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III.

Der helle Morgen fand mich etwas ernüchtert; ich war geneigt, die zauberische Wirkung, die der Gesang auf mich geübt, zum größten Theil dem Reiz der seltsamen Situation zuzuschreiben. Die fremde Umgebung, die durch all' das Neue und Großartige überreizten Nerven, die laue italienische Nacht, die plötzliche Stille nach dem bunten Karnevalstreiben, die dunkle Einsamkeit des versteckten Gäßchens, das geheimnißvolle, düstere Haus, – dieser Fülle phantastischer Eindrücke mußte das solideste Gemüth erliegen.

Mehr als die nächtliche Sängerin beschäftigte mich die Baronin: am Tage gelangte diese zu ihrem vollen Recht und ich nannte meinen Freund thöricht, daß er die blühende Wirklichkeit vernachlässigte, um einem Phantom nachzuhängen. Ich brauchte mehr Zeit als sonst zu meiner Toilette, und der von mir bespöttelten Sitte der italienischen Herren folgend, überließ ich meinen Kopf den kundigen Händen eines Friseurs, der ihn so vortheilhaft zustutzte, wie es seine Naturanlagen erlaubten. Die Blume im Knopfloch fehlte nicht, – ich glaube, daß ich an diesem Vormittag ein vollendeter Geck war.

Um zwölf Uhr hatte Vincente gesagt; eine unbezwingliche Unruhe trieb mich früher in die Gegend der Piazza Apostoli. Mir blieben noch zwanzig Minuten, die ich zu einem Abstecher nach dem Vicolo delle Grazie verwandte, um die Lokalitäten bei Tageslicht zu inspiziren.

Poetisch waren dieselben nicht. Ein großer Kehrichthaufen, auf dem eine todte Katze lag, versperrte den Eingang; der spaccio di vino glich einer schmutzigen Räuberhöhle, die Mauern klafften in handbreiten Sprüngen und wiesen Spuren allerlei unsauberer Flüssigkeiten, die zu den Fenstern herausgegossen werden mochten. Das Gäßchen war nicht viel belebter als bei Nacht; ich kann nicht einmal sagen, daß ich bemerkt worden wäre, denn es war Niemand da, dem wohlgekleideten, honetten forestiere Fremdling. nachzublicken. Das Gebäude, das sich die unbekannte Schöne in wunderlicher Laune zu ihrem Wohnsitz erkoren, konnte nur ein alter, öder Palazzo sein. Ueber dem hermetisch verschlossenen Thor prangte ein unkenntliches Wappen, das vorspringende Dach war von einem schön gegliederten Gesims getragen, die Fenster hatten eine anmuthige Säulenstellung. – Einer deutschen Hausfrau würde sich beim Anblick derselben das Herz in der Brust umgedreht haben! – Hundertjähriger Staub hatte sie erblindet, die zerbrochenen Scheiben waren mit blauem, grauem, gelbem Papier zugeklebt, – wie mochten die Zimmer ausschauen! Auch das Fenster, zu dem wir gestern hinaufgelauscht, machte keine Ausnahme, und das gab mir einen kläglichen Begriff von der Reinlichkeitsliebe der Sängerin; wenn in dem Vicolo auch nichts zu sehen war, so mußte sie sich doch, schon um der lieben Sonne willen, die Scheiben klar putzen lassen.

In einem offenen Thorweg, den ich bei Nacht nicht bemerkt, saß ein alter Mann, der Orangen und Finocchi feil hielt und sich damit beschäftigte, Kastanien zu rösten. Er beugte sich über die Pfanne und rührte mit einem Holzstäbchen darin herum; die fertig gerösteten nahm er heraus und legte sie in eine Mulde, die mit einer zerlumpten, dünnen Matratze zugedeckt war. Meine mangelhafte Kenntniß der Landessprache zu Hülfe rufend, bemühte ich mich, ihm eine Aussage über das Gebäude gegenüber zu entlocken.

Meine erste Anrede beantwortete er mit: » Un soldo, Signore, un soldo!« Dabei griff er eine Orange heraus, rieb sie an seinem Aermel blank und überreichte sie mir.

Ich gab ihm ein paar Soldi, legte aber die Orange zurück, welche Großmuth ihn zu frappiren schien; er schielte mich mißtrauisch an und sich wieder seinen Kastanien widmend, murmelte er: » Che vuole, Signore?«

Wem der Palazzo gehöre?

» Non so, è un palazzo vecchio, molto vecchio.«

Ob er bewohnt würde?

Er zuckte die Achseln, er könnte es nicht sagen, es wäre möglich, doch hätte er noch nie Jemand aus dem Thor treten sehen, obgleich er dalla mattina fin' alla sera hier säße. Ich wollte auf den Busch klopfen, weil ich den Alten in Verdacht hatte, mir die Wahrheit vorzuenthalten, so sagte ich denn ex abrupto:

»Die junge, schöne Dame, die so herrlich singt, muß doch ausgehen oder ausfahren; da sie keine Heidin ist, wird sie die Messe besuchen. Habt Ihr sie heute noch nicht gesehen?«

Der Alte grinste mich vergnügt an. » Capisco, capisco,« schmunzelte er, »ich kann leider dem Signore nicht dienen, ich weiß nichts von einer schönen Dame, die da drüben wohnen soll.«

»Ihr habt wirklich noch nie bemerkt, daß das Thor geöffnet wird?«

Er schüttelte den Kopf. »Niemals, sempre chiuso

Es muß doch eine Möglichkeit geben, hineinzugelangen!« rief ich unmuthig.

»Signore werden schon einen Weg finden,« lachte er, » l'amore opera miracoli und ein Liebhaber steigt durch das Fenster, wenn er nicht zur Thür hinein kann.«

Der Alte machte sich über mich lustig! Selbst Romeo würde darauf verzichtet haben, an dieser glatten Mauer emporzuklettern, oder er hätte sich eine Feuerleiter geholt.

Meine Rekognoszirung war somit resultatlos, der Schleier, der über diesem Abenteuer ruhte, lüftete nicht einen Zipfel. Der Palazzo mußte noch einen andern Ausweg haben; wo derselbe hinführte, war schwer zu entdecken. Man hatte mir gesagt, daß sich diese alten Adelsbehausungen oft über ganze Straßenviertel erstreckten, in die Höfe, die sie umschlossen, waren Häuser hineingebaut, Gassen durchgelegt. Die Mittellosigkeit zwang die Besitzer, aus dem überflüssigen Terrain den größten Nutzen zu ziehen; doch sollte zwischen den zerrissenen Theilen meistens eine Verbindung existiren. Eine Einrichtung, die sich bei den Verschwörungen und Aufständen, an denen Roms Geschichte reich ist, oft sehr praktisch erwiesen. An diesen kolossalen Palästen gehen die Familien oft zu Grunde, zum Vermiethen eignen sie sich selten, kaufen kann sie Niemand, ihre Weitläufigkeit erfordert ein Heer von Dienern und ihre Erhaltung verschlingt enorme Summen; so bleiben sie unbenutzt stehen und verfallen langsam.

Der, in den mein Freund sich einlogirt, sah noch ziemlich stattlich aus. Die Fassade war wohl erhalten, ebenso die auf Säulen ruhende, gewölbte Eingangshalle; eine breite, mit der Raumverschwendung der Renaissance angelegte Marmortreppe führte in vielfachen Absätzen zu den oberen Stockwerken empor.

Fräulein Babette, die » confidente« ihrer jungen Herrin, erwartete mich an der Thür des Vorzimmers, so daß ich der Mühe, die Klingel in Bewegung zu setzen, überhoben ward. Sie ließ mich in einen Saal treten, der, weniger breit wie lang, einer Festgalerie glich, und ersuchte mich mit Kammerkätzchenhöflichkeit, hier ein wenig zu verziehen, sie würde die gnädige Frau sofort benachrichtigen.

Das Erwartungsvolle meiner Stimmung wurde durch die Fremdartigkeit der Umgebung gesteigert. Ueberall die Spuren einer Pracht, die unser armer Norden kaum in den Schlössern seiner Fürsten kennt. Der Fußboden ein Marmormosaik, der Plafond mit reichen, zum Theil vergoldeten Stuckverzierungen überladen; hohe venezianische Spiegel an den Pfeilern, Vasen, Büsten, Statuen; eingelegte florentiner Tische, Stühle und Sophas mit Stoffen bekleidet, wie man sie in ähnlicher Kostbarkeit jetzt nicht mehr webt: auf weißem, silberdurchschossenem Seidengrunde buntfarbige Sammetblumen; Alles beschädigt, geschwärzt, zersprungen, verblaßt und zerschlitzt, – aber in diesem Verfall einen um so vornehmern, großartigern Eindruck machend.

»Uns hat nicht der Geldsack eines über Nacht reich gewordenen Parvenüs hergerichtet,« schienen die blinden Spiegel, die defekten Kronleuchter aus Muranoglas, die invaliden Putten und Amoretten zu sagen, »wir sind historisch! Wir wissen von dem Auf- und Niedergange eines stolzen Hauses zu erzählen! Dieser Estrich wiederhallte von den Schritten Raphael's und Giulio Romano's, diese Wände hörten die Strophen des Orlando Furioso. Unsere Vergangenheit ist so glanzvoll, daß ihr mächtiger Reflex noch die Armuth der Gegenwart bestrahlt. Diese Räume werden jetzt freilich für schnödes Geld an Fremde vermiethet, aber wir blicken mit Verachtung auf das erbärmliche Geschlecht nieder, dem der Adel äußerer Erscheinung und das hohe Selbstbewußtsein eigener Individualität fehlen, das sich nicht einmal würdevoll zu kleiden versteht!« Ein einbeiniger Putto, der das Familienwappen halten half, kicherte spöttisch:

»Wo sind sie geblieben, die stolzen Männer mit den feinen, charaktervollen Köpfen, der unnachahmlich fürstlichen Haltung, in ihren malerischen Kostümen aus Sammet und Goldbrokat, den breiten Spitzenkragen, den Barets mit wallenden Federn und den faltigen, von kostbaren Spangen gehaltenen Mänteln? Wie jammervoll nimmst Du Dich dagegen aus! Ganz mesquin! Schäbig. Pfui!«

Ich wiederholte das Pfui! des ungezogenen Buben, denn ich sah mich im fleckigen Glase mit Sürtout Weiter Oberrock., steifer Halsbinde und Cylinder – ich fand mich durchaus nicht in Harmonie mit der Umgebung.

Um so mehr dagegen die junge Dame, die sich in der offenen Flügelthür zeigte und mich mit einer Handbewegung zum Eintritt in das anstoßende Gemach aufforderte. War sie schön in dem langschleppenden Morgengewande von tiefrothem, weichem Stoff mit breiten Sammetaufschlägen! Gelbliche Spitzen umsäumten den runden Hals, die weiten, hängenden Aermel; das braune Haar, dessen Fülle nicht dem Friseurladen entstammte, war in einem Goldfadennetz gefangen, zwischen dessen Maschen sich die eigenwilligen Locken vordrängten.

Ich dachte nicht mehr an die Sängerin, das nächtliche Konzert ließ mich total gleichgültig und mein Freund Raoul war ein Erznarr, den die Götter mit Blindheit geschlagen. Obgleich nicht über Mittelgröße, erschien mir die Baronin heute von majestätischem Wuchse, ihr Gesicht, das noch die sanfte Rundung des Kindes hatte, war etwas bleich und diese Blässe lieh ihm einen rührenden Ausdruck, der mein weiches Herz bewegte.

»Treten Sie näher, Herr von Lewin,« sprach sie kühl, und in herrischem Tone fügte sie hinzu: »Setzen Sie sich dorthin.«

Sie zeigte auf einen verschlissenen Brokatsessel mit Löwenfüßen, der in einer tiefen, mit Blattpflanzen dekorirten Fensternische stand, von der aus man in die Säulenhalle der Kirche SS. Apostoli blickte.

Ich gehorchte dem Befehl, »mit eingekniffenem Schwanz«, hätte ich beinahe gesagt, schlich ich mich nach dem mir bezeichneten Platze; ich fühlte mich kläglich, wie ein der Züchtigung harrender Pudel. Und doch hatte ich ein blendend reines Gewissen, eines Unrechtes war ich mir auf Ehre nicht bewußt.

»Sehen Sie sich!« wiederholte die junge Frau energisch, als ich, ein wohlerzogener Mann, stehen blieb, um mich erst nach ihr niederzulassen. Der Ton war indessen so scharf und herb, die schwarzen Augen blitzten mich so gebieterisch an, daß ich vor Schreck auf den Stuhl fiel – hier galt es prompten Gehorsam.

Sie drehte den Schlüssel der Salonthür um, steckte ihn in die Tasche und näherte sich der Nische. Was sollte das heißen? Die zweite Thür schien ebenfalls verschlossen – sollte ich eingesperrt werden? Steckte etwa Babette hinter der Portière, um im geeigneten Momente mit Daumschrauben, glühenden Zangen und sonstigen Marterwerkzeugen hervorzustürzen? Im Kamin brannte ein helles Feuer, auf dem Roste hatte ich freilich nicht Platz, doch konnte ich stückweise gebraten werden … Diese Erwägungen waren es nicht, die mich ernstlich bestürzten, Vincente war ein Kind, sie überlegte nicht die, um es gelinde auszudrücken: Wunderlichkeit der Situation – ich mit ihr eingeschlossen! Mich überlief es heiß bei dem Gedanken, daß Raoul unvermuthet zurückkehren, nach seiner Frau fragen könnte … Es ging nicht, ich war der Verständigere, Erfahrenere, ich mußte ihr diese Unschicklichkeit klar machen, ich war es meinem Freunde schuldig.

»Gnädige Frau,« stotterte ich verlegen, »möchten Sie nicht gefälligst jene Thür wieder aufschließen?«

»Nein,« sagte sie, »Sie sind mein Gefangener, bis ich Sie entlasse.« Sie schob sich einen Sessel vor die Nische und ihr faltiges Gewand weit ausbreitend, stellte sie einen lebendigen Riegel vor, das reizendste Hinderniß eines etwaigen Fluchtversuches. Die Arme kreuzend, lehnte sie sich zurück und sah mich – ich kann es nicht verschweigen – impertinent an.

»Bedenken Sie, gnädige Frau … gesetzt den Fall, daß Raoul …« Wahrhaftig, ich spielte die albernste Rolle der Welt – Joseph ohne Potiphar! In der biblischen Geschichte kauft Potifar, ein hoher ägyptischer Beamter, Josef, den Sohn Jakobs, und macht ihn zum Hausverwalter. Als Potifars Frau ihn der versuchten Vergewaltigung bezichtigte, aus Rache dafür, dass er ihre erotischen Avancen zurückgewiesen hatte, ließ Potifar Josef ins Gefängnis werfen.

»Beruhigen Sie sich,« lächelte sie boshaft, »erstens kommt mein Mann jetzt nicht zurück, und dann habe ich aus Vorsicht Babette im Saale als Schildwache postirt; sie läßt Niemand zu mir, weil ich Migräne habe und allein zu bleiben wünsche.«

»Wenn aber Raoul,« hub ich wieder an, »durch die Thür dort …«

»Das ist nicht zu befürchten,« entgegnete sie ruhig, ihre rosigen Fingerspitzen betrachtend, »die Thür führt in mein Schlafzimmer, das keinen besondern Ausgang hat.«

Immer besser! Diese kleine Baronin war – ich bitte tausendmal um Verzeihung – rein des Teufels! Und tausend Teufelchen spielten um ihre Mundwinkel.

»Gnädige Frau,« begann ich abermals, »halten Sie mich nicht für einen lächerlichen Gecken, ich bin durchdrungen von der Unbedeutendheit meiner Person und erkenne Ihnen vollkommen das Recht zu, Ihren kapriziösen Einfällen zu folgen … indessen … jedoch …«

Nein, unter dem Feuer dieser muthwilligen Augen zu stehen!

»Dessenungeachtet, gleichwohl, nichtsdestoweniger sind auch entgegensetzende Konjunktionen,« sagte sie ernsthaft; »in der Pension wurden wir arg mit deutscher Grammatik geplagt, ich kann Ihnen daher einhelfen.«

Jetzt riß mir die Geduld, die Macht der reizendsten Frau hat eine Grenze.

»Gnädige Frau,« sprach ich mit Haltung, »ich bitte Sie, die Thür nach dem Saal aufzuschließen; Raoul würde mir nie verzeihen, Ihrer Unbesonnenheit Vorschub geleistet zu haben, er kann erwarten, daß ich mich nicht zum Mitschuldigen einer Unschicklichkeit mache, die ein zweideutiges Licht auf Sie wirft.«

Sie erröthete bis an die Haarwurzeln und sagte mit einem kleinen, nicht natürlich klingenden Lachen:

Sie scheinen sich für sehr gefährlich zu halten, Herr von Lewin.«

»Darauf erlassen Sie mir gnädigst die Antwort.«

»Nun gut, ich bin vielleicht unbedacht gewesen, aber« – blitzschnell wechselte ihr Gesicht den Ausdruck, die dunklen Augen blickten mich jetzt tieftraurig an – »Sie wissen nicht, wie wichtig mir diese Unterredung mit Ihnen ist, darum wollte ich jede Störung verhindern.«

Meine aufwallende Empfindlichkeit schmolz dahin wie Aprilschnee in der Sonne.

»Geloben Sie mir, alle meine Fragen der Wahrheit gemäß – der Wahrheit gemäß,« betonte sie, mich fest ansehend, »zu beantworten und nicht davon zu laufen, wenn mein Inquiriren Sie genirt?«

»Ich gelobe es,« erwiederte ich feierlich … Was würde dieses krause Köpfchen zu Tage fördern?

»Auf Ehre?«

» Parole d'honneur erster Klasse mit Schwertern.«

»Schlagen Sie ein!«

Das wäre ein Kunststück gewesen, mit meiner großen Tatze in das winzige, zierliche Händchen einzuschlagen. Ich zog vor, die schlanken Finger zu küssen.

»Da haben Sie den Schlüssel …«

»Sie sind Raoul's ältester Freund?« fragte sie, als ich wieder meinen Platz eingenommen.

Ich bejahte es. »Wir haben zusammen studirt, dienten unser Jahr in demselben Regiment ab, waren Kriegskameraden und trafen uns später in der Residenz wieder, er als Hülfsarbeiter im Ministerium des Auswärtigen, ich als Referendarius am Kammergericht.«

»Hat Raoul viele Verhältnisse gehabt?«

»Verhältnisse??«

»Ja, ich meine vorübergehende und dauernde Verbindungen mit Frauen … Muß ich Ihnen erst erklären, was ein Verhältniß ist!«

»Aber, meine Gnädige …«

»Ich bitte Sie, Herr von Lewin,« unterbrach sie mich, »bemühen Sie sich nicht, mich zu täuschen.« Sie richtete sich auf und eine altkluge Miene annehmend, sagte sie mit Bestimmtheit: »Die Männer haben mindestens ein Dutzend Liaisons hinter sich, wenn sie heirathen, ich weiß es. Schon in der Pension bildete ich mir nicht ein, die erste Liebe meines künftigen Gatten zu sein. Das bekümmerte mich weiter nicht, denn auch wir Mädchen bringen kein unberührtes Herz mit in die Ehe.«

»O!« rief ich verblüfft, das unschuldige, kindliche Antlitz betrachtend.

Sie wurde unter meinem forschenden Blick verlegen und zupfte an dem Spitzenbesatz. »Meine beste Freundin liebte den Zeichenlehrer und es gab furchtbare Eifersuchtsszenen zwischen ihr und einer Andern, die ihn ebenfalls anbetete … Ich, ich schwärmte für unsern Maëstro, der war zwar häßlich, aber wenn er am Flügel saß, leuchtete das Genie von seiner Stirn.«

»War er noch jung?«

»Vielleicht in den Fünfzigen, ich habe von jeher die älteren Männer vorgezogen, mit den Jüngeren weiß ich nichts anzufangen, sie sind mir langweilig.«

Sehr deutlich ausgedrückt.

»Mein theurer Maëstro! Um ein Lob aus seinem Munde hätte ich die Nacht hindurch geübt, wenn nicht die Direktrice, aus Rücksicht für meine Gesundheit, Einspruch erhoben haben würde. Ich durfte leider nur drei Stunden täglich spielen.«

»Drei Stunden, gnädige Frau, dann müssen Sie eine Virtuosin sein!«

»Das bin ich auch,« versetzte Vincente stolz, »mein Maëstro sagte, ich könnte jeden Augenblick vor die Oeffentlichkeit treten … Doch Raoul wird mich nie spielen hören, nie!« rief sie heftig. »Es war zu kränkend für mich, daß er sich nicht einmal von meinen Leistungen überzeugen wollte, er nahm a priori an, sie taugten nichts. Diese Gleichgültigkeit entspringt seiner Geringschätzung meiner Person – eine Geringschätzung, die ich nicht verdiene.« Sie wischte sich über die Augen. »Wenn er sich nur die Mühe geben wollte, zu ergründen, ob ich wirklich so oberflächlich und gehaltlos bin, wie er glaubt …«

»Sie verkennen Raoul, gnädige Frau,« murmelte ich.

»Sie brauchen ihn nicht zu vertheidigen,« versetzte sie würdevoll, »mein Herz ist sein bester Advokat.«

Ich hatte Recht, sie liebte ihn, und er schloß absichtlich die Augen … Wenn sie nur nicht wieder von den fatalen »Verhältnissen« anfing!

»Welche Damenbekanntschaften hatte also Raoul?« fragte sie, aus dem weichen Ton in einen scharfen, um nicht zu sagen: beißenden übergehend. Sie hatte sich aufgerichtet und die Arme übereinander schlagend, nahm sie eine imperatorische Stellung an.

»Damenbekanntschaften?« wiederholte ich unbefangen. »Er hatte deren viele, die meisten jungen Leute von Distinktion waren in den guten Familien gern gesehene Gäste.«

»Aeußern Sie sich weniger allgemein, ich spreche nicht von nichtssagender Courmacherei, die ihren Ausdruck im Cotillon oder einem verlorenen Vielliebchen findet, ich will wissen, zu welchen Damen er in innigerer Beziehung stand.«

»Ich versichere Sie, gnädige Frau, Raoul galt in dem Punkt für unverwundbar.«

» Non-sens,« erwiederte sie kurz, »er ist kein Don Juan gewesen, dazu ist er zu anständig und zu ehrgeizig, doch ein Heiliger war er nun und nimmermehr. In den höheren Kreisen wird er natürlich keine Liaison angeknüpft haben; wenn ein Mann da nicht ernste Absichten hat, so kann es ihm übel bekommen, ein Mädchen kompromittirt zu haben, es gibt Väter und Brüder, die manchmal unbequem werden. Aber die Herren haben ja immer ein besonderes tendre für Theaterdamen, Raoul machte gewiß keine Ausnahme.«

Sie trieb mich furchtbar in die Enge, ein Großinquisitor konnte von ihr lernen. Meine Lage war in der That peinlich; sagte ich nichts, so zog ich mir ihren allerhöchsten Zorn zu, wurde ich indiskret, so beging ich ein Unrecht an meinem Freunde. Das wußte ich, wenn ich mich je verheirathete, würde ich meine früheren Freunde um jeden Preis von meiner Gattin fern halten, sie sollte keine Gelegenheit haben, Nachforschungen anzustellen.

»So reden Sie doch!« rief Vincente ungeduldig.

»Auf Ehre, ich erinnere mich nicht einer ernstern Affäre, etwa eine flüchtige Laune für eine Schauspielerin ausgenommen …«

»Sehen Sie,« sagte sie triumphirend, »ich hatte mich nicht geirrt! Wer war es?«

»Eine Soubrette,« entgegnete ich zögernd, »wenn Sie ihn fragen, wird er Ihnen selber von ihr erzählen, falls er sie nicht ganz vergessen hat.«

»Das hat er sicher, sobald ich ihn darnach frage. Also eine Soubrette! Wäre es noch eine erste dramatische Sängerin oder eine tragische Liebhaberin gewesen! Daß ein junger Mann sich in eine Valentine, ein Gretchen verliebt, kann ich begreifen, aber in eine Soubrette, die Köchinnen und Milchmädchen spielt! … War sie hübsch?«

Auch noch eine Personalbeschreibung wurde verlangt!

»Mehr pikant und drollig.«

»Hatte sie Geist?«

Ich mußte lachen. »Das eben nicht, wenigstens nicht, was Sie darunter verstehen. Sie war eine unverfälschte Oesterreicherin, die ungeheuer viel schlechte Witze riß und deren Bildung gerade ausreichte, ihre Rollen lesen zu können.«

Die Baronin warf das Näschen hochmüthig in die Luft. »Und Raoul liebte eine solche Person?«

»Sie amüsirte ihn, weiter nichts.«

»Sie mußte doch etwas an sich haben, was ihn fesselte, bitte, denken Sie darüber nach, Herr von Lewin, ich muß durchaus wissen, was ihm an Frauen gefällt.« Ich befragte meine Erinnerung, welche liebenswürdigen Eigenschaften hatte die »fesche« Peppi Pollitzer besessen, der wir zu ihrem Benefiz für ein paar hundert Thaler Blumen gespendet, der Ausgaben für Champagner nicht zu gedenken? Es fiel mir absolut nichts ein.

»Nun?« Das Füßchen balancirte den kleinen Pantoffel sehr ungeduldig.

»Sie bringen mich in Verlegenheit, gnädige Frau! Peppi war ein lustiger Bruder, voll komischer Einfälle und … und dann pfiff sie reizend und blies mit Virtuosität Rauchringe durch die Nase.« Ich hatte das niederdrückende Bewußtsein meiner Dummheit, doch zweifle ich, ob sich ein Anderer klüger aus der Schlinge gezogen hätte.

»Sie pfiff Gassenhauer und blies den Rauch durch die Nase!« sagte Vincente verächtlich. »Das sind die Eigenschaften, die Männer bezaubern? Empörend!«

»Schelten Sie uns, Baronin, wir sind ein nichtswürdiges Geschlecht; um uns zu retten, hat Gott die Frauen zu lauter Engeln geschaffen.«

»Ich bin kein Engel,« erwiederte sie zornig und sie sah ebenso entzückend böse aus, wie gestern auf dem Balkon.

»Verstehen Sie mich? ich werde nie wie ein Straßenjunge pfeifen und wie ein Unteroffizier paffen – nie! und könnte ich nur dadurch Raoul's Liebe gewinnen!«

»Diese Eigenthümlichkeiten würde er wahrscheinlich an seiner Gattin weniger schätzen,« bemerkte ich ruhig.

»Mit der Soubrette wären wir fertig, von den Anderen dieses Genres will ich nichts hören.«

Ich protestirte gegen die »Anderen«, es sei bei dieser Einen geblieben.

Sie lächelte ungläubig. »Das weiß ich besser,« sagte sie zuversichtlich. »Junge Leute aus feinen, guten Familien, die sorgfältig vermeiden, ein bürgerliches Mädchen ›gnädiges Fräulein‹ zu tituliren und die Formen der Etikette streng beobachten, haben eine Vorliebe für den Verkehr mit diesen Personen, deren Manieren oft ihren Kutschern bedenklich erscheinen würden.«

»Sie beurtheilen uns zu hart, gnädige Frau,« murrte ich. Mit neunzehn Jahren solche Ansichten! Wo hatte sie diese überraschenden Kenntnisse her?

»Sie werden nicht bestreiten, daß es so ist,« sagte sie mit Nachdruck, »Illusionen liegen längst hinter mir. Neulich sahen wir die Kamelliendame, die die Pezzana vollendet spielt; so, genau so, wie Marguerite Gautier im ersten Akt den Geliebten en titre behandelt, müßten die legitimen Frauen ihre Männer behandeln, um ihrer Liebe und Treue sicher zu sein. Jedes Wort, jede Geste war ein Fußtritt, ein Faustschlag.«

Sie wurde beleidigend. »Ich bedauere, meine Gnädige, daß Sie Ihre Lebensanschauungen aus so trüber Quelle schöpfen. Monsieur Dumas fils hat die Typen seiner Gestalten in Frankreich, in Paris aufgefischt, wir stellen, Gott sei Dank, noch nicht die Modelle für Schwächlinge und Ehrlose.«

»Bei uns ist man unbändig tugendhaft,« entgegnete der kleine Dämon sarkastisch, »den Germanen wird der prix Monthyon Ein jährlich in Frankreich von der Akademie der Wissenschaften und der Académie française vergebener Preis, der auch als Vorläufer des Nobel-Preises betrachtet wird. in die Wiege eingebunden! Erheben Sie auch Anspruch darauf, Herr von Lewin?«

Ich konnte nicht umhin, zu lachen, sie war unendlich drollig in ihrer überlegenen Weisheit. Meine Heiterkeit entrüstete sie anfangs, sie schleuderte mir einen majestätischen Blick zu, dann stahl sich ein Lächeln um die Lippen und sie mußte sich Mühe geben, ihre Ernsthaftigkeit zu behaupten.

»Eine große Liebe hat in Raoul's Leben mächtig eingegriffen – bitte, Herr von Lewin –« mit den schmeichelndsten Tönen – »erzählen Sie mir davon.«

»Mein Wort, gnädige Frau, ich weiß ebensowenig wie Sie,« antwortete ich unbehaglich, »Raoul hat mich nicht zu seinem Vertrauten gemacht.«

Vincente fixirte mich durchdringend. »Sie sind zurückhaltend, mit Unrecht.« Sich abwendend, sprach sie mit einem Anflug von Verwirrung: »Ich mag Ihnen unweiblich, herausfordernd erscheinen, aber mich treibt keine gemeine Neugier zu diesen Fragen … Ich bin sehr unglücklich und habe oft gegen verzweifelte Entschlüsse anzukämpfen.«

Thränen rollten über ihre Wangen, sie drückte das Taschentuch vor das Gesicht und schluchzte herzbrechend. Das arme kleine Ding! Darum litt sie nicht weniger, daß ihr Kummer vielleicht ein thörichter war.

»Ihnen will ich gestehen, was ich selbst meiner Mutter nicht gestanden, Sie sollen mir rathen; aber Sie müssen mir schwören, gegen Raoul nicht eine Sylbe verlauten zu lassen, ich verginge sonst vor Beschämung … Schwören Sie es mir.«

Die thränenfeuchten Augen blickten mich hülflos traurig an; sie gehörte zu den wenigen Frauen, die das Weinen nicht entstellt: weder wurde das Näschen roth, noch verzog sich der Mund in unschöner Weise. Ich hätte jedes beliebige Versprechen geleistet, nur um dieses Gesicht länger bewundern zu dürfen.

»Ich kenne Raoul viel besser, wie er mich, seine äußere Ruhe täuscht mich nicht, er hat eine glühende Seele und ist einer starken, leidenschaftlichen Empfindung fähig. Dieses gewissermaßen gedämpfte, verschleierte Wesen, das einen Druck auf jeden Affekt ausübt, war es, was mich vom ersten Augenblick an zu ihm zog. Von ihm geliebt zu sein, dachte ich mir himmlisch! Daß er während unseres kurzen Brautstandes, den wir noch dazu getrennt verbrachten, nicht wärmer wurde, fand ich natürlich. Ich regelte mein Verhalten nach dem seinen. Meine Mutter war so erfreut, mich an einen altadeligen Kavalier, der überdieß ein geistvoller und ein ehrenhafter Mann war, zu verheirathen, daß es ihr nicht einfiel, mich zu fragen, ob ich mich innerlich befriedigt fühlte? Mama ist sehr klug, der Verstand überwiegt in ihr, sie würde mich ausgelacht haben, hätte ich gesagt, daß ich in Zweifel wäre, ob Raoul mich wirklich liebe, oder nur eine passende Verbindung schließe. Sie würde geantwortet haben: Er gibt den Namen und du gibst den Reichthum, ihr werdet bon ménage machen! Darum schwieg ich; wenn wir uns erst angehörten und nicht mehr so viele Personen zwischen uns standen, mußte er erkennen, daß ich nicht ein gedankenloses Kind war. Wir würden in Geist und Gemüth so zusammen leben, wie ich es mir als das Ideal der Ehe geträumt hatte … Es war nichts mit diesen Illusionen … Raoul blieb sich gleich, er ist heute ebenso wie an dem Tage, da wir uns zum ersten Male sahen: verbindlich, rücksichtsvoll, nachsichtig, – es würde mir schwer werden, zu bezeichnen, worin er fehlt! Und dennoch sind diese vier Monate unserer Ehe eine fortwährende Qual für mich gewesen! Ich habe auch meinen Stolz, ich werfe meine Liebe nicht Dem nach, der sie nicht verlangt, ich habe sie so gut in mich verschlossen, daß er nichts von ihr merkt, aber dieser Zustand wird mir mit jedem Tage unerträglicher!« rief sie, aufspringend. »Ich kann nicht rein äußerlich, konventionell neben Dem leben, den ich leidenschaftlich, aus tiefster Seele liebe! Groll und Erbitterung wachsen in mir, ich bin stets gereizt und dadurch unliebenswürdig, Raoul sieht in mir ein eigenwilliges, verzogenes Mädchen, das sich rücksichtslos seinen Launen überläßt, ich komme mir oft selber unausstehlich vor, aber ich kann nicht anders, und eigentlich ist er an Allem schuld! Ich bin nicht dumm, ganz und gar nicht, Sie hätten meine Zeugnisse lesen sollen, in sämmtlichen Fächern ausgezeichnet, und ich habe noch nicht Zeit gehabt, das Gelernte zu vergessen … ich bin sehr gut unterrichtet, meine rasche Auffassung wurde von den Lehrern gerühmt,« – hier wurde die Stimme unverständlich von Schluchzen, – »und doch zeige ich mich ihm gegenüber einfältig, nur weil ich weiß, daß er mir nichts zutraut. Solche Geringschätzung macht verlegen. Daß ich etwas mit Ernst und Hingebung betreiben könnte, hält er für unglaublich … Warum hat er mich dann geheirathet!« rief sie, zornig mit dem Fuß aufstampfend. »Etwa, weil ich die Erbtochter von Jakob Altringer bin? Steht das auch im Kodex Ihres Ehebegriffes?«

»Gnädige Frau,« sagte ich, wahrhaft erschrocken, »ich beschwöre Sie, lassen Sie sich nie ein solches Wort entschlüpfen, Raoul würde sich von Ihnen trennen, ein Mann von Ehre kann diesen Vorwurf nicht verzeihen.«

»Ich habe ihn ja viel zu lieb, um zu glauben, er könnte so niedrig berechnend verfahren,« antwortete sie, sich die Augen mit der flachen Hand wischend. »Das ist der Dämon, der aus mir spricht, der mich packt, wenn ich mein Verhältniß zu ihm zergliedere … Man hat mir oft gesagt, daß ich schön sei, überall, wo ich hinkomme, muß ich es hören, – ich lege keinen Werth darauf,« fuhr sie fort, mich treuherzig anblickend, »es wäre mir nicht angenehm, häßlich zu sein, aber ich fühle, daß meine Seele werthvoller ist, als dieses Aeußere, womit mich der Zufall begnadigt hat. Meiner inneren Eigenschaften wegen glaubte ich mich von Raoul gewählt – und nun bemerkt er sie nicht einmal!«

»Vergessen Sie nicht, daß er bedeutend älter als Sie ist,« versuchte ich sie zu trösten, »ein Mann von achtunddreißig Jahren verzehrt sich nicht mehr in Leidenschaft, seine Neigung ist ruhig und gleichmäßig.«

»Und das soll mir ein Trost sein?« rief sie, wieder heftig werdend, »mit einem abgestandenen Restchen Gefühl soll ich mich begnügen? Nein, eine Frau kann nicht glücklich sein, wenn sie nicht einmal wenigstens die Phantasie ihres Mannes beherrscht hat! Die Leidenschaft kann nicht dauern, sie muß jedoch dagewesen sein, sonst ist das Leben glatt und nüchtern … Und wenn Raoul in seiner freundlichen Gleichgültigkeit gegen mich verharrt … wenn es mir nicht gelingt, ihm Kopf und Herz zu verwirren –« sie hielt inne und legte erschrocken den Finger auf den Mund, als fürchte sie, ein Geheimniß ausgeplaudert zu haben … »so scheide ich mich von ihm,« fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »ich verlasse ihn. Es ist besser, sich mit einem tiefen Schnitt loszutrennen, als langsam zu verbluten.«

»Sie könnten ernstlich an Scheidung denken? Sie würden zu ihren Eltern zurückkehren? Uebersehen Sie nicht den Eklat, gnädige Frau, Raoul würde tödtlich verletzt sein!«

«Diese Kränkung könnte ich ihm nicht ersparen! Ich wiederhole Ihnen, daß ich so nicht fortleben kann!«

Sie sprach die Worte mit fast wilder Energie.

»Ich stehe nicht für mich ein, obgleich ich keine Kokette bin, könnte ich doch aus Depit, aus Rache eine gefährliche Bahn betreten … das will ich nicht, ich will immer sagen können: Er hat eine Perle achtlos fallen lassen … Ich gehe in's Kloster.«

»Sie sind ja Protestantin,« erlaubte ich mir einzuwerfen.

»Dann werde ich katholisch,« versetzte sie ohne Besinnen, als sei ein Religionswechsel die natürlichste Sache.

Dieses Gemisch von Kind und Weib in ihr war für mich von unwiderstehlichem Reiz, in einem Athem brachte sie die klügsten Bemerkungen und Reflexionen und die lächerlichsten Thorheiten vor. Zu welch' schöner Blüte konnte sich dieß reich begabte Wesen entwickeln! Die Verhältnisse lagen viel komplizirter und verschobener, als ich vermuthet; wenn ich mir Raoul's Aeußerungen über seine Frau zurückrief, in der er nichts wie ein artiges Geschöpfchen sah, das sich mit der Zeit zu einem verständigen Hausmütterchen entwickeln würde, so erschien mir eine Wandlung seinerseits sehr problematisch. Es war viel verlangt, daß sich ein Ehemann in seine ihm angetraute Frau plötzlich rasend verlieben sollte – ich hielt die Sache fast für unmöglich! Andererseits hätte es mir in der Seele leid gethan, wenn diese beiden Menschen an Mißverständnissen zu Grunde gegangen wären.

»Ehe ich diesen äußersten Schritt thue, will ich nichts unversucht lassen,« sprach Vincente, sich wieder hinsetzend, »Sie sollen mir sagen, welche Art Frauen ihm sympathisch sind, ich will mich bemühen, ihnen ähnlich zu werden. Mit dem Pfeifen und Rauchen ist es nichts,« lächelte sie muthwillig durch Thränen, »aber schildern Sie mir jene Dame, die er so tief und glühend geliebt hat, daß ihm für mich nicht ein Funken Gefühl übrig geblieben ist. Sie brauchen mir ihren Namen nicht zu nennen, noch ihre näheren Verhältnisse anzugeben – ich weiß, daß sie einem fürstlichen Hause angehörte und dem Range nach hoch über ihm stand. Mehr verlange ich nicht zu erfahren.«

»Ich kann die in Rede stehende Dame nur in allgemeinen Umrissen zeichnen, denn nie ist ein Wort über diese Neigung über Raoul's Lippen gedrungen. Doch will ich nicht leugnen, daß die Alles wissen wollende Welt sich eine Zeitlang lebhaft mit Beiden beschäftigte.«

»Beschreiben Sie mir ihr Aeußeres.«

»Eine große, schlanke Erscheinung mit prachtvollem, blondem Haar.«

»Blond? O weh, ich bin brünett!«

»Auf einem Kostümball bei Hofe hatte sie die Diana dargestellt, und der Beiname, der allerdings für sie paßte, blieb ihr hinfort.«

»Diana! Das gefällt mir! Ich kann sie mir vorstellen: mit ruhigen, anmuthigen Bewegungen, sanft und zurückhaltend.«

Ich nickte. »Ganz so.«

»Ich fürchte, daß ich ihr nie gleichen werde, wir scheinen grundverschieden zu sein,« seufzte die junge Frau.

»Ihre erste Jugend war vorüber, um so mehr trat der seelische Reiz hervor. Ich habe keine Gelegenheit gehabt, mich ihr zu nahen, doch hörte ich von Anderen, daß sich in ihr geistige Bedeutung mit liebenswürdigster Weiblichkeit vereine; ihr wunderbares musikalisches Talent hatte Berühmtheit erlangt, sie beherrschte den Flügel mit künstlerischer Meisterschaft, und es fand kein Konzert bei Hofe oder zu wohlthätigen Zwecken statt, bei dem sie nicht mitwirkte. Diese Seite ihres Wesens hat Raoul zuerst angezogen.«

»Darum hat er mich auf musikalische Diät gesetzt,« sagte sie bitter, »seine theuersten Erinnerungen sollen durch meine vermeintlichen Stümpereien nicht entweiht werden.« Sie nickte ernsthaft mit dem Kopfe; das Goldfadennetz war durch die Schwere des Haares heruntergezogen worden, es hing tief im Nacken.

»Ich gebe es auf,« sagte sie nachdenklich, »diesem seinem Frauenideal vermag ich nicht nachzustreben. Was würde aus mir, wenn ich mich plötzlich bemühte, ruhig, überlegt, gemessen zu erscheinen, meine leider nur zu verrätherischen Züge zu beherrschen? Ein gezwungenes, affektirtes, unnatürliches Ding! Ich muß bleiben wie ich bin.«

Sie warf dabei einen Blick in den großen Stehspiegel und lächelte unwillkürlich.

»Bewahren Sie Ihre bezaubernde Individualität!« rief ich mit Feuer, »es wäre ein Verbrechen, ein tadelloses Meisterwerk retouchiren zu wollen.«

»O, mein Herr, lassen Sie die Komplimente,« erwiederte sie muthwillig, das Köpfchen hin und her wiegend, »eine verheirathete Frau darf dergleichen nicht anhören. Früher,« sie that, als läge dieses »Früher« in unvordenklichen Zeiten begraben, »hatte ich es gern, wenn mir recht viel Weihrauch gestreut wurde, und selbst ziemlich dick aufgetragene Schmeicheleien waren mir nicht unangenehm, – sie sind es nämlich keinem Menschen, man schiebt das Zuviel auf Rechnung einer gewissen Exaltation, die wiederum nichts Beleidigendes hat, – doch jetzt bin ich weniger empfänglich dafür … Es ärgert mich sogar, wenn Andere bewundern, was der Eine nicht beachtet … Sehen Sie, Herr von Lewin, ich habe in diesen letzten Monaten viel nachgedacht, und da habe ich erkannt, daß Gott dem Weibe keine stärkere Waffe gegen ihre Eitelkeit und gegen die Welt mitgeben kann, wie eine innige, echte Liebe, – sie ist der Schutzgeist, der uns behütet.«

Ich hätte ihr gleich zu Füßen fallen mögen, so lieb und ehrlich war der Ausdruck des Gesichtchens! Wie war die egoistische, äußerliche, kaltherzige Frau Altringer zu einer solchen Tochter gekommen? O, Raoul, Raoul, hätte ich nicht unzweifelhafte Beweise Deines gesunden Menschenverstandes gehabt, ich würde Dich für einen kolossalen Dummkopf gehalten haben!

»Mit diesem Schutzgeist hat es indeß eine eigene Bewandtniß,« fuhr Vincente fort, »er verschwindet in Raoul's Gegenwart. Mein Mund spricht dann das Gegentheil von dem, was mein Herz fühlt, ich gehorche einer feindlichen Macht, die mich treibt, das zu sagen und zu thun, was ihn unsympathisch, verletzend berührt, und ich zittere manchmal, ich möchte mich zu einem nicht zurückzunehmenden Worte hinreißen lassen. Mir ist oft, als haßte ich ihn ebenso, wenn ich ihn sehe, wie ich ihn liebe, wenn er fern ist … Sagen Sie mir aufrichtig, glauben Sie, daß ich seine Gleichgültigkeit besiegen werde?«

»Gewiß, es kann nicht anders sein,« antwortete ich etwas unsicher. Die Sängerin, die geheimnißvolle Sängerin, deren Sirenentöne ihn verzauberten! Wie ich ihr eine kräftige Heiserkeit wünschte, eine Bronchitis, einen Kehlkopfkatarrh, der sie wochenlang am Singen hinderte! Er wollte ihr zwar nicht nachforschen, und ich war überzeugt, daß er seiner Ehre diese Selbstüberwindung abkämpfen würde, aber konnte ihn nicht der Zufall mit ihr zusammenführen? Würde sie nicht eine Begegnung zu veranstalten suchen, da sie ihn wohlgefällig bemerkt hatte? Es waren nicht allein Schwächlinge, die ihren solidesten Prinzipien untreu wurden und deren fester Wille sich im Feuer der Leidenschaft beugte.

»Ihre Worte klingen nicht überzeugt!« rief die Baronin, »Sie sind verlegen, Sie verbergen mir Etwas.« Sie bog sich vor und blickte mich durchdringend an. »Sie besitzen Raoul's Vertrauen, er hat Ihnen Geständnisse gemacht, – leugnen Sie es nicht. Warum entfernt er sich seit mehreren Abenden stets um eine bestimmte Stunde? Wo sind Sie gestern mit ihm gewesen?«

»Auf dem Korso und in der Birraria.«

»Wer hat ihm die Rose gegeben, eine wundervolle, halb aufgeblühte Rose, die ich heute Morgen in seinem Zimmer sah? Vorher waren es Orangenzweige, jetzt eine Rose, das bedeutet eine Steigerung! Mit wem unterhält er diesen blumigen Verkehr?« Sie sprudelte die Worte in einem Athem heraus, in ihrer Lebendigkeit ergriff sie meine Hand und preßte sie mit merkwürdig kräftigem Druck.

»Welcher Argwohn, gnädige Frau! Jeder einzige Herr, den Sie hier in den Straßen und im Salon sehen, trägt eine Blume im Knopfloch, es sei Rose, Veilchen, Tulpe, Päonie, – einen ganzen Garten. Es ist Landessitte. Raoul kaufte die Rose im Blumenladen an der Ecke, wenn ich mich recht erinnere.«

»An der Ecke,« wiederholte sie, und in ein unmotivirtes Lachen ausbrechend, sprang sie elastisch, wie eine Feder auf. »Jawohl, Landessitte! Die Italiener sind sämmtlich Stutzer, sie brauchen zu ihrer Toilette mehr Zeit wie ihre Frauen, so versicherte mich eine Freundin, die mit einem dieser Abkömmlinge der alten Weltbeherrscher verheirathet ist, sie lassen sich auch täglich vom Coiffeur frisiren, was bei uns daheim kaum die eleganteste Salondame thut … Aber, ich bemerke ja erst jetzt, – Sie haben sich bereits italianisirt, Sie bequemen sich den nationalen Eigenthümlichkeiten an, gestehen Sie es, Sie sind bei Giardinieri gewesen und haben sich das Haar kräuseln lassen!«

Es verdroß mich, die Zielscheibe ihres Spottes zu sein, wiewohl ihr Lachen so silbern und harmonisch klang, daß es eigentlich ein Vergnügen war, von ihr ausgelacht zu werden. Ein Feenkind! und mehr als das, denn diese leichtbeschwingte Gestalt barg eine Feuerseele in sich.

»Seien Sie nicht böse,« sagte sie, reuig die Augen senkend, »wenn ich lange ernsthaft gesprochen habe, muß ich herzlich hinauslachen, das erste beste Wort dient mir dann als willkommener Vorwand … Ich danke Ihnen, daß Sie mich so geduldig angehört haben, Sie sind hiemit Ihrer Gefangenschaft entlassen.« Sie rückte den Sessel, der die Fensternische versperrte, beiseite: »Ich erlaube Ihnen, Raoul mitzutheilen, daß Sie mir eine Visite gemacht haben – was übrigens bloß Ihre Pflicht war – sonst aber unverbrüchliches Schweigen.«

Ich betheuerte, daß sie mir unbedingt vertrauen dürfte, und stellte mich ihr jederzeit zur Verfügung.

»Wir werden uns heut Abend in dem Hause der Marchesa Baldassari treffen, Raoul wird Sie dort einführen, Sie sind bereits annoncirt. Die Marchesa ist aus meiner Vaterstadt gebürtig, ihre Eltern verkehren viel mit den meinen, ich wurde daher von ihr sehr liebenswürdig aufgenommen und wir sehen uns fast täglich. Ich glaube, es soll musizirt werden, Margarita schrieb mir, daß sie eine Dame erwarte, von deren herrlicher Stimme alle Welt entzückt sei. Auf heut Abend also, Herr von Lewin.« Sie verbeugte sich mit derselben Grandezza, wie bei der ersten Begrüßung, und als ich mich in der Thür nochmals umwandte, sah ich die graziöse Gestalt im tiefrothen, faltenreichen Gewande, mit dem phantastisch reizenden Köpfchen, inmitten des vornehmprächtigen Gemaches stehen, in das sie hineinpaßte, wie der Edelstein in die goldene Fassung … Sie hätten ihr Alle gehuldigt, die stolzen Malerfürsten des Cinque cento, die Rafael, Tizian, Veronese …

Eine Sängerin mit wunderbarer Stimme, hatte Vincente gesagt? Herr des Himmels und alle Kalenderheiligen! wenn sie es wäre, die Sirene aus dem Vicolo? Ich hätte den Kehrichthaufen, der den Eingang versperrte, bis zu den Wolken thürmen und die todte Katze darauf in ein Mammuth verwandeln mögen, um sie in ihrem finstern, gespenstischen Palazzo gefangen zu halten – bis auf Weiteres. –



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