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Es ist nichts einfacher, als in Rom einen Salon zu haben. Man zündet ein paar Lampen an, hält ein Dutzend Theetassen in Bereitschaft und erwartet gegen zehn Uhr Abends Bekannte und Unbekannte. Die Gäste kommen, plaudern, gehen nach Belieben, die Frauen in Toiletten, deren Kostbarkeit nur ausnahmsweise in richtigem Verhältniß zu ihrem Vermögen steht, die Männer geschniegelt, frisirt, parfümirt; beide Theile unendlich genügsam in ihren Ansprüchen an Vergnügen, ein rasselndes Pianino, ein paar Couplets, eine sentimentale Romanze amüsiren die Gesellschaft höchlichst.
Die Dame, der Eckartsberg mich vorstellte, war die Marchesa Baldassarri, eine Deutsche von Geburt, welche seit einer Reihe von Jahren in Italien lebte. Der Marchese war ein Anhänger des neuen Gouvernements, er saß im Parlament am Monte Citorio und galt als ein aufgeklärter, patriotischer Mann. Die in einem modernen Miethshause gelegene Wohnung zeigte eine etwas dürftige Eleganz, das Bestreben, mit wenigen Kosten zu blenden, war unverkennbar; den Glanzpunkt bildete, wie überall, die prachtvolle Equipage, in der sich die Marchesa bei den Korsofahrten auf dem Pincio präsentirte. Als wir eintraten, waren die drei kleinen Salons bereits überfüllt; die Marchesa umarmte Vincente und bemächtigte sich ihrer sofort, ihrem Gatten flüsterte sie zu, Raoul und mich einigen Personen vorzustellen. Da der Marchese nur italienisch sprach, war unsere Unterhaltung nicht eben fließend, mein Freund und ich verfügten zusammen über einen sehr geringen Wortschatz, und ein Gespräch über Politik, welches das Parlamentsmitglied begann, gerieth bald in's Stocken. Raoul, der diese Soiréen schon öfter besucht hatte, mußte einige Damen und Herren begrüßen, der höfliche Marchese blieb an meiner Seite, weil er den Fremden nicht ohne Cicerone lassen wollte; er nannte mir die anwesenden Damen und fragte, welcher ich mich zu nähern wünschte? Es waren in der That durchschnittlich frappirende Schönheiten: stolze, regelmäßige Züge, große, dunkle Augen, volle Schultern und Arme, dazu die matte, gelbliche Blässe des Teints, die bei künstlichem Licht einen leuchtenden Perlmutterglanz annimmt. Mir fiel jedoch eine gewisse Uniformität der Gesichter auf, sie schienen alle von der Juno Ludovisi Ein kolossaler Frauenkopf aus Marmor (1. Jh. v. Chr.); der Kopf ist Teil einer akrolithen Statue, die nicht, wie ursprüngliche angenommen, Hera selbst verkörpert, sondern Antonia Minor (eine Tochter des römischen Politikers Marcus Antonius und der Octavia, der Schwester des Kaisers Augustus), die sich als die Göttin Juno darstellen ließ. abzustammen und das Epitheton: »die Ochsenäugige« Bei Homer wird die Juno fast nie anders als die »ochsenäugige« bzw. »kuhäugige« genannt, und das war als hohes Kompliment gemeint., wollte mir nicht aus dem Sinn. Ich glaube, die Meisten dachten sich ebensowenig bei den brennenden Blicken, die Diesen oder Jenen versengend trafen, wie die Männer bei dem affektirt verliebten Ton, den sie allen Frauen gegenüber anschlugen.
»Jene Dame in gelbem Atlaß ist die Contessa Enrichetta Valori,« sagte der Marchese, »sie soll eine der schönsten Stimmen besitzen und man begreift nicht, daß sie ihr Talent der Welt vorenthält. Sie singt nur in kleinen Cirkeln und auch dann nicht immer, denn ihr Gatte – ein unangenehmer Herr – hütet ebenso eifersüchtig ihre Stimme wie ihre Person. Glücklicherweise ist er auf längere Zeit verreist, und ich hoffe, meine Frau wird sie bewegen, uns mit ihrer Kunst zu erfreuen.«
Warum hatte diese Contessa Enrichetta Valori nicht ihren Gatten auf seiner Reise begleitet? Ich wünschte lebhaft, sie möchte sich mit ihm in einer andern Hemisphäre befinden, durch Länder und Meere von Raoul getrennt. Sie war die Sirene, ich zweifelte nicht einen Moment daran, und mein Freund hatte leider ein so feines musikalisches Gehör! Ich durchschaute das poetische Geheimniß: die Contessa benutzte die Abwesenheit des eifersüchtigen Gemahls, um mit dem interessanten Fremden, den sie wahrscheinlich auf der Passeggiata oder im Theater bemerkt hatte, eine kleine Intrigue anzuspinnen. Unter anderen Umständen würde ich ihn um seine bonne fortune beneidet haben, einem artigen. Reiseabenteuer durfte sich selbst ein Ehemann nicht entziehen, – aber ich war jetzt Partei, Vincy's thränenfeuchte Augen ruhten auf mir und ich hätte ihrem holden Gesichte so gern den Sonnenschein wiedergegeben.
»Die Dame, die neben der Baronesse auf dem Sopha sitzt, ist die Contessa Valori … Beide sind von unvergleichlicher Schönheit, ich, meinentheils, ziehe Ihre reizende Landsmännin vor, schon des prächtigen Haares wegen, das wie Goldstaub flimmert, wenn das Licht darauf fällt.«
Man konnte sich nicht schärfere Gegensätze denken, wie diese zwei Frauen. Obgleich Vincente durchaus nicht klein war, erschien sie mit ihren weichen, zarten Formen wie ein zierliches Elfenkind neben der königlichen, üppigen Gestalt der Contessa, die sie um ein Beträchtliches überragte. Die Erscheinung dieser hatte etwas Monumentales an sich, man hätte sie, in antike Gewandung drapirt, auf einen Marmorsockel stellen mögen, in der Rotunde des Vatikans wäre sie an ihrem Platz gewesen, hier füllte sie allein den kleinen Salon aus und erdrückte selbst die Männer mit der Wucht ihrer Schönheit. Ein Bildhauer wäre über dieses Modell in Ekstase gerathen. Auf dem Nacken, der die kräftige Bildung der Antike wies, saß ein stolzer Kopf mit großen Zügen, die Nase war echt römisch gebogen, der Mund nicht klein, die Lippen aber edel geschwungen, unter den starken Brauen funkelten etwas hervorstehende dunkle Augen, das tiefschwarze Haar war zu einer hypermodernen Frisur aufgethürmt. Diese Frau auf der Bühne – und ich konnte mir vorstellen, wie sie das kühlste Publikum begeisterte; um sie zu bewundern, mußte man à distance bleiben. Ihre klassisch geformte, große Hand hielt einen schwarzen Spitzenfächer, und die Art, wie sie ihn handhabte, bewies eine vollendete Meisterschaft in dieser Kunst. Vincente fächelte sich sehr graziös, doch was bedeuteten diese schülerhaften Versuche gegen das Raffinement ihrer Nachbarin! Ich lernte zum ersten Mal, daß es eine Fächersprache gibt, die über einen erstaunlichen Reichthum von Zeichen gebietet, deren Bedeutung auch der Uneingeweihte bei einiger Aufmerksamkeit bald versteht.
Die sprechenden Züge der jungen Baronin, ihr bewegliches Mienenspiel, der fortwährende Wechsel von Licht und Schatten, der über ihr Gesicht flog, schienen mir doppelt anziehend neben dem statuenhaften Antlitz der Signora. – Die Marchesa, die bei den Damen stand, winkte Raoul und mir, näher zu treten, um uns der Contessa vorzustellen.
Ich glaubte zu bemerken, daß Vincy's Augen mit unruhiger Spannung auf ihrem Gatten ruhten, als er sich vor der schönen Dame verbeugte.
»Ich meine Ihren Herrn Gemahl bereits gesehen zu haben,« wandte sich die Italienerin an die junge Frau, nachdem sie einige begrüßende Worte mit dem Herrn gewechselt.
Ihre Stimme klang voll und sonor, aber ich vermißte in ihr den duftigen Timbre erster Jugend, der der geheimnißvollen Sängerin eigen war.
Raoul warf der Sprecherin einen raschen Blick zu – sollte das eine Anspielung sein, so war es mindestens taktlos, sie an seine Gattin zu richten.
»Wo könnte das gewesen sein, Contessa?« fragte Vincente unbefangen. Und liebenswürdig fügte sie hinzu: »Ich halte es für unmöglich, daß mein Mann Sie gesehen hätte, ohne Sie bemerkt zu haben.«
»In der That, gnädige Frau, ich wüßte nicht …« sagte Raoul verlegen.
»Ich muß Ihrem Gedächtniß zu Hülfe kommen, wiewohl es nicht schmeichelhaft ist, daß Sie mich nicht erkennen.«
Diese Worte wurden halb hinter dem schwarzen Spitzenfächer gesprochen, der transparent genug war, um die rothen Lippen durchschimmern zu lassen. »Haben Sie auch die Rose vergessen, die ich Ihnen zugeworfen?«
»Die Rose??«
Ein maliziöses Lächeln umspielte Vincy's Mund, das der Verwirrung ihres Gatten gelten mochte.
In mir kochte es – und wenn sie noch tausendmal hinreißender sang, wie sie es that, so war es dennoch unverschämt, in Gegenwart der ahnungslosen Frau doppelsinnige Worte mit dem Manne zu tauschen.
»Nun ja,« lachte die Schöne, den vollen Arm auf die Seitenlehne des Sophas stützend, »es war ein ganzer Rosenstrauß, Sie standen so tief in Gedanken versunken unter den Fenstern, die ich mit einigen anderen Damen am Korso inne hatte, daß wir Ihre Haltung als eine Beleidigung der Karnevalsfreude proklamirten. Mehrere Bouquets wurden nach Ihnen geschleudert, die, von der Straßenjugend aufgefangen, ihr Ziel verfehlten, das meine traf Sie endlich, Sie fuhren aus Ihrem Nachsinnen auf und drückten die Rosen, zum Zeichen des Dankes, galant an's Herz.«
»Sie also waren die gütige Spenderin?« entgegnete Eckartsberg, der seine weltmännische Haltung wieder gefunden. »Warum aber verbargen Sie sich hinter einer Drahtmaske? Ich mühte mich vergebens, dieses Bollwerk zu durchdringen.«
»Weil wir in Italien meinen, daß das Unbekannte, Geheimnißvolle viel mehr reizt und verlockt, als das Offenbare. Wir beobachteten mit Vergnügen, daß Sie mehrmals unter unsere Fenster zurückkehrten und hinaufspähten.«
»Ich stimme Ihnen bei, Contessa,« fiel Vincente lebhaft ein, »das Geheimniß übt einen eigenen Zauber auf uns aus. Die Nacht ist darum eine große Künstlerin, weil sie einen Schleier über die Welt breitet und uns Räthsel aufgibt.«
» La notte,« wiederholte die Italienerin mit weichem Accent, unter den schwarzen Wimpern hervor einen schmachtenden Blick Raoul zusendend. Sie hatte es entschieden auf ihn abgesehen.
»Meine theure Enrichetta,« ließ sich die Wirthin vernehmen, »Sie sollten uns Etwas singen. Ich möchte meinen deutschen Freunden beweisen, welches Verständniß Sie für unsere Musik haben. Die Contessa spricht zwar nicht deutsch,« wandte sie sich an Vincy, »sie singt es aber wunderbar, unsere Lieder finden an ihr eine vollendete Interpretin.«
Raoul schwieg, sein ganzes Wesen war wie in Erwartung gespannt; um so lebhafter bestürmte seine Frau die spröde Dame mit Bitten. Mit ausgesuchter Koketterie beharrte diese bei ihrer Weigerung, sie schützte Heiserkeit, Indisposition vor, der Arzt habe ihr verboten, den Hals anzustrengen, da sie kürzlich erst an einer Entzündung gelitten. Sie blieb fest, obschon sich die Gesellschaft ihr fast zu Füßen warf. Eckartsberg und ich kannten allein den wahren Grund: in diesem hellen, heißen, menschenerfüllten Salon singen, hieß den Zauber der nächtlichen Konzerte unwiederbringlich zerstören.
»Unerbittlich,« sagte die Marchesa vorwurfsvoll, »doch nicht Ihnen darf man zürnen, nur dem Conte, der Ihnen gewiß das Versprechen abgenommen hat, während seiner Abwesenheit keinem andern Sterblichen einen Ihrer bestrickenden Töne zu gönnen.«
Die Schöne lächelte geheimnißvoll.
»Habe ich richtig gerathen?« rief die Marchesa. » Che tiranno! Jedesmal, wenn ich Ihren düstern Palazzo betrete, sehe ich mich nach den Ketten und Banden um, mit denen er Sie gefesselt hält … Die Contessa bewohnt nämlich eines der finstersten, umheimlichsten Gebäude Roms,« erklärte sie der jungen Baronin, »Sie würden nicht eine Stunde darin athmen können, Vincente. Es ist mir immer ein Wunder, wenn mein Kutscher glücklich hinfindet; von allen Seiten umgeben es enge, winkelige Gassen und Gäßchen, hier ist ein Portal und da eins, ich glaube, ich bin schon durch drei verschiedene Eingänge und auf drei verschiedenen Treppen zu der Contessa gelangt.«
»Sie schildern es zu schlimm,« versetzte die Dame, »nur die Rückseite liegt nach einem Vicolo hinaus und die inneren Räume gefallen ja auch Ihnen.«
»Große, gewölbte Säle, wie sie Ihre Stimme braucht, um sich zu ihrem vollen Glanze zu entfalten, doch – Sie wissen, ich bin eine Deutsche – nicht behaglich, nicht heimlich. Fürchten Sie sich nicht, da Sie jetzt mit der Dienerschaft allein sind?«
»Fürchten? Nein! Das Thor zu erbrechen, bedürfte es einer Belagerung.«
Ein wahres Wort! An dem eisenbeschlagenen Thor, das ich heute Morgen besichtigt, müßte sogar die Kraft eines Riesen erlahmen.
Die Marchesa verließ uns, um Neuankommende zu begrüßen. Mit stillem Unmuth beobachtete ich, wie die Contessa Raoul den Stuhl an ihrer Seite bezeichnete und ein halblautes Gespräch mit ihm begann, bei dem der Fächer eine große Rolle spielte. Die Baronin war mir räthselhaft, unwillkürlich verrieth sie innere Erregung, was ich erwachender Eifersucht zuschrieb, ihre melodische Stimme bebte manchmal, ab und zu heftete sie einen forschenden Blick auf die prächtige Italienerin und doch überhäufte sie dieselbe mit Liebenswürdigkeiten. An dem Abend verdunkelte kein Schatten übler Laune ihr holdes Gesicht, sie schien sich unbefangen ihrer natürlichen Lebhaftigkeit zu überlassen, doch mich täuschte sie nicht, die arme Kleine! In ihrer Seele wogte es unruhig, aber sie beherrschte sich tapfer und unterdrückte jede Aeußerung von Gereiztheit.
»Ist sie nicht schön?« fragte sie mich.
»Wer?«
»Nun, die Contessa! Gleicht sie nicht einer vom Piedestal gestiegenen Statue?«
»Ich wünschte, sie wäre oben stehen geblieben oder läge irgendwo in der Erde vergraben, des glücklichen Archäologen wartend, der sie an's Tageslicht förderte.«
»Wie ungalant und ungerecht!« lächelte Vincente; ihr Auge hatte einen warmen Blick, als wollte sie sagen: Ich weiß, daß du aus Freundschaft für mich gegen sie eingenommen bist.
»Ich mag den römischen Typus nicht leiden, gebogene Nasen waren mir immer zuwider, die Mädchen aus dem Volke gefallen mir viel besser, sie haben nicht den dreisten Blick dieser vornehmen Damen, die ihre Schönheit täglich auf dem Pincio spazierenfahren. So ein Gesicht sagt gleich Alles heraus, was es auf dem Herzen hat, es bleibt nichts zu errathen. Aushängeschilder sind diese klassischen Züge, Aushängeschilder an leeren Häusern! Machen Sie das Experiment, sich mit der Contessa nur eine Stunde lang zu unterhalten, tête-à-tête, ohne Herren, mit denen sie zwischendurch kokettiren kann, und Sie sollen mir gestehen, ob Sie nicht krank vor Langeweile geworden sind!«
»Sie ärgern sich, weil sie meinen Mann bevorzugt und nicht Sie.«
»O, gnädige Frau, haben Sie mir das gekräuselte Haar von heute Morgen noch nicht verziehen? Sie halten mich noch für einen eitlen Narren.«
»Gewiß nicht,« erwiederte sie herzlich, »von heute Morgen habe ich bloß die Erinnerung, daß Sie ebenso taktvoll waren, wie ich unbesonnen … Ich habe rechtes Zutrauen zu Ihnen gefaßt,« fuhr sie leiser fort, und ich hatte mit der Versuchung zu kämpfen, die kleine Hand, die eine Magnolia zerpflückte, an die Lippen zu ziehen, – »was eigentlich nicht klug ist, denn gegen die Freunde des Mannes soll die Frau stets auf der Defensive sein.«
Wem verdanken Sie diese pessimistische Meinung?«
»Meiner Erfahrung,« lächelte sie schalkhaft, »ich habe Vettern, mein Herr, und zwei verheirathete Freundinnen – da hört man allerhand. Nehmen wir beispielsweise an, die prächtige Contessa verabrede mit meinem Mann ein Rendezvous, Sie wüßten darum –würden Sie mich davon in Kenntniß setzen?«
»Das hieße im gemeinen Sprachgebrauch klatschen!«
»In der Pension sagten wir auch ›petzen‹!« lachte sie muthwillig. In diesem Falle wäre es jedoch weder das Eine noch das Andere, Sie würden einfach Ihre Pflicht erfüllen, wenn Sie mich in meinen Rechten schützten. Was können Sie darauf erwiedern?«
»Daß ich dennoch schweigen müßte, gnädige Frau, die Rolle des Angebers ist gar zu häßlich. Meine Pflicht würde sein, Raoul von einer Thorheit zurückzuhalten, und ich denke, daß es mir leicht gelingen würde.«
Sie sah mich nachdenklich an. »Sie sind ein guter Mensch,« flüsterte sie dann, »und ich freue mich, daß Sie hergekommen.«
Eine Bewegung durchlief die immer zahlreicher gewordene Gesellschaft, ein Signore Pannini, der Besitzer eines Tenors, wie keine europäische Bühne ihn aufweisen konnte, wollte sich auf Drängen der Marchesa herbeilassen, Etwas vorzutragen. Signore Pannini wußte, wie schwer es ist, eine im Konversiren begriffene Menge in eine lautlose Zuhörerschaft zu verwandeln, er schob daher einen langen, schwindsüchtigen jungen Menschen, mit bis auf die Schultern fallendem Haar, der als berühmter Pianist bezeichnet wurde, an das Pianino und ersuchte ihn, eine Introduktion zum Besten zu geben. Der lange junge Mensch hatte unendlich lange, dünne Finger und war für einen Italiener auffallend schäbig gekleidet, die Kunst mußte ihm wenig einbringen; hätte sich Eitelkeit in Gold prägen lassen, so wären der Tenor und er Krösusse geworden. Mit gezierter Miene nahm er vor dem Instrument Platz, warf den Kopf zurück und starrte ein paar Minuten zur Decke empor, was andeuten sollte, daß er auf höhere Inspiration wartete. Diese trat denn auch mit erschreckender Plötzlichkeit ein, mit einem Ruck senkte er die spitze Nase bis auf die Tasten und seine Finger verübten einen fürchterlichen Wirbel in den tiefen Regionen des Basses, was auf den vorwiegend militärischen Charakter der Inspiration schließen ließ. Wie und was er spielte, ist schwer zu sagen, aber ich bemerkte, daß die Baronin mit Mühe einen krampfhaften Ausbruch unbezwinglicher Lachlust unterdrückte, ihre Augen hafteten standhaft am Boden, und so entgingen ihr die mörderischen Blicke, mit denen der junge Künstler die Damen attachirte. Raoul hatte den Arm auf die Stuhllehne gestützt und sein Gesicht halb mit der Hand verdeckt, ich konnte nicht unterscheiden, ob, um seine Heiterkeit zu verbergen, oder um das stolze Profil der Contessa ungestört zu studiren.
Kaum war diese musikalische Leistung beseitigt, als auch die Gesellschaft lebhaft applaudirte und begeistert Bravo! rief. Der Lange, in den Gliedern Schlotternde, drückte seinen Claque an's Herz und verbeugte sich dankend. Die Italiener, die im Theater das unnachsichtigste Publikum der Welt sind und selbst ihre Lieblinge, wenn sie in Folge einer Indisposition sich ihrer Partieen weniger gut entledigen, erbarmungslos auszischen, üben im Salon eine unglaubliche Toleranz. Ich bin überzeugt, sie würden Produktionen auf dem Leierkasten oder dem Brummeisen mit Andacht anhören; Dilettanti – in des Wortes verwegenster Bedeutung – dürfen die Ohren der anwesenden Opfer straflos mißhandeln.
Die Baronin flüsterte mir zu, daß sie nach dieser Probe den Leistungen des Signore Pannini mit Bangen entgegensähe, sie fürchte, nicht länger ernsthaft bleiben zu können. Das Gesicht Raoul's drückte stumme Resignation aus, die Contessa fand wahrscheinlich, daß dieser leidende Zug den Fremden noch interessanter machte, denn ihre glänzenden Augen kehrten immer wieder zu ihm zurück; sie beugte sich beim Sprechen dicht zu ihm und ihre schwarze Lockenmähne streifte beinahe sein blondes Haar. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß ihn eine derartige herausfordernde Annäherung eher abstieß, als entflammte.
Signore Pannini warf sich siegesgewiß in Positur; ein Sizilianer, wie die Marchesa zu Vincente sagte, nicht mehr jung, schon zu dem Embonpoint des beginnenden Fünfzigers neigend, doch mit jugendlichen Prätensionen. Ein alt gewordener Antinouskopf mit gefärbten Locken und Augenbrauen, parfümirt, von goldenen Ketten und Juwelen funkelnd, in Summa: eine blendende Persönlichkeit! Die ersten Töne schon bewiesen, daß er früher eine allerdings seltene Stimme besessen hatte, die Ueberreste reichten noch hin, die Fensterscheiben klirren zu machen. Er hatte alle Unarten eines ausgesungenen Bühnentenors, wenn er einen noch ausgiebigen Ton erwischt hatte, so tremolirte er so lange auf ihm herum, als sein Athem reichte, unbekümmert, ob er den Rhythmus, die Phrase zerriß; er liebte, wie der schlotternde Pianist, die jähen Uebergänge vom pianissimo amoroso zum fortissimo furioso, was für empfindliche Personen sehr angreifend ist. Der lange junge Mensch mußte unendlich impressionable Nerven haben, denn er befand sich im Zustande höchster Exaltation; nicht nur, daß er in den Gesang hinein: bravissimo! superbo! eccellente! schrie, er lehnte sich auch zurück, schloß die Augen vor Verzückung und hörte mit der Begleitung zwischendurch ganz auf, den Sizilianer ohne stützenden Baß weiter singen lassend. Die Baronin meinte nachher, es sei das immer an den Stellen geschehen, wo das Akkompagnement schwieriger gewesen wäre. Das Gebahren des verrückten Pianisten erregte kein Befremden, » molto enthusiastico«, sagte man wohlwollend und applaudirte wie unsinnig. Signore Pannini feierte einen vollständigen Triumph und nachdem er einmal angefangen hatte und warm geworden war, gab es kein Aufhören für ihn. Neapolitanische und sizilianische Volkslieder trug er namentlich gut vor und der gebrochene Straßensängerton störte da am wenigsten.
Die Damen wehten mit den Taschentüchern und die Herren zerklatschten sich die Handschuhe – für uns Norddeutsche, die nur bei einer wirklichen Kunstleistung in Begeisterung gerathen, war es ein merkwürdiges Schauspiel. Der Marchese erzählte mir, die italienische Oper in London habe dem Herrn die glänzendsten Anerbietungen gemacht, aber er könnte sich nicht entschließen, die Bühne zu betreten, Rubini und Tamberlick Giovanni Battista Rubini (1795-1854), Enrico Tamberlick (1820-1889), international bekannte italienische Opernsänger. müßten sich vor ihm verstecken, – kurz, Pannini ging » alle stelle« ›Zu den Sternen‹.. Er ließ sich der Baronin Eckartsberg vorstellen, die er mit einer Flut fader Komplimente überschüttete. Der ältliche, dicke Mann, mit den fetten, beringten Händen, den jugendlich affektirten Manieren und dem süßlichen Lächeln, wirkte auf die junge Frau unwiderstehlich komisch. Sie hatte, wie alle Evastöchter, ihre Ader von Koketterie; ihre heuchlerisch verwirrte Miene verleitete den Tenor zu immer blumenreicheren Wendungen.
Ich hatte schon bemerkt, daß die Art, wie die Herren mit den Damen verkehrten, etwas Eigenthümliches an sich hatte, sie schienen sie wie Wesen zu betrachten, die auf der Welt nichts verständen als » far all' amore« ›Liebe machen‹.. Waren die Worte nicht zärtlich, so waren es Ton und Blick. –
Raoul hatte den Platz neben der Contessa der Frau vom Hause abgetreten und sich nach dem kühlern Vorzimmer begeben, wohin ich ihm folgte.
»Hast Du es herausgebracht, ist sie es?« fragte ich.
»Noch habe ich keine Gewißheit. Die äußeren Umstände stimmen Punkt für Punkt: der burgähnliche Palazzo, den sie bewohnt, dessen Rückseite an ein Vicolo stößt …«
»Warum hast Du Dich nicht einfach nach ihrer Adresse erkundigt?« unterbrach ich ihn.
»Ich hatte nicht den Muth. Wenn ich nach ihrer Wohnung frage, so muß ich sie auch besuchen – und das will ich nicht, wie Du weißt.«
»Die Geschichte mit dem Rosenstrauß, den sie Dir heute zugeworfen, war nicht schlecht erfunden, sie beweist, daß die Contessa ziemliche Gewandtheit in der Führung einer Intrigue besitzt … Deiner Frau konnte sie nicht gut sagen, daß sie Dich in später Nacht mit einer Rose beglückt.«
»Erfunden ist die Geschichte nicht, ich hatte sie nur vergessen.«
»Um so geschickter von ihr, die Sache nach allen Seiten vorzubereiten. Wie ist sie in der Unterhaltung?«
»Ehrlich gestanden – uninteressant, soweit man es bei so viel Schönheit sein kann. Die tiefe Innerlichkeit, die aus ihrem Gesange spricht, suchte ich vergebens in ihren Worten. Ein Salongespräch ist freilich nicht maßgebend, und dann sind die Italienerinnen nicht daran gewöhnt, daß ein Mann in ernstem Tone mit ihnen redet.«
»Mir sind diese foudroyanten Foudroyant: überwältigend. Schönheiten immer langweilig, ebenso die sonoren Altstimmen, die die unbedeutendsten Redensarten mit derselben Wucht betonen wie etwa Phädra ihre Verzweiflung. Wie süß klingt dagegen das melodische, biegsame Organ Deiner Frau, wie reizend ist ihr bewegliches Mienenspiel! Sie hat sämmtlichen Herren die Köpfe verdreht, Signore Pannini drechselte die zierlichsten Madrigale.«
»Diese Art der Huldigung behagt ihr,« entgegnete er spöttisch, »das zeigt Dir, wie kindisch sie ist.«
»Vorläufig habe ich nur bemerkt, daß sie den Sizilianer mit feiner Ironie abfertigte. Ob interessantere Verehrer gnädiger behandelt werden, weiß ich nicht und Du auch nicht, da Du Dich in Gesellschaft gar nicht um sie zu kümmern scheinst.«
»Sollen wir etwa wie Turteltauben neben einander auf der Stange sitzen?«
»Nein,« erwiederte ich bedächtig, »lächerlich darf man sich nicht machen, indessen gibt es einen Mittelweg; eine junge, lebhafte Frau sich selbst zu überlassen, ist gefährlich. Ich möchte wetten, daß von den anwesenden Herren nicht fünf wissen, wer ihr Gatte ist, deßhalb fühlte ich mich halb und halb verpflichtet, als ihr Beschützer den Stuhl neben ihr zu behaupten.«
»Ich bin Dir sehr verbunden,« antwortete er mit leichter Ironie.
»Keine Ursache, es war mir das größte Vergnügen, denn ich habe in meinem ganzen Leben noch kein so sprühend geistreiches Wesen wie die Baronin Vincente gesehen. Nimm Dich in Acht, wenn Du dieses feurige Temperament, diese rastlose Phantasie nicht genügend beschäftigst, bereitet sie Dir eines Tages die unerwartetste Ueberraschung.
»Die wäre?« lächelte er ungläubig.
»Vielleicht geht sie zum Theater.«
Er zuckte die Achseln. »Du willst mir mit Gewalt einreden, daß meine hübsche kleine Vincy, in deren Köpfchen hauptsächlich Pläne zu neuen Toiletten spuken, eine genial angelegte Natur sei. Ich würde es gar nicht wünschen, ich habe nur Eine Frau gekannt, die eine geniale Künstlerin und zugleich ein liebenswürdiges, holdseliges Weib war, es gibt keine Zweite!«
»Weißt Du, was ich seit gestern unzählige Male verwünscht habe?«
»Nun?« fragte er erstaunt.
»Daß ich Dein Freund bin!« antwortete ich brüsk, ihm den Rücken wendend. Ich ärgerte mich über ihn.
Als wir die Soirée der Marchesa verließen, hatten wir Beide meine zornige Aufwallung von vorhin vergessen.
»Gehst Du mit mir?« fragte Eckartsberg.
»Wohin?« entgegnete ich.
»Vicolo delle Grazie, ich will mir Gewißheit holen. Die Contessa wiederholte eben, daß sie heiser sei und keinen Ton in der Kehle habe. Schweigt die geheimnißvolle Sängerin heute Nacht, so ist es klar, daß sie mit ihr eine Person ist.«
»Laß mich mit dem Vicolo zufrieden, das reine Teufelswerk wird da vollführt, Deine musikalischen Schwärmereien wachsen Dir über den Kopf.«
Später erfuhr ich, das nächtliche Konzert habe dennoch stattgefunden, die Dame habe hinreißender, poetischer denn je gesungen, ihre Seele sei wie in Tönen zerschmolzen und der Blumenzweig war dem unten Lauschenden wieder zugeworfen worden, mit dem süßesten » felice notte«.
Die Geschichte wurde immer unerklärlicher.