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Ein Kloster war in alter Zeit,
So gab's kein zweites weit und breit.
Es lag in einer grünen Au
Und war ein stattlich, stolzer Bau
Mit Kirche, Keller, Bücherei,
Und auch ein Gasthaus war dabei,
Wo jeder Mann sich laben mochte,
Der hungrig an die Pforte pochte.
Doch kam ein Weib zur Klosterschwelle,
So war der Wächter gleich zur Stelle
Mit Eisenhut und blankem Spiess
Und barsch dem Weib die Wege wies.
Es sah im ganzen Klosterbann
Des Mannes Auge nur den Mann;
Das Weib ward nie darin erblickt,
Denn also will's Sankt Benedikt.
Nun hört, was dorten sich begab:
Im Kloster sass ein junger Knab,
Der vorlängst war dem frommen Orden
Als Findling zugetragen worden.
Jetzt war er zwanzig Jahre alt,
Von Antlitz schön und wohlgestalt,
Und in der Jahre langen Reihe
Hatt' er betreten nie das Freie.
Die Berge und die grünen Wälder,
Die Wiesen und die Aehrenfelder
Und das Gethier in Wald und Flur
Kannt' er von Hörensagen nur.
Drum war sein Sinn darauf gestellt
Zu schauen einmal die Aussenwelt.
Er trug den Wunsch dem Abte vor
Und fand auch ein geneigtes Ohr.
»Mein Sohn«, so sprach der Prior willig,
»Was du begehrst, ist recht und billig.
Willst du ein guter Hirte werden.
So musst du kennen deine Heerden.
Ich selber mache dir bekannt
Die Leute draussen und das Land.
Drum lasse ohne weit'res Säumen
So mir wie dir ein Rösslein zäumen.
Ich will in die Gemarkung reiten,
Und du, mein Sohn, sollst mich begleiten.«
Der junge Mönch von dannen flog,
Die Rosse aus dem Marstall zog
Und mit dem Abt in's Freie ritt.
Etwelche Knechte zogen mit.
Hei, was der Mönch für Augen machte,
Als ihm die grüne Erde lachte
Und als er sah, wie auf der Flur
Sich tummelte die Kreatur.
Er fragte ohne Unterlass:
»Herr Abbas, was ist dies und das?«
Und jener thät mit weisem Mund
Die Namen des Gethiers ihm kund:
»Dies ist ein Esel, das ein Rind,
Die sanften Thiere Schafe sind,
Hier weidet eine Geis am Rain,
Das Thier im Koth benennt man Schwein,
Dort steht ein Storch im Wassergraben,
Die schwarzen Vögel heisst man Raben,
Das ist ein grüner Hupfinsgras,
Ein Igel dies und das ein Has.«
So nannte er ihm alle Namen
Der wilden Thiere und der zahmen.
Es hob sich kühler Abendwind;
Da kam der Abt und sein Gesind
Vor einen Meierhof geritten
Und thät den Wirth um Herberg bitten.
Der Meier gleich das Thor erschloss
Und half dem Abt von seinem Ross
Und sprach: »Willkommen Herre mein
Und die mit Euch gekommen sein.
Nun ruht Euch aus an meinem Herd
Und theilt mit mir, was Gott bescheert.«
Drauf schuf er Obdach unverdrossen
Den Klosterknechten und den Rossen.
Die Mönche führte er darnach
In ein geräumiges Gemach.
Und wie sie sich am Feuer streckten
Und ihre müden Glieder reckten,
Da kam des Meiers Weib herein
Und seine Tochter hinterdrein.
Ein Mägdlein war's von achtzehn Jahren
Mit rothem Mund und gelben Haaren.
Sie hatte Wangen wie zwei Pfirschen
Und glich an Wuchs dem Edelhirschen.
Wie da dem jungen Mönch geschah
Als er die beiden Weiblein sah!
Er sprach: »Herr Abbas, kündet mir,
Wie heisst das zierliche Gethier,
Damit ich ungelahrter Mann
Es recht beim Namen nennen kann.«
Schlau lächelnd sah der Abbas drein
Und sprach: »Die heisst man Gänselein.«
»Ach«, rief der Mönch, »nun möcht' ich wissen,
Warum wir solcher Gänslein missen
Auf unsrer grünen Klosterweide.« –
Da lachten laut die Frauen beide.
Sie hielten ihn für einen Thoren,
Der gänzlich den Verstand verloren,
Bis ihnen leis der Abt vertraute,
Dass jener noch kein Weib erschaute.
Da sah die Magd den Jüngling an –
Verstohlner Weise ward's gethan –
Die Stirne weiss wie Winterflocken,
Wie Blut den Mund, wie Flachs die Locken –
Drum war des Mönchs Unwissendheit
Dem frommen Mägdlein doppelt leid.
Ein reichlich Nachtmahl ward verzehrt
Und mancher Becher Weins geleert,
Die Hunde nagten an den Knochen,
Das Gratias war auch gesprochen,
Und Wirth und Gäste suchten satt
Jedweder seine Lagerstatt.
Es ging der Abt in's Prunkgemach,
Der Mönch in's Stüblein unter'm Dach.
Er schob den Riegel vor die Thür
Und nahm sein schwarzes Büchlein für
Um, wie die frommen Brüder pflegen,
Zu lesen einen Abendsegen.
Da hörte er ein leises Rauschen
Und schlich zur Thüre um zu lauschen.
Und horch! da wispert's zart und fein:
»Ich bin's, das junge Gänselein.
Der schlimme Fuchs den Hof umschleicht,
Der frisst mich, wenn er mich erreicht.
Drum habe Mitleid mit mir Armen
Und lass mich zu dir aus Erbarmen.«
Der Mönch zurück den Riegel zog,
Das Gänslein in die Kammer flog
Und schmiegte an des Jünglings Glieder
Ihr weiches, weisses Gansgefieder.
Sobald der nächste Morgen kam,
Der Abt vom Meier Abschied nahm
Und thät gemächlich fürbass reiten,
Der junge Mönch an seiner Seiten.
Und als er heimgekommen war
Und ihn vernahm der Brüder Schaar,
Was er aus Klosters Bann entfernt
Gesehen habe und gelernt,
Da gab er treulichen Bericht,
Nur von dem Gänslein sprach er nicht.
Nun hört, was weiter noch geschah:
Es war die hohe Festzeit nah,
Die jeder Christ als Weihnacht kennt.
Da sprach der Abbas im Konvent
Zum Bruder Kellner und zum Koche:
»Es naht uns eine saure Woche
Mit Singen, Beten, Messelesen.
Da ist's von jeher Brauch gewesen,
Dass sich zu solchen frommen Werken
Die Brüder Leib und Seele stärken.
Drum schafft zu unsrem Tischgelag,
Was Küch' und Keller bieten mag.«
So sprach er, und den Brüdern allen
Thät diese Rede bass gefallen.
Der junge Mönch nicht ferne stand;
Der war mit gutem Rath zur Hand
Und sprach zu seinem Oberhirten:
»Wollt Ihr die Brüder recht bewirthen,
So fügt zur Speise jedes Manns
Als Herzerquickung eine Gans.«
Drob sah der Abt sehr finster drein
Und sprach: »Ei lieber Bruder mein,
Was redest du? Hast du vergessen,
Dass uns versagt ist Fleisch zu essen?«
Der Junge kraute sich im Haar
Und sprach: »Was wahr ist, das bleibt wahr.
Ich achte, dass die Gänselein
Die allerbeste Speise sein.«
Da wies der Abt ihn von der Schwelle
Und rief ihn drauf in seine Zelle
Und sprach: »Nun sollst du mir gestehen
In Treuen, wie es mag geschehen,
Dass du verachtest unsre Satzung
Und trachtest nach verbotner Atzung.«
Da schwieg der Bruder länger nicht
Und beichtete und gab Bericht
Dem Abt von seinem Abenteuer
Und schilderte mit vielem Feuer
Des jungen Gänsleins Minnespiel. –
Der Abt beinah vom Stuhle fiel,
Dann aber goss er reinen Wein
Dem wahnbethörten Bruder ein
Und sprach: »Ich will dich strafen nicht,
Weil ich das Unheil angerichtet.
Die Lüge und den üblen Spott
Verzeihe mir der Herre Gott.
Du sündige nicht mehr und geh
In Frieden hin. Absolvo te.«
Hier ist zu End die Klostermäre.
Und wenn ein Mönch im Lande wäre,
Der auch ein Gänslein lieb gehabt,
Dem wünsch' ich solchen milden Abt.