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Maria und die Mutter

Die Mutterliebe Eisen bricht.
Mit Engeln und mit Teufeln ficht.
Vernehmt, was frommer Glaube singt,
Was mehr erbaut als Kurzweil bringt.

Der Tod nahm einer Frau den Mann,
Nachdem sie einen Sohn gewann;
Der wurde ihr im Wittwenleide
Zum Labsal und zur Augenweide,
Und wie ein Reis im Baumgehege
Erwuchs er in der Mutter Pflege.
Das Reis zum kräftigen Stamm gedieh;
Kein Weib war glücklicher als sie.

Da aber hob sich neues Leid.
Es zog der Sohn hinaus zum Streit,
Und wie er auch die Schwerthand rührte
Und grimme Todesstreiche führte,
Den Sieg erstritt die Uebermacht
Der Feinde in der Männerschlacht.

Er sank vom Ross mit schweren Wunden
Und ward gefangen und gebunden.
Nun lag er mit gelähmter Kraft
Und siechem Leib in enger Haft
Der Heimat fern und den Genossen
Mit Eisenketten angeschlossen
Und trug in dunkler Kerkerkammer
Um seine Mutter grossen Jammer.

Als die vernahm des Sohnes Noth,
Vergoss sie Thränen blutigroth
Und schrie in ihrem Herzeleid
Zum Himmel um Barmherzigkeit.
Zur Kirche schritt sie täglich hin;
Dort stand die Himmelskönigin,
Ein Bild von kluger Meisterhand,
Besäht mit Sternen das Gewand,
Das Haupt geschmückt mit goldner Krön',
Im Arm den eingebornen Sohn.
Und vor dem Bild im Jammer lag
Die arme Mutter Nacht und Tag
Und schlug die Brust und warf sich nieder.
»Maria, gieb mein Kind mir wieder!«

So trieb's die Mutter Tage lang
Vom Aufgang bis zum Niedergang
Und wieder bis zur Morgenmette,
Doch niemand brach des Knaben Kette.
Da ward der Allerärmsten klar,
Dass all ihr Flehen vergeblich war,
Und in Verzweiflung rief sie wild
Die Worte zu dem Gnadenbild:
»Maria, Mutter, Gottesmagd!
Du weisst, was mir am Herzen nagt.
Gebetet hab' ich Tag und Nacht,
Weihrauch und Kerzen dir gebracht,
Du aber schauest in gleicher Ruh'
Der Seelenqual der Mutter zu.
Und willst du meine Qual nicht enden,
So muss ich dir dein Kindlein pfänden,
Damit du selber fühlst und weisst,
Was einen Sohn verlieren heisst.
Vielleicht, dass deines Kinds Verlust
Das Mitleid weckt in deiner Brust.«
So sprach die Frau und nahm geschwind
Der Jungfrau aus dem Arm das Kind,
Umhüllte es mit Zeug und Linnen
Und eilte mit dem Bild von hinnen.
Zu Hause barg sie's gut im Schrein
Und sprach: »Du musst mir Geisel sein,
Gefangen liegen Nacht und Tag,
Bis dich die Mutter lösen mag.«

Drei Tage drauf im Dämmerschein
Die Mutter sass im Kämmerlein.
Da schlug im Hof der Wächter an.
Da ward die Thüre aufgethan,
Und auf der Schwelle stand der Knabe. –
O Augentrost, o Herzenslabe!
Es war wie Schnee im Licht der Sonnen
Der Mutter Herzeleid zerronnen.

Drauf sprach der Sohn: Nun lass dir sagen
Das Wunder, das sich zugetragen.
Ich lag, drei Nächte ist es her.
In enger Haft und träumte schwer.
Da plötzlich klirrte Thor und Schloss,
Ein milder Schein in's Dunkel floss,
Und wie ich wach und freudebang
Von meinem harten Lager sprang,
Da sah ich unsre liebe Frau
Umwallt vom Sternenmantel blau,
Geschmückt mit einer Krone licht,
Doch traurig war ihr Angesicht.
Zu meinem Lager schritt sie hin.
Die hohe Himmelskönigin,
Sie löste meiner Fesseln Band
Und führte mich an ihrer Hand
Aus meines Kerkers finstrer Gruft
Hinaus in Gottes freie Luft.

Da stand ich unter nächtgem Himmel,
Hoch über mir das Sterngewimmel,
Und rief: ›;O sei gebenedeit,
Maria, die du mich befreit!‹«
Sie aber sprach: ›;Nicht länger weile
Und heim zu deiner Mutter eile,
Dass sich die Jammerreiche tröste.
Und thu' ihr kund, dass ich dich löste;
Sie soll mit dir in Freuden leben
Und mir mein Kind zurücke geben.‹
Die Jungfrau sprach's, da war sie fort.
Ich aber merkte mir das Wort
Und flog, als hat? ich Falkenschwingen
Mich und die Botschaft dir zu bringen.«

Da schloss die Mutter auf den Schrein
Und nahm hervor das Jesulein.
Sie thät dem Sohn die Märe sagen,
Das Bild zur Kirche wieder tragen
Und legte auf die Arme lind
Der Jungfrau das geraubte Kind.
Dann sank sie betend auf die Kniee
Und rief: »Gelobt seist du, Marie!«


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