »Ich wüßte wohl, was ich mir wünschte!«
»Ho, ho,« lachte Eßgern mit seiner tiefen Stimme. »Um Wünsche ist auch mir nicht bange. Und zu allererst wünschte ich mir eine Schüssel großer, schöner Lachsforellen, knusprig gebraten, mit einem leckeren Brunnenkressensalat. Für mein Leben gerne esse ich Bratforellen mit Brunnenkressensalat!«
»Natürlich etwas zum Essen,« kicherte Lachgern. »Als ob du nicht ohnehin schon dick genug wärst! Wenn es nach mir ginge, schenkte dir die Springbrunnenfee einen tüchtigen Nasenstüber und mir eine Geschichte, denn Geschichten höre ich für mein Leben gern.«
Träumgern schwieg und sah nach dem Brunnen hinüber, der stieg und fiel. »Na, du Träumer?« fragte Eßgern und stieß das dritte Wichtelmännchen an. »Was wünschtest du dir wohl, wenn uns jetzt die Springbrunnenfee erschiene?«
»Ich wünschte mir nichts als einen wunderschönen Traum,« erwiderte Träumgern. »Kann es etwas Schöneres geben, als einen wunderschönen Traum?« Jetzt lachten Eßgern und Lachgern, daß ihnen die Tränen über die Wangen liefen. »Einen Traum 9 wünscht er sich,« schrie Eßgern. »Kann man einen Traum essen? Kann man einen Traum anfassen? Nein, so einen törichten Wichtelmann bat es noch nie gegeben.«
Während sie so sprachen, war die Sonne hochgestiegen und warf ihre Strahlen senkrecht durch die Tannenwipfel zu Boden. Das Moos duftete, die Nadeln strömten Harzgeruch aus, den Wald schläferte. Auch die Vögel waren verstummt, das Lüftchen in den Zweigen war eingeschlafen und die Hummeln nickten in den blühenden Kelchen ein. Da schien es den drei Wichtelmännchen, als höre der alte Springbrunnen mitten in seinem Geplauder auf. Sie starrten hinüber, denn das war noch nie vorgekommen, solange sie den geschwätzigen Brunnen kannten. Und wahrhaftig, die Spitzenschleier des Brunnens wurden dichter und dichter, eine Gestalt löste sich von ihm los, flimmernd von dem Lichte unzähliger, farbiger Tropfen, eingehüllt in ein Kleid aus gesponnenem Silber und gewebten Regenbogenfarben. »Die Springbrunnenfee,« riefen die Wichtelmännchen und jedes tat dabei im Innern seinen Wunsch. »Bratforellen mit Brunnenkressensalat,« dachte Eßgern sehnsüchtig; »eine schöne Geschichte,« wünschte Lachgern; nur Träumgern dachte gar nichts, sondern sah mit offenen Augen die Fee an, die langsam näher kam.
Ein Hauch von Kühle verbreitete sich, als sie neben dem Schirmpilz stand. »Ihr habt mich herbeigewünscht, liebe Freunde,« sagte sie mit lieblicher Stimme und die klang wahrhaftig so silbern wie das Geplätscher des Springbrunnens. »Ich habe gerade ein Stündchen Zeit übrig, da bin ich gerne zu Besuch gekommen. Mein alter Brunnen wird sich solange ohne mich behelfen!«
Die Wichtelmännchen waren aufgesprungen und hatten der holdseligen Erscheinung unter dem Schirmpilze Platz gemacht.
»Also eine hübsche Geschichte soll ich dir erzählen?« wandte sich die Fee an Lachgern. »Du wünschest dir gebratene 10 Bachforellen?« lachte sie Eßgern an. »Und du verlangst einen wunder-, wunderschönen Traum?« sagte sie zu Träumgern, der bis über die Ohren rot wurde. »Nun wohl, meine lieben Freunde, dann fangen wir gleich mit der Geschichte vom Fünkchen Lichterloh an!«
Und die Fee erzählte den drei Wichtelmännchen Eßgern, Lachgern und Träumgern die Geschichte vom Fünkchen Lichterloh:
»Es war ein Fünkchen Lichterloh
in einem Feuerlein.
Das sprang in einen Haufen Stroh.
Ei, sagt' das Fünklein Lichterloh,
im Stroh, da brennt sichs fein.
Das Fünkchen wächst und wird gar groß
in seinem Bündel Stroh.
Schon züngelt eine Flamme los,
wie eine Fahne rot und bloß,
und flackert lichterloh:
»Ich bin die Flamme Lichterloh!
Mich hungert nach viel mehr.
Verschlungen ist der Haufen Stroh!
Ich bin die Flamme Lichterloh,
gebt mir die Scheune her!«
Schon nach der Scheune leckt und droht
die Flamme Nimmersatt.
Die Glocke wimmert: Feuersnot!
Die Luft ist grau, der Himmel rot,
versengt sind Baum und Blatt.
Da kommt die große Spritze an.
»O Flamme, halte ein!«
Schon pfaucht sie, das war wohlgetan,
die unverschämte Flamme an
und löscht den Feuerschein. 11
Nun blieb vom Fünklein Lichterloh
nur Asche noch zurück.
Verbrannt war bloß der Haufen Stroh.
Wie waren alle Leute froh,
das Wasser war ihr Glück.«
»Ja, das war eine sehr schöne Geschichte,« sagte Lachgern und klatschte in die Hände. »Wie gut, daß die große Spritze die schlimme Flamme ausgelöscht hat. Ich danke dir auch schön, liebe Springbrunnenfee!«
»Es ist große Feindschaft seit alter Zeit zwischen den Wasserleuten und den Feuerleuten,« erklärte die Fee.
»Wo wir das gefräßige Fünklein treffen, löschen wir es aus. Nur wenn wir ferne sind, breitet es sich aus, wird größer und größer und frißt am Ende das ganze Haus.«
Noch während die Fee sprach, hatte Eßgern die Nase gehoben und geschnuppert. »Hatschi!« nieste er plötzlich und sah sich um. Es war ihm ein feines und verlockendes Gerüchlein in die Nase gestiegen und wahrhaftig, da lagen mit einem Male drei schöne knusprig braune Bachforellen vor ihm, umgeben von einem grünen Kränzlein Brunnenkressensalates. Sie dufteten ihn so lieblich an, daß Eßgern seinen Bart strich und sich mit Behagen über das leckere Gericht machte, ohne nach rechts und links zu sehen.
»Und du, mein Freund,« klang jetzt die süße Stimme der Fee in des schweigsamen Träumgern Ohr. »Du willst doch einen wunder-, wunderschönen Traum?«
»Der nie ein Ende nimmt,« erwiderte Träumgern und sah der Fee in die unergründlichen Augen. Da erhob sich diese, küßte den Wichtelmann auf die Stirne und sagte: »Ich gebe dir den schönsten, den ich habe, den Traum des Wassers. Die Quelle wird dir ihn zuflüstern, der Regen erzählt ihn dir, das Tautröpflein kennt ihn, der Bach rauscht ihn dir zu. Alles, was das Wasser träumt und erlebt, soll dir offenbar sein nun und immerdar. 12 Dies ist das Geschenk der Springbrunnenfee für dich.« Ein kühler Hauch ging durch die Luft. Die Vögel regten ihre Flügel, die Hummeln flogen wieder summend von Blume zu Blume, das Lüftlein spielte mit den hohen Glockenblumen, die Sonne schickte schräge Strahlen auf die Waldlichtung. Der Springbrunnen warf, als wäre nichts geschehen, die glitzernden Bälle seiner Wassertropfen in die Luft und fing sie in seinem Becken wieder auf. Dabei plätscherte er wie vor und je, als hätte er niemals eine Pause darin eintreten lassen.
»Da hat mir gerade von einem herrlichen Gericht Forellen geträumt,« gähnte Eßgern und setzte sich im Grase auf, wobei er bemerkte, daß er ein großes Huflattichblatt sorglich in Händen hielt, als wäre es eine Schüssel. Aber das Blatt war leer und auch nicht ein Bröselchen Speise darauf zu erblicken. »Schade,« murmelte Eßgern »und ich hatte es mir im Traum so gut schmecken lassen.«
»Da hat mir gerade eine Geschichte vom Fünklein Lichterloh geträumt,« sagte Lachgern und suchte sein Handwerkzeug zusammen, um das winzige Stieflein fertig zu machen, das er in Arbeit hatte. »Ich hätte schwören mögen, daß die Springbrunnenfee da unter unserm Schirmpilze saß und uns von der Flamme und der Feuerspritze erzählte:
»Da kam die große Spritze an.
O Flamme, halte ein!
Und pfauchte, das war wohlgetan,
die nimmersatte Flamme an
und löscht' den Feuerschein.« 13
»Das kommt von der Hitze,« brummte Eßgern und erhob sich. »Da hat man immer so lebhafte Träume.«
Träumgern sagte gar nichts. Er fuhr mit der Hand nach der Stirn, wo er noch den kühlen Kuß der Springbrunnenfee zu spüren glaubte, und war zufrieden, denn er hatte ja seinen wunder-, wunderschönen Traum. Da kam das Geplätscher des Springbrunnens lauter an sein Ohr und Träumgern vernahm die Worte:
»Ich steige und falle,
ich fließe und walle,
ich komme von Firnen
mit silbernen Stirnen;
und siehst du mich springen,
so hörst du mich singen.
Die schönsten Geschichten
kann ich dir berichten.«
Im Kelche des Taumäntelchens aber lag ein Wassertropfen und sprach:
»Wassertropfen heiß' ich,
viele Dinge weiß ich,
viele Tiere kenn' ich,
viele Blumen nenn' ich;
kann von ihren Seelen
manches dir erzählen.«
Da erkannte Träumgern, daß es lautere Wahrheit sei, was die Springbrunnenfee ihm gesagt hatte und daß er von nun an die Sprache der Wassers verstehen und alle seine Geheimnisse erfahren würde. Ja, das war freilich ein wundervolles Geschenk und Träumgern saß ganz still und andächtig da und horchte.
Inzwischen war es dunkel geworden, denn eine große Wolke war heraufgezogen und ließ dicke Tropfen auf die Wiese fallen. 14 Die drei Wichtelmännchen unter ihrem Pilzschirm saßen schön im Trockenen und Träumgern vernahm das Lied der Regentropfen:
»Wir laufen und hüpfen mit eilenden Füßen,
wir plätschern und tanzen, wir netzen und grüßen
das durstige Erdreich; wir kommen zum Segen,
wir sind der warme, fruchtbringende Regen.«
»Ich schlage vor, kommen morgen wieder hier zusammen,« sagte Lachgern und packte seine Siebenfachen zusammen. »Ja, hier ruht und schläft sichs gut,« stimmte Eßgern zu. »Und wenn man hier noch etwas Gutes zu essen bekäme.« – »Das kann ich dir nicht versprechen,« lachte Träumgern. »Aber wenn wir uns hier wieder treffen und wenn es euch recht ist, dann erzähle ich euch eine Geschichte. Die Springbrunnenfee hat sie mir im Traum geschickt.« »Bravo, bravo,« riefen Eßgern und Lachgern wie aus einem Munde. »Ist die Geschichte schön? Und wie soll sie denn heißen?« »Ich glaube, sie wird euch gefallen,« entgegnete Träumgern. »Kommt nur morgen bald zu unserem Pilze. Meine Geschichte heißt: ›Vom lustigen Wässerlein‹.« 15