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Als Schaubach mit herzlichem Lebewohl und wohlgemeintem Glückauf! zur fröhlichen Weiterfahrt von den drei Freunden geschieden war, pilgerten diese durch das lachende Gefild auf der herrlichen preussischen Hochstrasse weiter. Hinter ihnen ragte kolossal der Dolmar auf, dessen Höhe hier weit besser in die Augen fällt, als von der Westseite; vor ihnen traten allmählig die Bergwände des Hintergrundes hervor, je näher sie dem Dörfchen Ebertshausen kamen. Unten plätscherte die Lichtenau und trieb einige Mühlen; Tannenwaldung umgab zu beiden Seiten die Anhöhen, und eine weite Wiesenfläche breitete sich nach Benshausen zu aus. Der Boden ist hier Sand, zwischen Ebertshausen und Schwarza befindet sich ein ergibiger Bruch dieses Gesteins, und die häufigen Wasserfluthungen schlemmen den feinsten röthlichen Kies mehr auf die Chaussee und die Wiesen, als Aufsehern und Eignern lieb ist. Bei Benshausen treten die Waldungen etwas zurück und machen Äckern Raum, von denen viele mühsam genug zu bestellen sind. Ohnweit des Dorfes grüsste die Reisenden das Pochen des ersten Hammers, doch lag er ihnen zu weit rechts ab vom Wege, und Otto verhiess das Beschauen grösserer Eisenhämmer. »Benshausen,« begann er zu erzählen: »ist der Weinkeller des Thüringer-Waldes. Dieser Königlich Preussische Flecken von 258 Wohnhäusern und 1555 Einwohnern hat sich in neueren Zeiten ausserordentlich gehoben, reinliche, zum Theil grosse und modern gebaute Häuser zieren nicht blos die Hauptstrasse, und es werden eine Menge städtischer Handwerke darin betrieben. Früher war besonders das Strassenfuhrwerk wichtig, später bildete sich aus und durch dasselbe der beträchtliche Weinhandel aus, der den Ort zu so grossem Flor erhob. Mit 90 bis 100 Fuhrmannspferden führen ein und versenden hier neun bedeutende Weinhandlungen alljährlich 4000 Eimer Rhein-, Pfälzer-, Franken- und französische Weine weithin durch ganz Sachsen, Meklenburg, Preussen, Schlesien, bis nach Pommern und Polen.«
»Teste David et Sybilla!« rief Lenz aus und zeigte auf die ungeheuern Stückfässer in manchen Höfen und auf die Haufen nagelneuer Eimer- und Halbeimerfässer, die an den Häusern aufgestapelt lagen, wie auf die Fuhrmannskarren, die dort abgeladen, da frisch beladen wurden. »Du machst uns den Mund wässerig, Freund, führe uns vom Glauben zum Schauen, denn mich dürstet.«
»Folgt mir getrost zur Quelle!« erwiderte Otto und lenkte in eine Seitenstrasse ein, nach einem befreundeten Hause, aus dem ihnen ein lautes Willkommen entgegenschallte. Es währte gar nicht lange, so hatte sich wie magnetisch angezogen, ein Häuflein frohgesinnter Jünger des Freudengeber Dionysos zusammengeschaart, einer derselben trug einen Schlüssel, und bald stieg die ganze Gesellschaft in das Lyaios-Tempelheiligthum eines riesigen Kellers hinab, wo in langen Reihen die gewaltigen Tonnen lagerten, gross genug, um leer mehr als einem Diogenes Wohnstätte gewähren zu können. Mit Hülfe gewaltiger Heber entquoll nun bald diesem, bald jenem Fass ein göttlicher Nektar und perlte in die Krystallbecher. In diesen Kellern liegen 10,000 Eimer Weine gelagert, deren Einkauf sich nach den Jahrgängen richtet, hier trifft man noch die Veteranen von 1748, 83, 84, 94, und es hat sich vor Jahren zugetragen, dass von hier aus ganz alte Jahrgänge an den Rhein zurückverkauft worden sind. Durch den Weinhandel werden jährlich in Benshausen 100,000 bis 120,000 Thaler Pr. Cour. umgesetzt. Die Kellergesellschaft sass auf den Fässern, man trank und lachte, und: »ein Lied! ein Weinlied!« rief der Freund, der musikerfahrene, vielgewanderte, Otto zu. Dieser liess sich nicht lange bitten und sang, aber mit der schlechtesten Stimme, die je einer der vielen gehabt, die so gern sich Sänger nennen, folgende Strophen vor, die im lauten Chorus wiederklangen, dass die Fässer dröhnten und das hallende Gewölbe:
Wir lieben den Wein,
Wir schenken uns ein,
Bei Bacchus zu Gaste geladen!
Ein Schlückchen Lünell,
Ein Gläschen Tavell,
Das kann ja beim Himmel nicht schaden.
Wir prüfen den Wein,
Wir finden ihn rein,
Verwerfen den schalen und faden.
Ein Fläschchen vom Rhein,
Ein Fläschchen vom Stein,
Das kann ja beim Himmel nicht schaden!
Wir trinken den Wein
Und nennen ihn fein,
Ein Dutzend mit Drath und mit Faden!
Champagner! Tokair!
Das flüssige Feu'r,
Das kann ja beim Himmel nicht schaden!
Wir preisen den Wein,
Ein Bruder-Verein,
Ein Orden mit mancherlei Graden.
Vom feurigen Nass
Der Kappstadt ein Fass,
Das könnte beim Himmel nicht schaden!
Wir jubeln beim Wein,
Wir jauchzen, juchhein!
Wir wünschen in Wein uns zu baden!
Und wünschen vom Dom-
Dechant uns ein Ohm!
Das könnte beim Himmel nicht schaden!
Hoch lebe der Wein !
Gott gebe Gedeihn
Ihm – uns – den Krummen – den Graden!
Wir taumeln vom Wein?
Der Himmel fällt ein,
Der Himmel behüt uns in Gnaden!!
Nach dem lärmenden Intermezzo eines nicht übertriebenen, aber auch nicht karg gespendeten Bacchanals ward aufgebrochen und ein bereitwillig dargeliehenes Fuhrwerk trug raschen Laufs die weinfröhlichen Reisenden durch das schöne Waldthal der Lichtenau; wahrhaftig, eine lichte Aue, hellglänzend in der frischen Abendbeleuchtung. Silbern rollte der Bach, die Blätter des Laubwalds schimmerten goldgrün, die Konturen der Berge waren mit Sonnengold gehöht, wie die alten kolorirten Holzschnitte im gestern geschauten Theuerdank; von dem starren Porphyrfels des Reisigensteins nickten gelbe Blumen und rothe hinab zu den Schwestern am Bach, Purpurweiderich und Vergissmeinnicht grüssten hinauf zu Karthäusernelken und strahligen Kamillen.
Der Zainhammer vor Mehlis pochte, aus dem Blauofen stieg feurige Lohe; bald war Mehlis erreicht, bald auch Zella, und auf der Höhe über diesen gewerbfleissigen Nachbarorten von 270 und 253 Häusern liess Otto den Wagen halten, um die Freunde einen Rückblick in das reizende Thal thun zu lassen. Sowohl von der Höhe der Strasse, als auch von dem Schiesshaus über Mehlis aus, bietet das Thal der Lichtenau einen höchst malerischen Prospekt. Wagner war auch schnell mit seinem Skizzenbuch zur Hand, während sich Otto erklärend vernehmen liess: »Das Gothaische Städtchen Blasienzella, das uns hier so pittoresk mit seinen der Hochstrasse zum Oberhof eine weite Strecke entlang gebauten Hammerwerken zu Füssen liegt, und das Dorf Mehlis dort unten, sind beide durch ihre Gewehrfabriken und Stahlarbeiten bekannt, die den grössten Theil der Einwohner beschäftigen. Jährlich brauchen allein die Büchsenmacher 450 Centner Stahl und Eisen, aus den Hämmern beider Orte aber werden während der Betriebszeit von jährlich 45 Wochen über 4000 Centner Eisen geliefert. Ausser den Gewehren, deren die Gewehrfabriken jährlich an 7500 liefern, werden noch Standröhre, treffliche Pürschbüchsen, Jagdflinten, Pistolen und alle mögliche kleine Stahlwaaren zum häuslichen Bedarf, wie zur Galanterie hier gefertigt, die keinen Ausländischen an Güte und Dauerhaftigkeit nachstehen; ihr seht dort über Zella eine Rohrschleifmühle, einen Rohrhammer, einen Zainhammer, und höher hinauf noch einen Blauofen mit Löschfeuer und Hammer, deren Werke alle der Lupbach treibt, welcher sich in malerischen kleinen Wasserfällen nach dem im Thalgrund gelegenen Städtchen stürzt, und später in die Lichtenau fällt. Jener Berg da drüben mit den schönen Anlagen heisst der Lerchenberg, und gerade vor uns schaut der Rupberg düster herab. Auf ihm stand einst ein Schloss, aus dessen Trümmern eine Kapelle zu St. Blasius Ehre im Thalgrund erbaut wurde, um die sich bald ein Ort bildete, daher der Name Blasienzelle. Schöne Porphyrsäulen standen auf ihm zu Tage, aber die Habgier der Schatzgräber hat die merkwürdige Gruppe zerstört, indem sie nach dem Golde suchten, das die Volkssage, die verschwenderisch ist mit Schätzen, in ganzen Braupfannen voll dem Bergschoos zueignet. Viel auch wird erzählt von wandelnden und verwünschten Jungfrauen, die auf diesem Berge sichtbar sind und der Erlösung harren.« »Wie alle Jungfrauen!« spottete Lenz, der indessen dem Granit nähere Betrachtung gewidmet hatte, über welchen die Strasse zog. »Die Verwünschten niessen und warten auf das helfende: Gott helf! das ihnen aber meist so wenig hilft, wie der Bettelmannstrost dem Dürftigen: Gott helfe Allen!« Als das grünende Thal mit den heitern Orten, den arbeitenden Werken und dem Schiesshaus, das über Mehlis auf der Bergmatte wie eine Sennhütte hingebaut steht, und von dem hallende Schüsse das Echo des Thalkessels der Lichtenau weckten, überschaut war, fuhren die Reisenden am Strassenwirthshaus der Struth und dem Zellaer Schiesshaus vorbei, zur Rechten Waldung, zur Linken eine malerische Ferne hoher Bergwände, und gelangten bald zu der heitern Matte, die der fröhliche Mann, ein Gast- und Lusthaus mit Schiessständen und Kegelbahnen beherrscht; rollten dann abwärts an mannichfach wechselnden Landschaftbildern von Hämmern, Mühlen und Kaskaden vorbei und erreichten die endlosen Häuserreihen der langgedehnten preussischen Berg- und Fabrikstadt Suhl, während Abenddämmer Fluren und Berge sanft überschleierte, und hell durch das Dunkel die Funkengarben aus den Schloten der Werke am Weg emporstäubten, dass der Wagenlenker nur mit Mühe die scheuenden Rosse zu zügeln vermochte.