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Dreiundzwanzigstes Kapitel

(Bruder hat gute Tage. Erfährt manches Helle und Dunkle aus Menschenleben und Hundedasein)

Draußen war es kalt und rauh. Bäume, Sträucher standen leblos zwischen Menschen, Steinen und Laternen. Bei uns war es warm und hell.

Wir lebten froh miteinander. Ich spürte, wie angenehm es zu leben, wenn man niemandem unangenehm ist.

Man benimmt sich so, wie man behandelt wird. Ich bellte nicht ohne Grund, ich lag ohne Unruhe zu meines geliebten Herrn oder zu Hetes Füßen. Die nie weit voneinander waren.

Mein geliebter Herr sagte, ich hätte mich hier zu einem Gentleman ausgebildet.

Hete meinte, man solle mich Gentleman rufen. Das könnte Spaß machen.

Augustus Augustinus aber sagte, gerade weil er ein Gentleman geworden, müssen wir ihn Bruder nennen. Er trank auf mein Wohl. Volle Gläser und Lachen klirrten durcheinander.

Gute Tage waren es, hell die Stimme meines geliebten Herrn.

Auch Bewegung hatte ich genug. Trotz des guten Lebens setzte ich kein Gramm eklen Fettes an. Es gab beständig Fahrten, wo ich mit den Autorädern Wette rennen mußte. Wo Schnelle, Schläue und Geschicklichkeit nötig waren, um schon vor der Wagentür wedeln zu können, bevor die Räder still standen.

Hete bedauerte mich. Sie verstand es nicht besser.

Rex beneidete mich. Er wäre gern an meiner Stelle gewesen. Aber große Künstler müssen stets an ihre Gesundheit denken. Er durfte sich keineswegs Wind und Wetter aussetzen. Augustus Augustinus war stets besorgt um ihn. Jeder Stand hat seine Last ...

Vor blitzenden Lichtern hielt der Wagen. Hete klatschte vor Freude in die Hände, wenn ich vor dem Wagenschlag Willkommen wedelte.

Es standen dort stets Bettler, die mit gekrümmten Fingern die Wagentür öffnen halfen.

Hete sagte, sie fürchte sich jedesmal, Lackschuh und Seidenstrumpf vorzustrecken vor diesen bösen alten Augen. Wenn aber ich daneben stände, schaumtriefend mit roter Zungenfahne, fürchte sie nichts mehr auf der Welt.

Die Blicke meines geliebten Herrn glänzten. Er war zufrieden mit mir ...

Einer der Bettler hatte auch einen Hund. Er roch nach toten Ratten, er schlief in einem Keller. Ich wurde bekannt mit ihm. Ich mußte oft lange vor den erleuchteten Türen warten.

Er hieß Maxl. Das war der Lieblingsname des Bettlers.

Maxl war immer mißgelaunt. Er wünschte jeden Menschen totbeißen zu können. Aber er mußte kuschen, er hatte keinen Zahn mehr hinter der triefenden Schnauze und sah nur auf einem halben Auge.

Einmal war es anders gewesen, knurrte er, während er Papier kaute, was seine Vorliebe war. Er hatte damals Primus geheißen. Als er mit drei gleichen Brüdern aufwuchs, schlanke, braungestromte Schäferhunde alle vier. Primus, Sekundus, Tertius und Quartus hatte ihre junge Herrin sie genannt. Der Rasen war grün gewesen, duftend die schaffende Erde, wo Priska, ihre junge Herrin, mit ihnen jagte, schnell und wild, als wäre sie selber braungestromt und vierfüßig.

Priskas Eltern lachten dazu. Auch wenn Priska plötzlich die Peitsche zog und die sie vertrauensvoll Umspringenden unvorbereitet mit peinigendem Schmerz traf.

Die Eltern lachten. Tiere können nicht lachen.

Die vier wurden größer, kräftiger. Sie brauchten weder Mann noch Mädchen zu fürchten. Sie duldeten trotzdem viel in Gehorsam und Ergebenheit.

Besonders wenn sich ihre Herrin mit ihnen einschloß. Unbekleidet ritt sie dann auf ihrem braungestromten weichen Fell, marterte sie mit der Peitsche, schlug die empfindlichsten Stellen, hielt brennende Lichter unter die um Mitleid wedelnden Schwänze.

Eines Morgens kamen sie überein, sich zu rächen. Priska kam die große Treppe hinuntergeeilt, im Reitkleid, unten warteten Pferd und Knecht. Priska pfiff ihren vier, sie hatte die Peitsche in der Hand und lachte. Es war heißer Sommer, der Erdboden dampfte. Alle vier sprangen ihr an die Kehle und zerrissen sie in Stücke.

Der Reitknecht erschoß sie auf der Stelle.

Primus wurde nicht zu Tode getroffen. Er gewann das Freie, mit einem halben Auge. Er lebte weiter. Er kroch herum. Damals hatte er sich das Papierknabbern angewöhnt. Wo er sich vorwagte, hörte er seine eigne Geschichte. Alle Zeitungen hatten darüber berichtet. Es war keine gute Zeit für Hunde. Die einen höhnten zufrieden, daß endlich die berühmte Hundetreue sich als Ammenmärchen erwiesen hätte. Die andern, etwas ratlos, versuchten es damit zu entschuldigen, daß es, wie unter den Menschen, auch unter den Hunden Verbrechernaturen geben könne ...

Ich forschte, wie Maxl zu dem Alten gekommen wäre.

Er knurrte, daß ihn des Bettlers fauler Geruch angezogen hätte. Er verabscheue reinlichen Seifenduft, der an Frauengemächer erinnere. Er wäre dem Alten gefolgt. Der hatte sich geehrt gefühlt und habe mit ihm zu sprechen begonnen.

Ich vermied diesen neuen Bekannten. Unangenehmes mochte ich nicht.

Ich versuchte, mit den andern hinter die blinkende Glastür zu schlüpfen. Ich legte mich behutsam unter den von Gläsern klirrenden Tisch, meinem geliebten Herrn zu Füßen.

Man ließ es lachend zu. Es waren gute Tage.

Ärgerlich war nur die Witwe Schaumlöffel. Sie brummte mit uns.

Sie murrte, ein Hund gehöre in seine Hütte. Dabei blickte sie nicht auf mich, der ich die Ohren spitzte. Sie blinzelte auf das Bett meines geliebten Herrn, das nächtelang nicht in Anspruch genommen worden war.

Auch wenn ich wieder einige Stunden bei ihr bleiben mußte, murrte sie. Sie sagte, meine vornehme Rasse wäre ihr bis dahin unbekannt gewesen. Die meines geliebten Herrn sei ihr weniger fremd. Windhunde habe es schon in ihrer Jugend gegeben. Und rar wären sie auch nicht gewesen.

Windhund erinnerte mich an Lord. Das wäre keine Beleidigung gewesen. Aber der Ton gefiel mir nicht. Ich stieß mit der Schnauze zwei der Familienphotographien um und bellte heftig. Sehr heftig. Immer heftiger.

Die Witwe Schaumlöffel bekam Angst vor mir. Sie rief nach ihrer Nachbarin. Diese wollte nicht hineinkommen. Sie steckte nur ihren Kopf durch die Tür. Sie sagte, daß man bedenken müsse, wie wenigen Menschen auf die Dauer zu trauen wäre. Wer weiß, ob der Unterschied zwischen Mensch und Tier wirklich so groß wäre, wie man immer behauptete. Ich hätte vielleicht auch meine Tücken.

Ich gähnte.

»Huh, die Zähne,« schrie die Nachbarin und lief davon.

Die Witwe Schaumlöffel wollte nicht allein mit mir bleiben. Sie folgte der Alten.

Ich war das Alleinsein nicht mehr gewohnt. Es war kahl, kalt und hart hier. Es gefiel mir hier nicht mehr. Ich kratzte an der Tür. Ich begann zu bellen. Ich heulte. Schließlich fand ich Spaß daran und bellte ohne Unterlaß.

Spektakel und Unruhe rumorten vor der andern Seite der Tür.

Jemand hatte einen Schutzmann gerufen. Es schien, daß er in der Hand Buch und Bleistift bereit hielt.

Die alte Nachbarin schrie: »Bleistift weg, Säbel raus!«

Der Schutzmann blieb draußen. Er öffnete die Tür nur um einen kleinen Spalt und rief: »Killekille, Baubauchen!«

Hielt er mich für seinesgleichen? Gegen Spott bin ich unerbittlich. Ich bellte wie rasend. Ich machte große Sätze gegen die Tür. Ich versuchte, sie einzurennen. Leider vergebens.

Der Schutzmann hatte die Tür längst wieder verschlossen. Ich hörte, daß er sich den Namen meines geliebten Herrn diktieren ließ.

Die Folge davon weiß ich nicht. Wir verließen die Witwe Schaumlöffel an jenem Tage.

Sie bat meinen geliebten Herrn, mich anzuseilen. Dann nahm sie einen Schürzenzipfel vor die Augen und begleitete uns zur Tür.

Dort sagte sie, daß alles Böse vergessen sein würde. Nur der Kaffeesack sollte ewig vor ihrer Seele stehen bleiben. Unversehrt.


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