Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

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Die Hessberger Thierfährten.

Rastlos ist der Schritt der Zeit! Immer neue Bahnen bricht sie dem Forschergeiste des Menschen, in Höhen und Tiefen enthüllt sie seinem Auge neue Wunder, neue Räthsel, und die Wissenschaft strebt eben so rastlos, jene zu erfassen, zu begreifen, diese zu lösen.

Nahe dem Dorfe Hessberg bei Hildburghausen, das die Reisenden in kurzer Zeit erreichten, geleitete sie der neue Führer einen Fahrweg nördlich nach Weidersrode, zu mehrern Steinbrüchen am Saume des Waldes, in denen man zuerst die Steine mit den räthselhaften Quadrumanen-Fährten entdeckte, die Sickler der gelehrten Welt in einem Programm, dann in einem Folioheft bekannt machte. Erst 1833 machte den verdienstvollen Mann ein Zufall auf diese Relieftatzen aufmerksam, während deren schon mehre Jahre lang ausgebrochen und mit dem Sandstein, auf welchem sie vorkommen, verbaut und vermauert worden waren. Der Begleiter schilderte nun an Ort und Stelle des ausgedehnten Steinbruchs mit äusserster Sachkenntniss den vor Augen liegenden Fundort und die Beschaffenheit der Reliefs. »Sie sehen,« sprach er, »hier die linke Seite eines zwischen dem aus andern Gebirgsarten bestehenden Thüringer Walde und dem aus Muschelkalk bestehenden linken Werra-Ufer vier Stunden lang hinstreichenden Gebirgszuges, der grösstenteils aus buntem Sandstein formirt ist, mit dazwischen liegenden Thonschiefer- und Mergelschichten und aufgelagertem Sand und Letten. Die Felsen des Steinbruchs zeigen eine unregelmässige Kette von rothem, grauem und weissem Sandstein, grauem Thon, Sandsteinschiefer und Mergel, unter welcher die grossen grauen Sandsteinplatten liegen, welche an ihrer untern Fläche die Reliefs enthalten. Ein schmales, sich leicht ablösendes Mergelthonlager trennt sie von dem grauen Sandstein, dessen obere Fläche die vertieften Eindrücke, die eigentlichen Fährten über den wunderlichen, oft starken, oft schwächern pflanzenähnlichen Windungen empfing. Müssen wir als gewiss und unbestreitbar annehmen, dass die Eindrücke wirklicher Thiertatzen in den einst weichen Sandstein, Mergelthon und Sand die Formen der Reliefs bildeten: so erhellt, dass eine mächtige Fluthung einst diese Gegend überwogte, ihren Schlamm in die im weichen Boden, eines Ufers vielleicht, zurückgelassenen Spuren der nordwärts geflüchteten Thiere ergoss, und dann dessen mehr und mehr darüber absetzte, der allmälig zu Felsmassen erhärtete. Diess geschah vielleicht zu derselben Zeit, in welcher ein chaotischer Weltsturm mit mächtigen Eruptionen und Expansionen die ragenden Basalthöhen dieser Gegend wie Blasen emportrieb.«

Mit grösster Aufmerksamkeit hörten die Freunde dem Sprecher zu, welcher sich nun den für die Naturkunde so höchst interessanten Gegenständen des Fundes selbst zuwandte. Es waren so eben wieder mehre grosse Platten ausgegraben, und viele Fragmente umher konnten noch zur Ergänzung des Vortrags dienen. Jener fuhr fort: »Die Tatzenreliefs kamen in verschiedener Grösse, von acht und mehr Zoll Länge bis zu einem Zoll, vor, und zeigten, dass sie von verschiedenen Thieren herrührten, wobei sich aber bei mehreren die Merkwürdigkeit ergab, dass stets vor einer grössern eine bei weitem kleinere gesehen wurde, welche sich genau nach jedem Schritte wiederholte, wobei sich der Gang in gerader Linie hielt, so dass die Thiere bei Schritten von stets gleicher Länge immer die Füsse hinter einander setzten, was man in der Jägersprache schmieren nennt. Die Form ist, wie Sie sehen, einer Hand ganz ähnlich, fünffingerig, bei den grossen Tatzen mit deutlicher Nägelspur, die Finger nahe beisammen stehend, wulstig, starke Ballen und rückwärts gekrümmte Daumen, die sich bei manchen kleinern ganz am untern Handgelenke befinden, so dass die Reliefs derselben einer versteinerten riesenhaften Orchiswurzel ähnlicher sehen, als einer Thierfährte.«

»Ich dachte dabei«, sprach Lenz, »an die seltsame Form der Cuscuta, deren vier- und fünfspaltige, stiellose Kelche so an den blattlosen Fadenbüscheln hängen, wie manche dieser Gebilde an dem scheinbaren Wurzelgeflechte, das die Platten zeigen.«

»Andere,« fuhr der Geleiter, diesen Einfall belächelnd, fort, »zeigen deutlich gesonderte Finger, und namentlich weicht eine Art derselben ganz von den übrigen ab, indem deren Grösse sich ziemlich gleich bleibt, ja die grössere Fährte vor der kleinern steht und die Spur in zwei neben einander laufenden Linien wahrgenommen wird. Nächst allem diesen sind noch mehre Gebilde hier ausgegraben worden, welche alle die Annahme bestätigen, dass dieser felsenüberlagerte, gegen 20 Fuss tiefe mit Mergel bedeckte Sandboden einst Oberfläche war, auf welcher Geschöpfe der Urwelt wandelten.«

»Wo aber kamen sie hin? Fand man nichts von ihnen, als die Fusstapfen, deren Modelle und Abgüsse? keine Knochen? Und welchen Thieren gehörten sie an?« warf Wagner eilige Fragen auf.

»Das sind die Räthsel der Schöpfung«, nahm Otto das Wort; »vielleicht antwortet darauf durch neue Forschungen, neue ergänzende Entdeckungen die Folgezeit. Schon glaubte man auch hier Knochen im Zustande der Versteinerung gefunden zu haben; es war Täuschung; nur zu oft wähnt forschender Eifer Gesuchtes zu finden. Ueber die Thierart wurden viele Vermuthungen ausgesprochen. Antediluvianische Affen, Kängurus, Schildkröten, Eidechsen konnten diese handförmigen, dreigliedrig gefingerten Fährten hinterlassen haben; der geschätzte Naturforscher Kaup in Darmstadt gab den problematischen Geschöpfen den naheliegenden passenden Namen »Handthier«, Cheirotherium, und reihte es in die Classe der Didelphen ein.«

»Und die Urtheile der Forscher?« fragte Wagner wissbegierig weiter, worauf der Begleiter das Wort nahm:

»Diese fielen verschieden aus. Manche wollten die Gebilde als Hochabdrücke von Thierfährten gar nicht gelten lassen, sehr anerkannte aber würdigten den Fund und beachteten dessen Wichtigkeit. Wurde doch Aehnliches fast noch nirgend entdeckt. Exemplare der Platten kamen bereits in die berühmtesten Museen, und diese thaten wohl, sich mit solchen zu verwahren, da es ungewiss ist, ob die Lagerung, welche Hoch- und Hohlabdrücke liefert, weit fortstreicht. Was nun die in Sand ganz und gar verwandelten Geflechte betrifft, so bin ich mit Sickler der Meinung, dass es Pflanzen waren, und nicht, wie Viele behaupten wollen, Sprünge und Risse im Boden, so sehr deren netzartige Ausbreitung den letztern auch ähnelt. Vielfach finden sich Spuren, dass das Thier auf sie trat, während nicht minder häufig der Fall ist, dass der Hochabdruck das Geschlinge deckt, welches freilich, wenn wir es als in Gestein ganz verwandelte Pflanze nehmen, räthselhafter bleibt, als wenn wir der leichten Theorie von Erdrissen im halb ausgetrockneten Uferschlamme huldigen.«

Otto bestritt lebhaft diese Meinung, er sprach unter andern: ,,Nenne mir nur eine einzige Pflanze, deren Halme, Stengel oder Wurzeln so in einander verwachsen sind, wie es hier der Fall gewesen sein müsste!« Allein der Freund, der dieser Aufforderung gleich nicht genügen konnte, war nicht zu belehren, und jeder blieb bei seiner vorgefassten Meinung.

Es war spät geworden, man sah sich genöthigt, an den Rückweg zu denken, der mit mancher eben so anziehenden, als belehrenden Mittheilung und dem Wechselaustausche der Ideen über die urweltliche Plastik der Natur in diesem Sandsteinflötz angenehm verplaudert wurde. Die Fremden fuhren nach Hildburghausen zurück und übernachteten dort, um am andern Morgen früh nach dem eben so gewerbfleissigen, als an mancher Naturschönheit reichen Meininger Oberlande aufzubrechen.

 


 


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