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Im Städtchen lebten zwei Freunde, der Lange und der Dicke. Man sah nie einen ohne den andern, war es nun im Wirtshaus, wo sie gern beim Glase saßen, oder auf den Straßen, wo sie müßig herumlungerten. Von Arbeit mochten sie schon nichts wissen, seitdem sie in der Schule gesessen waren, immer in der letzten Bank, weil sie nichts lernten. Auch ihre Lehrmeister schickten sie mit Schimpf und Schande fort, denn der Lange verwirrte den Hanf, statt ihn zu Stricken zu drehn, und der Dicke schlief in den Fässern, statt sie zu putzen. Nur wenn der Beutel leer war und der Magen klapperte, sahen sie sich um eine Beschäftigung um. Aber sie mußten dann schwere und harte Taglöhnerdienste leisten, denn etwas Besseres hatten sie nicht gelernt. Da hieß es im Walde die Bäume fällen und das Holz zersägen, in der Sommerhitze die Wiesen mähen und das Heu einführen oder im Winter die 38 gefrorenen Teiche aufhacken und die großen Eisschollen in die Keller der Wirte führen.
»Ein Hundeleben!« murrte der Dicke, als sie wieder einmal nichts zu essen hatten und sich als Mäher beim reichen Bürgermeister verdingen mußten. »Den ganzen Tag Arbeit für wenig Lohn. Ich wollte, ich fände einen Schatz. Dann ade, Arbeit, ade, geiziger Bürgermeister.«
»Du, ich weiß, wo ein Schatz zu heben wäre,« meckerte der Lange. »Beim Erdbeersuchen am schwarzen Berg hab' ich ein altes Bergwerk aufgestöbert. Was gilt's? Dort liegt ein Topf mit Geld vergraben, wenn man nicht gar eine Ader puren Goldes trifft! Wenn wir das eine oder das andere fänden, wären wir gemachte Leute und hätten keine Sorgen mehr!«
»Juchhe!« schrie der Dicke und warf sein Hütlein in die Luft. Aber der Lange hielt ihm den Mund zu. »Daß du niemandem etwas sagst,« flüsterte er. »In der nächsten Vollmondnacht fangen wir zu graben an.«
Die Vollmondnacht kam und mit lachendem Munde sah der Mond, wie der Lange und der Dicke aus dem Stadttor schlichen und den Weg zum schwarzen Berge einschlugen. Jeder von ihnen hatte sich mit einer Hacke und einem Spaten bewaffnet, der Lange trug überdies eine Laterne in der Hand, während der Dicke einen großen Sack über die Schulter geworfen hatte, der die erwarteten Reichtümer aufnehmen sollte. Es war eine unheimliche Gegend, in die schon bei Tag niemand kam, und gar bei Nacht war sie von allen Menschen gemieden. Aber der Lange zündete seine Laterne an und ging mit großen Schritten voran, ohne nach rechts oder links zu blicken. Einmal kam ein aufgescheuchter Hase über den Weg gelaufen. Einmal flog ein großer Nachtfalter gegen das Licht der Laterne. Endlich wurde es heller, der Wald lichtete sich, der Weg führte auf eine verwachsene Lichtung. Der Lange deutete auf eine Stelle und begann zu graben, der Dicke tat desgleichen. 39
Die Stunden vergingen. Neben dem verlassenen Bergwerke lag ein Haufen Steine und Geröll, aber von einem Schatze war nichts zu erblicken. Den Burschen rann der Schweiß von der Stirne, sie stützten sich auf ihre Spaten und ruhten aus. Da war es ihnen, als hörten sie aus dem Gebüsche ein leises Gelächter und plötzlich stand ein Wurzelmann vor ihnen, nicht mehr als drei Spannen hoch, und lachte, daß er sich die Seiten hielt.
»Alle guten Geister stehn uns bei!« sagte der Dicke und schlug ein Kreuz. Das Wurzelmännchen aber war endlich mit seinem Lachen fertig geworden und weidete sich an den erschrockenen Gesichtern der beiden Schatzgräber.
»Da könnt ihr bis an den jüngsten Tag graben,« sagte es endlich. »Wißt ihr nicht, daß zum Schatzgraben mehr gehört als ein Spaten und ein paar derbe Fäuste?«
»Und was wäre das?« meckerte der Lange, der zuerst die Sprache wiederfand. »Ihr könnt euch ein hübsches Trinkgeld verdienen, wenn ihr uns behilflich sein wollt!«
»Zum Schatzgraben gehört eine Wünschelrute und ein wenig Verstand!« entgegnete der Wurzelmann. »Ohne diese beiden werdet ihr nie etwas finden, ihr Dummköpfe. Aber weil ihr schon einmal hier seid und weil es Vollmond ist und ich guter Laune bin, will ich euch einen Schatz zeigen, bei dessen Anblick euch die Augen übergehen sollen. Kommt mit mir!«
Der Dicke zupfte den Langen ängstlich an seiner Jacke. Aber den hatte das Schatzfieber gepackt und er wäre dem Wurzelmännchen bis an das Ende der Welt gefolgt. So mußte auch der Dicke mit und sie wanderten durchs 40 Gebüsch, der Wurzelmann voran, der Lange hinterher und der Dicke zum Schluß. An einer Felswand blieb das Männchen stehn und klopfte an. Sie tat sich auf wie ein Tor, ein schmaler Gang wurde sichtbar, feuchte Luft schlug den Eintretenden entgegen.
»Haltet euch dicht an mich,« befahl das Männchen. Den zwei Gesellen wurde es bänglich zumut. Wohin sollte die Reise gehen? Aber da kam ihnen schon Licht entgegen, eine Grotte öffnete sich und im Schein der Laterne, die der Lange nicht aus der Hand gelassen hatte, erblickten die erstaunten Burschen Wunder über Wunder. Bergkristalle lagen in großen Drusen am Boden, Amethyste leuchteten in violettem Glanz, Katzenaugen funkelten ihnen tückisch entgegen und in einem Winkel war ein Haufen von Goldkörnern.
»Ist das nicht ein besserer Schatz als vergrabener Plunder, he?« fragte das Männlein den Langen.
»Ich glaube, ich träume,« entgegnete dieser. »Aber ist das alles auch echt, was Ihr mir da zeigt?«
»Ganz echt,« lachte der Wurzelmann. »Wenn du deine Taschen damit füllst, bist du ein reicher Mann.«
»Hurrah!« schrien nun der Lange und der Dicke wie aus einem Munde und wollten schon beginnen, die glitzernden Steine in ihren großen Sack zu fassen. Aber der Wurzelmann trat ihnen entgegen.
»Halt,« sagte er. »Ohne Arbeit keinen Lohn. Ihr müßt euch diese Schätze erst verdienen!«
»Ja, womit denn?« fragte der Dicke, der wieder Mut gefaßt hatte. »Daß wir jemanden umbringen, wirst du ja nicht wollen und sonst sind wir zu allem bereit.«
»Nur nicht zum Lesen und Rechnen,« fügte der Lange hinzu, dem es angst wurde, man könne so schwere Dinge von ihm verlangen. 41
»Hört zu,« entgegnete der Wurzelmann, »die Sache ist ganz einfach. Nicht weit von hier ist eine Wiese, dort hat die Else Traumseele ihr Reich. Dort tanzt sie in jeder hellen Mondnacht den Spinnwebentanz über Blüten und Kräutern. Einmal sah ich sie tanzen und das gefiel mir so gut, daß ich es nicht wieder vergessen kann. Ich wollte alle meine Schätze darum geben, wenn sie ihr Reich verließe und Königin der Wurzelleute werden wollte. Aber sie lachte mich aus, als ich ihr durch meinen Diener, das Irrlicht, diesen Vorschlag machen ließ. Für alle Edelsteine der Welt wolle sie nicht ihre schöne Wiese verlassen und in meine finstere Höhle kommen.«
Die Burschen sahen einander fragend an, der Lange kratzte sich hinter den Ohren: »Was sollen wir aber dabei tun?«
»Das ist ganz einfach,« entgegnete der Wurzelmann. »Ihr müßt mir die Elfe eben fangen! Ich selbst kann das nicht tun, denn wir Waldleute haben strenge Gesetze, die verbieten, daß eins in des anderen Reich einbricht. Aber ihr seid just die richtigen Leute dafür. Habt ihr nicht schon als Buben kein größeres Vergnügen gekannt, als Maikäfer und Heuschrecken zu fangen und den Vögeln nachzustellen? Ja, ja, ich weiß es genau und kenne meine Freunde. Da wird es euch doch nicht schwer fallen, ein so luftiges Frauenzimmerchen, wie's eine Elfe ist, zu fangen. Geht jetzt und wenn ihr sie bringt, sind alle diese Schätze euer.«
Der Wurzelmann wandte sich zum Gehen, die Schatzgräber warfen noch lange Blicke nach den aufgehäuften funkelnden Steinen, bevor sie ihm folgten. Draußen schloß sich die Felswand lautlos und sah aus, als hätte sie sich nie geöffnet. Die Burschen schüttelten die Köpfe.
»Wir haben noch nie mit Elfen zu tun gehabt, wir wissen nicht, wie man das tut,« meckerte der Lange.
»Vielleicht verwandelt sie sich in einen glitschigen Frosch oder 42 in eine giftige Schlange, wenn wir sie anfassen,« sagte der Dicke, der erst recht kein Held war.
»Unsinn,« erwiderte das Männlein. »Das ganze Geheimnis ist, daß ihr gleich das erstemal fest zupackt. Wenn eine Elfe einmal von einer derben Menschenfaust angerührt wird, dann ist all ihre Kraft dahin. Nur fest zupacken müßt ihr und durch kein Bitten und Winseln weich werden. Dann bringt ihr mir die schöne Traumseele hierher und ich nehme sie mit mir unter die Erde. Das soll ein Fest geben, wie ich noch keines erlebte.« Und der Wurzelmann begann im Moose zu tanzen und umherzuspringen, daß sein langer Bart wackelte.
»Ich nehme den Strick mit, da können wir die Elfe binden,« sagte der Lange.
»Und ich den Sack, um sie hineinzustecken,« erwiderte der Dicke. »Es wäre ja wirklich eine Schande, wenn wir zwei mit so einem spinnewebenen Elfending nicht fertig werden sollten.«
»Vortrefflich, vortrefflich,« kicherte das Männlein und rieb sich die Hände. »Ich bereite inzwischen alles zum Empfange vor. Mit der Zeit wird sich die Elfe Traumseele gewiß bei uns eingewöhnen. Jetzt will ich euch noch einen Führer mitgeben, damit ihr den kürzesten Weg auf die Elfenwiese findet. Heda, Irrlicht, wo steckst du denn wieder?«
Auf seine Worte hin kam ein Flackerflämmchen von Irrlicht einhergetänzelt, knixte vor dem Wurzelmann und huschte hin und her.
»Ruhig, du Irrwisch,« sagte der Wurzelmann streng. »Du führst mir die beiden Herren hier geradenwegs zur Elfenwiese. Hast du mich verstanden? Aber keinen Zickzack und 43 keine Seitenwege. Und daß du nicht wieder nach dem Sumpfe und ins Moor durchbrennst, wie neulich, sonst bekommst du es mit mir zu tun!«
Das Irrlicht knixte abermals und versprach alles. Dann setzte es sich in Bewegung, die beiden Schatzgräber hinterher und alle drei verschwanden im finsteren Walde.
Auf der Elfenwiese lag der helle Mondschein und beleuchtete den Tanz der Elfe Traumseele. Von Blumenkelch zu Blumenkelch, von Grasspitze zu Grasspitze waren Spinnenfäden gespannt und auf ihnen schritten und tanzten die leichten, kleinen Füße der Elfe. Die Nacht hielt den Atem an, der Mond blinzelte freundlich herab, die Schleier der Elfe flatterten im Windhauche. Gleichzeitig schwebten und tanzten viele kleine Nachtschmetterlinge ihren Tanz in den Mondstrahlen, es war ein Schwingen und Gleiten ohne einen Laut, eine Glückseligkeit ohne Grenzen.
Plötzlich flog eine große Nachteule aus dem Walde und über die Wiese.
»Gefahr,« rief sie und verschwand.
Eine Fledermaus folgte ihr und sprach.
»Das Irrlicht geht voran,
dann kommt ein langer Mann,
ein kurzer, dicker hinterdrein, 44
das können keine Freunde sein;
drum rette sich, wer kann,
in Wiese, Flur und Tann.«
»Lichter aus!« rief die Elfe Traumseele. Da versteckte der Mond seine große Laterne schleunigst hinter einer Wolke, die Tautropfen stellten ihr Gefunkel ein und die Wiese lag schwarz und schweigend da. Von der Elfe Traumseele und ihrem tanzenden Schmetterlingsgefolge war auch nicht ein Zipfelchen mehr zu erblicken.
Jetzt tauchte das Irrlicht am Waldrande auf und hinter ihm erschienen die zwei Burschen. Neugierig und erwartungsvoll steckten sie die Köpfe aus dem Gebüsch.
»Siehst du was?« fragte der Dicke.
»Nicht das geringste!« entgegnete der Lange.
»Dann müssen wir suchen gehen,« flüsterte der Dicke. »Gut, daß du deine Laterne mithast und ich meinen Sack.« Mit ihren schweren Stiefeln tappten sie auf die Wiese hinaus, leuchteten in jedes Grillenloch und drehten die großen Huflattichblätter um. Aber soviel sie auch suchten und sich bückten, es war keine Spur von der Elfe zu finden, nur die Wiese war zertreten, die Blumen hingen geknickt ihre Köpfchen und die Grashalme waren in den Boden gestampft.
»Dummes Zeug!« murrte jetzt der Lange und gab das Suchen auf. »Der Wurzelmann hätte uns auch einen anderen Auftrag geben können, als auf die Elfenjagd zu gehen. Wer weiß, ob es überhaupt Elfen gibt! Ich habe mein Lebtag keine gesehen!«
»Wenn wir aber doch etwas mitbringen müssen!« wandte der Dicke ein. »Bedenke die schönen Steine in der Schatzkammer des Männleins! Ich meine, wir fangen irgend etwas Lebendiges und sagen dann, die Elfe hätte sich in diese Gestalt verwandelt. Wer kann uns das Gegenteil beweisen?« 45
Dem Langen leuchtete dies ein. Noch einmal tappten sie auf die Wiese hinaus und erwischten einen fetten Frosch. Den taten sie in den großen Sack und traten den Rückweg an.
Aber o weh, das Irrlicht hatte sich längst davongemacht, unverläßlich, wie Irrlichter nun einmal sind, und im Walde war es pechrabenschwarz. Einmal fiel der Lange in einen Graben, einmal stolperte der Dicke über eine Baumwurzel. Die Nadeln fuhren ihnen ins Gesicht und kratzten sie blutig. Die herabhängenden Äste peitschten sie. Von einem Wege war in der Dunkelheit überhaupt nichts mehr zu sehen.
Endlich hatten sich die beiden Jäger so gründlich verirrt, daß sie nicht mehr aus noch ein wußten und keine Ahnung hatten, ob sie jemals wieder aus dem undurchdringlichen Walde herausfinden würden.
»Ich fürchte mich!« jammerte der Dicke.
»Ich kenne mich auch nicht mehr aus!« sagte mürrisch der Lange. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns hier ins Moos zu legen und auf den Tag zu warten.«
Dies taten sie denn auch und schliefen alsbald vor Müdigkeit und Verdruß ein.
Als sie erwachten, war es heller Morgen. Die Drosseln schlugen, die Finken schmetterten, die Sonne stand am Himmel und lachte die Elfenjäger aus.
»Du bist ja ganz zerschunden, Langer!« sagte der Dicke.
»Und du schaust aus, als hättest du dich mit ein paar Katzen gebalgt,« entgegnete der Lange.
»Wo sind wir denn eigentlich?« fragte der Dicke und schaute um sich. Sie saßen am Rande des verlassenen Bergwerkes, Hacken und Spaten neben sich, auch die erloschene Laterne war da und der große Sack. Aber weder vom Wurzelmännchen, noch von seinen Schätzen war eine Spur zu sehen, selbst das Fröschlein im Sacke hatte sich davongemacht.
»Habe ich vom Wurzelmännchen und seinen Schätzen geträumt?« fragte der Lange. 46
»Sind wir wirklich mit dem Irrlicht auf die Elfenwiese gegangen?« murmelte der Dicke.
Sie wußten es nicht. Sie wußten nur, daß der schöne Traum von den Schätzen und Reichtümern zu Ende war und daß sie wieder ins Städtlein zurückgehen und arbeiten mußten. Betrübt packten sie ihre Geräte und zogen ab. Hinter ihnen lachte der Wind, pfiffen die Vögel, rauschte der Wald.
»Schade um die Schätze, schade um die schönen, blitzenden Steine,« sagte der Dicke und ließ den Kopf hängen. Und der Lange erwiderte: »Mit Wurzelmännern und Waldelfen und ähnlichem Gelichter soll man nichts zu tun haben, das sind gar zu unverläßliche Leute!« 47