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I.

Mehr als billig haben wir schon, wie wir fürchten, bei der Mangelhaftigkeit unserer Schilderungen die Nachsicht des Lesers zu unsern Gunsten in Anspruch genommen, indem wir ihm überließen, die Lücken derselben auszufüllen. Diese Betrachtung, die uns schon längst völlig entmuthigt hätte, wenn wir den geringsten Anspruch auf Verfasserruhm erheben würden, drückt heute mit doppelter Schwere auf unser literarisches Gewissen; denn wir müssen es jetzt, nicht wie bisher zur Hälfte, oder bis auf drei Viertel oder sieben Achtel, sondern ganz ausschließlich der lebhaften Phantasie des Lesers überlassen, sich ein Bild von der Scene zu entwerfen, auf welcher die folgenden Begebenheiten spielen. Wenn uns aber diese Nothwendigkeit in den Zustand einer gelinden Verzweiflung versetzt hat, so liegt demselben gewiß nichts weniger zu Grunde als auch nur der entfernteste Zweifel an der Imaginationskraft des Lesers, sondern einzig nur das Gefühl unserer Unfähigkeit, jede Mühe ihm abzunehmen.

Lieber Leser, warst Du im Engadin? Wenn Du es warst, so sind wir mit einander im Reinen, und es wäre eine so umständliche Einleitung gar nicht nöthig gewesen. Warst Du es aber nicht, so erweise uns den einzigen Gefallen, Dich auf Deinem Stuhle oder Sopha, oder – wenn Du bettlägerig sein solltest, was wir von Herzen bedauern würden – auf dem weichen Kissen zurückzulehnen und die Augen zu schließen; es ist dies nämlich ein ganz vortreffliches Mittel, die buntesten Phantasiegebilde heraufzubeschwören.

Wenn Du an geologischen Träumereien Gefallen fändest, so würden wir sagen: – denke Dir die Erde als ein riesiges, fossiles Ungethüm, als ein Mastodon oder Megatherium etwa, in billionenfacher Vergrößerung, dessen mächtigen antediluvianischen Knochenbau Du ganz deutlich aus der zwar meilendicken, aber doch hin und wieder geborstenen Haut hervorragen siehst. Welche Rolle Du Dir selber als Bewohner dieser gigantischen Bestie zutheilen willst, bleibt Dir völlig anheimgestellt. Nun betrachte Dir jene enormen Rückenwirbel; es sind die Alpen! – Sodann – doch wir ziehen es vor, in ganz einfachen Worten zu sagen: versetze Dich in den Canton Graubünden; dort werden zwei parallel laufende Gebirgsketten Deinem Blick begegnen, die ein reizendes Thal einschließen. Jene, in der Richtung nach Norden gelegene, zeigt Dir den Maloya und den zackigen Septimer, die andere, südliche, bildet die gewaltige Masse des Bernina mit seinem, dem Gletscher des Montblanc an Größe und erhabener Schönheit kaum nachstehenden Eismeer, dessen höchste Spitze, der Monte-Edrotta, beinahe ebenso hoch in die Wolken hinein, oder über dieselben emporragt, als der Gipfel des Orteles, welchen Du, wenn Du mit geschlossenen Augen gut siehst, etwas mehr nach Osten hin gleichfalls erblicken wirst. Durch das Thal hin zieht sich, bald hinter schattigem Grün oder kahlen Felsen versteckt, bald wieder hell glitzernd gleich einem Silberfaden der Inn, jedoch nicht der gemächlich dahinfließende, in viele Arme sich theilende, zahllose Inseln bildende Inn, den Du vielleicht bei Rosenheim oder Wasserburg als einen höchst gemüthlichen alten Burschen hast kennen lernen. Nein, hier wälzt er in jugendlichem Uebermuth seine noch nicht durch die schlammigen Erfahrungen des Lebens getrübten Fluthen mit einer Eile fort, als setze er seinen ganzen Stolz in die Schnelligkeit seines Laufes. Bald drängt er sich durch enge, wildzerklüftete Felsenthäler mit Ungestüm über Alles hinpolternd, was sich ihm in den Weg stellt, bald stürzt er sich wieder mit wahrer Todesverachtung, kopfüber, kopfunter in finstere Abgründe und prallt dann gegen die starren Klippenblöcke dort unten an, schäumend vor Wuth, als wolle er ihnen zu verstehen geben, daß sie dumme Jungen seien, die er schon mores lehren würde. Hernach kommt er wieder ein wenig zur Besinnung, er scheint sich über seine gar zu tollen Sätze zu schämen und ruht sich nun gemüthlich in dem weiten Becken des Silsersees aus, der hier, ungefähr eine Meile lang, seine klare Spiegelfläche zwischen saftig grünen Wiesen, schattigen Wäldern und steilen Felswänden weithin ausbreitet.

Hältst Du die Augen noch immer geschlossen, lieber Leser, so wirst Du auch auf jener mit herrlichen Eichen und Ulmen bewachsenen Landzunge am nördlichen Ufer des See's die Villa des Grafen Landeck erblicken, sowie am entgegengesetzten Ufer, dieser gerade gegenüber, ein kleines Kirchdorf und neben der Kirche, inmitten eines großen Gartens die Wohnung des protestantischen Pfarrers. In parenthesi sei hier bemerkt, daß die Bewohner des Engadin fast ausschließlich Protestanten sind.

Unterhalb des Dorfes am Gestade des Sees ist ein Landungsplatz, an welchem Du ein zierliches kleines Segelboot wahrnimmst, das unter den plumpen Kähnen, die gleichfalls dort liegen, sich ungefähr ausnimmt, wie ein feuriger zierlich gebauter Hengst arabischer Race sich unter einem Dutzend Münchener Bauerpferden ausnehmen würde.

Eine Gesellschaft von mehreren Damen und Herren nähert sich von der Pfarrei her diesem Platze; sie besteht aus folgenden Personen: dem Grafen Landeck, seiner Gemahlin und ihrer Tochter Amalie, unserem Freunde Hugo, dem Pfarrer, dessen Frau und ihrer Tochter, einem hübschen Mädchen von Amaliens Alter.

Der Graf hatte nämlich an diesem Tage mit seiner Familie und seinem Gaste – Hugo befand sich schon seit mehreren Tagen in der Villa – dem Geistlichen einen lange versprochenen und besprochenen Besuch abgestattet, und man war jetzt eben im Begriffe, sich zur Rückfahrt einzuschiffen. Es war noch früh am Nachmittage und die Damen im Pfarrhause hatten lange fest darauf bestanden, daß ihre Gäste noch einige Stunden verbleiben sollten, wozu sich auch die Damen aus der Villa sehr geneigt zeigten; die drei Männer aber fanden es, nachdem sie auf der Veranda vor dem Hause einige Minuten die Physiognomie des Himmels und der Berge rings umher betrachtet hatten, rathsamer, sich schon jetzt auf den Weg zu machen; denn der Septimer dort drüben lag so klar und deutlich vor ihnen, als könnten sie ihn mit den Händen greifen, und das war kein günstiges Wetterzeichen.

Auf diesen Hochebenen ist die Witterung überhaupt sehr veränderlich, und innerhalb einer Zeit von wenigen Stunden hat man oft eine wahre Musterkarte der verschiedensten klimatischen Verhältnisse von Spitzbergen bis herunter nach Marocco oder Timbuctu. Eine eisige Kälte wechselt mit der unerträglichsten Schwüle, der reinste Azur des Himmels mit einem trostlosen Grau, der heiterste Sonnenschein mit Regengüssen, und im Engadin, vielleicht mehr als sonst wo, erhebt sich mitunter plötzlich ein überaus heftiger Wind, der aus den Thälern hervor mit furchtbarer Gewalt über die Fläche der kleinen Seen dahersaust und das Beschiffen derselben gefährlich macht.

Zwar haben die Bewohner dieser Gegenden an den Bergen ihre Merkmale, die selten täuschen. Wenn dieser oder jener Gipfel in Wolken gehüllt ist, oder hinwiederum seine zackigen Formen mit ungewöhnlicher Schärfe zeigt, wenn an diesem oder jenem Thalgehänge Nebelschichten hinziehen – sie sehen aus wie Tabackswolken, die ein drinnen im Thalkessel hausender Berggeist aus einer ungeheuren Pfeife gesogen und dann aus vollen Backen zu seiner Dachluke hinausgeblasen hat – oder wenn endlich die Oberfläche des Sees hier oder dort sich leicht zu kräuseln beginnt, so erkennen sie daraus, daß dieser oder jener Witterungswechsel bevorsteht. Sie können denselben so gut vorhersagen, wie jener Schäfer, von dem uns Lichtenberg erzählt, vorhersagen konnte, daß es binnen Abend Regen geben würde, wenn ein gewisser alter schwarzer Bock den Theil seines Körpers, auf den er am wenigsten Ursache hatte, eitel zu sein, beharrlich gegen Südwest gekehrt hatte; aber dennoch ist und bleibt das Wetterprophezeien ein gar unsicheres Ding, und wir ertheilen dem Leser den wohlgemeinten Rath, sich weder auf das Aussehen von Berggipfeln, noch auf die Manoeuvres schwarzer Böcke all zu sehr zu verlassen.

Nach vielen freundlichen Abschiedsworten und nachdem der Pfarrer und seine Damen ihren Gästen zu wiederholten Malen eine glückliche Heimkehr gewünscht hatten, waren die vier Personen, bei denen wir jetzt einige Tage zubringen wollen, in das Segelboot gestiegen. Die Gräfin und ihre Tochter hatten sich auf ihre Sitze niedergelassen, und Hugo, der als erprobter Seemann die Leitung des kleinen Fahrzeuges übernommen hatte, löste das Tau, an welchem dieses befestigt war, stieß von der Landungsbrücke ab und setzte die Segel. Der Wind war günstig, und bald schoß das scharfgebaute Boot über die leicht gekräuselte Fläche dahin, während man mit den am Ufer Zurückgebliebenen noch ein letztes Lebewohl wechselte und Taschentücher und Hüte schwenkte.

Es war ein herrlicher Tag, jedoch ein wenig schwül. Die schnelle Bewegung des Bootes aber über die krystallhelle Wasserfläche erzeugte eine angenehme Kühle. Comtesse Amalie war von den imposanten Gebirgsformen, die man nirgends so wie hier mit einem Blicke umfassen konnte, so entzückt, daß sie den Wunsch aussprach, um sich länger an der herrlichen Scenerie zu weiden, nicht direct nach der Villa hinüber zu steuern, sondern östlich, um die kleine Felseninsel herum, die ungefähr die Mitte des Sees einnimmt. Auch die Gräfin befürwortete diesen Vorschlag.

»Was meinen Sie, kundiger Pilote?« fragte der Graf, indem er sich an Hugo wandte. »Ich nehme an, daß das Wetter sich noch einige Stunden hält.«

»Ich kenne die meteorologischen Verhältnisse Ihrer Gegend noch zu wenig, Herr Graf«, entgegnete dieser, »um darüber ein Urtheil abgeben zu können. Ein Gewitter werden wir heute noch jedenfalls bekommen, dort drüben im Julierpaß sammeln sich schwere Wolkenmassen, auch ist der Wind bereits umgesprungen, seit wir die Landungsbrücke verlassen haben. Ich rathe nicht dazu.«

»Aber auch nicht davon ab?« fragte Comtesse Amalie mit einem bittenden Blick auf Hugo. »Darf ich?« fügte sie hinzu, indem sie ein Zeichen machte, als ob sie das Steuer, welches sie zu lenken übernommen hatte – denn sie verstand dies schon recht gut – ein wenig zur Seite biegen wollte.

»Wie Sie wünschen, Comtesse,« erwiederte Hugo, »ich glaube allerdings nicht, daß wir so bald etwas zu befürchten haben.«

Die Segel wurden nun ein wenig anders gestellt, das Ruder umgelegt, und das Boot schoß, da der Wind immer mehr die Segel blähte, zur großen Freude Amaliens in der veränderten Richtung pfeilschnell dahin.

»Es war ein herrlicher Gedanke von Ihrem Jacob, Herr Falkner,« sagte sie, »das alte Boot wieder zusammen zu flicken und mit einem Mast und Segelwerk zu versehen, oder richtiger – denn es war eigentlich mein Gedanke – Ihr Jacob hat eine ritterliche Galanterie an den Tag gelegt, die – – –«

»Vollenden Sie nur den Satz, Comtesse,« sagte Hugo lächelnd, »die seinem Herrn nicht eigen zu sein scheint. War es nicht so gemeint?«

»O bewahre, das ist ja eine schreckliche Ergänzung meiner Rede,« entgegnete das junge Mädchen neckisch. »An Galanterie gebricht es Ihnen gewiß nicht, aber – – –«

»An Muth,« lachte Hugo, »noch besser!«

»Wenn Sie mir immer in's Wort fallen, Herr Falkner, so – – –«

»So werden Sie mich doch am Ende für sehr ungalant halten, Comtesse, obgleich mit Unrecht, denn ich unterbreche Sie nicht, sondern Sie selbst halten inmitten Ihrer Rede inne. Ich berufe mich auf Ihr Zeugniß, Frau Gräfin.«

»Und ich mich auf das Deinige, Papa.«

»Ich gebe Herrn Falkner Recht,« sagte die Gräfin.

»Und ich gebe ihm gleichfalls Recht,« fügte der Graf hinzu.

»Wie? Alle gegen mich?« rief Amalie. »Das ist ja abscheulich! Man scheint zu vergessen, daß ich das Steuer führe, das heißt nicht weniger, als daß ich Aller Wohl und Wehe in der Hand habe. Wenn ich nun unser Fahrzeug an einer Klippe zerschellen ließe? Fürchtet Ihr denn gar nicht meine Rache?«

»Halt!« sagte der Graf, »Du willst durch Drohungen Deine Richter einschüchtern. O, das wird Dir nicht gelingen. Du hast Dich auf mein Urtheil berufen, und das lautet so: Wenn Du nicht willst, daß Herr Falkner argwöhnen soll, Du habest ihn des Mangels an Galanterie oder Muth verdächtigen wollen, so ist es unumgänglich nothwendig, bestimmt zu erklären, was Du mit Deinen unvollendeten Reden denn eigentlich hast sagen wollen. Was meinst Du, Therese?«

»Dein Urtheil ist gerecht lieber Mann,« sagte die Gräfin, »und ich stimme demselben bei.«

»Und ich füge mich in kindlicher Demuth,« seufzte Amalie und senkte den Kopf. »Also hören Sie meine feierliche Erklärung, Herr Falkner,« fuhr sie dann gegen diesen gewandt mit komischem Pathos fort, »und möge Ihr tief gekränkter Stolz in derselben eine hinreichende Genugthuung erblicken, damit dieser Streit für alle Zeiten geschlichtet sei und Keinem zum Präjudiz für seinen guten Leumund gereiche. Ich erkläre also, daß ich Sie für so galant und tapfer halte wie Pierre du Terrail, Seigneur de Bayard, seligen Andenkens, und daß, was ich habe sagen wollen, durch Sie aber zu zu sagen verhindert wurde – – –«

»Das ist es ja eben, was wir bestreiten!« riefen der Graf und die Gräfin zu gleicher Zeit.

»O, ich habe mich versprochen,« sagte Amalie, »was ich durch Sie nicht verhindert wurde zu sagen, meine ich, war nur, daß die Galanterie Ihres Jacob, der ein vortrefflicher Mensch ist und dem ich alle Achtung zolle – – –«

»Sage lieber gleich,« fiel die Gräfin ein, »für den Du eine geheime Zuneigung empfindest.«

»Gut also,« fuhr Amalie fort, »daß die Galanterie Ihres Jacob, für den ich eine geheime, überaus zärtliche Zuneigung empfinde, von seinem Herrn, wie er mir gestanden hat, gar nicht gebilligt wurde, indem ihn dieser schalt, weil er, um mir eine lang ersehnte Freude zu bereiten, das alte Ruderboot in ein neues, hübsch angestrichenes, herrlich aufgetakeltes Segelboot umwandelte. Ich ziehe nun hieraus den Schluß, daß Herr Falkner mir ein Vergnügen nicht gegönnt hat, auf welches ich sehr viel Werth lege, oder daß er – – –«

»Nun daß er?«

»Daß er überaus vorsichtig ist, ja so vorsichtig, daß ich, wenn alle Seeleute es in demselben Maße gewesen wären oder noch wären, schlechterdings nicht begreifen könnte, wie man je dazu gekommen ist, die See zu befahren, wie Amerika entdeckt, der Seeweg nach Ostindien gefunden oder jemals eine Nordpolexpedition ausgerüstet wurde, wie – – –«

»Himmel, was muß ich hören!«, rief Hugo, »mich so hinzustellen als eine Verkörperung alles dessen, was nur immer der Seefahrt und der Erweiterung der Erdkunde hinderlich sein kann, mich, der ich mich im stolzen Wahne für einen zweiten Sindbad gehalten habe. O, Comtesse, wie grausam!«

»Gut, verwerfen wir also diese Annahme, und halten wir uns an die andere, daß Sie mir kein Vergnügen gönnen.«

»Aber dann wäre ich ja der Grausame.«

»Es scheint,« sagte der Graf zu Hugo, »daß Sie statt die gewünschte Genugthuung von meiner Tochter zu erhalten, immer neuen Angriffen von ihr ausgesetzt sind, und ich weiß ihre Pfeile nicht besser von Ihnen abzuwenden, als durch den Vorschlag, gemeinschaftlich die Bitte an sie zu richten, uns eines ihrer Lieder zu singen.«

»Ach ja, Comtesse,« bat Hugo, »die hübsche Barcarole, die Sie gestern sangen.«

Amalie stimmte, als auch die Mutter durch ein freundliches Kopfnicken ihre Zustimmung ertheilt hatte, die Barcarole an, und Hugo, der einen sonoren Bariton besaß und eben kein ungeübter Sänger war, accompagnirte ihr; und als sie geendigt hatten, applaudirten der Graf und die Gräfin und riefen da capo. Aber Hugo fiel zum zweiten Mal nicht mit ein, denn seine ganze Aufmerksamkeit war jetzt plötzlich von ganz anderen Dingen in Anspruch genommen.

»Wir hätten die gerade Richtung beibehalten sollen,« flüsterte er dem Grafen mit besorgter Miene zu, während Comtesse Amalie sang, und die Gräfin wie in Gedanken verloren, sich über den Rand des Bootes lehnte und in das Wasser blickte, das so klar war, daß man die Steine auf dem Grunde sehen konnte.

»Ei, lieber Falkner,« sagte der Graf lächelnd, »fast muß ich glauben, daß meine Tochter Ihre zu große Vorsicht nicht ganz ohne Grund gerügt hat.«

»Sehen Sie nur,« fuhr Hugo fort »welche dunkle Farbe der See dort unten annimmt; auch scheint es mir, als hülle sich der Gipfel des Munteratsch gewaltig schnell in Wolken ein. Das Gewitter wird bald losbrechen, und wir haben keine Mittel, Ihre Damen vor dem Naßwerden zu schützen.«

»Sie haben in der That nicht Unrecht,« erwiederte der Graf, nachdem er scharf in der angegebenen Richtung geblickt hatte. »Könnten wir nicht mehr Segel beisetzen?«

Hugo schüttelte verneinend den Kopf.

»Ich würde ohne Sorge sein,« sagte er dann, »wenn wir erst die Spitze der Insel umschifft hätten. Springt der Wind noch mehr um, wie ich fürchte, so werden wir laviren müssen. Wie dicht können wir an der äußersten Spitze hinsegeln?«

»Ich glaube bis ganz nahe an jene Klippe.«

»Setzen sich die Klippen nicht unter der Wasserfläche noch fort?«

»Ja, das wohl; aber wir werden Wasser genug haben.«

In diesem Augenblick fuhr ein heftiger Windstoß über den See, und das Boot legte sich so sehr auf die Seite, daß der Leebord kaum eine Hand breit über dem Wasser war. Hugo löste das Tau, an welchem das große Segel befestigt war.

»Verlieren wir dadurch nicht an Schnelligkeit?« fragte der Graf.

»Ja, aber die Vorsicht erfordert es,« entgegnete Hugo.

Man mußte nun, da der Wind noch mehr umgesprungen und dem Laufe des Bootes fast entgegengesetzt war, wie Hugo es vorausgesehen hatte, laviren, um die Spitze der Insel zu erreichen. Der Himmel war jetzt mit dunkeln, drohenden Wolken überzogen, in der Ferne rollte der Donner und rief in den engen Gebirgsthälern ein tausendfältiges Echo wach. Die Windstöße wurden immer stärker und häufiger und peitschten die noch vor Kurzem so ruhige Fläche des Sees zu schäumenden Wellen auf, die das leichte Fahrzeug in eine heftig schaukelnde Bewegung setzten. Gegen die Felsen der Insel brachen sich die Wogen mit großer Gewalt, und ein langer Streifen weißen Schaumes bezeichnete die Fortsetzung des Riffes; dieses lief aber viel weiter in den See hinein als Hugo anfänglich vermuthet hatte. Man hatte den letzten »Gang« gemacht, um die Spitze der Insel zu doubliren, als Hugo die Gefahr sah, die aus jenem Umstande erwachsen konnte.

»Backbord das Ruder, Comtesse!« rief er, »Sie verstehen mich ja, Backbord das Ruder! wir kommen zu nahe an die Klippen. Halten Sie bitte das Tau, Herr Graf,« fuhr er fort, »ich muß nach dem Klüversegel sehen; es scheint mir in Unordnung zu sein.«

Der Graf erfaßte das Tau des großen Segels; aber er fand, daß es schwerer zu halten war, als er gedacht hatte.

»Könnten wir das Segel nicht festmachen?« fragte er.

»Nein, halten Sie es,« bat Hugo, »nur einen Augenblick, ich bin gleich wieder bei Ihnen.« Er sprang nun hastig nach vorn, um das Klüversegel in Ordnung zu bringen. Es war schnell geschehen; aber er war doch genöthigt gewesen, einige Secunden seine ganze Aufmerksamkeit ausschließlich darauf zu richten. Als er damit fertig war, und einen Blick auf das Riff warf, bemerkte er, daß dicht vor dem Bug des Bootes die See über eine unter der Wasserfläche befindliche Klippe dahinbrandete.

»Backbord das Ruder!« rief er, »so viel Sie können, Comtesse!«

Comtesse Amalie legte sich mit Anstrengung aller ihrer Kraft auf die Ruderpinne, doch zu spät, ein heftiger Stoß und dann ein scharfer Ton verriethen, daß das Boot an die Klippen gerathen war und daran hinstrich. Mit einem Schrei des Entsetzens fuhr die Gräfin von ihrem Sitz empor und klammerte sich an ihren Mann, auf dessen Zügen sich eine ängstliche Spannung malte. Comtesse Amalie sah, blaß vor Schrecken und mit peinlicher Spannung auf Hugo. Dieser allein blieb völlig ruhig, obgleich er die Gefahr, weil nur er allein sie zu würdigen verstand, weit höher anschlug als die Uebrigen. Daß das Boot einen Leck bekommen, schien ihm außer allem Zweifel zu sein. In der folgenden Secunde konnte es dann versinken. Aber es schoß unter der immer wachsenden Wucht des Windes unaufhaltsam dahin, und einen Augenblick später hatte man die gefährliche Stelle weit hinter sich.

Die nächste Sorge Hugos war nun, die Beschaffenheit des Lecks – denn ein solcher war wirklich entstanden – zu untersuchen. Zum Glück war er nicht von Bedeutung, und nur langsam drang das Wasser in das Boot. Die augenblickliche Gefahr war somit überstanden, ja eine solche war überhaupt nicht mehr zu befürchten, falls nicht etwa der Wind so sehr an Heftigkeit zunehmen sollte, daß man genöthigt sein würde, die Segel einzuziehen; denn Alles kam jetzt darauf an, in kürzester Frist das Ufer zu erreichen, und bei der Schnelligkeit der Fahrt hoffte Hugo, binnen Ablauf einer Viertelstunde an dem Landungsplatze bei der Villa anzulegen. Aber diese Hoffnung sollte nur zu bald getäuscht werden. Das Gewitter kam jetzt mit furchtbarer Gewalt heran. Schon goß der Regen in Strömen herab, Blitz auf Blitz durchzuckte die Wolken, der Donner rollte, und ein orkanähnlicher Sturm sauste über die schäumende Wasserfläche daher. Es war nun, wollte man sich nicht der Gefahr des Kenterns aussetzen, die höchste Zeit die Segel zu bergen, und Hugo verrichtete dieses unter den obwaltenden Umständen ziemlich schwierige Geschäft mit der Gewandtheit eines erprobten Seemanns.

Das Wasser mehrte sich indeß so sehr im Boote, daß dieses unmöglich noch lange flott bleiben konnte. Es galt deshalb um so mehr, so bald als thunlich das Ufer zu erreichen, und dazu mußten jetzt die Ruder dienen. Diese wurden denn auch schnell zur Hand genommen, und da das Boot nur eine Ruderbank hatte, so nahmen der Graf und Hugo nebeneinander auf derselben Platz, indem jeder eines der Ruder führte. So sehr sich indeß der Graf anstrengte, es seinem Genossen gleich zu thun, er vermochte es nicht, und obgleich Comtesse Amalie ihr Möglichstes that, mittelst des Steuers ein gewisses Gleichgewicht herzustellen, so kam dennoch das Boot, wollte Hugo nicht alle Augenblicke »streichen,« immer von Neuem aus der Richtung. Bald auch ermatteten die Kräfte des Grafen, der zwar ein starker Mann, aber an diese Anstrengung nicht gewöhnt und ihr nicht gewachsen war.

»Lassen Sie mich allein rudern,« sagte Hugo, »wir verlieren Zeit.«

»Es wird Ihre Kräfte übersteigen,« wandte der Graf ein.

»Gewiß nicht, Herr Graf. Geben Sie mir Ihr Ruder; wir haben keine Secunde zu verlieren.«

Der Graf fügte sich seinem Wunsche, obgleich nicht ohne Widerstreben: er fand es peinlich, so gar Nichts zu ihrer Aller Rettung beitragen zu können.

Es war sicherlich für die vier Personen im Boote kein geeigneter Augenblick sich mit physiognomischen Beobachtungen zu beschäftigen.

Ob Eines oder das Andere es dennoch that, lassen wir für jetzt dahingestellt sein. Wir aber erachten es für unsere Aufgabe, hierzu gerade die Momente zu benutzen, in welchen die durch außerordentliche Ereignisse hervorgerufenen starken Gemüthsbewegungen von keiner Maske des conventionellen Zwanges verdeckt, sich unbewacht unseren forschenden Blicken zeigen. Betrachten wir daher das vor Entsetzen blasse, zitternde Mädchen, welches Hugo gegenüber sitzt und noch immer, ihre innere Angst bekämpfend, genau auf jeden seiner Winke achtet, um das ihr anvertraute Steuer seiner Weisung gemäß zu lenken.

Es lag mehr in dem Blicke, mit welchem sie an ihm hing, als die bloße gespannte Aufmerksamkeit, es drückte sich darin zugleich eine unverhohlene Bewunderung der Ruhe aus, mit welcher er die Gefahr in's Auge faßte, der Umsicht und Besonnenheit, mit welcher er sie abzuwenden bestrebt war. Und diese Bewunderung stieg noch, als sie wahrnahm, mit welcher gewaltigen Körperkraft er die Entschlüsse seines starken männlichen Geistes zu fördern vermochte.

Sie sah wie die Adern auf seiner Stirn vor Anstrengung schwollen, wie seine Lippen fest aufeinander gepreßt waren, wie seine Augen, die Energie seines Willens wiederspiegelnd, glühten. Sie sah, wie die Ruder in seiner Hand sich unter dem ungeheuren Drucke bogen, als wären es dünne Stecken gewesen, wie das Boot, obgleich es halb voll Wasser war und viel tiefer ging als zuvor, mit solcher Gewalt durch die Fluthen getrieben wurde, daß sich diese an dem scharf gebauten Vordersteven schäumend brachen. Und sie vergaß in der Beschauung der moralischen und physischen Stärke des Mannes, der für ihre und der ihrigen Rettung alle seine Kraft aufbot, zur Hälfte ihre Furcht; ja mitunter durchzuckte sie der Gedanke, daß wo er sei, es für sie keine Gefahr gebe. Man sagt, daß wenn einmal in einem weiblichen Gemüthe die Bewunderung für einen Mann eingezogen ist, derselben bald die Liebe folge. Ob die Wahrheit dieses Ausspruchs sich auch bei Amalien bewährte, wird der weitere Verlauf unserer Erzählung lehren.

Noch immer floß der Regen in Strömen und ließ das nicht mehr ferne Ufer kaum erkennen. Noch immer war die Gefahr im Wachsen begriffen, daß das Boot, in welches fort und fort das Wasser eindrang, sinken könnte. Die Angst der Gräfin hatte den höchsten Grad erreicht; halb bewußtlos lag sie in den Armen des bekümmerten Gatten.

Da hörte man plötzlich in nicht großer Ferne ein kräftiges »O hoi!« erschallen, und als Aller Augen sich nach der Richtung wandten, aus welcher der Ruf zu kommen schien, gewahrte man ein Ruderboot, von unserem alten Bekannten, dem Bootsmann Jacob geführt. Ein freudiges Lächeln flog über Hugos Gesicht und augenblicklich erwiederte er den Zuruf seines treuen Gefährten mit einem gleich kräftigen: »Brav, Jacob, das hast Du gut gemacht. Komm heran alter Bursche!«

Im nächsten Augenblick hatten sich die zwei Boote erreicht, und die kräftigen Arme unserer beiden Seeleute hielten sie dicht aneinander, damit die Damen und der Graf in das von Jacob geführte hinübersteigen konnten.

»Und nun rudere, was Du rudern kannst, Jacob,« befahl Hugo, indem er sich anschickte, ihm in dem Segelboote zu folgen.

»Wollen Sie denn nicht auch hier einsteigen, Herr Falkner?« rief Amalie angstvoll.

»Nein Comtesse, die Last ist schon so für das kleine Boot fast zu groß. Auch möchte ich dieses nicht im Stiche lassen.«

»Aber mein Gott wenn es nun versinkt!«

»Dann schwimme ich an's Ufer, Comtesse.«

Diese letzten Worte aber konnte sie kaum mehr hören, denn Jacob, der für seinen Herrn nicht die mindeste Gefahr sah, hatte sich schon in die Ruder gelegt und einen ziemlichen Vorsprung gewonnen. Aber Amalie, deren Furcht jetzt größer war als je, nachdem der Einfluß, der dieselbe gemildert hatte, seine Wirksamkeit nicht mehr auf sie ausübte, blickte schaudernd auf das fast schon sinkende Boot, in welchem Hugo allein zurückgeblieben war, und dann auf die kochende Wasserfläche, die noch zwischen ihm und dem Ufer lag.

Eine Stunde später saßen die vier Personen, die mit einander das so eben erzählte Abenteuer auf dem See bestanden hatten, in der elegant und geschmackvoll meublirten Wohnstube der Villa um den Theetisch versammelt.

Die Gräfin war von der erlittenen Angst und Aufregung sichtbar angegriffen. Sie ruhte in den weichen Kissen halb zurückgelehnt, auf dem Canape und schenkte der Unterhaltung, indem sie den Kopf auf die Hand stützte und sinnend vor sich hin blickte, offenbar wenig Aufmerksamkeit. Auch auf Amaliens Wangen waren die Rosen noch nicht zurückgekehrt, so wenig wie die sonst so heitere Laune in ihr Gemüth. Ein träumerischer Ausdruck lag in ihren Augen und öfter als sonst ließ sie dieselben, wenn sie sich unbemerkt glaubte, auf Hugo ruhen. Wir sagen, wenn sie sich unbemerkt glaubte; in der That war sie es nicht, denn ihre Mutter beobachtete sie ungeachtet ihres leidenden Zustandes fast unausgesetzt.

Selbst während der gefahrdrohenden Katastrophe, als ihre und der ihrigen Erhaltung an die schwachen Planken eines halbzertrümmerten Bootes geknüpft war, gegen welches die wild erregten Elemente ihre Wuth ausließen, hatten die Blicke der besorgten Mutter stets nur auf ihrer Tochter geruht, und vielleicht hier schon war eine erste unwillkürliche Ahnung in ihr aufgetaucht, welche unsern Lesern bereits ziemlich nahe liegen möchte. War auch jetzt die Gräfin mit dieser Ahnung beschäftigt und dürfen wir aus dem milden fast wehmüthigen Ausdruck ihrer Züge Schlüsse ziehen, so glauben wir denselben keineswegs als eine Kundgebung des Unwillens, vielmehr nur einer zärtlichen Besorgniß bezeichnen zu dürfen.

Die beiden Männer unterhielten sich lebhaft über das so eben bestandene Abenteuer.

»Wenn die Gefahren, die man auf dem Meere zu bekämpfen hat,« sagte der Graf, »nach dem Verhältnisse der Wassermasse des Oceans zu derjenigen unseres kleinen Silsersees zu beurtheilen wären, so müßte ich Ihnen Glück wünschen, lieber Falkner, daß Sie Ihre seemännische Laufbahn beendigt haben.«

»Das ist indeß nicht der Fall, Herr Graf,« entgegnete Hugo. »Auf dem offenen Meere fühlen wir Seeleute uns verhältnißmäßig sicher; nur in der Nähe des Landes fürchten wir den Sturm. Und dann befahren wir auch das Meer in Schiffen von festerer Bauart als die des kleinen Seegelbootes, das –« er wandte sich lächelnd an Comtesse Amalie – »das mein Jacob mit so zarter Galanterie ›Amalie‹ getauft hat.«

Er mochte vielleicht eine neckische Antwort der jungen Dame erwarten, die, immer kampfbereit, sonst nie unterließ, einen hingeworfenen Handschuh aufzunehmen; jedoch fand er sich in seiner Erwartung getäuscht. Sie erröthete und senkte schweigend den Lockenkopf.

»Amaliens Schweigen,« sagte lachend der Graf, »giebt in beredeterer Weise ihre Gefühle für den braven Jacob kund, als es alle Worte gethan hätten. Ich theile übrigens ganz die Sympathie meiner Tochter für ihn. Er ist in der That ein Mann von echtem Schrot und Korn, kräftig an Geist und Körper, voller Umsicht und Entschlossenheit; auch hat er uns heute einen Dienst erwiesen, für den ich ihm immer verpflichtet sein werde. Wie ist es denn eigentlich gekommen, daß er uns so im rechten Augenblick zu Hülfe eilte?«

»Wenn Jacob ein Seegelboot, namentlich eines von seiner eigenen Fabrik, auf dem See weiß,« erwiederte Hugo, »so wird er es gewiß nicht aus den Augen lassen, so lange er es mit seinem kleinen Taschenfernrohr erspähen kann. Auch heute hat er sich, wie er mir so eben erzählte, den ganzen Nachmittag am Ufer umhergetrieben, um zu sehen, wie die Fahrt ablaufe. Als das Gewitter heranzog, wußte er, daß wir die Segel bergen und zu den Rudern greifen würden, und – –«

»Und da er vermuthen mochte,« fiel der Graf ein, »wie schlecht ich ein solches zu führen verstehe, so wollte er seinem Herrn die Mühe zur Hälfte abnehmen.«

»Wenn ich es in der Galanterie meinem Jacob gleichthun könnte,« sagte Hugo mit einem Blick auf Amalie, »so würde ich mich nicht damit begnügen, dieser Annahme die einfache Versicherung entgegenzusetzen, daß mir Jacob gesagt hat, er habe mit Besorgniß gesehen, wie dicht wir bei dem heftigen Winde an dem Felsenriff vorbeikreuzten, und es daher für gerathen gehalten, uns entgegen zu rudern, um vorkommenden Falls bei der Hand zu sein.«

»Ich kann ihn wegen seiner Vorsicht nicht genug loben,« entgegnete der Graf, »so wenig, wie ich Ihnen, lieber Falkner, für die Kaltblütigkeit und Entschlossenheit genug danken kann, mit welcher Sie uns alle aus einer so großen Gefahr gerettet haben.«

»Sie schlagen meine geringere Verdienste viel zu hoch an, Herr Graf. In der That verdiene ich weit eher Ihren Tadel als Ihren Dank; denn ich hätte die Gefahr voraussehen und davor warnen müssen.«

»O, nun werden Sie sich am Ende noch Selbstvorwürfe machen, weil Sie alle Launen und Tücken eines Ihnen fremden Gebirgsklimas nicht besser zu errathen verstanden, als wir, die wir hier zu Hause sind.«

»Ich sollte aber weit besser alle die Uebelstände und möglichen Gefahren zu ermessen im Stande sein, die mit dem Führen von verhältnismäßig großen Segeln auf einem so engen und den schnellsten und gewaltigsten Witterungswechseln ausgesetzten Fahrwasser verbunden sind. Darum mache ich mir gerechte Vorwürfe, Sie nicht ernstlich gewarnt zu haben. Mein einziger Trost ist, daß Comtesse Amalie es mir jetzt vielleicht nicht mehr als Mangel an Muth oder als strafbare Widersetzlichkeit gegen die Erfüllung ihrer Wünsche anrechnen wird, daß ich gegen Jacob meine Bedenklichkeiten geäußert habe, als ich ihn mit so großem Eifer an dem Boote zimmern sah.«

Auch diese letzte Anspielung war in dem Tone heiteren Scherzes gesprochen; aber sie schien eben so wenig den entsprechenden Eindruck auf Comtesse Amalie zu machen. Abermals ergoß sich eine tiefe Röthe über ihre schönen Züge, und abermals senkte sie schweigend den Kopf.

Ein Bedienter hatte inzwischen dem Grafen Briefe und Zeitungen gebracht, und dieser erbrach jetzt, indem er gegen Hugo eine Entschuldigung machte, einen der ersteren.

Hugo war aufgestanden und an das Fenster getreten. Eine kleine Weile hatte er hier in Gedanken verloren, nach dem nahen Gebirge hinübergesehen, an dessen Abhängen noch immer schwere Gewitterwolken hingen, die hin und wieder einzelne Blitze in das Thal schleuderten. Da fühlte er seinen Arm leicht berührt, und als er sich schnell zur Seite wandte sah er in das sanft erröthende Gesicht Amaliens.

»Sie sind mir böse, Herr Falkner,« sagte die junge Dame mit einem leisen schüchternen Tone, den er an ihr nicht gewohnt war.

»Ich Ihnen böse, Comtesse?« fragte Hugo erstaunt.

»Ich entnehme es aus den Aeußerungen, die Sie während des Gesprächs mit meinem Vater an mich gerichtet haben.«

»Aber mein Gott, Comtesse, sehen Sie denn etwas anderes in diesen Aeußerungen als eine ganz unschuldige Erwiederung auf die kleinen Neckereien, mit welchen Sie uns so sehr belustigten, als wir unsere unglückliche Fahrt antraten?«

»Nein, aber eben weil sie sich darauf bezogen, muß ich befürchten, daß Sie mir zürnen, Herr Falkner; denn jene Neckereien waren – – – waren unzart – – haben Sie kränken können.«

»Ei, Comtesse, wie ist es möglich, so etwas zu denken? Sie wissen ja, wie anziehend und ergötzlich ich den kleinen Krieg finde, den Sie bisweilen mit uns Allen führen, eben weil er stets in so harmloser Weise und mit so unschädlichen Waffen ausgefochten wird. Wollen Sie mich nicht wirklich betrüben, so halten Sie mich doch nicht für so reizbar und empfindlich, daß ich durch einen bloßen Scherz gekränkt werden könnte.«

War das Gefühl, das Amaliens Herz beschlich, als sie gewahr wurde, daß er ihr nichts, gar nichts zu verzeihen habe, ein noch schmerzlicheres als jenes, welches ihr so eben die Besorgniß eingeflößt hatte, ihn beleidigt zu haben? Wir wissen es nicht, schließen es aber aus der Weise, in welcher sie die Augen zu Boden senkte, aus der halbbeschämten Miene, mit welcher sie jetzt vor ihm stand, als habe er ihr gesagt, daß sie noch ein Kind sei, welches einen Mann von seinem hohen Ehrgefühl und eisenfesten Charakter nicht beleidigen, ja nicht einmal seinen Gleichmuth trüben könne.

»Ich bin wohl recht – – – kindisch,« stammelte sie und wandte sich von ihm ab. Er aber sah ihr sinnend nach, als vermöchte er nicht, sich die Frage zu beantworten, was sie denn wohl eigentlich mit ihren Worten und der Art, in welcher sie gesprochen worden, gemeint habe.



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