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Dreiunddreißigstes Kapitel

(Bruder spürt noch einmal den Jahrmarkt des Lebens)

Die Sonne wärmte nicht weniger. Die Luft blieb mild. Und doch sträubte sich mein Fell. Katzendunst war überall in dem milden Windhauch, der meinen geliebten Herrn umstrich.

Achim hatte ein Blatt Hans Leinsteins in der einen Hand. Mit der andern Hand streichelte er mich. Seinen Blick, den ich nicht mehr sehen konnte, fühlte ich weit fort von mir.

Ich machte mich frei. Ich durchschnüffelte alles ringsum. Wieder und wieder. Ich wurde unsicher. Der Feindeshauch ging von meinem geliebten Herrn aus. Ich jagte hin und her. Ich wagte nirgends mehr zu ruhen.

Ich witterte es scharf und schärfer, daß mein geliebter Herr mich verlassen wollte. Er hatte dies oft getan. Er hatte es mir stets mitgeteilt. Und mich getröstet. Nach Tagen der Entbehrung hatte ich ihn wiedergefunden.

Er sprach nichts davon zu mir.

Grauen jagte mich von ihm fort. Angst jagte mich zu ihm zurück. Meine Freude, wenn ich zu ihm zurücksprang und ihn wiederfand, wo ich ihn verlassen hatte, war jedes Mal grenzenlos. Ich störte ihn oft.

Furcht bringt Unglück. Die nutzlose Flucht vor meiner eignen Schnauze brachte mich einem Vogelsteller in die Schlinge.

Ein Sack kam über mich und fort wurde ich gebracht.

Als man mich wieder herauszog, befand ich mich im Geschwirr vieler Stimmen, Menschenworten wie Tierlauten.

Ich spürte Steinboden unter den Pfoten. Ich hörte zahllose Schritte, mit Münzengeklirr und den Stimmen zusammenklappen. Ich witterte den Geruch von Kohl, von geschnittenen Früchten, gerupften Hühnern, von toten Fischen, von frischgeschlachtetem Fleisch und geschnittenen Blumen.

Ich wurde fest angeseilt. Vor einem Gestell mit Rädern, das ich von einem Platz zum andern zu ziehen hatte.

Auf diesem Gestell flatterte es hin und her. Es waren keine Spatzen, die zwischen den Stäben flatterten. Es waren meist jene Gefiederten, die stets dem neuen Grün nachflogen und den Sonnenstrahlen.

Mein neuer Herr fing sie sich ein, da, wo sie ermattet rasteten. Er hatte viele Kniffe dafür. Er sprach gern davon. Nicht zu den Menschen. Er sagte, man müsse wissen, vor wem man seine Geheimnisse auskrame. Zu mir redete er davon. Und zu jenen, die seine Stimme erschreckt gegen die Stäbe stieben ließ.

Machten Käufer vor uns halt, pries er laut und lange seine Ware. Gelächter tönte dann weithin. Die Eingesperrten schlugen mit den Flügeln um sich, wie Hühner, die den Habicht über sich fühlten.

Mein neuer Herr erklärte, daß hier der Wundervogel zu sehen wäre, Schwalbe genannt. Amüsierte sich bisher, von früh bis spät hin und her zu fliegen. Habe sich nun hier zur Ruhe gesetzt.

Neben ihr hocke der Herr Rabe. Bekanntlich ein schlechter Herr Papa. Daher das im Familienleben nicht ungewöhnliche Wort: Rabenvater. Er ärgere sich stets fürchterlich, daß seine Jungen weiß zur Welt kämen. Seine Zärtlichkeit beginne erst, wenn sich die ersten schwarzen Federn bei ihnen zeigten und er sicher wäre, daß sie genau so schwarz werden würden wie er.

Hier in dem größten Käfig säße der Pfau. Er nähre sich von Eigenliebe und von Bewunderung der andern. Er hatte es verstanden, vier gute Dinge bei der Schöpfung für seine Ausstattung zu erhandeln. Den Hals der Schlange, den Flügel des Engels, das Maulwerk des Teufels und den Leisetritt des Diebes. Kein Wunder, daß man sich gern mit seinen Federn schmückte, die Wände und Vasen der guten Bürgerstuben damit zu verzieren liebte.

Vor einem Käfig, in dem sich nichts regte, erklärte er, daß dort der Vogel Phönix gefangen wäre. Der würde dreihundert Jahr alt und mehr. Aber auch damit wäre er noch nicht zufrieden. Hatte er diese hübsche Pauschalsumme Leben verflattert, fange er wieder von vorn damit an. Zu diesem Zweck schichte er sich mit seinem lebenserfahrenen Schnabel aus dürrem Holz einen Scheiterhaufen auf. Dann flöge er zur Sonne und ließe sich von ihren Flammen einen seiner Flügel ansengen. Mit diesem glimmenden Flügel entzündete er seinen Scheiterhaufen, loderten die Flammen, stürzte er sich hinein wie in ein reinigendes Bad. Aber während er verbrenne, krieche aus ihm ein Wurm, der, größer und größer werdend, sich zu einem neuen Phönix auswachse. So ein Phönix wäre also eine Sache, die sich lohnte.

Die Männer, an deren harten Kleidern ich den Ruch der Felder und Ställe spürte, hatten Mißtrauen gegen einen Vogel, der aus keinem Ei gekommen war. Sie meinten, alles müsse seine Ordnung haben.

Eine Frauenstimme mischte sich ein. Ich glaubte einen Augenblick lang, Frau Alwine wiedergefunden zu haben. Sie sagte, ein solcher Phönix müßte ein dauerhaftes Zierstück für einen Palmenpark abgeben. Dreihundert Jahre wäre eine lange Zeit, selbst wenn nur die Hälfte davon wahr wäre. Was man bei jedem Geschäft annehmen müsse. Und wenn sich der Vogel selbst erneure, schien der Kauf in keiner Weise unpraktisch zu sein.

Es käme nur darauf an, ob der Dreihundertjährige nicht zu unansehnlich aussähe. Nach dieser Überlegung bemerkte sie, daß der Käfig leer war.

Der Händler erklärte ihr den Grund. Der Phönix war gerade wieder einmal unterwegs zur Sonne. Sie würde also sogar einen funkelnagelneuen Vogel bekommen können. Nur der Termin ließe sich nicht genau bestimmen. Die gnädige Frau als gebildete Dame werde gewiß wissen, daß manches im Leben ungewiß wäre. Ausrechnen ließe es sich nicht, wann der Phönix wieder herunterkommen würde.

Er richtete den Arm in die Richtung der heißen Helle, die aus der Sonne floß. Um zu zeigen, wo sich seiner Berechnung nach der Phönix augenblicklich aufhalten müsse.

Ich fühlte die Augen aller Umstehenden seinem Armzeiger gefolgt.

In diesem Augenblick gelang es mir, den letzten der mürben Stricke zu zerreißen, der mich an das Wagengestell fesselte.

Ich war frei. Ich zögerte nicht einen Augenblick, um den Weg zu meinem geliebten Herrn zurückzufinden.

Bald darauf hätte ich meine Freiheit nicht mehr auf diese Weise erlangen können.

Mein allzueiliger Lauf in der Dunkelheit meines Unglücks hatte mich einer jungen Dame zwischen die Beine gebracht. Nur einen kurzen Augenblick lang. Ihr Begleiter aber nahm dies äußerst übel auf. Er verschaffte sich sofort Satisfaktion. Ein Steinwurf, außerordentlich geschickt geschleudert, brachte mich um den Rest meiner Zähne.

Ich ließ das Blut träufeln und gerinnen, ohne mich dadurch aufhalten zu lassen. Ich jagte vorwärts. Meine Beine konnten längst nicht so schnell, wie ich wollte. Der Leib schlapperte zwischen ihnen. Ich spürte, daß ich nichts genossen hatte, seit ich mich verloren hatte von meinem geliebten Herrn.

Hunger und Elend müssen abschreckend machen. Ich begriff es. Wo ich vorbeisauste oder zu rasten versuchte, strömte mir der Dunst des Ekels und der Abscheu von den Menschen zu. Ich fürchtete mich. Ich verkroch mich in Scham.

Nur einmal kam ein Kind an mich heran. Es machte seine ersten Schritte und freute sich, an mir Halt zu finden. Es sagte eilala zu mir und stopfte mir sein Stück Butterbrot in die blutverklebte Schnauze. Es war der erste Bissen wieder seit langer Zeit. Und der letzte bis heute ...


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