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»Das ist Volkstedt,« nannte Otto den Freunden, die sich des Anblicks des ausgebreiteten, mit Alleen geschmückten, mit reichen Wiesen prangenden Saalgrundes freuten, ein nahe am Fluss gelegenes Dorf, durch das die Strasse sie führte, und wo er den Wagen halten liess.
»Wir wollen nicht vornehm vorüberfahren, hier wohnte Schiller, hier lebte er eine glücklichere Zeit im Genuss einer reinen und seligen Liebe und Freundschaft, einer entzückendern Natur, als in dem einsamen Bauerbach, wo so Manches den edlen Dichter presste und drückte, das ihn zu bittern Aeusserungen veranlasste. Ich habe euch den Ort gezeigt, der ihm als Flüchtling ein, wenn äusserlich noch so beschränktes, doch gastliches Asyl gewährte, sehen wir nun auch einen Ort, der ihm lieb war vor Vielen, lieb eben um der Liebe Willen.« Vor Volkstedt lag des Dichters Wohnung. Er konnte die Saale sehen, mit ihren lachenden Ufern, den Kranz ihrer Waldberge, manchen schöngelegenen Ort, auch die nahe prangende Fürstenresidenz, das hochgebaute Schloss von Rudolstadt. Eine Anhöhe, welche hinauf Otto die Freunde führte, war sein Lieblingsspaziergang; dort errichtete dankbare Erinnerung dem unsterblichen Sänger ein einfachwürdiges Denkmal, und die Reisenden weilten mit stiller Verehrung vor der bronzenen Büste nach Danneckers unübertrefflichem Modell. Das grosse sinnende Dichterauge ist dem Thale zugekehrt und dem Hause, die beide ihm so lieb geworden, und eine alte Eiche beherrscht ernst die freundlichen Anlagen der oft besuchten Schillers-Höhe. – Von Volkstedt hätte Otto noch den Freunden berichten können und sollen, dass dort eine der ältesten und äusserst lebhaft betriebenen Porcellanfabriken besteht, allein er wollte nicht jetzt mit einem Referat industriellen Interesses das poetische stören, welches die Erinnerung an einen der liebenswürdigsten Geister der deutschen Nation erregen musste, der hier weilend, diese Stätte weihte.
Ungemein imposant und stattlich grüsste nun die Weiterfahrenden das Rudolstädter Schloss von seiner Höhe, und die gutgebaute Stadt entfaltete sich den Blicken mehr und mehr. »Rudolstadt hat eine herrliche Lage!« rief Wagner aus, liess den Wagen anhalten und zeichnete, wodurch Lenz und Otto Muse gewannen, sich nach allen Richtungen hin bequemlich umzuschauen. Gleich wo die Stadt beginnt, ohnweit des Platzes, auf welchem das Vogelschiessen, auch eins der frequentesten in ganz Thüringen, und das langdauernste, gehalten wird, winkte ein stattliches Gasthaus zur Einkehr.
»Hier wollen wir uns recht umsehen!« sprach Otto, als er aus dem Wagen sprang, und freute sich schon im Voraus darauf, hier den lieben Gefährten wieder als Cicerone dienen zu können. Es gewährt dem Naturfreund eben so viel eigenthümliche Freude, Freunden das Bekannte, oft Geschaute als Neues, für sie bisher Unbekanntes, zeigen zu können; dadurch erhalten liebgewordne Gegenden dauernden Reiz für den Einheimischen, der sie gern mit Antheil betrachtet, vielleicht, wenn sie es verdienen, bewundert sieht – als es einem Sammler Genuss verschafft, Kundigen seine Schätze vorzulegen, weil beide in der fremden Anerkennung ein Echo ihrer Vorliebe oder einen Einklang individueller Geistesrichtung wiederfinden, daher solches Zeigen und Vorzeigen weit seltner ein Verdienst, wie die Höflichkeit gebietet, es anzusehen und zu rühmen, als ein persönliches Vergnügen durch Befriedigung eigner Liebhaberei heissen möchte.
Ein schöner Sommerabend bot noch hinlängliche Zeit, die Gegend Rudolstadts von einem gut gelegenen Standpunkt zu betrachten, und wo hätte dieser besser sich finden lassen, als von den hohen Mauerterrassen des Schlosses, der Heidecksburg, und von den Hochpunkten des hinter dem Schlosse sich weit erstreckenden Hains, wo hinauf die Freunde auf schön gebahntem Kiesweg aufwärts wandelten!
Bald wurde der eine, bald der andre Punkt auf der freundlichen Höhe aufgesucht, deren gegen das Thal auslaufende Endzunge vom Schloss gekrönt wird, das von verschiedner und ungleich zeitiger Bauart besser pittoresk in der Ferne wirkt, als in der Nähe. Nach Süden und Osten blickend und so auf den Weg, den sie gekommen waren, zeigte der Führer zunächst nach Volkstedt hin und auf die hier nur wenig gekrümmte Saale, auf das malerisch situirte Dorf Unterpreilip, über dessen felsgeschmückte Nachbarhöhe der von Saalfeld aus schon bemerkte Kulm sich emporhebt. Näher der Stadt biegt der Fluss aus seiner nördlichen Richtung nach Osten, und der Zeigenheiner Berg beschränkt den Fernblick nach Blankenburg. Ein von sanften Hügeln gebildetes Thal lässt den muntern Schallbach aus seinem Schoosse der nahen Saale zurollen, wie eine freundliche Najade silberne Fluth aus ihrer Urne giesst; es ist das Thal, in welchem Keilhau liegt, eine Erziehungsanstalt von gutem Klang in Nähe und Ferne. Noch näher dem Hain bietet der Mörlaer Graben mit schroffen Felsen, umbuschtem Geklüft, einer Felsbrücke und einem Kapellchen freundlich malerische Ansichten dar. Der Hain selbst ist zum schönen Naturpark mit geschmack- und sinnvoller Hand geweiht; nach jeder Richtung locken und führen reizende Waldeswege in seine heiligen Schatten. Es ist anzunehmen, dass überall, wo die Benennung Hain, Hagn, Hahn dauernd haften blieb, der Wald, der ihn führt, sehr frühen Ursprunges ist. Im Rudolstädter Hain erinnert nun zumal eine uralte Eiche an das vorzeitliche Naturtempelhaus. Tempel und Denkmäler der Neuzeit, in den Anlagen verstreut, führen den Blick, der sinnend auf dem altergrauen Runenstein der Vergangenheit weilte, schnell in die heitre Gegenwart zurück, und mannichfachschöne Aussichten auf Fels und Wald, Stadt und Thal, Strom und belebte Wiesen locken ihn zu weilendem Niederlassen da und dort.
Auf einer Gartenbank ohnweit des hochragenden Fürstenbaues genossen die drei Freunde den wonnigen Sommerabend, und Otto benutzte diese der ruhigen Betrachtung gewidmeten Momente, seinen Begleitern über den Ursprung und die Geschichte Rudolstadts einiges anzudeuten, immer mehr das sagenhafte, romantische, als das strenggeschichtliche Interesse dabei im Auge behaltend.
»Die frühe Tradition,« begann er: »lässt Rudolstadt durch den Thüringer Herzog Rudolf oder Radulf gründen, denselben, der unter dem Frankenkönig Dagobert glorreiche Siege gegen die nachbarlichen Sorben und Wenden erfocht, und sich zum mächtigen Herrn und Gebieter des Thüringerlandes erhob. Die spätern Herren der Stadt waren thüringische Gaugrafen, von denen die von Orlamünde zuerst bedeutend in der Geschichte dieser Stadt hervortreten. Lange blieb die Stadt als Reichslehen im Besitz dieses Geschlechts, bis sie die Grafen von Schwarzburg erst als Pfand, dann als Eigenthum erwarben. Mehr als einmal verschwägerten sich diese Grafen mit denen von Henneberg, und besonders ragt eine edle Hennebergerin, Katharine, Gemahlin des Grafen Heinrich des sieben und dreissigsten, würdig und geschichtlich bedeutsam hervor.« »Ich muss bemerken,« unterbrach sich hiebei der Sprecher: »dass fast alle Schwarzburgischen Grafen und nachherigen Fürsten die Vornamen Heinrich oder Günther führen.« –
»Katharina von Schwarzburg verlebte eine der merkwürdigsten Epochen, die Reformation, und den durch diese theilweise mit hervorgerufenen Bauernkrieg, nach dessen Endschaft die Gräfin als Wittwe im Schlosse zu Rudolstadt wohnte, und mit energisch männlichem Geiste das Regiment führte. Sie förderte, wo sie konnte, das Werk der Kirchenverbesserung; sie war es, die verfolgte protestantische Prediger schützte, namentlich den berühmten Saalfeldischen Pfarrer Kaspar Aquila, auf dessen Kopf ein Preiss von 5000 Gulden gesetzt war. Sie hielt ihn viele Monate lang auf ihrem Schlosse verborgen. Als eine Frau von persönlichem, wahrhaft heroischem Muthe zeigte sie sich, als nach der Schlacht bei Mühlberg das Heer Karl des Fünften unter Herzog Alba seinen verheerenden Zug durch das Saalthal nahm. Sie wirkte zunächst einen Schutzbrief für ihr Land aus, öffnete das Schloss den zahlreichen Landleuten, die mit ihrer Habe, dem Schutz nicht trauend, geflüchtet kamen; sie liess die Saalbrücke abbrechen und weiter abwärts aufschlagen, und sorgte, dass es dem kommenden Heer an Lebensmitteln nicht fehle. Der gefürchtete Herzog Alba erschien nun mit dem Herzog zu Braunschweig auf dem Schloss, um ein Frühmahl einzunehmen. Diess hatte kaum begonnen, als die Gräfin Nachricht erhielt, dass die spanischen Soldaten das Vieh der Landleute tödteten oder wegtrieben; sogleich bat Gräfin Katharina, auf den Schutzbrief trauend, ihre Gäste um Abstellung des Uebels, erhielt aber mit Lachen die Antwort, das sei also der Kriegesbrauch und lasse sich nicht ändern. Ein Wink der Gräfin, und in die Halle tritt in ernster Haltung, vom Kopf bis zum Fusse geharnischt und gewappnet, eine Kriegerschaar mit blanker Wehr. »Meinen Unterthanen ihr Recht!« spricht entschlossen die Gräfin, »oder, bei Gott, Fürstenblut für Ochsenblut!« – Und Alba wird bleich, sein nur kleines Gefolge blieb in der Stadt, er ist in den Händen der Gräfin. Der Braunschweiger Herzog, gut und klug, macht einen Scherz aus dem Ernste, beruhigt die Gräfin mit freundlicher Rede und redet Alba zu, den Befehl zur Zurückerstattung des Geraubten zu geben, worauf dieser hernach, ohne Rache zu nehmen, das Schloss verliess. Dieses Schloss litt öfter durch Feuersbrünste beträchtlich, und nicht besser ist es der Stadt ergangen, die aber immer freundlicher und schöner wieder erstand. Was das Land in dem deutschen, dreissigjährigen und siebenjährigen Kriege zu ertragen hatte, in denen es stets mehr oder minder mit zum Kriegsschauplatze wurde, verschweige ich, so wie ich die Ereignisse während der Franzosenkriege unberührt lassen will. Brechen wir auf und wandeln hinab zum stattlichen Gasthause! Morgen besehen wir das Sehenswerthe, Naturaliencabinet und Gemäldegallerie.«
Die Freunde verliessen ihren Ruhesitz. Die Sonne war, während sie hier geweilt, in die Schatten des Haines hinabgesunken, die östlichen Höhen des Saalthales glühten noch in ihrem goldnen Wiederscheine. Weithin vermochte der Blick dem Laufe des geschlängelten Stromes zu folgen. Süsse Abendruhe lag auf den Fluren, Himmel und Erde küssten einander mit rosenrothen Lippen einen flammenden Gutenachtkuss.
Am andern Morgen wurde im Anger gelustwandelt, unter schattenden Esplanadenbäumen gefrühstückt, dann hellen Auges und ernsten Geistes die Schätze besehen, welche ein in der Stadt gelegenes fürstliches Schloss, die Ludwigsburg, in sich schliesst:
Zunächst das Naturaliencabinet mit seiner reichhaltigen und trefflich geordneten Konchyliensammlung. Bei dieser äusserte Lenz: »Die Vorliebe für schöne Schaalengehäuse nimmt jetzt merklich ab, seit man die Weichthiere ächt wissenschaftlich nach ihrem innern Bau und nicht mehr nach dem äussern ihres Wohnhauses bestimmt«; worauf Otto erwiederte: »Für mich haben, so sehr ich auch die neuen Fortschritte in der Konchyliologie als Wissenschaft anerkenne, solche Sammlungen stets etwas Erfreuendes. Die Schöpferkraft der Natur ist in diesen Schnecken und Schalen höchst poetisch ausgesprochen. Ihr Finger zeichnete hier auf ein Schneckenhaus Linien und schrieb geheimnissvolle Noten darauf, denen der Schlüssel fehlt; zeichnete dort unabsehbare weisse Zeltreihen auf dunkeln Grund, gab hier einem Hause die Form einer Harfe, einem andern die einer Messerschale, und bildete so in wundersamster Mannichfaltigkeit eine ganz eigenthümliche Welt voll schöner Formen und Farben, den Schmuck der Meerestiefe, immer dem Auge erfreulicher, als der Wurm, der in der schönen Schale lebt, sollte er auch in gastronomischer Beziehung sich noch so grossen Vorzugs erfreuen. Haltet eines der grössern Gehäuse ans Ohr und vernehmt das räthselhafte, seltsame Brausen: es klingt wie ein Nachhall des Wellenrauschens, das einst die Schnecke umtoste. Ich habe mich oft lange einsam so hingesetzt, dem Getöse nachgesonnen und mich tief in den Schoos der Wasser hinabgeträumt unter Muschelgrotten und Korallenwälder, zu lieblichen Ondinen und Sirenen, und mich auf grünseidenen Betten von Tang mit ihnen geschaukelt. Dabei geht im Innern gar ein wundersames Leben auf, und die keusche Wasserlilie der Poesie steigt silberweiss, wie ein Schwan, zur zauberhaft leuchtenden Phosphorfläche des Meeresspiegels still herauf.«
»Unser Poet schwärmt!« sprach Wagner lächelnd, »während ich in Gedanken aus den schönsten dieser zackigen, gewundenen und glatten Gehäuse, aus Nautilus und Perlenmuscheln, Admiralen und Cypreen, Kinkhörnern, Korallen und Madreporen anmuthige Stillleben zusammensetze, vermischt mit schmackhaften Austern, Krabben, Hummern und Garnülen.«
»Welche Sie, verehrteste Herren, in jenen Kästen finden« – unterbrach der Aufseher der Sammlungen, und die Freunde schritten lächelnd weiter.
Auch die Gemäldegallerie im Residenzschlosse mit manchen anziehenden Bildern berühmter und berühmtester Meister, wie die Sammlung guter Gipsabgüsse von Antiken, die mit der Gallerie in Verbindung stehen, wurde aufmerksam betrachtet, und so nahte unvermerkt der Mittag und die Zeit heran, in welcher der Aufbruch von den Reisenden beschlossen war, die noch bei einem Gange durch die Stadt eine Anzahl malerischer Prospecte von Stadt und Umgegend, wie von Blankenburg, Greifenstein, dem Schwarzathal und Schwarzburg sich verschafften, um möglichst viele Erinnerungen aus diesen besonders schönen und anmuthigen Gegenden Thüringens mit sich zu tragen und aufzubewahren.