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III.

Es liegt nicht in unserer Absicht, Hugo in die tropischen Regionen Südamerikas zu begleiten und ihm dort, und Gott mag wissen wo sonst, durch alle Wechselfälle eines abenteuerlichen Lebens zu folgen. Dem geneigten Leser möge es genügen, vorläufig von ihm zu erfahren, daß er auf der Reise nichts besonders Merkwürdiges erlebte, daß er, wie jeder Andere, der zum ersten Mal die See befährt, Anfangs dem Neptun reichliche Opfer darbrachte, sich dann allmählich an das Schaukeln der »Anna Maria« gewöhnte und endlich wohlbehalten in Rio de Janeiro anlangte, wo er, wie ihm sein Onkel vorhergesagt, von Herrn Grube freundlich aufgenommen wurde.

Wir bitten vielmehr den freundlichen Leser, sich gefälligst über einen Zeitraum von zehn Jahren hinwegzudenken; wir können es ihm getrost zumuthen, denn er ist daran gewöhnt; er weiß, daß der Verfasser mit Zeit und Raum einen ähnlichen Hokuspokus treibt, wie der Taschenspieler mit den Kugeln oder Geldstücken, die er uns in die Hand drückt, und die dann, der Himmel möge wissen wie, plötzlich verschwunden sind. Erst befremdet uns das Ding, aber wir sehen es so oft, wissen ja auch, daß das Alles nicht durch Hexerei, sondern nur durch die bloße Geschwindigkeit geschieht, und so finden wir es am Ende ganz in der Ordnung.

Also auch ohne Hexerei und nur mittelst der bloßen Geschwindigkeit haben wir ein ganzes Decennium plötzlich hinter uns und kehren nach diesem gelungenen Jongleurkunststück zu der Familie Lüders zurück. Aber wir treffen sie nicht mehr in dem schönen Hause am Jungfernstieg, auch nicht in der freundlichen Wohnung an der Blankeneser Chaussee, ach nein, die für uns so schnell entflohenen zehn Jahre haben ihnen Kummer, Verdruß, peinliche Verlegenheiten, manche trübe Tage und schlaflose Nächte gebracht, haben endlich in ihren Verhältnissen eine totale Umwälzung hervorgerufen. Sie sind nicht mehr die reichen Leute von ehedem, besuchen und geben keine splendide Diners und Soupers, fahren nicht mehr im eigenen eleganten Wagen, halten keine beplüschte Bedienten; der ganze Zauber von Pracht und Reichthum, der sie damals umstrahlte, ist verschwunden, und wir finden sie in höchst beschränkten Umständen lebend in einem kleinen Häuschen jenseit Altona, in einer engen Gasse des Fleckens Ottensen. Wir könnten hier die Worte Hugo's wiederholen: sic eunt fata hominum!

Was eigentlich den Verlust ihres Reichthums herbeigeführt, ob ungünstige Geld-Conjuncturen, ob allzu gewagte Speculationen, oder – was uns das Wahrscheinlichste dünkt – eine zu große Verschwendung – wir wissen es nicht; denn der sehr lange Abschnitt in dem Manuscripte des ehrlichen Lempke, der hierüber Auskunft giebt und den wir dem Leser, der sich darüber eines weiteren belehren will, gern zur Verfügung stellen, war uns – Herr Lempke möge uns unsere Offenherzigkeit nicht übel nehmen – wirklich zu langweilig, als daß wir seiner Jeremiade eine besonders große Aufmerksamkeit hätten widmen mögen.

Sei dem übrigens, wie ihm wolle; wir können dem Leser die Versicherung geben, daß wenn auch die jetzigen äußeren Verhältnisse der Familie Lüders von den früheren durchaus verschieden sind, sie selbst sich völlig gleich blieben. Sie sind noch immer das gemüthliche Ehepaar von damals, sie sind gegen Jedermann freundlich und gefällig, verplempern ihr Geld, wenn sie welches haben, grämen sich nicht übermäßig, wenn sie keines haben, und leben sorglos und stillzufrieden in den Tag hinein. Jedoch, wenn wir sagten, sie seien sich völlig gleich geblieben, so müssen wir diesen Ausdruck – um ihnen nicht Unrecht zu thun – modificiren, denn sie zeigen nicht mehr jene vornehme Haltung und haben alle Großthuerei bei Seite gelegt, ihre angeborne Gutmüthigkeit wird nicht mehr durch tausend Rücksichten auf ihre eigene ungeheure Wichtigkeit eingeengt, sie geben sich, wie sie sind, schlicht und einfach, und erscheinen dadurch weit liebenswürdiger als zuvor.

Und die Töchter? Ja, über die ließe sich gar Vieles sagen; doch wir werden die beiden Mädchen bald von Angesicht zu Angesicht sehen und können uns also hier jede nähere Beschreibung ersparen.

Das Haus, in welchem unsre Freunde jetzt zur Miethe wohnen, ist ein kleines zweistöckiges Gebäude, nett gehalten und von freundlichem Aussehen. Die Familie Lüders hat das untere Stockwerk inne, während die Hausbesitzerin, Madame Pietschmann, das obere bewohnt.

Es ist Nachmittag und die Uhr schlägt so eben fünf. Das ist die Stunde, zu welcher Madame Lüders und ihre Hauswirthin gewöhnlich beisammen sitzen, eine Tasse Kaffee trinken und die Familien- und Hausangelegenheiten, sowie die Stadtneuigkeiten vertraulich besprechen. Herr Lüders ist dann immer in Geschäften außer dem Hause – er treibt jetzt einen kleinen Handel mit Steinkohlen und Holz – Ida giebt Stunden in einer Mädchenschule, und Louise nimmt, wenn das Wetter schön ist, ihr Nähzeug mit in den Garten, setzt sich in die große, schattige Laube und überläßt sich während der Arbeit ihren Träumereien.

Wir wollen das Haus betreten und den Leser daselbst ein wenig orientiren. Was sich zuerst unserer Aufmerksamkeit darbietet, ist die Hausflur; sie ist hell, geräumig und mit Sandsteinfliesen belegt. Die rechts befindliche Treppe führt hinauf in die Wohnung der Wittwe Pietschmann; man sieht es an der nach oben zeigenden Hand und den darunter befindlichen Worten. »Aufgang zur Lotterie-Collection,« denn Madame Pietschmann ist Collectrice der Hamburger Lotterie und mithin, wie jeder Vorurtheilsfreie gern einräumen wird, eine Person von Bedeutung. Die Thür neben der Treppe ist verschlossen, und wir werden uns hüten, sie zu öffnen, denn sie führt in das Zimmer der beiden jungen Mädchen; aber es befindet sich eine andre, jener gegenüber, und durch diese können wir in das Wohnzimmer treten. Es ist nett, aber im Ganzen höchst einfach meublirt, wenn wir auch hie und da, z. B. durch die verblichenen seidendamastenen Ueberzüge des Sopha's und der Stühle, die Fenstervorhänge von gleichem Stoffe, die kostbare Tafeluhr und die für das Zimmer unverhältnißmäßig großen Spiegel an den früheren Reichthum der Familie erinnert werden. Das Ganze macht einen angenehmen Eindruck von Ruhe und Behaglichkeit, den jene großen, prachtvollen Salons in Hamburg nicht hervorriefen.

Madame Lüders erkennen wir sogleich wieder. Sie hat sich nicht sehr verändert, nur ist sie etwas weniger corpulent, und die Zeit hat ihre Haare gebleicht. Madame Pietschmann aber ist dem Leser unbekannt und wir müssen sie ihm mit ein paar Worten vorführen. Sie ist eine Frau von fünf- bis sechsunddreißig Jahren – behauptet aber, sie sei erst achtundzwanzig – hat sehr rundliche Formen, lebhafte Augen, eine kleine Stulpnase und ein starkes Doppelkinn, besitzt noch viele Spuren ihrer früheren Schönheit und kann, wenn man es nicht gar zu genau nehmen will – noch immer für eine recht hübsche Frau gelten, wofür sie denn auch, im Vertrauen gesagt, sich selbst hält.

Wenn wir noch hinzufügen, daß sich Madame Pietschmann, wo ihre Eitelkeit nicht ins Spiel kam, als sehr gutmüthig erwies, daß sie immer die Wahrheit sprach, wenn es ihr nicht etwa besonderen Vortheil brachte, sich einer kleinen Nothlüge zu bedienen, daß sie nicht über die Grenze des Erlaubten hinaus mit ihrem Dienstmädchen zankte und von ihren Nachbarn nur Gutes sagte – wenn sie ihr nämlich in allen Dingen den Willen thaten – und endlich, daß ihr ein endloser Wortschwall, so wie ein unerschöpflicher Vorrath von Sprichwörtern zur Verfügung stand, der sich nicht immer den Regeln der Logik fügte, so glauben wir, dem Leser vor der Hand ein genügendes Bild von ihr entworfen zu haben.

Die beiden Frauen saßen am Fenster einander gegenüber. Zwischen ihnen stand ein kleiner Tisch, und auf diesem das Kaffeegeschirr. Madame Lüders hatte eine Häkelarbeit in der Hand, Madame Pietschmann dagegen einen Strickstrumpf von beträchtlichen Dimensionen, an dem sie hin und wieder mit bemerkenswerthem Eifer arbeitete, um ihn gleich darauf in den Schoß sinken zu lassen. Beide sprachen dabei fleißig dem dampfenden Kaffee zu.

»Lassen wir es gut sein, Madame Lüders,« sagte die Collectrice, das begonnene Gespräch fortsetzend, oder richtiger, ein schon hinlänglich erörtertes Thema fallen lassend, und begann den Strickstrumpf mit größter Schnelligkeit zu bearbeiten, »lassen wir es gut sein, bis Ihr Mann kommt; der wird mir gewiß Recht geben, davon bin ich überzeugt.«

»Sie werden sehen, beste Madame Pietschmann, daß er es nicht thun wird. Bedenken Sie doch das viele Geld! ach, es ist nicht mehr wie in früherer Zeit; ja, damals konnten wir uns solche unnöthige Ausgaben erlauben; aber jetzt! Nein, nein, er wird es nicht thun.«

»Ja, wenn es eine unnöthige Ausgabe wäre,« entgegnete die Collectrice, »aber, wie gesagt, lassen wir das; wir beide werden ja doch nicht einig. Apropos, um von etwas Anderem zu sprechen,« fügte sie hinzu und ließ den Strickstrumpf sinken, »wer, glauben Sie wohl, hat mir das Knäuel aufgewickelt?« Sie legte dieses – es war von ziemlicher Größe und nach allen Regeln der Kunst gewickelt – mit einem schelmischen Lächeln vor Madame Lüders auf den Tisch. »O, das errathen Sie ihr Lebtag nicht.«

»Nun, das wäre doch wohl möglich,« erwiederte Madame Lüders, gleichfalls lächelnd, »wer erzeigt Ihnen denn alle Tage so viele zarte Aufmerksamkeit? wer bringt Ihnen die schönsten Bouquets? Wer hält Ihren Garten in Ordnung? Wer füttert Ihre Tauben? Wer anders als Ihr Zimmerherr, der – – –«

»Ach, schweigen Sie doch, Madame Lüders,« unterbrach sie die Collectrice, ergriff ihre fast leere Tasse und schwenkte sie etliche Male, um den unten befindlichen Zucker mit dem letzten Schluck einzuschlürfen, »vor Ihnen, sehe ich wohl, kann man kein Geheimniß bewahren. Nun, warum sollt' ich es Ihnen nicht auch gestehen? Die Wahrheit leidet keinen Schimpf, sagte der Bäcker, als man ihn Mehldieb schalt. Ja, der Herr Doctor hat mir gestern Abend nach dem Thee das Knäuel aufgewickelt. Ach, wie mußte ich lachen, als er so vor der Garnwinde saß! – Nein, es ist doch zu drollig, wenn man einen Herrn so was thun sieht, es steht ihnen gar so possirlich! Ich mußte wahrhaftig an den seligen Pietschmann denken; der verstand solche Frauenzimmerarbeiten aus dem F. F.«

»Der Herr Doctor nimmt wohl immer seinen Thee bei Ihnen?« fragte Madame Lüders und warf ihrer Hauswirthin einen schelmischen, forschenden Blick zu.

»Immer nicht,« war die Antwort der Collectrice, die sich über diesen Punkt nicht ungern ausfragen ließ, »immer nicht, aber sehr oft – wenn er Zeit hat. Ach du lieber Gott, er sitzt da so einsam in seiner Stube und ich so mutterseelen allein in der meinigen, warum sollten wir uns nicht mitunter Gesellschaft leisten? Sein Abendthee, sein Morgenkaffee, sein zweites Frühstück, das Alles ist ja, wie Sie wissen, mit in der Zimmermiethe bedungen, nur nicht das Mittagsessen; darauf wollte ich mich doch nicht einlassen, denn, sehen Sie, Madame Lüders – – –«

»Wenn er Zeit hat, sagten Sie,« fiel ihr Madame Lüders ins Wort, »was thut er denn sonst des Abends?«

»Was er thut? Na, du Jemine, was so'n gelehrter Herr thut? Er schreibt ja für die öffentlichen Blätter, so was über Kunst, Gelehrsamkeit, oder gar Politik – was weiß ich – das sind mir böhmische Dörfer. Mitunter liest er mir etwas davon vor; und das kann ich Ihnen sagen, wenn man es auch nicht versteht, es hört sich doch gar zu angenehm an. Das fließt nur so von der Zunge weg, wie geschmolzene Butter – Stilistik nennen sie das, sagt der Doctor; und – hören Sie – bezahlen thut sich die Stilistik ganz famos. Das wird Alles louisd'orweise honorirt; so und so viele Zeilen gehen jedesmal auf einen Louisd'or; und – das kann ich Ihnen versichern, Madame Lüders, die Herren Scribenten rechnen nicht dreizehn auf das Dutzend. Ja, das nenne ich mir ein Geschäft; Gott ehre das Handwerk, sagte der Schinder zum Richter. Wenn der Herr Doctor so schreibt – ein paar Mal hab' ich's mitangesehen – na, ich sage Ihnen – das geht, wie geschmiert – im Handumdrehen ist'n Louisd'or nur so heruntergeschrieben.«

»Ja, ja,« sagte Madame Lüders mit einem bedeutsamen Lächeln, indem sie die leeren Tassen wieder vollschenkte, »mit dem Herrn Doctor wird es doch so kommen, wie ich schon lange vermuthet habe; und warum nicht auch, er ist ja ein solider, ehrenwerther Mann von angenehmen Aeußeren, und wenn er jeden Tag so viele Louisd'ore verdient –«

»Ach, gehen Sie; ich muß wirklich lachen, wenn ich Sie so sprechen höre,« sagte die Collectrice mit niedergeschlagenen Augen und einer Miene, die Verschämtheit ausdrücken sollte, »du gütiger Himmel! weil er mir einige Aufmerksamkeit erzeigt, – das haben meine Zimmerherrn immer gethan, kann ich Ihnen versichern.«

»Weil Sie noch immer eine junge hübsche Frau sind, Madame Pietschmann....«

Die zwei kleinen Wörter »noch immer« hätte Madame Lüders lieber weglassen sollen, denn sie klangen nicht sehr angenehm in den Ohren der Collectrice.

»Nun, Gott sei Dank«, entgegnete sie etwas piquirt, » noch bin ich so frei, mich mit Ihrer gütigen Erlaubniß zu den Jungen zu zählen, noch hab' ich, so viel ich weiß, keine Runzel und keine grauen Haare« .... wie Sie, hätte sie gerne hinzugefügt, doch ließ sie es nur durch das Eintreten einer kleinen Pause errathen, die ihren Redestrom unterbrach. »Aber«, fuhr sie fort, »um wieder auf den Doctor Schönfeld zu kommen, er ist wirklich ein höchst respectabler Mann, das muß ich schon sagen. Sie sollten nur sein Zimmer sehen, Madame Lüders, und seine Bücher und seine Wäsche – Alles so nett gehalten, Alles wie aus dem Ei geschält. Und nun erst seine Liebe zu meinen Thieren! Ich sag' immer, wenn ein Mensch die Thiere liebt, so muß er ein gutes Herz haben. Wie ging er nicht neulich so zart und behutsam mit meinem Kanarienvogel um! – es war ordentlich rührend! Er litt, mit Respect zu sagen, an Indigestion – der Kanarienvogel nämlich – und da goß er dem süßen kleinen Geschöpf mit einer Federspule ein paar Tropfen Oel in den Schnabel, und das mit einer Zärtlichkeit und Sorgfalt, als hätte er es mit einem kleinen Kinde zu thun.«

»Nun, wer weiß,« sagte Madame Lüders schelmisch lächelnd, »was nicht ist, kann....«

Die Collectrice unterbrach diese zarte Anspielung, indem sie der Madame Lüders erst einen tüchtigen Patsch auf ihren dicken Arm applicirte und ihr dann die Hand auf den Mund legte.

»Wenn Sie nicht endlich ihre Neckereien lassen,« sagte Madame Pietschmann, »so werde ich ernstlich böse.« Aber sie machte nichts weniger als ein böses Gesicht, brach vielmehr in ein helles Kichern aus, als sei das doch im Grunde ein köstlicher Spaß, und ließ dann die Stricknadeln mit erstaunlicher Schnelligkeit arbeiten. »Und wie gut er gegen meinen Azor ist,« fuhr sie fort, »dem bringt er jeden Tag ein Zuckerbrödchen mit. Azor! Azor! komm mein Püppchen, sollst ein Stück Zucker haben.«

Azor, ein alter, dicker Mops mit einer Miene, in welcher sich der finsterste Lebensüberdruß aussprach, watschelte, als er von Zucker reden hörte, schwerfällig herbei; aber es geschah in einer Weise, die deutlich zu erkennen gab, er halte es eigentlich tief unter seiner Würde, so eitlen Genüssen nachzugehen, und thue es nur aus besonderer Gefälligkeit. Dann ließ er sich von seiner Herrin auf den Schoß heben, stieß sich dabei die Schnauze an den Stricknadeln, wälzte sich heulend auf dem Rücken und verwickelte sich endlich dermaßen in das Strickgarn, daß es erst nach vieler Mühe mit Hülfe der Madame Lüders gelang, ihn wieder zu befreien. Nachdem dies glücklich bewerkstelligt war, und Azor dabei zu verschiedenen Malen beide Damen wüthend in die Finger gebissen hatte, was aber nicht weh that, denn er hatte keine Zähne mehr, empfing er endlich das versprochene Stück Zucker; aber er verschluckte sich daran und bekam einen heftigen Anfall von Husten, der sich erst dann legte, als er einigen Rahm zu sich genommen, den ihn Madame Lüders auf einer Untertasse credenzte. Als sich so sein Zustand bedeutend gebessert hatte und zu keinen weiteren ernstlichen Besorgnissen Veranlassung gab, wurde er behutsam auf den gepolsterten Schemel gesetzt.

»Du lieber Himmel,« begann die Collectrice wieder, »das süße Thier erinnert mich doch immer an den seligen Pietschmann. Susse, sagte er oft – Sie müssen wissen, er nannte mich nie Susanne, sondern Susse – Susse, sagte der selige Mann – ach er fühlte schon sein Ende herannahen – es war kurz, ehe der liebe Gott ihn in seiner letzten schweren Krankheit zu sich rief – Susse, sagte er, hüte mir den Azor wie Deinen Augapfel und versprich mir heilig und theuer, ihm nicht so viel Fett zu geben, damit er nicht räudig wird. – Ach, Madame Lüders, wenn ich an die Zeit zurückdenke – –.« Die würdige Collectrice hielt den Strickstrumpf vor die Augen und überließ sich für einen Moment ihren schmerzlichen Erinnerungen.

»Uebrigens ist es doch merkwürdig,« fuhr sie dann fort, »ja, wenn ich's so recht bedenke, ist es wirklich merkwürdig, daß der selige Pietschmann so ganz und gar Ihrer Ansicht war, Madame Lüders.«

»Meiner Ansicht?« fragte diese.

»Ja, ja, Ihrer Ansicht,« sagte die Collectrice. »Der selige Pietschmann – er war Korbmacher, wie Sie wissen – Gott verzeih' ihm die Sünde – rieth mir immer – nach seinem Tode – doch einmal wieder zu heirathen. ›Du bist jung und hübsch, Susse‹ sagte er,« – diese Worte betonte sie, als wolle sie der Madame Lüders zu bedenken geben, der selige Pietschmann habe nicht »noch immer« gesagt – »›Du bist jung und hübsch‹ – ja, das waren seine Worte, ›und eine Wittwe hat einen schweren Stand. Die Korbmacherei ist kein Geschäft für Dich,‹ sagte er, ›gieb sie auf, verschaffe Dir eine Collection, die kannst Du allein bestreiten, brauchst keine Leute, denen Du immer auf die Finger sehen mußt – und dann Susse – wenn sich ein honnetter Mann finden sollte, der in Ehren um Dich wirbt – sieh, ich denke ja nur an Dein wahres Wohl – und wenn Du ihn wieder lieben kannst, so sei keine Närrin,‹ sagte er – rast' ich, so rost' ich, sagt der Schlüssel – na, Du verstehst mich.«

»Und so ein honnetter Mann hat sich jetzt in der Person des Doctors Schönfeld gefunden, wollen Sie doch sagen, Madame Pietschmann?«

»Das wollt' ich eigentlich nicht sagen, Madame Lüders; du lieber Gott, heirathen in Eile, bereut man in Weile, drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet, sagt Göthe. – Aber man soll auch nichts verschwören – und sollte sich's einmal so machen – ich spreche nicht vom Doctor – aber man trägt ja doch ein fühlendes Herz im Busen – und...«

Hier wurde der Redefluß der Madame Pietschmann durch das Klingeln der Hausglocke unterbrochen, und gleich darauf trat Herr Lüders in das Zimmer.

»Ach, wie schön, daß Sie kommen!« rief ihm die Collectrice entgegen. »Sie sind mit wahrer Sehnsucht erwartet worden – das heißt, von mir – denn Sie sollen mir helfen, Ihre Frau zur Raison zu bringen. Hier, Herr Lüders, müssen Sie sitzen, dicht neben mir, damit Sie mir nicht auskommen. Da haben Sie Ihren Lehnstuhl, und wenn Sie recht artig sind, bekommen Sie auch eine Tasse Kaffee.«

Die lebhafte Frau hatte während dieser Worte dem Herrn Lüders Hut und Stock abgenommen und den besagten Lehnstuhl dicht neben den ihrigen gerollt. Sie ergriff jetzt den Arm ihres Miethsmannes und zog ihn auf denselben nieder.

»Ich soll meine Frau zur Raison bringen?« sagte Herr Lüders, »ist sie etwa rebellisch geworden?«

»Ja, es ist mit ihr gar kein Auskommen mehr; sie will keine Vernunftgründe annehmen.«

»Was muß ich von Dir hören, Annette?«

»Aber ich sagte,« fuhr die Collectrice fort, »ich sagte: lassen wir es gut sein, bis Herr Lüders kommt, das ist ein einsichtsvoller Mann, der mit sich reden läßt, und er wird mir gewiß Recht geben. Und nun hören Sie, warum es sich handelt.«

»Sie haben mich ganz neugierig gemacht, Madame Pietschmann.«

»Also, kurz und gut, Sie sollen ein Loos in meiner Collecte nehmen.«

Ein langgedehntes »Bah!« entfuhr bei dieser Eröffnung Herrn Lüders.

»Nichts bah,« sagte die Collectrice, »es ist kein gewöhnliches Lotterieloos, das ich Ihnen aufdringen will; ich weiß ja aus Erfahrung, daß es unmöglich ist. Aber, sehen Sie Herr Lüders –« hier rückte Madame Pietschmann ihren Stuhl noch näher an den seinigen heran – »ich hab' mir nun einmal in den Kopf gesetzt, Sie als reichen Gutsbesitzer zu sehen, und dabei bleibt's.«

»Mich als Gutsbesitzer zu sehen? Sie sind in der That sehr freundlich; aber, meine liebe Madame Pietschmann..... «

»Lassen Sie mich erst ausreden; nachher haben Sie das Wort. Also« – Madame Pietschmann legte ihre weiche, runde Hand vertraulich auf den Arm des Herrn Lüders – »Sie werden davon gehört haben, daß das große Rittergut Buchenthal da unten in Hannover in der Hamburger Lotterie ausgespielt wird. Es sind nur 25,000 Loose, das Loos zu 20 Thaler. Nun sage ich so: Eins von den 25,000 Loosen muß gewinnen, die Chancen sind für Alle gleich, und da können Sie accurat eben so gut der Glückliche sein, wie Peter oder Paul. Sie kennen das Sprichwort: Das Glück kommt von ungefähr, wohl über neunzig Meilen her; das paßt hier wie gegossen.«

»Ach,« sagte Herr Lüders mit einem tiefen Seufzer, »bei mir hat sich ein andres Sprichwort bewährt: Glück und Glas, wie bald bricht das.«

»O, warum nicht gar, sagen wir lieber: Glück und Gras, wie schnell wächst das. Hören Sie, Herr Lüders, und seien Sie nun einmal recht vernünftig. Ich setze den Fall, der Himmel wolle Ihnen als Ersatz für so viel erlittenes Ungemach plötzlich ein großes, glänzendes Glück bescheren, und Sie wieder zu einem steinreichen Mann machen. Nun sagen Sie aber selbst, wie Kuckuck sollte der Himmel das anfangen?«

»Ja, das mag der Himmel wissen, Madame Pietschmann; durch meinen Holz- und Steinkohlenhandel geschieht es wahrhaftig nicht, und Wunder geschehen heut zu Tage ja leider nicht mehr.«

»Da haben wir's; das sind ja justement meine Worte. Also man muß, wie es recht und billig ist, dem Himmel zu Hülfe kommen. Wer immer die Hände in den Schooß legen und warten will, bis ihm die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, ja, der kann lange warten.«

»Da haben Sie freilich Recht.«

»Na, ob ich Recht habe; ich hab' immer Recht, und,« setzte sie mit einem pfiffigen Lächeln hinzu, »im Vertrauen gesagt, ich hab' auch so meine kleinen Kennzeichen, die niemals trügen. Ich seh' es den Leuten an den Augen ab, ob Fortuna sie favorisiren will; das thut die lange Praxis. Lassen Sie mich einmal in Ihre Augen sehen,« hier rückte Madame Pietschmann dem in die Enge getriebenen Lüders noch näher, so daß er unwillkürlich seinen Stuhl ein wenig zurückschob. »Ja,« lachte die Collectrice, »da steht es ganz deutlich geschrieben: Rittergutsbesitzer, Herr eines ungeheuren Vermögens; gewiß, Buchenthal gehört Ihnen, Herr Lüders, die Sache ist so gut wie abgemacht!«

»Ach, beste Madame Pietschmann, so was kommt nicht zu unser Einem.«

»Unser Einem? Was heißt unser Einer? Wissen Sie denn nicht, daß einmal in meiner Collecte 25,000 Thaler gewonnen wurden? Und von wem wurden sie gewonnen? Etwa von einem Grafen oder Baron? Pah! von einem miserablen Lichtgießer. Den armen Tropf hätte beinahe der Schlag getroffen, als ich ihm die Nachricht brachte; ja, ja, ein Mensch kann vor Freude alle Zustände bekommen. Aber, als er sich wieder erholt hatte, na, da hätten Sie das Halloh sehen sollen; er fiel mir um den Hals und drückte und küßte mich, daß ich laut aufschreien mußte.«

»Nun, darauf können Sie sich auch bei mir gefaßt machen, Madame Pietschmann,« sagte Herr Lüders lachend, »wenn ich das Gut gewinne, geb' ich Ihnen einen Kuß, Sie mögen wollen oder nicht.«

»Ei, Sie sind doch ein lockerer Zeisig,« entgegnete die Collectrice, verschämt kichernd, und zupfte ihn sanft an dem Ohrläppchen; »mir so was in Gegenwart Ihrer Frau sagen, Sie Don Juan, Sie! Aber, im Ernst, eh' es so weit kommen kann, müssen Sie doch ein Loos nehmen.«

»Was kostet denn ein Loos?« fragte unschlüssig Herr Lüders.

»Wie ich Ihnen gesagt habe, 20 Thaler.«

»Puh, das ist viel Geld,« stöhnte der arme Mann.

»Viel Geld für ein Rittergut, das unter Brüdern seine 3 bis 400,000 Thaler werth ist? Na, mir scheint, es ließe sich hören, sagte der Taube. Bedenken Sie doch: ein herrschaftliches Wohnhaus, prachtvolle Parkanlagen, Treibhäuser, 1200 Tonnen Acker- und Wiesenland, 600 Tonnen Wald, 300 Stück Vieh, 32 Pferde und – was weiß ich – kurz und gut ein fürstliches Besitzthum für lumpige 20 Thaler! Ja, wenn Sie das Geld nicht hätten; na, nichts haben, Ruh' haben, sagt das Sprichwort; aber Sie haben es, und so laß ich Ihnen keine Ruhe. Ist nicht wieder das Geld eingetroffen, das Ihnen jedes Quartal so wie vom Himmel heruntergeschneit kommt? – Entschuldigen Sie, daß ich mich in Ihre Angelegenheiten mische; aber wir sprechen hier von Geschäften, und da muß man es mit der Discretion nicht so schrecklich genau nehmen. Haben Sie nicht wieder einen Wechsel bekommen?«

»Allerdings.«

»Und woher kommt das Geld – ja, es ist freilich unbescheiden, so zu fragen, aber Sie wissen, Herr Lüders, daß ich an Allem, was Sie betrifft, den lebhaftesten Antheil nehme – und wenn Sie mir es sagen wollten – – – –«

»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, Madame Pietschmann; denn ich weiß es selber nicht. Alles, was ich Ihnen darüber mitzutheilen vermag – und warum sollt' ich ein Geheimniß daraus machen – ist, daß ich nun seit zwei Jahren jedes Quartal aus London einen Wechsel auf das Banquierhaus Wilkens und Compagnie in Hamburg empfange. Die Wechsel sind von einem reichen Handelshause in London ausgestellt, mit welchem ich aber, als ich selbst noch reich war, nie in Verbindung stand. Ich hab' mir alle Mühe gegeben, zu erforschen, wer mein anonymer Wohlthäter ist, aber vergeblich; und ich kann mir die Sache nicht anders erklären, als durch die Annahme, daß meine früheren Geschäftsfreunde in Hamburg zusammenschießen, um mir auf diese delicate Art eine Unterstützung zufließen zu lassen, deren ich leider nur zu sehr bedarf.«

»Nun gut,« fuhr die unermüdliche Collectrice fort, »so erkläre auch ich mir die Sache; und jetzt kommt mein Hauptargument. Glauben Sie mir, Herr Lüders, Geld, welches man auf diese Weise erlangt, bringt mehr Glück und Segen, als alles andre. Es ist ein Fingerzeig vom Himmel, den man nicht unbeachtet lassen darf. Darum sträuben Sie sich nun nicht länger. Hier hab' ich noch einige Loose – halt! – wo sind sie denn? Ich hatte sie doch in die Tasche gesteckt. Na, da hab' ich sie – eins, zwei, drei; das ist eine Glückszahl. Und jetzt schließen Sie die Augen – Fortuna ist blind, wissen Sie – und ziehen Sie eines heraus.«

Herr Lüders schloß nicht die Augen, sondern sah nach seiner Frau hin, die während dieses Gesprächs ruhig mit ihrer Häkelarbeit beschäftigt gewesen war.

»Was sagst Du, Annette?« fragte er. »Wollen wir es darauf ankommen lassen?«

»Thu', was Du willst, Andreas,« entgegnete sie, »es geht ja am Ende nicht ans Leben; ein Verlust von 20 Thalern macht uns nicht viel ärmer, als wir sind.«

»Brav!« rief Madame Pietschmann , »das nenne ich vernünftig gesprochen. Also, Herr Lüders, Augen zu und gezogen!«

Herr Lüders schloß sie seufzend und zog eines der ihm dargereichten Loose.

»Das wär' also abgemacht,« sagte er kleinlaut, »ich zahle Ihnen später das Geld.«

»O, damit hat's keine Eile.«

»Aber jetzt,« schloß Herr Lüders, »da ich hübsch artig gewesen bin, bitte ich mir auch die versprochene Tasse Kaffee aus.«



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