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Wir müssen jetzt dem geneigten Leser eine Persönlichkeit vorführen, von welcher wir aus dem Gespräche der Madame Lüders mit ihrer Hauswirthin schon Einiges erfuhren; wir meinen den Doctor Schönfeld.
Wir wissen, daß der Doctor bei der Collectrice zur Miethe wohnt, daß er ihr alle Tage Blumensträuße und ihrem Mops Zuckerbrödchen bringt sowie daß er – wenn wir nämlich den Worten der Madame Pietschmann Glauben schenken dürfen – sich mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Durch die Geschwätzigkeit der Madame Pietschmann – wir selbst hätten uns nie unterstanden, dieses Geheimniß auszuplaudern – ist es uns ferner verrathen worden, daß er seiner Wirthin mitunter Abends seine Aufsätze vorliest, wobei er sie – gewiß nur in der lobenswerthen Absicht ihren Geschmack zu bilden – auf die stilistischen Vorzüge derselben aufmerksam macht.
Wir bedauern übrigens sehr, über den Doctor, der, wie man bald sehen wird, in dieser durchaus wahren Geschichte eine hervorragende Rolle spielt, nur eine sehr spärliche Auskunft geben zu können, trösten uns jedoch mit der Hoffnung, daß die lebhafte Phantasie des Lesers leicht das Fehlende ergänzen wird, und theilen daher getrost mit, was wir eben wissen.
Herr Schönfeld nannte sich Doctor der Philosophie; wo und wann er aber promovirt worden war, haben wir nie in Erfahrung gebracht; nun man braucht ja nicht gerade Alles zu wissen. Es soll, wie wir hören aber nicht glauben mögen, schon öfters vorgekommen sein, daß die Art und Weise der Erwerbung gewisser Titel, wie Doctor, Professor u. s. w. das ganz ausschließliche Geheimniß ihrer Träger gewesen ist, von welchen den verhüllenden Schleier zu entfernen kein Anderer sich berufen fühlte, oder der Mühe werth hielt.
Der Doctor Schönfeld schreibt für mehrere Zeitschriften Artikel kritischen und politischen Inhalts – so sagt er nämlich, und wir glauben ihm aufs Wort – und er verdient damit ein horrendes Geld – das hörten wir aus dem Bericht der Madame Pietschmann, und weshalb sollen wir etwas so Wahrscheinliches in Zweifel ziehen?
Sein Aeußeres ist in wenig Worten beschrieben. Er ist ein Mann in den vierziger Jahren, von kleiner schmächtiger Statur, hat hellblonde, ins Röthliche spielende Haare, sehr ausdrucksvolle, lebhafte und nicht unangenehme Gesichtszüge, er hat ein äußerst zuvorkommendes, einschmeichelndes Benehmen, und weiß stets mit großer Gewandtheit und sicherem Takt den Ton zu treffen, der den jedesmaligen Verhältnissen oder der Person angemessen ist, mit welcher er gerade in Berührung kommt.
Mit der Familie Lüders ist der Doctor schon seit Jahren bekannt, ja, es gab eine Zeit, wo er sich sehr eifrig um die Gunst Louisens bemühte, und die Eltern sahen damals seine Bewerbung nicht ungern, wünschten ihr vielmehr den günstigsten Erfolg. Mit dem Verlust ihres Reichthums waren, wie wir wissen, ihre Ansprüche um Vieles bescheidener geworden und in ihren dermaligen Umständen würden sie eine Verbindung ihrer Tochter mit einem Manne von des Doctors Talenten und großer literarischer Wirksamkeit für ein glückliches Ereigniß gehalten haben. Indeß war von einer solchen Eventualität schon seit sehr langer Zeit in der Familie Lüders nicht mehr die Rede gewesen. Der Doctor hatte alle hierauf bezüglichen Wünsche und Hoffnungen aufgegeben, und sich mit edler Resignation in die engen Grenzen eines gewöhnlichen, freundschaftlichen Umganges zurückgezogen, weil, – so glaubte man nämlich – Louise sich ihm so entschieden abgeneigt gezeigt hatte.
Man war aber sehr im Irrthum, wenn man diesem Grunde allein die Entsagung des Doctors zuschrieb; es gab noch andere, triftigere, die wir auf die Gefahr hin, den Charakter dieses Ehrenmannes einigermaßen herabzusetzen, dem Leser mittheilen wollen.
Louise wohnte damals in dem Hause ihrer Tante, einer Cousine des Herrn Lüders. Diese alte Dame hatte von jeher dem schönen und heitern Mädchen eine besondere Zuneigung gezeigt, und da sie in der Welt ganz allein stand und sehr zurückgezogen lebte, so beschloß sie, ihre Nichte zu sich zu nehmen und dadurch zwei gleich lobenswerthe Zwecke zu erreichen, sich selbst nämlich eine angenehme Gesellschaft zu verschaffen und ihren Verwandten in ihrer bedrängten Lage eine nicht unbedeutende Hülfe zu leisten.
Man kann sich denken, daß der Vorschlag der Tante dem Lüders'schen Ehepaar sehr erwünscht kam und mit Dank angenommen wurde; aber auch von Seiten Louisens wurde kein Einspruch dagegen erhoben, denn sie war ihrer Tante von ganzem Herzen zugethan, und von einer Trennung von ihren Eltern war dabei gar nicht die Rede; die Tante wohnte in der Nähe, und sie konnte mithin das elterliche Haus alle Tage besuchen.
Madame Altmann, so hieß die Tante, galt für eine reiche Frau. Sie bewohnte ein schönes, prächtig eingerichtetes Haus in Altona, und zwar in der Palmaille, hielt eine zahlreiche Dienerschaft, eine elegante Equipage und lebte, mit einem Worte, auf einem großen Fuße. Bei ihr hatte der Doctor Schönfeld Louisen zuerst gesehen. Er hatte Gelegenheit gehabt, der Madame Altmann einige kleine Gefälligkeiten zu erzeigen und sich nach und nach in die Gunst der alten gutmüthigen Dame so sehr eingeschmeichelt, daß sie ihm bald ihr volles Vertrauen schenkte, es geschehen ließ, daß er sich eine Art von Oberaufsicht über ihr Hauswesen anmaßte und ihr endlich selbst in kleinen Geldangelegenheiten, worin sie ziemlich unerfahren war, seinen Rath ertheilte. Der Doctor hatte gerade für Geldangelegenheiten einen sehr ausgeprägten Sinn, und da er seinen eigenen Vortheil stets im Auge hatte und, wie alle Welt Louise für die dereinstige Erbin der Tante hielt, so beschloß er, sich seine Stellung im Hause und sein vertrauliches Verhältniß zu der alten Dame zu Nutze zu machen und wo möglich das schöne Mädchen für sich zu gewinnen.
Er schritt nun rüstig und guten Muthes auf sein Ziel los, und Anfangs schien ihm auch das Glück zu lächeln. Louise war freundlich und zuvorkommend gegen den vertrauten Freund ihrer Tante. Er war fast der Einzige, dessen Besuch die lange Weile der Abende unterbrach. Wenn sie mit der Tante allein war, mußte sie mit ihr Rapouge spielen, was sie keineswegs zu den angenehmsten Unterhaltungen zählte, oder, was noch schlimmer war, sie mußte ihr Romane vorlesen, welche die alte Dame, die darin einen eigenthümlichen Geschmack verrieth, selbst aus dem Katalog auswählte. Da war z. B. Mistorino's Raubschloß in den Pyrenäen, die Lindenharfe, der breite Blick – o, es war entsetzlich!
Was Wunder, daß Louise, wenn zur Theezeit die Hausglocke ertönte und gleich darauf der Doctor Schönfeld ins Zimmer trat, diesen mit einem freundlichen Lächeln begrüßte, was Wunder, daß sie ihm, wenn er ihr dann ein Buch überreichte, welches sie zu lesen wünschte, mit einem noch freundlicheren Lächeln dankte? Aber was liegt nicht Alles in dem Lächeln eines jungen Mädchens, oder richtiger, was kann man nicht Alles hineinlegen? Es kann sagen: »ich danke, Herr Doctor, Sie sind sehr gütig,« es kann aber auch sagen – – – ja, du lieber Himmel, es kann sehr Vieles sagen – da wird zuletzt der Gescheiteste irre. Genug, daß der Doctor in dem Lächeln Louisens ganz deutlich zu lesen meinte: »ich finde Sie unwiderstehlich liebenswürdig.«
Der Doctor zögerte nicht lange, die Tante zur Vertrauten seiner stillen Wünsche zu machen, und zu seiner großen Freude gab ihm diese zur Antwort, daß sie schon längst seine Neigung für ihre Nichte errathen habe, und daß sie dieselbe billige und gern befürworten werde.
So standen die Sachen, als Madame Altmann sich eines schönen Tages von dem Doctor eine längere Unterredung unter vier Augen erbat, um in einer sehr wichtigen Angelegenheit seinen Rath zu vernehmen. Das kam ihm nun sehr erwünscht, denn er dachte, bei diesem tête à tête auch seine Angelegenheit auf's Tapet zu bringen und hoffte dabei einige kleine Zweifel in Betreff der für Louisen zu erwartenden Erbschaft ein für alle Mal zu beseitigen. Aber ach! gerade dieses tête à tête sollte ihm den Siegeskranz, den er schon in Händen zu haben glaubte, entreißen und alle seine schönen Luftschlösser über den Haufen werfen.
Madame Altmann wollte eine Badereise unternehmen, es war dazu eine größere Geldsumme erforderlich, als ihr gerade jetzt zur Verfügung stand, und diese delicate Affaire ins Reine zu bringen, war der Doctor ausersehen. Hier war es nun unumgänglich nothwendig ihm einen tieferen Blick in ihre pecuniairen Verhältnisse thun zu lassen, und – o weh! – es kamen Dinge ans Tageslicht, von deren Anblick er sich schaudernd abwandte! Das ganze wenn auch sehr bedeutende Einkommen der Tante bestand in einer .... Leibrente!
Leibrente! Giebt es wohl ein fürchterlicheres Wort für einen praktischen Freier, der mit löblicher Klugheit das Nützliche mit dem Angenehmen zu vereinigen strebt und nie an was Anderes gedacht hat als mit der Hand der Braut ein Kapital von wenigstens 300,000 Mark Banco zu bekommen, giebt es, fragen wir, für einen Solchen ein Wort von schrecklicherer Wirkung, als das Wort: Leibrente?
O, Schicksal! Du treibst oft ein grausames Spiel mit uns armen Sterblichen! Wie konntest du den unglücklichen Doctor erst den Gipfel eines Kapitals von 300,000 Mark Banco erklimmen lassen und seine Sinne durch die herrliche Aussicht von dieser schwindligen Höhe bethören, um ihm dann den Boden unter den Füßen hinwegzuziehen und ihn in das leere Nichts einer Leibrente fallen zu lassen?
Doch wir wollen den Leser durch eine umständliche Schilderung der Leiden unseres Doctors nicht erschüttern; genug, daß er, obgleich unläugbar Louisens Reize einen großen Eindruck auf ihn gemacht hatten, auf jeden Gedanken einer Verbindung mit ihr verzichtete, sich das Ansehen eines Verschmähten gab und gegen die Tante und die Eltern des jungen Mädchens dunkle Worte über nicht erwiederte Gefühle und Entsagung fallen ließ, wobei er zu verstehen gab, daß Amors Köcher ja auch Pfeile mit bleiernen Spitzen enthalte. Ja, er verstieg sich sogar zu räthselhaften Andeutungen eines finstern Lebensüberdrusses, und einer Ruhe, die nur im Grabe zu finden sei. Er zog sich von Louisen und der Inhaberin der entsetzlichen Leibrente immer mehr zurück und war bald ein seltener Gast in dem Altmann'schen Hause.
Der Doctor hatte schon damals die zwei kleinen Zimmer bei der Wittwe Pietschmann gemiethet, um so mit der Familie Lüders einen engeren Umgang zu unterhalten, und als nun später jene hassenswerthe Leibrente ihn so plötzlich von seinem geträumten Himmel herabstürzte, war es erst seine Absicht gewesen, sich nach einer anderen Wohnung umzusehen; aber er besann sich eines Besseren, denn er sah jetzt, was ihm bis dahin gänzlich entgangen war, daß Madame Pietschmann sehr feurige, schwarze Augen, angenehme Gesichtszüge und eine allerliebste runde Figur habe, und da es überdies der Zufall so fügte – wir glauben in der That, daß es ein purer Zufall war, daß ihn die Wittwe eines Abends freundlichst ersuchte, ihre Rechnungsbücher ein wenig in Ordnung zu bringen, und er nun die interessante Entdeckung machte, daß ihre Vermögensumstände weit günstiger waren, als er es je vermuthet hatte, so fing er allmählig an, sich über seine fehlgeschlagenen Hoffnungen zu trösten, der Collectrice eine zarte Aufmerksamkeit zu widmen und für ihren lieben Azor, sowie den Kanarienvogel Bibi eine rührende Theilnahme zu erkennen zu geben. Wir möchten dem Doctor übrigens nicht zu nahe treten, indem wir ihn als eine Art Chamäleon hinstellen und beeilen uns daher, dem geneigten Leser die beruhigende Versicherung zu geben, daß seine Liebe oder richtiger Verliebtheit unvermindert dieselbe geblieben, und nur von einer höheren Rücksicht in den Hintergrund gedrängt worden war.
Doch genug von der vita ante-acta des würdigen Doctors Schönfeld.
Am Abende jenes Tages, an welchem die oben mitgetheilte Unterredung zwischen den Lüders'schen Eheleuten und der Madame Pietschmann Statt gefunden hatte, saß Letztere in ihrer kleinen, aber sehr niedlich eingerichteten Wohnstube auf dem Sopha vor dem sorgfältig gedeckten Theetisch. Sie hatte schon zum dritten Mal und immer in anderer Weise die mit goldenen Rändern versehenen Porcellantassen, den zierlichen Rahmguß, die Butterdose, den Brodkorb und die kleinen niedlichen Assietten mit Radieschen, rohem Schinken und Mettwurst symmetrisch geordnet und war so eben im Begriff, dieses Geschäft zum vierten Mal zu beginnen, als nach einem leisen Klopfen die Thür halb geöffnet wurde und der Doctor Schönfeld den Kopf hereinsteckte, indem er in einem lispelnden Tone fragte:
»Ich störe doch nicht, schöne Frau?«
Ein freundliches: »Kommen Sie näher, Herr Doctor,« war die Antwort. Der Doctor trat nun vollends herein.
»Sie wollen mir also erlauben, meinen Thee bei Ihnen zu nehmen?« sagte er.
»Nun, versteht sich,« entgegnete die Wittwe, »wenn es Ihnen Vergnügen macht, Herr Doctor, mir – das wissen Sie ja – ist es immer angenehm. Mein Gott, was hat man auch davon, immer so allein zu sitzen? Einsamkeit bringt Traurigkeit, sagt man. Ach ja, da kommen einem doch manchmal so recht misanthropische Gedanken und so 'ne gewisse Wehmuth beschleicht das Herz, man fühlt sich in der weiten Gotteswelt so einsam und verlassen – nein, das ist Nichts! Da liebe ich mir eine angenehme Unterhaltung mit einem geistreichen Manne – belieben Sie doch Platz zu nehmen, Herr Doctor – das erheitert das Gemüth und bildet den Geist – bitte auf dem Sopha, wenn es gefällig ist – ja, gewiß, für mich ist es ein großer Gewinn.«
»Mir scheint, schöne Frau, daß Sie meine unbedeutende Unterhaltungsgabe zu hoch und die Ihrige viel zu geringe anschlagen.«
»Ach, da muß ich wirklich lachen. Ein Mann, der Philosophie und Poesie, Kunst und Wissenschaft und obendrein noch Politik treibt und das Alles von Grund aus studirt hat, und – so 'ne Gans, wie ich, die sich nur auf häusliche Angelegenheiten versteht. Na, wenn ich mir einbilden wollte, etwas zur Unterhaltung beizutragen, da wäre ich ja wie der Balgtreter, der zum Organisten sagte: heute haben wir einmal wieder hübsch gespielt. Sie kennen wohl die Anekdote?«
»Wenn ich das, was Sie sagen in Bezug auf uns beide deuten dürfte, Madame. – – – –«
»Nun, ich erlaube es Ihnen.«
»So würde ich erwiedern: wie aus dem Zusammenwirken Beider so himmlische, volltönige Harmonien hervorgehen, so möge auch unser wechselseitiger Austausch von Gedanken und Gefühlen zu jenem Einklang der Herzen führen, der keinen Mißton kennt.«
Diese »Deutung« war nun zwar ein wenig bei den Haaren herbeigezogen und auch für Madame Pietschmann nicht allzu schmeichelhaft; aber der Doctor wußte, mit wem er es zu thun habe, sie dankte ihm mit einem holdseligen Lächeln und einem vielsagenden Blick für sein schönes Compliment und meinte, er habe doch göttliche Einfälle.
Der Doctor hatte inzwischen Platz genommen, nachdem er erst der Wittwe einen zierlichen Strauß ihrer Lieblingsblumen, Rosen und Camelien dargereicht hatte, wofür ihn ein abermaliger bedeutungsvoller Blick belohnte. Darauf lockte er Azor an sich, hob ihn behutsam auf den Schooß, fütterte ihn mit Zuckerbrödchen, und erkundigte sich sehr theilnehmend nach dem Befinden Bibi's.
Während das Abendbrod mit gutem Appetit eingenommen wurde, drehte sich das Gespräch um geringfügige Dinge, womit wir den Leser nicht weiter behelligen wollen. Madame Pietschmann sprach mit erstaunlicher Zungengeläufigkeit über die Butterpreise, die immer höher, die Rundstücken, die alle Tage kleiner würden und die Radieschen, die lange nicht mehr so schön wären, wie im Frühjahr.
Ob Madame Pietschmann hinsichtlich der Radieschen Recht hatte, können wir nicht sagen, so viel ist indeß gewiß, daß sie bald bis auf zwei vom Teller verschwunden waren. Diese bot sie ihrem Gaste dar, indem sie hinzufügte, er dürfe nicht nein sagen, sie nehme keinen Korb von ihm an.
»Einen Korb, schöne Frau,« sagte lächelnd der Doctor, »einen Korb, wenn Sie mir ein Paradies reichen?«
»Ein Paar Radies,« wiederholte Madame Pietschmann, »Paradies, ach das ist himmlisch! Gott, was Sie doch geistreich sind, Herr Doctor. Ne, wie können Sie doch nur so köstliche Einfälle haben!«
Der Theetisch wurde nun abgeräumt, wobei der Doctor behülflich war; Madame Pietschmann fand das höchst ergötzlich und meinte, er habe solide Anlagen zum Ehemann. Sie bat ihn dann, eine Cigarre anzuzünden, da sie den aromatischen Duft so unendlich gern habe und es doch gar zu gemüthlich sei, wenn die Herren rauchten. Er erfüllte ihren Wunsch, und beide nahmen ihre Plätze auf dem Sopha wieder ein.
»Und nun erzählen Sie mir etwas, Herr Doctor,« bat die Collectrice, »aber etwas Neues und recht Piquantes, ach, Sie wissen gewiß etwas – Skandalöses – vom Theater – da sind Sie ja wie zu Hause – und das amüsirt mich doch immer am meisten.«
»Ich könnte Ihnen wohl etwas erzählen,« entgegnete der Doctor, »und es ist in der That piquant genug, wenn es auch nicht auf das Theater Bezug hat.«
»Nun gleichviel; erzählen Sie – Speck oder Schweinefleisch, sagt der Küster, mir soll's egal sein.«
»Ich fürchte aber – – – –« sagte der Doctor.
»Ach, nur zu, was haben Sie zu fürchten.«
»Ich möchte nicht gern für schmähsüchtig gelten,« fuhr der Doctor fort und strich die Asche von der Cigarre, »mein Gott, man soll von Niemand Böses reden, die Welt ist ohnehin so medisant – – – –«
»Nun, mir können Sie Alles sagen,« betheuerte die Wittwe, »ich bin verschwiegen wie das Grab, das wissen Sie.«
»Ja, ich weiß es, Madame Pietschmann, und ich gestehe, daß meine Bedenken Ihnen gegenüber sehr am unrechten Orte angebracht sind; aber ich hasse nichts mehr als Klatschereien. Du lieber Himmel, was kümmern uns die Nachbarn, was geht uns ihr Thun und Treiben an? Lassen wir das lieber.«
»Die Nachbarn?« rief Madame Pietschmann, »Sie meinen wohl die abscheuliche Bürstenbinderfamilie hier nebenan?«
»Ach nein, Madame.«
»Dann ist es die coquette Näherin, Fräulein Mitscherling. O, ich errathe – ich hab' es wohl gemerkt, wie der windige Lieutenant, der Zieraffe mit dem aufgewichsten Schnurrbart, der Pflastertreter, der Süßholzraspler mit der weinerlichen Stimme, ihr auf allen Schritten und Tritten nachschleicht und ihr Briefe zusteckt.«
»Sie irren, Madame Pietschmann, die Nachbarn, von denen ich rede, wohnen uns näher.«
»Was? Näher? O, du gütiger Heiland, Sie meinen doch nicht die Familie Lüders, meine Hausbewohner?«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Aber Sie werden es mir sagen, lieber Herr Doctor. Bedenken Sie, es kann mir doch wirklich nicht gleichgültig sein, was unter meinem Dache vorgeht.«
»Das kann es nicht; in der That, es betrifft Sie mit.«
»Also reden Sie, Herr Doctor, Sie spannen mich auf die Folter.«
»Gut, Madame Pietschmann, ich gebe nach, obgleich – das gestehe ich – mit großem Widerstreben. Indeß, wenn ich es recht bedenke, man könnte von der achtbaren Familie vielleicht ein großes Unglück abwenden, wenn man den Eltern bei Zeiten einen Wink gäbe. Allerdings müßte das mit der äußersten Zartheit und Vorsicht geschehen; doch wer verstünde das besser, als Sie.«
»O, jetzt hab' ich's,« fiel ihm die Collectrice ins Wort, »die tugendhafte Ida, die immer so schrecklich schüchtern und zimperlich thut, als hätte sie nie einen Hund aus dem Ofenwinkel hervorgelockt, die hat einen Liebhaber!«
»Fräulein Ida nicht, Madame.«
»Also die schnippische Louise, o, immer besser. So'n Backfisch und schon Liebesabenteuer. Na, was früh zeitig wird, fault bald.«
»In einer Beziehung scheint es mir doch, Sie thun dem Fräulein Unrecht, Madame Pietschmann,« sagte der Doctor, der vielleicht nicht wissen mochte, daß die Wittwe alle jungen Damen, die ihre volle Reife von 35 Jahren noch nicht erreicht hatten, zu den Backfischen zählte, »so sehr jung ist sie in der That nicht mehr.«
»Sie meinen wohl,« entgegnete diese etwas spitzig, »weil das Dämchen schon vor zwei Jahren mit Ihnen eine Liebesintrigue anzuknüpfen versuchte; o, ich hab' ein Vögelchen davon singen hören.«
»Lassen wir das, liebe Madame Pietschmann,« bat der Doctor, »es gehört dies zu den Dingen, die man gern der Vergessenheit übergiebt.«
»Ja, ja, ich weiß schon, man soll so schmerzhafte Wunden nicht berühren,« sagte die Collectrice, »erzählen Sie nur, bitte.«
»Es ist in wenig Worten gesagt,« erwiederte der Doctor nach einem langen Zug aus der Cigarre. »Ich war gestern Nachmittag um einige Stunden früher als gewöhnlich nach Hause gekommen, und da meine Zeit gerade nicht durch pressante literarische Geschäfte in Anspruch genommen war, begab ich mich in den Garten, um einige Ihrer Georginen besser anzubinden. Als ich nun eben um die Ecke der langen Himbeerhecke biegen wollte, bemerkte ich, daß Fräulein Louise in der Laube saß – – –«
»Da sitzt sie jeden Nachmittag,« unterbrach ihn die Collectrice, »und schwärmt in den höheren Regionen.«
»Ich wäre,« fuhr der Doctor fort, »ohne mich um das Fräulein zu kümmern, weiter gegangen, wenn ich nicht in dem nämlichen Augenblicke von der Gartenmauer links, wo die hohen Pappeln stehen, den Namen Louise hätte rufen hören. Ich trat jetzt schnell ein paar Schritte zurück und suchte mir eine Stelle aus, von wo ich durch die Hecke hindurch Alles genau beobachten konnte, ohne selbst bemerkt zu werden.«
»Wie die Männer doch neugierig sind,« fiel ihm die Wittwe mit einem schalkhaften Lächeln ins Wort. »Nennen Sie es nicht Neugierde, schöne Frau; ich dachte sogleich an Sie, und daß es Ihnen von Interesse sein müsse, zu erfahren, was in Ihrem Garten vorgehe. Fräulein Louise schien bei der Nennung ihres Namens durchaus nicht überrascht zu werden. Ich sah vielmehr, wie sie ein wahrscheinlich verabredetes Zeichen gab, und darauf sprang ein junger Mann über die Mauer – – –«
»Ueber die Mauer!« rief Madame Pietschmann in höchster Entrüstung, »heiliger Himmel! wenn das die Bürstenbinderfamilie gesehen hat, oder die alte Zahnarztwittwe, die immer in ihrem Garten mit den paar Nelken und Geranien herumpöschelt – na, das wird ein artiges Getratsch geben!«
»Hoffen wir,« sagte der Doctor beschwichtigend, »daß sie es nicht gesehen haben, liebe Madame Pietschmann. Der junge Mann, nach seinem Anzuge zu urtheilen ein Seemann – – –«
»Was, ein Seemann? Das wird immer schöner. Unter'm Segel ist gut rudern sagt man; na, rudre Du man zu, Jungfer Naseweis!«
»Er eilte auf Fräulein Louise zu, schloß sie in die Arme und –«
»Ohne weiteres? So mir nichts, dir nichts?«
»Er machte in der That sehr wenig Umstände.«
» Daran erkennt man diese Theerjacken. Den Segler am Wimpel, am Geschwätz den Gimpel, das paßt auf beide.«
»Sie wissen jetzt Alles, theuerste Madame Pietschmann. Des Herzens und Küssens war kein Ende. Ich konnte es wirklich nicht über mich gewinnen, diese Liebesscene länger mit anzusehen und ging ins Haus.«
»Die Beiden müssen sich schon seit langer Zeit, und – sehr genau kennen,« sagte die Wittwe, »da sie sich so ungenirt in die Arme sinken.«
»Das ist nicht zu bezweifeln.«
»O, die Heuchlerin, die Komödiantin!« fuhr Madame Pietschmann fort und stemmte die Arme in die Seiten, »wie sie die liebe Unschuld so rührend zu spielen weiß. Thut sie da so fromm und spröde, als wollte sie sagen: ›Tugend ist mein bester Schmuck,‹ und ist dabei so frech wie Galgenholz. Ach es ist entsetzlich! – Wenn ich nur begreifen könnte, warum ihr Matrose – denn was Besseres ist er wohl kaum – über die Gartenmauer gesprungen ist, statt wie andre zweibeinige Creaturen durch das Pförtchen zu gehen.«
»Nun,« entgegnete der Doctor, »wenn man daran gewöhnt ist, an den Wanten, Spieren und Raaen umherzuklettern – – –«
»Ja, alte Gewohnheit soll man nicht brechen, sagt das Sprichwort. Ach, Herr Doctor, es ist doch eine schreckliche Welt, in der wie leben.«
»Was beabsichtigen Sie in dieser Angelegenheit zu thun, beste Madame Pietschmann?«
»Ei, das liegt auf der Hand, den Eltern werde ich morgen die saubere Geschichte erzählen.«
»Um des Himmels willen nicht, Madame; Sie versprachen mir die strengste Verschwiegenheit.«
»Aber, lieber Doctor, soll ich denn mein Haus in Verruf kommen lassen?«
»Gewiß nicht, es muß etwas geschehen, aber vor Allem muß ich Ihnen die äußerste Vorsicht empfehlen.«
»Hm, das ist ganz gut, Vorsicht ist die Mutter des Porcellanschranks, wie man zu sagen pflegt – was rathen Sie mir?«
»Lassen Sie uns die Sache erst gründlich untersuchen, die zwei Liebenden einige Tage heimlich beobachten, und dann müssen wir den Eltern Gelegenheit geben, selbst die wichtige Entdeckung zu machen, doch – verstehen Sie mich recht, Madame Pietschmann – ohne daß wir die gehässige Rolle der Angeber zu spielen scheinen.«
»Das ist ein göttlicher Gedanke, Doctor; Sie wissen doch immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ja, so ist's recht. Wir bringen heraus, zu welcher Zeit die Rendezvous Statt finden und locken dann im rechten Augenblick unter irgend einem Vorwande die Eltern in den Garten, damit sie mit eigenen Augen sehen, was vorgeht; wir aber haben nichts gewußt, nichts verrathen.«
»Sie verstehen mich, wie ich sehe, vollkommen,« erwiederte der Doctor, »indeß würde ich auch zu diesem Vorschlag mich nicht verstanden haben, wenn es mir die Freundschaft, welche ich für Sie hege, nicht zur Pflicht machte, und wenn ich nicht jedes Unglück zu verhindern wünschte, welches die arme Familie Lüders bedroht.«
Es wurde nun eines Weiteren berathen, wie man »den Schlichen der Mamsell Louise« auf die Spur kommen könne, und der ehrenwerthe Doctor empfahl sich darauf seiner Wirthin. Diese hielt nach seinem Weggehen noch einen langen Monolog, in welchem sie sich mit tugendhafter Entrüstung über die Schlechtigkeit der Welt überhaupt und die Heuchelei und das Frommthun der Backfische insbesondere erging, während der Doctor sich an sein Schreibpult setzte, um, wie er der Collectrice gesagt, für den »Beobachter« eine Kritik über die letzte Aufführung der Oper »Stradella« zu entwerfen; in Wirklichkeit aber, um auf einen Bogen Papier eine Unmasse von Zahlen zu kritzeln und das Facit seiner Berechnung in ein Notizbuch einzutragen.