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II.

Das teatro Valle liegt in einem labyrinthischen Stadttheil, nicht weit vom Pantheon. Ich mußte ein Gewirr sich durchkreuzender Straßen passiren, ehe ich den unscheinbaren Musentempel erreichte, in dem während dieser Stagione die berühmte Giacinta Pezzana mit ihrer Truppe spielte. Hier die riesige Rotunde mit ihren Granitsäulen, die der Zerstörung der Zeit siegreich getrost hat und deren mächtige Kuppel vielleicht die der Peterskirche überdauern wird – dort das moderne Theater, in dem » la principessa Giorgio«, die italienische Uebersetzung einer französischen Ehebruchskomödie von Dumas fils, gegeben wurde. Das sind die Gegensätze, in denen zum Theil der Reiz beruht, den Rom auf jeden mit etwas Phantasie begabten Menschen ausübt.

Das Diner, dem ich beigewohnt, hatte sich in die Länge gezogen, weil wir die Weine des Landes einer gründlichen Prüfung unterworfen, es war daher schon spät, als ich, von dem Logenschließer zurechtgewiesen, an die mir bezeichnete Thür klopfte. Raoul öffnete und ich betrat den schmalen, tiefen Raum, der den Theaterbesuchern gestattet, sich nach Belieben zurückzuziehen und für das übrige Publikum unsichtbar zu bleiben; eine Einrichtung, die der Konversation unbeschränkte Freiheit gewährt, ohne die Nachbarn zu stören. Elegant sind diese schrägen, zellenartigen, nach drei Seiten festgeschlossenen Logen nicht, aber bequem. Den Vorderplatz, dicht an der Brüstung, hatte eine junge Dame inne, von der ich augenblicklich nichts weiter sah, als ein bauschiges blaßrosa Seidenkleid, einen zart gerundeten, weißen Arm, der sich auf das Sammetpolster stützte, und einen hochfrisirten braunen Lockenchignon. Eine zweite, nicht mehr junge Dame mit klugem, interessantem Gesicht saß im Hintergrund; sie und Eckartsberg schienen den Vorgängen auf der Bühne weniger Aufmerksamkeit zu widmen, denn sie unterhielten sich angelegentlich mit gedämpfter Stimme. Raoul stellte mich vor, mit leichter Handbewegung nach der rosa Dame sagte er: »Meine Frau,« und dann: »Frau von Heimburg.« Er nöthigte mich, den zweiten Vorderplatz seiner Gattin gegenüber einzunehmen, und als ich mich geräuschlos und mit äußerster Schonung für den kostbaren Spitzenbesatz niederließ, mußte sich die Baronin wohl entschließen, mir einen Blick zu gönnen und meinen respektvollen Gruß zu erwiedern. Fast entschlüpfte mir ein Ausruf des Staunens – es war mein Trotzköpfchen, das mich so unbarmherzig mit Confetti gemißhandelt! Genau dieselbe Falte saß zwischen den feinen Augenbrauen, der kleine Mund war übellaunig verzogen und die Hand bewegte den Fächer ungeduldig hin und her. Mich konnte sie nicht wiedererkennen, da ich die Drahtmaske nicht abgelegt hatte. Sie also war Raoul's Frau! Lebhafte Sympathie regte sich in mir für das anmuthige Wesen, das in der Nähe noch viel reizender war. Wie hatte mein Freund so kühl von ihr sprechen können! Sollten ihre Gemüthsart, ihr Charakter wirklich so unverträglich sein?

Liebenswürdig war sie in diesem Moment keinenfalls, denn das unmerkliche Kopfnicken, mit dem sie mich beehrte, konnte nicht hochmüthiger und unverbindlicher vollführt werden. Frau von Heimburg und ihr Mann existirten ebensowenig für sie, nur wenn ein lauteres Wort ab und zu ihr Ohr berührte, zuckte sie ärgerlich die Achseln. Das Spiel der Pezzana fesselte auch mich in hohem Grade, einer solchen Naturwahrheit und Ausdrucksfähigkeit der Mimik, der Gesten und der Sprache war ich noch an keiner deutschen Bühne begegnet. Sie war nicht mehr jung, nicht hübsch, sie hatte sich nicht geschminkt, durch keine Toilettenkünste der äußern Erscheinung nachgeholfen, und dennoch vermißte man an ihr weder Jugend noch Schönheit. Der Schmerz eines edlen, gequälten Frauenherzens, das den Ungetreuen trotz alledem leidenschaftlich liebt und von ihm nicht lassen kann, wurde von ihr ohne das leiseste Pathos mit erschütternder Gewalt wiedergegeben. Am großartigsten war ihr stummes Spiel, man las in ihren Zügen den Widerstreit der Gefühle, das Arbeiten der Gedanken, selbst die Fingerspitzen schienen zu sprechen und ein Heben oder Senken des Armes genügte, eine Seelenstimmung auszudrücken. Eine eminente Künstlerin!

Auch die Sprechenden im Hintergrunde der Loge unterbrachen ihre Unterhaltung, um die meisterhafte Leistung der Künstlerin aufmerksam zu verfolgen. Als ich mich nach der jungen Baronin umwandte, war jede Spur von Unmuth aus ihrem Gesicht verschwunden, ihre großen dunklen Augen glänzten feucht von Thränen. »Nicht wahr, sie versteht die Herzen zu bewegen?« sagte sie zu mir.

War es die Rührung, mit der sie kämpfte, oder überhaupt eine Eigenthümlichkeit ihres Organs, die Stimme hatte einen verschleierten, melodischen Klang, der ungemein wohlthuend wirkte. Die von aufrichtiger Bewunderung zeugende Antwort, die ich gab, schien sie zu befriedigen, denn ihr Antlitz behielt den sanften, liebenswürdigen Ausdruck, der diesen reizenden Zügen hätte natürlich sein müssen.

»Und doch ist sie weder jung noch schön,« fuhr sie nachdenklich fort.

»Um so frappanter kommt ihre Kunst, ihre geistige Bedeutung zur Geltung, glänzende Schönheit verführt die Schauspieler oft zu reinen Aeußerlichkeiten. Wer eine plastisch vollendete Gestalt besitzt, läuft Gefahr, auch da schöne Posen anzunehmen, wo die Situation sie entschieden verwirft, und das Gesicht, das sich seines sieghaften Eindrucks bewußt ist, versteht nicht immer am besten die Regungen der Seele wiederzuspiegeln.«

»Mithin wären Jugend und Schönheit ein Nachtheil?« fragte sie rasch.

Auf der Bühne manchmal …«

»Und im Leben stets,« fiel sie ein, mich in der Vertheidigung meiner Paradoxen unterbrechend und mit nervöser Hast den Fächer auf und zu klappend. »Die Männer sehen anmuthige, jugendliche Züge wohl gern, doch keiner nimmt sich die Mühe, zu erfahren, ob dahinter auch Gedanken und Gefühle wohnen. Wir sind ja noch kindisch, unreif, haben nichts erlebt, mit einem Wort, wir sind uninteressant! Seitdem die französischen Romanciers die femme de trente oder wo möglich quarante ans erfunden haben, sind die armen sechzehn Jahre aus der Mode gekommen, und wenn Shakespeare heute seine Liebestragödie schriebe, würde er Julia mindestens majorenn sein lassen. Mit den Müttern beschäftigt man sich, die Töchter werden nicht beachtet.«

Sie streifte mit flüchtigem Seitenblick ihren Gatten und Frau von Heimburg, die das neueste Produkt von Dumas fils lebhaft kritisirten. Die kleine Baronin lehnte sich, die Manieren einer grande dame kopirend, nachlässig zurück und sagte mit Aplomb:

»› La princesse George‹ ist ein sehr geistvolles und moralisches Stück.«

»Du überlegst Deine Worte nicht, Vincy,« versetzte ihr Mann, halb lächelnd, halb verweisend.

Mein Freund war wirklich zu pedantisch. Als hätte es nur des Klanges seiner Stimme bedurft, um den Sonnenschein von dem Gesichtchen zu streifen, so erschienen auch die verdrießlichen Falten wieder.

»Ich pflege nicht in's Blaue zu schwatzen,« entgegnete sie mit unterdrücktem Aerger, »alle jungen Mädchen müßten dieses Stück sehen, um einen Einblick in das Wesen der modernen Ehe zu gewinnen und zu lernen, daß dem Manne nichts so lästig ist, wie die Liebe seiner Frau.«

»Sie sind ja eine vollständige Pessimistin, liebe Vincente,« meinte Frau von Heimburg, die kaum ein Lächeln verbergen konnte, was, wie ich wohl bemerkte, den stillen Zorn der Andern erhöhte, »ich bin – leider! – viel älter wie Sie und habe mir trotzdem nicht so trostlose Anschauungen angeeignet. Glauben Sie im Ernst, daß sich die Männer durchschnittlich so ehrlos benehmen, wie dieser edle Prinz seiner Gattin gegenüber, die er nicht nur verräth, sondern auch belügt und um ihr Vermögen bestiehlt?«

Die Baronin mochte fühlen, daß sie sich zu weit vorgewagt hatte, sie schielte nach Raoul hinüber, der das Publikum durch das Opernglas betrachtete, und antwortete ausweichend:

»Der dieses Stück verfaßt hat, ist doch unleugbar ein geistreicher Kopf, ein scharfer Beobachter; um sein eigenes Geschlecht so zu zeichnen, muß er es von dieser erbärmlichen Seite kennen gelernt haben. Uebrigens kann ich mit der Rolle der Heldin ebensowenig sympathisiren, nur die Pezzana macht sie erträglich, es ist verächtlich, seine Liebe Demjenigen aufzudrängen, der sie verschmäht … Zu einer Rivalin würde ich allerdings auch sagen: › esciSchluss damit! Raus hier! …«

»Bravo,« riefen Frau von Heimburg und ich, »ganz die Pezzana!«

Die Baronin hatte das Wort, in dem sich die wahnsinnigste, zum Sprung bereite Leidenschaftlichkeit konzentrirte, in dem zitternden, gepreßten Ton hervorgestoßen, der uns eben auf der Bühne bis in's Mark erschüttert.

Sie nickte nur und fügte hinzu: »Ja, ich würde der Rivalin die Thür weisen, aber sie auch zugleich dem Treulosen verschließen.«

»Sind Sie von dem dramatischen Talente Vincentens nicht überrascht, Herr von Eckartsberg?« fragte Frau von Heimburg. »Der Ton, der Blick waren wahrhaft dämonisch, einer großen Künstlerin würdig.«

«Ich bedaure, der Moment ist mir entgangen, indessen würde ich Vincy eher jedes andere Talent als das schauspielerische wünschen.«

»Mein Mann ist außerordentlich wählerisch in der Begabung, die er seiner Gattin gestattet, Musik ist absolut ausgeschlossen, seiner empfindlichen Kopfnerven wegen nach einem Chopin'schen Walzer oder Schumann'schen Liede müßte er gleich nach Ostende reisen und Seebäder nehmen und nun streicht er auch noch das Theater, für das ich eine ausgesprochene Vorliebe besitze.«

»Gegen diese Passion, so lange sie passiv bleibt, habe ich nichts einzuwenden,« bemerkte er ruhig, »ich begleite Dich fast allabendlich hieher, obgleich es nicht immer amüsant ist, dieselbe Vorstellung ein dutzendmal zu sehen, dagegen würde ich mich einer aktiven Bethätigung, einem sogenannten theatralischen Versuch widersetzen. Meine Frau mag ich nicht auf der Bühne sehen.«

«Ich kann Dir nicht versprechen, mich Deinem Willen zu fügen,« erwiederte sie herausfordernd, »sobald sich die Gelegenheit bietet, mit talentvollen Dilettanten zu spielen, thue ich es gewiß.«

»Haben Sie schon Ihre Kräfte erprobt?« fragte ich.

»Ja wohl, in der Pension.«

»Wo die Großen der ersten Klasse die Kleinen mit Puppentheater unterhielten,« warf Eckartsberg lachend ein.

Ihre Augen schossen Blitze. »Du unterschätzest die Leistungen einer ersten Klasse,« sagte sie würdevoll, »wir haben Esther und Athalie, sowie Szenen aus Maria Stuart und Torquato Tasso aufgeführt, im Kostüm, und ich hatte stets die Hauptrollen. Unser Literaturprofessor, der die Vorstellungen leitete, äußerte häufig, es sei schade, daß Fräulein Altringer's Talent nicht einem armen Mädchen zu Theil geworden wäre, die sich darauf eine glänzende Existenz gründen könnte. Und unser Professor hatte sehr viel Urtheil.«

Sie war bezaubernd drollig und ich begriff nicht, daß sich mein Freund diesem kleinen Kobold gegenüber so kühl und ablehnend verhielt. Freilich behandelte sie ihn nicht liebenswürdig, bei jedem Worte, das er sagte, schien sie gewissermaßen auf der Lauer zu liegen, um es als eine persönliche Beleidigung auszulegen. Sie hatte eine Art, den Kopf mit den eigensinnigen, krausen Locken zurückzuwerfen und die Unterlippe vorzuschieben, die durchaus nicht verbindlich war. Wenn sie eine Zeitlang geschwiegen hatte, brachte sie darnach sicherlich Etwas vor, was einen versteckten Angriff gegen ihn enthielt, sie schien förmlich darüber zu grübeln, wie sie ihn am besten reizen konnte. Aber es gelang ihr nicht, er schüttelte diese Mückenstiche gleichmüthig ab und ging jedem Disput aus dem Wege. Daß sie mir den Eindruck eines verzogenen, querköpfigen Geschöpfchens machte, leugne ich nicht, doch war sie zu wunderhübsch und pikant, um ihr zu zürnen. Ob ich als Ehemann ebenso nachsichtig geurtheilt haben würde, steht auf einem andern Blatte. –

In den stürmischen Applaus, mit dem die Italiener ihre Lieblinge überschütten, stimmte Vincente lebhaft ein.

»So klatschen Sie doch energischer!« rief sie mir vorwurfsvoll zu.

»Legen Sie diesem lärmenden Beifall wirklich großen Werth bei?« fragte ich, ihrem Befehl pflichtschuldigst gehorchend.

»O, philosophiren Sie nicht wie Raoul, der nur von dem erhebenden Künstlerbewußtsein spricht, das den Darstellern allein Lohn sein müßte, und der jede Beifallsäußerung abgeschafft haben möchte. Stellen Sie sich ein todtenstilles Haus vor, eine Nordpolatmosphäre, Jeder fühlt ungeheuer viel inwendig und ist äußerlich das verkörperte Phlegma. Nein, man muß momentan den Kopf verlieren können, dadurch beweist man, daß man ihn und das Herz auf der rechten Stelle hat.«

Das Theater war gegen elf Uhr zu Ende, Raoul und ich hüllten die Damen im Foyer in warme Shawls ein, die umstehenden Herren fixirten die reizende junge Frau, soweit es der Anstand erlaubte, und manches » bella, bellissima« tönte an ihr Ohr. Sie erröthete dann wie eine Rose und bemühte sich, eine möglichst kalte, gleichgültige Miene anzunehmen, die das muthwillige Lächeln jedoch Lügen strafte. Als ich sie die Treppe herunterführte, bog sie sich ein wenig vor und mich fest anblickend, flüsterte sie hastig:

»Kommen Sie morgen um zwölf Uhr zu mir, ich werde allein sein, Raoul darf nichts davon wissen.«

Das war doch sonderbar – sie würde allein sein! Wäre ich ein Geck und sie nicht die Frau meines Freundes gewesen, ich hätte mir eingebildet, eine Eroberung im Fluge gemacht zu haben.

»Es war bereits meine Absicht, gnädige Frau, Ihnen morgen meinen Besuch abzustatten, ich muß um Nachsicht bitten, daß es nicht schon heute geschehen … Raoul hat mich aufgefordert, Ihr Tischgast …«

»Sie hören es ja,« unterbrach sie mich ungeduldig, meinen Arm drückend, nicht zärtlich, vielmehr ärgerlich, »Raoul wird nicht zu Hause sein, er hat Geschäfte auf der Gesandtschaft, die ihn mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen. In der Zeit erwarte ich Sie, mein Mann wird nichts von Ihrem Besuch erfahren.«

»Wenn er mich nun fragt, ob ich bei Ihnen gewesen?« murmelte ich. »Sie bringen mich in eine schiefe Stellung, meine Gnädige, einem Freunde gegenüber darf man dergleichen …«

»Grundgütiger Gott, wie Sie langweilig sind, ein richtiger, schwerfälliger Norddeutscher!« rief sie mit inniger Ueberzeugung. »Haben Sie nicht so viel Phantasie, um sich eine plausible Ausrede zu ersinnen? Sie werden sich also pünktlich um zwölf Uhr einstellen, mein Kammermädchen wird Ihnen öffnen und Sie zu mir führen. Auf Babette kann ich mich unbedingt verlassen, sie geht für mich durch's Feuer und ist verschwiegen, wie das Grab.«

›Das ist ja ein rechter Schatz,‹ dachte ich bei mir, ›sollte ich mich je verheirathen, werde ich selber die Kammerjungfer meiner Frau miethen.‹

Mir war gar nicht behaglich zu Muthe. In welch' eigenthümlichem Licht erschien ich, wenn Raoul von diesem heimlichen Besuch Kunde erhielt? Und dergleichen Dinge werden stets durch Zufall verrathen! Eifersüchtig würde er nicht werden, doch in gewissen Punkten ist man dem besten Freunde gegenüber empfindlich. Die kleine Despotin kniff mich noch einmal nachdrücklich in den Arm, es that beinahe wehe, und ich wagte keine Widerrede. Im Wagen war sie so einsylbig und mürrisch, daß sie Frau von Heimburg, die wir zuerst nach Hause fuhren, kaum ein paar Worte gönnte.

»Du hättest sie wohl zu morgen einladen können,« bemerkte Eckartsberg, leise tadelnd, »sie ist hier fremd und hat eigentlich keine Bekannten außer uns.«

»Du kannst ihr ja eine Visite machen,« entgegnete sie spitz, »das ist viel bequemer für mich; warum soll ich bei euren Unterhaltungen immer den Zuhörer abgeben?«

»Das sollst Du freilich nicht, es liegt nur an Dir, daß Du Dich in hartnäckiges Schweigen hüllst.«

»Ich interessire mich für Politik nicht, und dann sprecht ihr, wie alte Leute, stets von der Vergangenheit, eure neuesten Erlebnisse datiren um zehn Jahre zurück.«

Er faßte lächelnd ihre Hand. »Da kannst Du allerdings nicht mitreden, meine kleine Vincy, denn vor zehn Jahren spielten sich Deine Erlebnisse in der Kinderstube ab, und die Bonne und Deine Puppen bildeten Deinen intimsten Bekanntenkreis.«

Sie riß sich unwillig los. »Deßhalb brauchst Du mich nicht zu verhöhnen, es wird auch die Zeit kommen, wo ich eine Vergangenheit haben werde.«

»Das wünsche ich keineswegs,« neckte er sie, »die Baronin Eckartsberg darf keine Vergangenheit haben.«

»Du bist unerträglich!« Dießmal zitterte die Stimme von verhaltenen Thränen.

Wir waren vor dem Thor des Palazzo angekommen, dessen zweite Etage von dem verarmten Besitzer an reiche Fremde vermiethet wurde.

»Trinken die Herren mit mir Thee?« fragte Vincente, die jetzt wieder die gewandte Weltdame war.

»Du wirst uns entschuldigen,« entgegnete Raoul, ehe ich antworten konnte, »Lewin möchte noch gern einen Gang über den Korso machen und einen Moment in der Birraria einkehren. Warte nicht auf mich, ich komme vielleicht spät zurück.«

Das helle Licht der im Vestibül brennenden Gaslampe fiel auf ihr Gesicht, und ich meinte ein flüchtiges Lächeln über die beweglichen Züge gleiten zu sehen.

»Genire Dich meinetwegen nicht, ich werde mich zeitig zur Ruhe begeben … Was ich Dich noch fragen wollte … in Deinem Zimmer verbreiten die in der Vase auf dem Schreibtisch steckenden Orangenzweige einen betäubenden Duft, – fürchtest Du nicht für Deine so überaus empfindlichen Kopfnerven?«

War es Spott oder eine rein zufällige Bemerkung? Raoul und ich wechselten einen raschen Blick – weibliche Schlauheit durchspäht Himmel und Erde, es war nicht unmöglich, daß die junge Frau ahnte, welche Bewandtniß es mit den sorgfältig bewahrten Orangenzweigen hatte. Vorsicht war geboten, wozu unnöthig Eifersucht heraufbeschwören?

»Babette mag die Vase hinaustragen,« antwortete Eckartsberg gleichgültig, »der Geruch ist in der That fast zu stark.«

»Wie Du willst,« lächelte sie, doch die schwarzen Augen blitzten ihn dabei zornig an.

Den Burnus abwerfend, huschte sie mit der Behendigkeit eines hübschen, scheuen Thierchens die Marmortreppe hinan; auf dem ersten Absatz drehte sie sich um und uns eine tiefe Reverenz machend – zu tief, um ernst gemeint zu sein – rief sie übermüthig:

»Adieu, meine Herren, amüsiren Sie sich gut auf Ihrer nächtlichen Wanderung! Ich erlaube meinem Gatten, seinen Trauring in die Tasche zu stecken und sich wieder als freier Mann zu fühlen. Nur Eins fordere ich: die Abenteuer müssen mir treulich berichtet werden.«

Sie schüttelte lachend die dicken Locken und entschlüpfte, ehe wir uns auf eine Antwort besonnen hatten. Wir sahen uns an.

«Ist sie nicht der Typus eines kleinen Pensionsmädchens, das Lachen und Weinen gleichzeitig bei der Hand hat und nicht weiß, warum es das Eine thut und das Andere unterläßt?« fragte Raoul. »Mit ihren neunzehn Jahren ist sie noch ein reines Kind, kein ernster Gedanke hat in diesem excentrischen Köpfchen Raum und ich fürchte kein ernstes Gefühl in dem thörichten Herzen. Sie ist zu jung für mich, ich muß es leider wiederholen, wir haben keine gemeinsamen Berührungspunkte, sie versteht meine Sprache nicht und ich nicht die ihre.«

»In dem Falle würde ich versuchen, sie zu lernen,« erwiederte ich, an dem alten, mit reicher Ornamentik geschmückten Palazzo hinaufblickend, hinter dessen Fenstern ein Licht bald auftauchte, bald verschwand. Ich stellte mir vor – und es erforderte keinen allzu großen Aufwand von Phantasie – wie die junge Frau in ihrem schimmernden Rosagewande, die rauschende Schleppe nach sich ziehend, durch die lange Zimmerreihe glitt; Babette, die bedenklich verschwiegene Zofe, trug die Lampe voran und es fiel hier und da ein Lichtstreif auf die geschwärzte Vergoldung an Wänden und Plafond; die pausbäckigen Amoretten, die rittlings auf den Spiegelrahmen saßen, blinzelten schalkhaft dem reizenden Persönchen zu, dem die braunen Locken bis auf die feingezeichneten Augenbrauen fielen, sie warf mit beiden Händen die üppige Haarfülle zurück und die nachlässig befestigte Rose sank auf den glänzenden Marmorestrich – wo sie unbeachtet liegen blieb oder zertreten wurde, wenn nicht ein verliebter Amor in der Nacht herunterkletterte, um sie zu holen. Ich sah auch noch, wie sie sich müde in den Sessel fallen ließ und die allerkleinsten, mikroskopischen Füßchen der vor ihr knieenden Zofe entgegenstreckte, die die warm gefütterten Pantöffelchen in Bereitschaft hielt, denn der Marmorfußboden ist wohl prächtig, aber sehr kalt.

»Ja, ich würde ihre Sprache lernen,« wiederholte ich laut, um diese etwas gefährlichen Phantasiebilder abzuschneiden … »Mensch, Du scheinst gar nicht zu ahnen, daß Du, wenn auch nicht die, so doch eine der verführerischsten, entzückendsten Frauen besitzest, mit ein paar Augen, die den vernünftigsten Menschen um den Verstand bringen können! Und Du sprichst von Kindlichkeit, wo alle Tiefen der Leidenschaft in diesen prachtvollen dunklen Sternen glühen!«

»Ich sagte Dir, daß Vincy sehr hübsch ist,« erwiederte er, sich eine Cigarre anzündend.

»Hübsch!« rief ich entrüstet. »Sie ist tausendmal mehr als das, sie hat Individualität, eine der sprechendsten Physiognomieen, die mir je vorgekommen, sie ist ein bezauberndes Weib und hat das Pensionsmädchen längst abgestreift.«

»Es ist komisch, daß ich eine solche Charakteristik meiner Frau anhören muß.«

«Ich zweifle zum ersten Mal an Deinem Scharfblick, wärest Du nicht mein Freund, würde ich im Stande sein, mich rasend in sie zu verlieben.«

»Nun, ich bitte …« unterbrach er mich, etwas unbehaglich.

»Es versteht sich, daß davon nicht die Rede sein kann, die Frauen unserer Freunde müssen uns heilig sein, wenn wir nur einen Funken Ehrgefühl besitzen. Dann glaube ich auch, daß weder ich, noch irgend ein Anderer – und sei es ein Göttersohn – vor ihr Gnade finden dürfte … Trotzdem ich die Frau Baronin erst seit wenigen Stunden kenne, scheine ich sie richtiger wie Du zu beurtheilen – sie liebt Dich, Du Glücklicher, weit mehr wie Du es verdienst und wie es von einer regelrecht angetrauten christlichen Ehegattin verlangt wird. Sie liebt Dich leidenschaftlich und ihre Launen und Unarten sind nur die Aufwallungen eines verkannten Herzens.«

»Höre, alter Freund, dort oben im Norden, nahe der russischen Grenze, hast Du entschieden eine phantastische Richtung genommen, Du siehst die Dinge plötzlich durch gefärbte Gläser. Natürlich liebt mich Vincy, sie hat mich gern, hält mich für einen Kavalier; meine Manieren, auf die sie großen Werth legt, gefielen ihr, mein Name klang ihr angenehm, sie wußte, daß ihre Mutter sie vor Ablauf des Winters verheirathen würde, so entschied sie sich ohne langes Ueberlegen für den präsentirten Bewerber. Wären Hindernisse dazwischen getreten, wären ihre Eltern mit der Partie nicht einverstanden gewesen, so würde sie sich nach einigen schwachen Einwendungen gefügt und nach kurzer Zeit ihre Hand einem Andern gereicht haben, der ähnliche Eigenschaften vereinigte – was keine Seltenheit ist. In dieser leidenschaftslosen Weise werden heute die Ehen geschlossen und wir Männer haben keinen Grund, uns darüber zu beklagen, denn wir bringen die gleiche Nüchternheit und Ueberlegung zu dem Geschäfte mit. Die Schuld liegt an unseren komplizirten Verhältnissen, denen wir nach allen Seiten Rechnung tragen müssen; wollten wir uns bei der Wahl einer Gattin über unsere Stellung wegsetzen, müßten wir sie bald aufgeben. Man vereinigt sich, um in Frieden und Behaglichkeit das Leben abzuspinnen, gleiche Erziehung, gleiche Gewohnheiten, ein gewisser Wohlstand sind wichtigere Faktoren, als eine himmelstürmende Liebe … Man heirathet nie die Frau, die man liebt, man möchte freilich verzweifeln, es nicht zu können, und man trägt ein paar Jahre einen nagenden Schmerz im Herzen – später lernt man die Weisheit der Vorsehung erkennen, die man vorher der Grausamkeit anklagte.«

Ich mußte Raoul beistimmen, es war so, die meisten meiner Freunde hatten sich in dieser bedächtigen Weise verehelicht und befanden sich sämmtlich wohl dabei. Sobald die Absicht zu diesem Schritte vorhanden war, ließ man die Familien Revue passiren, deren Vermögensverhältnisse und gesellschaftliche Position befriedigend schienen; als anständiger Charakter bewarb man sich nicht um ein Mädchen nur des Geldes wegen, aber man brachte einer Erbin unwillkürlich ein gewisses Wohlwollen entgegen, das sich leicht in Neigung verwandelte.

»Und Du meinst, daß Deine Frau, mit dem feurigen Temperament, das ihr aus den Augen flammt und ihre Züge durchleuchtet, sich einer so kühlen Auffassung anbequemen wird?«

»Mach' mir den Kopf nicht warm!« rief er lachend und ärgerlich zugleich. »Du täuschest Dich über Vincy, sie hat von ihrer Großmutter her französisches Blut in den Adern, daher ihre größere Lebendigkeit, ihr südlicher Typus. Vergnügen und Toiletten füllen ihre Seele aus, sie weiß nicht immer, was sie will, und ihre Lebensansichten sind ziemlich bunt und verworren. Trotz ihrer etwas schwierigen Gemüthsart habe ich sie herzlich lieb und glaube auch, daß sie in mir ihren besten Freund sieht; wenn wir erst in unserer Häuslichkeit installirt sind, ich durch meinen Beruf vielfach nach Außen in Anspruch genommen, sie, als Frau vom Hause, ihren Pflichten obliegend, werden wir ein musterhaft glückliches Paar sein.«

Ich schwieg; es war mir eine große Freude gewesen, Eckartsberg, mit dem mich die liebsten Jugenderinnerungen verknüpften, unverhofft wiederzusehen, aber schließlich war ich nicht nach Rom gekommen, um mich als Mittler zwischen ihn und seine Gattin zu drängen. Nur das Rendezvous – anders konnte ich es nicht nennen – wollte mir nicht aus dem Kopf. Eine geheime Zusammenkunft mit einer so schönen Frau, für die ich die lebhafteste Bewunderung geäußert – was würde Raoul dazu sagen? Was konnte sie von mir wollen? Vielleicht war in nächster Zeit sein Geburtstag und sie verlangte von mir einen Rath in Betreff eines Geschenkes, oder sie wollte ihn mit ihrem Porträt überraschen und verlangte, daß ich sie zu irgend einem pittore begleitete. Immerhin – ich will es bekennen – war ich innerlich unruhig, es hatte großen Reiz, der Vertraute der Baronin zu sein! Ich war nicht eitel, hatte auch nicht den geringsten Grund dazu, aber meine Persönlichkeit mußte ihr doch angenehm gewesen sein, da sie sich so rasch mir genähert hatte. Raoul mochte ihr allerdings gesagt haben, daß ich sein ältester und bester Freund sei, war das jedoch eine gewichtige Empfehlung? Frauen pflegen im Allgemeinen die Freunde der Männer, namentlich wenn sie noch dem Stande der Junggesellen angehören, mit mißtrauischer Eifersucht zu betrachten. –

Wir waren unterdessen den Korso auf und ab gewandelt, uns an der feinen Schicklichkeit des Volkes erfreuend, das trotz Karneval sich nirgends eine Ausschreitung erlaubte. Die Cafés, die meisten Läden waren offen und hell erleuchtet; eine belebte, aber nicht lärmende Menge bewegte sich inmitten der Straße, die einen halben Fuß hoch mit zertretenem und zerstampftem Gyps bedeckt war. Die Piazza Colonna hatte sich in einen riesigen Salon verwandelt, die prächtigen Gaskandelaber verbreiteten ein blendendes Licht, überall standen dichte Gruppen schwatzender Menschen, Niemand dachte an's Schlafen. Die Zeitungsverkäufer strengten ihre Lungen ebenso unermüdlich wie am Tage an: »Capitale, Fanfulla, Libertà, Diritto« &c. gellte es mit unnachahmlichem Tonfall. Ein Blick auf das transparente Zifferblatt der Uhr am Postgebäude sagte uns, daß die Mitternachtsstunde bald schlagen würde.

»Laß uns gehen,« sagte Raoul leise und nicht ohne Erregung, »das ist ihre Stunde.«

»Jedenfalls eine sehr späte: in unserem Vaterlande würde es keiner Sängerin einfallen, ihre Rouladen und Triller um Mitternacht erschallen zu lassen, schon aus Rücksicht für die Nachbarschaft. In der Nacht will man schlafen und selbst die Stimmen der Engel sind dann vom Uebel.«

Wir bogen in eine schmale Seitenstraße ein, die von noch viel schmäleren Gäßchen durchschnitten wurde. Mein Freund hatte die Topographie dieses Viertels gut inne; bald ging es rechts, bald links, bald geradeaus, ohne zu schwanken steuerte er seinem Ziele zu und zwar in beschleunigtem Tempo.

«Hier ist es!« flüsterte er mir zu.

Ich sah in ein Vicolo hinein, das nur eine Spalte zwischen den Häusern war; am Eingang desselben, den man allenfalls mit ausgestreckten Armen sperren konnte, befand sich ein spaccio di vino, eine Weinkneipe untergeordneter Art. Die Thür stand weit geöffnet, einige Männer, deren Charakter jedenfalls friedlicher war, als ihr verwegenes Aussehen vermuthen ließ, saßen um einen Tisch, eine dickleibige, mit Stroh umflochtene Foglietta vor sich, der sie eifrig zusprachen. Die vor dem Madonnenbilde hängende Oellampe bildete die einzige Beleuchtung. Die bärtigen, zerlumpten, in ausgefetzte braune Kampagnolenmäntel gehüllten Kerle spielten Morra Traditionelles Spiel mit den Händen, das vor allem in einigen Mittelmeerländern, besonders in Italien bekannt ist. Dabei versuchen zwei Spieler die Summe der Zahlen zu erraten, die sie mit den Fingern anzeigen., blitzschnell streckten sie sich die ausgespreizten Finger entgegen und das energisch ausgestoßene » cinque, otto, dieci!« hallte wie ein Schlachtruf durch die Stille. Das war auch das einzige Lebenszeichen: so lebhaft es auf dem Korso und den angrenzenden Straßen zuging, so todt und einsam war es hier. Eine verlorene Gaslaterne strengte sich an, in dem Gäßchen etwas Licht zu verbreiten, ohne Erfolg, die Finsterniß war zu kompakt. Die Thüren der baufälligen, verwitterten Häuser schienen seit unvordenklichen Zeiten verschlossen, aus den vergitterten Fenstern brach kein Lichtschimmer, kein menschlicher Laut drang hinter ihnen hervor – es bekundete jedenfalls einen seltsamen Geschmack, hier zu wohnen. Unwillkürlich traten wir leise auf, das Dröhnen unserer Schritte zu dämpfen. Als wir bei der einsamen Laterne ankamen, drückte Raoul bedeutungsvoll meinen Arm. Ein hohes, düsteres Gebäude, das einem mittelalterlichen Palaste glich, wie die trotzigen römischen Barone ihn sich zu bauen liebten, stieg vor uns auf. Das Erdgeschoß bis zu dreifacher Mannshöhe, eine aus riesigen Quadern aufgethürmte Rustika Grobes, raues Sichtmauerwerk aus Bruch- oder Buckelsteinen (sogenanntes Bossenwerk). bildend, in der eiserne Ringe befestigt waren, die früher zum Halten der Fackeln und Fahnenstangen gedient hatten. Das kolossale, mit Nägeln und Eisenbändern beschlagene Thor, dessen Bewegung Cyklopenhände voraussetzte, schien zu sagen: »Ich bin da, um den Eingang zu wehren, schon mancher Belagerung habe ich siegreich widerstanden!« Die Enge des Vicolo machte es unmöglich, einen Ueberblick über den Bau zu gewinnen, es nützte nichts, daß ich den Kopf so weit zurückwarf, wie es die Flexibilität meiner Halsmuskeln irgend erlaubte. Wir hatten Mondschein, aber der Mond stand hinter dem Palazzo und die uns zugekehrte Seite ward daher in um so tieferes Dunkel gehüllt.

Raoul deutete auf ein matt erhelltes Fenster in der Höhe des ersten Stockwerks – und eine sehr ansehnliche Höhe war es – das halb offen stand und durch eine herabgelassene weiße Gardine verhangen war. Wir traten aus dem Lichtkreis der Laterne zurück und lehnten uns an die Wand des Hauses gegenüber.

»Ich wundere mich, daß sie noch nicht singt,« sagte Eckartsberg, »sonst hörte ich sie schon von Weitem.«

»Sie ist vielleicht verschnupft,« antwortete ich, und diese verständige Bemerkung schien ihn förmlich zu beleidigen. Ein paar Minuten vergingen; mir wurden die Augen müde und ich begann die Aussage meines Freundes zu bezweifeln, die Sache hatte sogar für Rom einen zu phantastischen Anstrich. In diesem verlassenen, verfallenen, grauslichen Gebäude sollte eine moderne Sängerin hausen? Das wäre doch … Ich konnte den Gedanken nicht ausdenken, denn ein sanfter, süßer Ton zitterte durch die Luft, schmeichelnd, wie ein erster Liebeskuß …

»Ah!« machte Raoul und seine Brust schien sich in unendlichem Wohlbehagen zu dehnen.

Was nun folgte, vermag ich nicht zu schildern, ich bin nicht Musiker genug, um die Eigenart dieser Stimme zu zergliedern, ich gab mich willenlos ihrem Zauber hin. Es war eine gottbegnadete, eine himmlische Stimme, weich und schmelzend, von erstaunlichem Umfang, gleichmäßig voll und stark und von einem Timbre, das Einem die feinsten Nervenfasern erbeben machte. Vielleicht fehlte noch Manches an der Ausbildung, ich vermochte es nicht zu beurtheilen, mich nahm die Glut, die Tiefe, die Innigkeit gefangen, die aus jedem Ton sprach. Welche Seele! Welches Herz!

» Addio del passato bei sogui ridenti!«

klang es mit leidenschaftlicher Wehmuth zu uns hernieder. Ja, so klagt die Jugend, die Abschied von den Freuden des Lebens nimmt! Wie viele berühmte Sängerinnen hatte ich in der Rolle der Violetta Hauptfigur in der Oper » La Traviata« (1853) von Giuseppe Verdi. gehört! Nicht Eine erreichte die Geheimnißvolle, Unsichtbare, seelenlose Puppen waren sie neben ihr. Ich schäme mich nicht, es zu gestehen: mir kamen Thränen in die Augen. Und nun der letzte, allmälig anschwellende und dann verhallende Ton … es war überirdisch schön, ich blickte zum Nachthimmel empor, der wie ein schmaler Streif das Gäßchen überwölbte, ob er sich nicht in strahlender Herrlichkeit geöffnet habe und Sphärenmusik zu uns herniederschalle … Raoul regte sich nicht, sein Athem ging hastig und ungleich, sein Auge hing an dem offenen Fenster, das der durchsichtige Vorhang leise wallend verschleierte.

»Sie muß sehr unglücklich sein, um so zu singen,« sagte er gepreßt, »jeder Ton war schwer von Thränen … Mit einem solchen Talent …« unglücklich, wollte er hinzufügen – da ward ein kräftiger Akkord auf dem Klavier angeschlagen und mit einem Uebermuth ohnegleichen jubelte es:

» Il segreto per esser felice!«

Eine Fanfare genialer Lust, ein Sprühregen jauchzender Klänge! Man meinte das wilde Trinkgelage vor sich zu sehen, der lockige, kecke Page schwang den Becher zum tollen Brindisi, die Genossen stimmten ein

Il segreto per esser felice!

Ohne vermittelnden Uebergang reihte sich dieser Ausbruch übermüthiger Laune an die schwermuthsvolle Klage – wer war sie, die die verschiedensten Stimmungen derartig beherrschte? Eine Sängerin von Beruf?? Nein, es lag ein Duft, eine Poesie über der Stimme, die die Bühne unbarmherzig abstreift … Und jetzt – horch! Waren das nicht deutsche Worte?

»Es rauschen die Wipfel und schauern,
Als machten zu dieser Stund'
Um die halbversunkenen Mauern
Die alten Götter die Rund'!« Erste Strophe des Gedichts »Schöne Fremde« von Joseph von Eichendorff. Die nächsten beiden Verszeilen sind der Schluss dieses Gedichts, das von Robert Schumann vertont wurde.

Das war Rom in dem Gedicht des deutschen Poeten und märchenhaft ward auch mir zu Sinne; es hätte mich nicht sonderlich überrascht, wenn die dicken Quadermauern sich plötzlich auseinander geschoben und eine liebreizende Göttin uns die weißen Arme verlockend entgegengestreckt hätte.

»Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem großem Glück!«

Ich hätte vor ihr niedersinken und ihre Füße küssen mögen, es war zum Verrücktwerden, hier unten auf der finstern, todtenstillen Gasse zu stehen und von der wunderbaren, verführerischen Sängerin nicht einen Blick zu erhaschen! Nur an der Stimme durften wir uns berauschen. Die Töne verstummten; ein Aufklappen, wie wenn der Deckel eines Instruments geschlossen würde.

»Sie singt nie länger als eine Stunde,« murmelte Raoul, mit einem Ausdruck von Andacht und Ekstase emporstarrend, als enthülle sich ihm dort die heilige Dreifaltigkeit mit der Mutter Gottes und einem Gefolge himmlischer Heerschaaren. Der dünne Vorhang hinter dem Fenster theilte sich … unsere Augen traten vor Eifer zu sehen fast aus den Höhlen eine weiße Gestalt lehnte sich über die Brüstung … Die verwünschte Dunkelheit! Unmöglich, in dieser Höhe das Gesicht zu erkennen, nur die Umrisse des Kopfes waren einigermaßen sichtbar.

»Von künftigem großem Glück,« wiederholte die Stimme träumerisch verheißend, im süßesten Pianissimo. Dann streckte sich ein leuchtender, nackter Arm vor und eine purpurrothe, halberblühte Rose schwebte zu Raoul's Füßen nieder, der – nach meiner Ansicht – mit unbescheidener Eile vorstürzte.

» Grazie, madonna!« rief er, das Haupt entblößend und die Rose an die Lippen drückend.

» Felice notte!« hauchte sie und das Fenster wurde geschlossen.

Schweigend entfernten wir uns; als wir an der Weinkneipe ankamen und uns die Spuren des täglichen Lebens umgaben, meinten wir einem Spuk entronnen zu sein.

»Wir haben geträumt,« sagte ich.

»Hätten wir's!« antwortete Eckartsberg gepreßt. »Du brauchst mich nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß ich ein Narr bin, ich wiederhole es mir während all' der Stunden, in denen ich die berückende Stimme nicht höre …«

»Das sind genau dreiundzwanzig,« brummte ich.

»An diesen Tönen hält sie meine Seele gefesselt, daß ich am Tage nachtwandelnd umhergehe.«

»Und Deine Frau?« bemerkte ich halblaut.

»Wo denkst Du hin!« rief er heftig, »ich weiß, was ich Vincy schuldig bin! Mein Ehrenwort, daß ich nie versuchen werde, die geheimnißvolle Sängerin zu sehen; in wenigen Wochen verlassen wir Rom, dann ist dieser wunderbare Traum vorbei. Singen werde ich nicht wieder hören mögen, auch von der größten Künstlerin nicht … Glaubst Du noch, sie verberge sich in dem düstern Palazzo, weil sie häßlich ist?«

»Häßlich!« versetzte ich empört, »ich wäre ein Dummkopf, wollte ich etwas so Abgeschmacktes behaupten. So widersinnig kann die Natur nicht verfahren, dieser Stimme muß die schönste äußere Hülle verliehen sein. Es sind weiche, schwellende Lippen, denen diese Töne entquellen, es ist ein großes, mächtiges Auge, aus dem Begeisterung flammt, – sinnverwirrend schön ist sie! Laß uns beten, daß der Zufall uns nicht mit ihr zusammenführt, unsere tugendlichen Vorsätze würden jämmerlich zerschellen und wir zuletzt noch wüthende Rivalen werden.«

Raoul lächelte unmerklich, der Glückliche, war er doch der Bevorzugte! Die Rose und das süße » Felice notte!« bewiesen es zur Genüge. Die Italienerinnen hatten eine ausgesprochene Vorliebe für die stattlichen blonden Deutschen, die ritterliche, distinguirte Erscheinung meines Freundes mochte schon manchen Blick auf sich gezogen haben.

Das Vicolo delle Grazie – diesen lieblichen Namen führte das schauderhaft schmutzige, finstere Gäßchen – lag nicht weit von der Piazza SS. Apostoli, in zehn Minuten waren wir vor Raoul's Wohnung. Ich begleitete ihn hinauf, um mir ein paar hundert Franken einhändigen zu lassen, da mit meinem Kreditbrief ein Mißverständniß vorgefallen war, das sich erst in den nächsten Tagen lösen konnte.

»Tritt leise auf,« flüsterte er mir zu, als wir den breiten Korridor entlang schritten, »wir müssen am Schlafzimmer vorüber und Vincy schlummert gewiß schon.« Die bezeichnete Thür öffnete sich in dem Moment, und eine feine, zierliche Zofe schlüpfte heraus, einen ganzen Arm voll Negligésachen tragend.

»Was soll das, Babette?« fragte Eckartsberg. »Ist die gnädige Frau so spät aufgeblieben?«

»Verzeihen der gnädige Herr,« versetzte Babette knixend, »die Frau Baronin haben sich gleich nach dem Thee zurückgezogen; um nun durch den gnädigen Herrn nicht gestört zu werden, hat die Frau Baronin sich das Schlafzimmer neben ihrem Salon einrichten lassen, wir besorgten das Umräumen, während die Herrschaften im Theater waren, doch wurden wir nicht ganz fertig. Die Frau Baronin leidet seit einigen Tagen sehr an Kopfschmerzen und bedarf der Ruhe …«

Dieses Ehepaar war auffallend mit Kopfschmerzen behaftet!

«Ich wünsche unterthänigst gute Nacht, gnädiger Herr.« Die Zofe knixte wieder mit bescheidener Miene, und die Thür auflassend, die den Einblick in das geplünderte Schlafzimmer gewährte, wandte sie sich der andern Seite des Korridors zu.

Bei solchen Gelegenheiten spielt der Ehemann stets die lächerliche Figur.

»Ist Deine Frau vielleicht eifersüchtig und dieß der Anfang des häuslichen Krieges?« fragte ich den verblüfft dareinschauenden Freund.

»Eifersüchtig – auf wen?«

»Auf die Orangenzweige, von denen sie sprach.«

»Unmöglich! Um dieses Geheimniß entdeckt zu haben, müßte sie mich auf Schritt und Tritt verfolgen lassen, eine solche Niedrigkeit ist Vincy wahrlich nicht zuzutrauen … Sonderbar ist diese plötzliche Veränderung …« Er strich sich über die Stirn … »Indessen, ich bin's zufrieden; wenn ich von dort komme und die holden Klänge mich noch umschweben, thut mir jedes Wort weh, was eine andere Frauenstimme zu mir spricht.«

Wir betraten sein Kabinet und nachdem unser kleines Geschäft erledigt worden, ich mir eine Cigarre angezündet hatte, schieden wir mit einem Händedruck, – Beide überzeugt, einer ziemlich schlaflosen Nacht entgegenzugehen.



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