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Das Auge

War einst ein Ritter hochgemuth
Und reich an Ehren und an Gut,
Doch hässlich von Gesicht und Leib.
Derselbe nahm ein junges Weib,
Vor Mängeln wohl geborgen
Und strahlend wie der Morgen.
Ihr Herr, so missgestalt er war,
Von Antlitz narbig, roth von Haar,
Ihr schien er hold wie Absalon,
Der langgelockte Königssohn.
An fester Treu' ein Adamas,
An Zucht ein lautres Spiegelglas,
So galt die Fraue weit und breit
Als Blume reiner Weiblichkeit.

Nun hört: Es gab im Mai
Der König ein Turnei.
Da schwang sich auf sein gutes Pferd
Behend der Ritter stahlbewehrt,
Nahm Urlaub von der Fraue
Und trabte durch die Aue.

Und als er in die Schranken lenkte
Und kampfesfroh die Lanze schwenkte
Sein Rösslein tummelnd in der Bahn,
Gleich rannte ihn ein Ritter an,
Dem er den Harnisch brach
Und durch die Schulter stach.
Doch wehe! Durch des Helmes Gitter
Flog ihm ein scharfer Lanzensplitter,
Der ihm des einen Auges Schimmer
Verdunkelte für heut und immer.
Das Blut ihm aus dem Helme floss;
Man hob ihn sänftlich von dem Ross
Und thät ihn auf der Herberg pflegen.
Da lag er nun, der sieche Degen
Und krümmte schmerzlich seinen Leib
Und dachte an sein schönes Weib.
Er litt um sie die grösste Pein;
Sein Leid war ihr's, das ihre sein.

Dem Ritter diente im Gesind
Ein junger Knapp, sein Schwesterkind.
Den rief zu sich der wunde Mann
An's Bett, und also er begann:
»Den Sattel lege auf dein Ross
Und reite flugs zu meinem Schloss
Und melde meiner lieben Fraue,
Dass ich sie nimmer wieder schaue.
Ich war schon missgestalt zuvor,
Dazu ich nun ein Aug verlor.
Ich will mit meinem Blick, dem scheelen
Das treue Weib nicht fürder quälen.
Ich lass' ihr alles, was ich habe
Und reite nach dem heil'gen Grabe.
Vielleicht, dass eine Heidenschlacht
Ein Ende meinen Leiden macht.
Und sag' ihr, dass ich dankbar blieb
Für ihre Treu und ihre Lieb
Und dass mein Herz zu jeder Frist
Bei meinem süssen Weibe ist.«
So sprach mit bleichem Munde
Zum Schwestersohn der Wunde.

Der Knapp sein schnelles Ross beschritt
Und trauervoll von dannen ritt.
Dem Treuen schuf es Leid genug,
Dass er so trübe Botschaft trug.
Und als er kam an's Zwingerthor,
Da stand die edle Frau davor
Und sprach: »Du sollst willkommen sein!
Sag' an; ist froh der Herre mein?«
»Ach Fraue«, sprach der Edelknecht,
»Die Botschaft, die mir ward, klingt schlecht.
Als unser Herr die Lanze brach,
Ein Ritter ihm in's Auge stach.
Nun hat er halb geblendet
Als Boten mich gesendet.
Er selber aber kehret nicht
Und meidet Euer Angesicht.«

Die Fraue Thränen viel vergoss,
Dann sprach sie: »Wende schnell dein Ross
Und bring' ihn mir, den wunden Mann,
Dass ich ihn sänftlich pflegen kann.
Er soll mir werth und theuer sein
Mit einem Auge wie mit zwei'n.«

Da weinte der getreue Knecht
Und sprach: »Hört nur die Botschaft recht.
Er reitet in das heil'ge Land
Und lässt Euch all sein Gut zum Pfand
Und danket Euch durch mich auf's Neue
Für Eure Lieb und Eure Treue;
Es bleibe, wo er möge reiten,
Bei Euch sein Herz für alle Zeiten.«

Da sprach die Frau: »So harre mein;
Bald soll die Antwort fertig sein.«
Drauf ging in ihrer Kemenate
Das treue Weib mit sich zu Rathe.
»Nun helfe, was da helfen kann,
Dass ich dem unglücksel'gen Mann /k
Benehme seines Zweifels Schwere«
Sie sprach's und griff zu einer Schere
Und stach mit fester Hand – o Graus! –
Sich eins der lichten Augen aus.
Dann stieg sie blutgeröthet wieder
Zum Boten in den Schlosshof nieder,
Der angstgeschreckt vom Sitze sprang
Und jammernd seine Hände rang.
Die Fraue aber sprach zum Knappen:
»Nun tragen wir das gleiche Wappen,
Ein Auge ich, ein Auge er. –
Nun reit' und bring' ihn wieder her!«

Der Bote flog, der Ritter kam. –
Hier schliesst die Märe wundersam,
Und Bürge, dass sie Wahrheit sei,
Herr Herrand ist von Wildonei.


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