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»Die Waldelfe hat Geburtstag heute!
Hört ihr nicht alle das Festgeläute
der blauen Glocken? Das Bienensummen?
Und wie die Hummeln vor Freude brummen,
die schwarzen Gesellen?
Ja, sogar die Wellen
des Wiesenbaches tanzen munter
und ausgelassen ihr Bett hinunter,
denn es wird eine Feier geben,
wie es die Wiese in ihrem Leben
noch nicht gesehn.
Rittersporn wird Schildwach' stehn,
die Tiere werden Glückwünsche sagen,
die Blumen werden Festkleider tragen,
die Heimchen im Chore musizieren,
die Lerchen werden jubilieren. 70
Honig und Met gibt's an allen Ecken.
Nun kommt alle und laßt es euch schmecken,
eilt alle herbei und machet euch fein,
die Waldelfe ladet zum Feste euch ein.«
So sang an einem strahlenden Morgen der Zaunkönig am Wiesenrand und machte nach jedem Satze einen Knix, wie er es daheim gelernt hatte. Denn Frau Zaunkönig hielt viel auf gute Sitten und ihre Kinder waren bekannt durch ihre hübschen Knixe.
Da eilte, was Füße hatte, mit Zirpen und Pfeifen, Schreien und Summen herbei und alles rief zu gleicher Zeit: »Was geben wir dem Geburtstagskinde zum Angebinde?«
Niemand wußte eine Antwort. Was konnte man der holdseligen Elfe schenken, der alles auf der Wiese untertan war? Hatte sie nicht ein Kleid aus Mondstrahlen, ein Krönlein aus Sonnengold und Augen, so blau wie der liebe Himmel, kurz alles, was ihr Herz begehrte?
Da stieg eine junge Lerche aus dem Gras empor, trillerte ein wenig und rief: »Die Waldelfe liebt Farbe und Duft, Schönheit und Wohllaut: den Glockenton, der von ferne durch den Hochwald zittert, die Abendwolke, die rosenfarben am Himmel schwebt, den Windhauch, der in den hängenden Birkenzweigen musiziert. Was aber ist dunkel wie Glockenton, zart wie fliehende Wölklein, lieblich wie die Musik des Windes im Frühlingslaub? Das ist das Lied und ich rate euch, jeder, der die Waldelfe liebt, singe oder dichte ihr ein Lied.«
»Wer aber nicht singen und nicht dichten kann?« piepste die Haselmaus.
»Der muß zu Hause bleiben!« trillerte die Lerche zurück und kreiste in weitem Bogen über der Wiese. »Aber versucht es nur, 71 es ist ebenso leicht wie das Fliegen,« setzte sie fort und schraubte sich höher hinauf.
Jetzt war guter Rat teuer auf der Wiese. Die Versammlung schüttelte die Köpfe, nicht einmal der große, grüne Grashupfer wußte eine Antwort. Dichten, nein, das hatten sie ihr Lebtag nicht versucht, das hatte man auch in der Schule nicht gelernt. »Das ist die härteste Nuß, die ich je zu knacken bekam,« sagte das rote Eichhörnchen und schaukelte auf seinem Aste. »Meinst du nicht auch, Nepomuk?«
Nepomuk, der Hase, stellte ein Ohr auf und ließ das andere trübselig auf die Schnauze fallen. »Das bringe ich in meinem Leben nicht fertig!« erwiderte er dann.
»Wir wissen, was wir tun!« schnarrte eine Grille und klimperte auf ihrer Mandoline. »Wir bringen der Elfe ein neues Mandolinenständchen!«
»Ihr habt es bequem, ihr seid Musikanten und leichtfertiges Volk,« brummte vom Bachufer her die alte Kröte. »Aber eine ehrsame, solide Bürgersfrau wie ich? Soll ich mich auf meine alten Tage lächerlich machen? Soll ich vielleicht reimen:
»Ich bin die Kröte
und spiele Flöte« –?
Da lacht mich ja die ganze Nachbarschaft aus!«
Und die Kröte schüttelte traurig ihren dicken Kopf.
Langsam stieg die Sonne und warf verwunderte Blicke auf die Wiese. Da war nichts zu hören von dem Gesumme der Käfer und dem Schnarren der Grashüpfer. Die Blumen standen still und in sich gekehrt und der Wind, der des Morgens noch gelärmt hatte, war verstummt. Selbst das Bächlein trippelte lautlos über seine Kiesel. 72
»Was ist denn heute hier los?« fragten die Sonnenstrahlen neugierig. Aber das Eichhörnchen, das immer noch tief in Gedanken auf seinem Aste saß, rief ihnen zu: »Pst, – die Wiese dichtet.«
So war es auch. Alles dichtete oder versuchte es wenigstens. Der Hase Nepomuk vergaß die saftigen Kräuter. Der guten Kröte liefen die Schweißtropfen von der Stirne. Der Igel rollte sich zu einer Kugel zusammen, um ungestört zu sein, und die Schnecke zog sich in ihr Haus zurück und riegelte die Türe hinter sich zu. Selbst der Maulwurf ließ heute die Engerlinge laufen und besann sich auf einen gereimten Glückwunsch für die Elfe Traumseele.
So kam die Mittagsstunde heran und das Fest sollte beginnen. Schon seit dem Morgen waren die großen Kreuzspinnen damit beschäftigt, einen Thron aus dem schönsten, feinsten Spinnensilber zu machen, auf dem die Elfe die Glückwünsche ihrer Untertanen entgegennehmen sollte. Aufgeregt hüpfte das Eichhörnchen von Baum zu Baum. Es war zum Festordner bestimmt worden und sollte den feierlichen Aufzug der Gratulanten anführen. Schon kam eine schlanke Libelle einhergeschwirrt und meldete: »Soeben wird im Wolkenkuckucksheim der Elfenwagen eingespannt und zehn Libellen bringen die Waldelfe auf die Erde.«
»Da haben wir es,« jammerte das Eichhörnchen. »Wo sind die Gratulanten? Wo 73 sind die Dichter? Niemand ist zur Stelle.« Es schrie, es zankte, es rief. Da kamen sie alle aus ihren Höhlen und Löchern, aus ihren Nestern und Schlupfwinkeln: der Hase Nepomuk mit seiner Familie, der Igel und die Kröte, das Heer der Frösche und der Grashüpfer. Die Weinbergschnecke hatte ein Kränzlein aus Vergißmeinnicht zierlich um die Fühler geschlungen, der Hase eine Dotterblume ins Knopfloch gesteckt, die Kröte schwang als Fahne ein grünes Huflattichblatt und der Maulwurf hatte sein Samtfell gebürstet. Dann folgten in endlosen Scharen die Feldmäuse, die Käfer, die Grillen und alle anderen Bewohner der Waldwiese.
Holdseliger denn je saß die Elfe Traumseele auf ihrem Thron. Ihr Kleid schillerte blau und grün und ein Strahlen ging von ihr 74 aus, wie von dem milden Mond. Gelbe und violette Schwertlilien umstanden sie als Leibgarde in stolzer Pracht. Klirrend schnellten die Libellen hin und her, die Blumen nickten und die blühenden Gräser verbeugten sich tief. Ein vielstimmiger Vogelchor eröffnete die Feier. Finken und Stieglitze, Drosseln und Meisen jubelten, zwitscherten, pfiffen. Lustig rief der Kuckuck seinen Namen dazwischen. Mit einem Male wurde es mäuschenstill, denn das Eichhörnchen sprang in zierlichen Sätzen vor den Thron der Elfe, legte die Pfote aufs Herz, machte einen Kratzfuß und begann:
»Vieledle, schöne Königin!
Da ich ein simples Eichhorn bin
und kein Gelehrter und kein Dichter,
so sei mir kein zu strenger Richter.
Ich will auch nur ganz einfach sagen,
daß wir dich treu im Herzen tragen;
und zu dem Feengeburtstagfeste,
da wünschen alle dir das beste!«
»Bravo!« sagte die Waldelfe. »Das war ein außerordentlich schöner Glückwunsch! Ich danke dir, Meister Eichhorn!«
Jetzt war die Reihe an dem Hasen. Der wischte sich ein über das anderemal mit seinem rotgewürfelten Taschentuch den Schweiß von der Stirne, denn ach, es war ihm nichts eingefallen. Mit einer Verbeugung trat er vor die Elfe: »Ich bin, – ich bin –« stotterte er. Und dann rief er mit einer plötzlichen Eingebung: »Ich bin der Hase Nepomuk und trink' gern einen guten Schluck.« Da lachte die ganze Wiese, die ernsten Fichten am Waldrand lachten, die Gratulanten lachten und der Elfe liefen vor Lachen die hellen Tränen über das Gesicht. 75
»Lieber Nepomuk,« sagte sie dann, als sie sich erholt hatte, »weil du dich so geplagt hast, sollst du heute wirklich einen guten Schluck bekommen.«
Inzwischen hatte die Kröte hinter ihrem Huflattichblatt mit halblauter Stimme ihren Vers wiederholt, aber sich immer verhaspelt und von vorne beginnen müssen. Soeben hatte die kleinste Haselmaus ihr Sprüchlein gesagt: »Piep, piep, piep, Waldelfe, hab mich lieb,« und dafür einen Kuß auf die rosasarbene Schnauze bekommen. Jetzt war die Reihe an der Kröte. Mit einer tiefen Verbeugung begann sie:
»Mondscheinwiese, Elfenschweben
auf der taubedeckten Halde.
Jetzt beginnt der Frösche Leben
im Gesträuch, im Gras, im Walde. 76
Und sie quaken und sie singen
herrlich bis zur Morgenröte.
Dieses Verslein laß dir bringen,
von der treuergeb'nen Kröte.«
»Ein bißchen geschwollen,« behauptete der Igel halblaut und kitzelte die Kröte ein wenig mit seinen Stacheln. Doch die Elfe streichelte ihr die erhitzten Wangen und sagte: »Aber Kinder, was ist euch denn eingefallen, daß ihr solche Geschichten macht? Ihr seid wohl alle unter die Dichter gegangen?«
Da erhob sich ein so großes Geschrei unter den Gratulanten, daß man kein Wort verstehen konnte und die Elfe sich lachend die Ohren zuhielt. Dabei zeigten alle hinauf in die Bläue, wo die Lerche schwebte, und das Eichhörnchen sagte: »Die dort oben ist an allem schuld! Sie hat von uns verlangt, daß wir dir zu Ehren insgesamt Dichter werden sollten.« Die Elfe Traumseele hob ihre durchsichtige Hand und winkte. Die Lerche trillerte aus ihrer seligen Höhe, dann stürzte sie mit einem langgezogenen Jubelton herab und der Elfe zu Füßen. Lächelnd streichelte diese das braune Federkleid der Lerche und sagte: »Was hast du da angestellt, kleine Himmelstürmerin? Alle Bewohner der Wiese sollen dichten? Wem es nicht gegeben ist, der kann es nicht erzwingen. Trillere du und laß die anderen ihrer Wege gehen; dein Reich ist die blaue Luft, ihres ist die Erde.«
Jetzt flatterte ein Wölkchen weißer Schmetterlinge herbei und tanzte einen zierlichen Reigen. Grillen und Heuschrecken musizierten auf ihren Instrumenten, der Festzug setzte sich wieder in Bewegung, die Gratulanten riefen: »Sie lebe hoch, sie lebe hoch!« Finken und Drosseln pfiffen einen Tusch und den ganzen Tag war Jubel und Festlichkeit auf der Wiese. Für jeden Gast war sein Tischlein gedeckt und er ließ es sich schmecken. Als die Sonne untergegangen 77 war, zündeten die Leuchtkäfer ihre Laternchen an und leuchteten den Gästen nach Hause. »Schön war es,« sagte der Hase Nepomuk, ehe er einschlief. »Und wie froh bin ich, daß ich nicht mehr dichten muß.«
Über der Wiese stand der große, freundliche Vollmond, seine Strahlen spannen silberne Fäden über die Blumen und Gräser. Alles schlief, nur die Frösche sangen im Chor ihr Nachtlied zum lächelnden Mond empor. Den Baß brummte die alte Kröte dazu und jedesmal, wenn eine Pause im Gesang eintrat, dann seufzte sie aus vollem Herzen: »Wie froh bin ich, daß ich nicht mehr dichten muß!«