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XV.
Die grosse Chirurgie.

116. Allgemeines.

Ein Capitel, das von der grossen Chirurgie der uncivilisirten Volksstämme handelt, kann, wie sich das wohl von selbst versteht, nur eine sehr geringe Ausdehnung besitzen. Denn es muss uns ja nur mit Verwunderung erfüllen, dass sich über diesen Gegenstand überhaupt etwas berichten lässt.

Wir stehen hier einem Probleme gegenüber, dessen Lösung wohl kaum je gelingen wird. Ueberrascht uns bei den Naturvölkern gewöhnlich die Indolenz, selbst schweren Erkrankungen gegenüber, wofür nur eine ihnen innewohnende hochgradige Unkenntniss der normalen und pathologischen Lebensvorgänge die einzige Erklärung zu bieten scheint, so liegen wiederum andererseits wohlbeglaubigte Fälle von Operationen vor, welche überhaupt nur erdacht werden können, wenn die Vorstellungen von dem anatomischen Bau des Körpers und von den physiologischen Eigenschaften seiner einzelnen Organe doch schon ziemlich hochentwickelte sind, immerhin, wie wir es nur gestehen wollen, höhere, als wir sie unter den civilisirten Nationen selbst bei gebildeten Laien voraussetzen dürfen. Ausserdem gehört zu diesen Operationen ein nicht unbedeutender chirurgischer Muth und ein Vertrauen auf das eigene Können, das durch die unvermeidlichen Schwierigkeiten, welche bei jedem grösseren operativen Eingriff unvorhergesehen hervortreten können, sich auch nicht in dem geringsten Maasse aus der Ruhe und Fassung bringen lässt.

Wie dieses Räthsel zu lösen ist, vermögen wir, wie gesagt, bisher noch nicht anzugeben. Wir stellen hier nur diese merkwürdige Thatsache fest und wir wollen sofort dazu schreiten, an der Hand der uns vorliegenden Berichte die chirurgischen Maassnahmen der Naturvölker einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Das, was für den Chirurgen natürlicher Weise in allererster Linie in Frage kommen muss, das ist die Behandlung seiner Stammesgenossen, wenn sie eine Verwundung erlitten haben. Darum wollen wir die Besprechung, wie diese Leute die Wunden behandeln, auch den übrigen Dingen vorausgehen lassen.

117. Die Wundbehandlung.

Ueber die Wundbehandlung der Naturvölker sind die uns zur Verfügung stehenden Nachrichten nicht sehr ausgiebig. Es hat den Anschein, als wenn sie im Ganzen sehr wenig Umstände damit machen. Sie verlassen sich dabei wahrscheinlich auf ihre glückliche Heilfähigkeit, die diese Naturkinder fast ausnahmslos vor den civilisirten Nationen auszeichnet. Und so bekümmern sie sich entweder gar nicht um ihre Wunden, wie die Flathead-Indianer, die Süd-Australier und die Eingeborenen von Neu-Guinea, oder sie bedecken sie mit einer Art von Kataplasmen, die aus allerlei Blättern oder aus dem saftigen Baumbast gefertigt werden. Dieses letztere Verfahren wird von den Karok- und von den Dacota-Indianern, von den Süd-Californiern, den Eingeborenen von Tanembar und den Timorlao-Inseln und dem Seranglao- und Gorong-Archipel, sowie von den Aschanti angewendet.

Die Leute von Selebes legen frische Blätter auf und das Gleiche wird uns von den Samoanern, von den Mincopies auf den Andamanen, sowie von den Singhalesen, den Tamilen und den Weddah auf Ceylon berichtet. Dass die Letzteren es von den Singhalesen gelernt hätten, haben wir, wie früher schon betont worden ist, durchaus nicht nöthig, anzunehmen, da, wie wir eben gesehen haben, auch andere Völker dasselbe Verfahren selbstständig erfanden.

Die Karayá in Brasilien bestreuen die Wunde mit Kohlenpulver, und die Engano-Insulaner bedecken sie mit warmer Asche und mit erhitzten Baumblättern. In Wunden der Kopfhaut blasen die Samoaner den Rauch von verbranntem Wallnussholz. In Süd-Californien sind auch Salben gebräuchlich, in Alaska Pflaster aus Cedernharz, und in Süd-Australien wird die Wunde bisweilen mit einem Thonklumpen zugeklebt, Auch die Harrarî wenden bei Brandwunden medicamentöse Pflaster an.

Die Australneger in Victoria sollen, wie gesagt, die Wunden aussaugen, und sie setzen das so lange fort, bis kein Blut mehr entleert werden kann. Kommt auf diese Weise nur wenig Blut aus der Wunde heraus, dann glauben sie, dass nicht Alles richtig sei. Dann bringen sie den Patienten in eine solche Lage, die ihrer Meinung nach den Abfluss des Blutes befördern muss, und durch Compression der gegenüber liegenden Theile suchen sie denselben auch noch zu unterstützen. Führt das aber Alles noch nicht zum Ziel, dann sondiren sie die Wunde mit einem scharfen Instrument, das sie aus einem Knochen gefertigt haben. Wenn die Wunde sich völlig gereinigt hat, so legen sie einen Harzklumpen darauf. Sie haben aber ein gutes Verständniss für die schädliche Wirkung verhaltener Wundsekrete, und wenn in dieser Beziehung nicht Alles in Ordnung ist, so machen sie die Wunde wieder auf.

Die Central-Amerikaner pflegen die Wunden zu cauterisiren, um Entzündungen vorzubeugen.

Die Dacota und die benachbarten Indianer-Stämme sorgen nicht selten durch eingelegte Wieken von weichem Baumbast für den Abfluss des Eiters, und sie benutzen sogar ein besonderes Verfahren, um die Wunden auszuspritzen. Hierzu bedienen sie sich dann einer Blase oder Federspuhle, welche die Funktion der Spritze übernehmen müssen.

Die Opoates-Indianer sind dafür berühmt, ausgezeichnete Wundbalsame anzufertigen. Rosmarin ist in denselben ein sehr gebräuchlicher Bestandtheil. Wasser verbieten sie ihren Verwundeten streng, aber sie haben für dieselben mehrere vegetabilische Tränke.

Ausserordentlich selten begegnet man dem Versuch, die Wunden sofort zum Verschluss zu bringen. Allerdings wird von südaustralischen Stämmen berichtet, dass sie zuweilen eine Art Compressiv-Verfahren anwenden, um die Wundränder einander zu nähern. Um so bemerkenswerther ist daher die Angabe Schoolcraft's, dass die Indianer der Vereinigten Staaten bisweilen Schnittwunden mit Fäden aus Lindenbast oder aus den langen Schenkelsehnen von Thieren zunähen und die Suturen nicht vor dem sechsten Tage entfernen. Auch Felkin sah eine Wundnaht in Central-Afrika, durch welche der Leib nach einem glücklich ausgeführten Kaiserschnitte geschlossen wurde. Es war eine Sutura circumvoluta (Fig. 157). Auch bei der Infibulation der Mädchen im nordöstlichen Afrika wird bisweilen eine Naht angewendet.

Die Winnebago-Indianer lassen eine böse Wunde fast niemals prima intentione heilen, sondern sie halten sie sorgfältig offen, dass sie von unten herauf heilen kann.

Fig. 157. Vernähte Bauchwunde einer Frau in Uganda, bei welcher der Kaiserschnitt ausgeführt war. Nach Felkin.

Unter dem uns vorliegenden chirurgischen Materiale der Indianer haben wir auch Höhlenwunden angetroffen. Ein Indianer-Häuptling hatte einen Stich vorn zwischen der vierten und fünften Rippe erhalten, der ihm die Brusthöhle öffnete. Eine reichliche Blutung war eingetreten.

»Schliesslich in einem heftigen Hustenanfall blieb ein Lappen der Lunge in der Wunde stecken. Dieses Ereigniss stillte die Blutung, setzte aber die Facultät des Dorfes in Verlegenheit. Eine Consultation wurde abgehalten, in welcher entschieden wurde, dass die Lunge nicht reponirt werden dürfe, um fernerem Blutverluste vorzubeugen, und dass das herausgetretene Stück der Lunge abgeschnitten, gekocht und von dem Häuptling gegessen werden müsse. Das wurde in verabredeter Weise ausgeführt, Granulationen bildeten sich unverzüglich auf der Schnittfläche der Lunge, der Process der Eiterung in der äusseren Wunde begann sofort nach Befreiung der strangulirten Lunge, welche an ihren Platz in der Brust zurückkehrte. Die Hautdecken schlossen sich über dem Intercostalraum, aber die Muskelsubstanz blieb verlagert,« sodass eine Lungenhernie entstand, die bei jedem Hustenstosse sich stark hervorwölbte.

Ein anderer Indianer hatte zwei Tatzenschläge von einem Grizzly-Bären erhalten. Der eine ging ihm links über das Gesicht, hatte ihm Ohr und Wange zerrissen und das linke Auge vernichtet. Der andere hatte ihm an zwei Stellen die linke Thoraxhälfte eröffnet. Blut und Luft drang daraus hervor.

Als man ihn auffand, hielt man ihn für todt. Er wurde in seine Hütte getragen, und in eine solche Lage gebracht, dass Blut und Eiter frei aus der Brust ausfliessen konnten. Seine Wunden wurden emsig mit schleimigen Decocten gewaschen und in wenigen Monaten war er im Stande, die Reise nach der Agency at Sault Ste. Marie zu unternehmen.

Ueber eine perforirende Bauchwunde bei einem Weddah auf Ceylon liegt uns ein Bericht von Baker vor. Der Weddah wurde auf einer Jagd plötzlich von einem grossen Eber überrascht. Dieser stellte sich sofort, und der Weddah ging mit Bogen und Pfeilen zum Angriff vor. »Aber kaum hatte er die Bestie verwundet, als er mit grosser Wuth attackirt wurde. In einem Augenblick war der Eber an ihm und im nächsten Moment lag der Weddah auf dem Boden mit seinen Eingeweiden aussen. Glücklicher Weise war ein Begleiter mit ihm, welcher die Eingeweide zurückplacirte und ihn verband. Ich sah den Mann einige Jahre später; er war völlig wohl, hatte aber eine schreckliche Geschwulst vorn am Bauch, welcher quer durchzogen war von einer breiten blauen Narbe von ungefähr 8 Zoll Länge.«

Ob hier von dem Gefährten eine Bauchnaht angelegt wurde, geht aus dieser Geschichte nicht hervor. Immerhin aber müssen wir dem Erfolge der Operation unsere volle Anerkennung zollen, obgleich, wie das bei der Schwere der Verletzung nicht überraschen kann, ein grosser Bauchbruch (die »schreckliche Geschwulst«) sich ausgebildet hatte.

118. Die Behandlung der Schusswunden.

Wohl muss es uns verwunderlich erscheinen, dass wir so wenig darüber erfahren, wie sich die uncivilisirten Völker mit ihren Schusswunden abzufinden pflegen. Bei ihren Kämpfen mit Bogen und Pfeil, mit dem Wurfspiess und mit dem europäischen Gewehre kann es an derartigen Verletzungen doch nicht fehlen. Und dennoch finden wir in den uns zu Gebote stehenden Berichten dieselben nur ganz vereinzelt erwähnt.

Aus den Pfeilwunden saugen, wie wir früher schon sagten, die Opoates-Indianer in Mexico sobald wie möglich das Blut heraus. Dann streuen sie Peyote-Pulver ein. »Nach zwei Tagen wird die Wunde gereinigt und mehr von demselben Pulver applicirt; diese Operation wird jeden zweiten Tag wiederholt und schliesslich wird gepulverte Lechugilla-Wurzel angewendet. Bei diesem Vorgehen werden die Wunden, nachdem sie vollständig geeitert haben, geheilt. Aus den Blättern der Maguey, Lechugilla und Date-palm, wie von dem Rosmarin machen sie ausgezeichnete Balsame zur Heilung von Wunden. Sie haben verschiedene vegetabilische Substanzen, um den Durst verwundeter Personen zu löschen, während Wasser als schädlich betrachtet wird.«

Von den Dacota-Indianern wird angegeben, dass sie die Schusswunden meist der Natur überlassen. Und so scheint es auch dem 42 Jahre alten Kiowa-Häuptling Sitamore ergangen zu sein, der in einem Gefechte mit den Pawnee-Indianern einen Pfeilschuss in die rechte Hinterbacke erhielt. Der Schaft wurde herausgezogen, die eiserne Pfeilspitze aber konnte nicht entfernt werden, weil sie zu tief in den Körper eingedrungen war. Unmittelbar nach der Verletzung entleerte der Kranke blutigen Urin. Seine Wunde heilte und sechs Jahre hindurch vermochte er wieder die Büffel zu jagen. Dann zwangen ihn zunehmende Urinbeschwerden, die Hülfe eines amerikanischen Militärarztes aufzusuchen. Dieser fand einen sehr grossen Blasenstein, den er durch einen glücklich verlaufenden Seitensteinschnitt extrahirte. Der Stein war eiförmig, aus Triplephosphaten bestehend, und enthielt als Kern die vier Centimeter lange Pfeilspitze. Er ist in dem amerikanischen Kriegsberichte abgebildet.

Geschickter pflegen die Winnebago-Indianer mit den Schusswunden umzugehen.

»An erster Stelle reinigen sie die Wunde vollständig, und wenn es ein Gewehrschuss ist, so extrahiren sie, wenn es ausführbar ist, die Kugel, dann setzen sie den Mund auf die Wunde und extrahiren durch lange fortgesetztes Saugen geronnenes Blut und fremde Stoffe, welche in die Wunde hineingekommen sein mögen; danach machen sie Verbände, um die Entzündung zu mildern und Eiterung hervorzurufen. Gemeinsam mit der guten Constitution unterstützt gewöhnlich das Temperament des Kranken die Heilung. Die Indianer verlassen sich, wenn sie verwundet sind, selber auf ihre Widerstandskraft und sie ertragen Entbehrungen und Schmerzen, ohne an den nervösen Erregungen zu leiden, welche häufig die Genesung der Weissen verzögern.«

Die Karok-Indianer verschliessen ihre Pfeilschusswunden mit dem Theer von der Pinus edulis.

Bowditch führt von den Aschanti an, dass Schusswunden an den Extremitäten gewöhnlich bei ihnen zum Tode führen, sobald ein Knochen zerschmettert ist, oder ein grosses Blutgefäss zerrissen wurde. Im letzteren Falle tritt der Tod durch Verblutung ein, weil sie es nicht verstehen, das blutende Gefäss zum Verschluss zu bringen.

Das chirurgische Können der Eingeborenen in dem Gebiete des Quango scheint dagegen ein wesentlich Höheres zu sein. Wolff berichtet von seiner Expedition dorthin:

»Unterwegs hatte ich Gelegenheit, die chirurgische Kunst der Neger zu bewundern. Einem Neger war im Kriege durch eine Kugel das Schienbein zerschmettert worden; zu ihm gerufen, fand ich den Unterschenkel in einem festen gefensterten Verbände, der, aus an einander gebundenen Binsenstäben verfertigt, sich oben an dem Knie und unten an den Knöcheln stützte. Er stellte das gebrochene Glied fest und übte zugleich eine Extension aus, that also Alles, was wir von einem festen Verbande verlangen können. Gegenüber der Wunde war der Verband ausgeschnitten, damit der Eiter und das Wundsekret abfliessen konnte.«

Die Mincopies auf den Andamanen pflegen die Schusswunden mit Blättern zu verbinden; und von den Samoanern hören wir durch Turner: »Um einen mit Widerhaken versehenen Speer aus dem Arm oder dem Bein zu ziehen, schneiden sie das Glied an der entgegengesetzten Seite ein und stossen ihn gerade durch. Amputation wird nie ausgeführt.«

119. Die Blutstillung.

Das Stillen von Blutungen macht den Naturvölkern meist sehr erhebliche Schwierigkeiten. Für gewöhnlich wissen sie gar nichts damit anzufangen. Die Haidah-Indianer und diejenigen von Alaska benutzen zur Blutstillung Adlerdaunen, die Dacota- und Winnebago-Indianer wenden pflanzliche und mineralische Styptica an, und die Karayá in Brasilien verstehen sich sogar auf das Abbinden der Glieder. Auch die blutstillenden Pulver einiger nordamerikanischer Indianer-Stämme werden in der Weise angewendet, dass die blutende Wunde vollkommen mit ihnen ausgestopft wird und dass sie ausserdem noch durch eine fest herumgelegte Binde das Bulver an seiner Stelle zu halten suchen. Es ist also sicherlich der circuläre Druck, der bei dieser Art der Blutstillung besonders wirksam ist.

Die Eingeborenen von Manahiki oder der Humphreys-Insel in der Südsee wenden gegen Blutungen aus Venen oder Arterien Verbände mit dem schwammigen Kerne einer alten Cocosnuss an.

In Marokko ist das Abhacken von Gliedmaassen als Justizmaassregel im Gebrauch. Durch circuläre Umschnürung des Stumpfes sucht man der Blutung Herr zu werden. Wenn das aber nicht zum Ziele führt, so steckt man die Wunde in heisses Pech.

Wenn in Mittel-Sumatra Jemand verwundet ist, und man kann das ausströmende Blut nicht stillen, dann glauben sie, dass der Palãsieq, ein dämonischer Mensch, an der Wunde gesogen habe und dass sie dadurch unheilbar wird und dass der Verletzte daran sterben müsse.

Von den Südsee-Insulanern, und zwar von den Eingeborenen von Tahiti, Samoa, Tonga und den Loyalitäts-Inseln berichtet Ella, dass sie eine plumpe Art von Tourniquet in Anwendung ziehen, um den Versuch zu machen, starke Blutungen zum Stehen zu bringen. Dazu benutzen sie zahlreiche Lagen von der Tapa, dem einheimischen Kleiderstoff, welcher aus der Rinde des Papiermaulbeerbaumes gefertigt wird.

Um starkes Nasenbluten zu stillen, wird von den Indianern Nord-Amerikas feingepulverte und heissgemachte Kohle in die Nasenlöcher hineingestopft, Die Harrarî haben Medicamente, welche sie dabei in die Nase einschlürfen.

Wenn ein Kind auf Nias Nasenbluten hat, so ist das für den Vater eine Strafe, weil er während der Schwangerschaft seiner Frau ein Schwein geschlachtet hat. Um das Nasenbluten zu stillen, ist er dann gezwungen, dem Adú Fano'o ni amaho'o ein Opfer zu bringen.

120. Das Glühen.

Einer ganz ausserordentlichen Beliebtheit erfreut sich die Cauterisation. Die Behandlung mit heissen Blättern und mit heisser Asche sind ja eigentlich schon in dieses Gebiet zu rechnen. Davon war oben bereits die Rede.

Die Mincopies auf den Andamanen wenden zur Erleichterung der Beschwerden bei Hautkrankheiten eine Form des Glühens an. Sie nehmen einen grossen, flachen Stein, erwärmen denselben sorgfältig am Feuer und legen ihn dann auf den befallenen Körpertheil.

Aber auch noch energischere Cauterien werden dabei herangezogen. Das finden wir bei den Choctaw-Indianern und bei den Indianern von Nicaragua. Die Letzteren werden durch diese Procedur nur in geringem Grade angegriffen. Bei den Bilqula wird die Cauterisation mit Schiesspulver oder mit Baumrinde ausgeführt.

Die Twana-, Chemakum- und Klallam-Indianer wenden die Cauterisation zur Bekämpfung rheumatischer Affectionen an. Auch sie benutzen dazu die Cedernrinde, häufig aber auch ein rothglühend gemachtes Eisenstück.

Auf den Gilbert-Inseln ist nach Finsch das Cauterisiren durch Auflegen kleiner Stückchen glimmender Cocusnussschale gebräuchlich.

Auch hartnäckige Geschwüre pflegen einige Indianer-Stämme Nord-Amerikas mit dem Cauterium actuale zu behandeln, und die Süd-Californier legen bei frischer Syphilis eine glühende Kohle auf die indurirte Stelle, um sie so zur Heilung zu bringen.

Als eine Art der Cauterisation müssen wir natürlicher Weise auch die Behandlung der Wunden und Blutungen mit heisser Asche und erhitzten Blättern betrachten, und dass die Indianer in Central-Amerika die Wunden direct cauterisiren, das wurde oben schon gesagt. Auch ist bereits die prophylaktische Cauterisation der Fullah in West-Afrika besprochen worden.

In Marokko ist das Cauterisiren eine sehr gewöhnliche Maassnahme. Es werden hierzu besondere Glüheisen (Fig. 158) gebraucht, die in einem irdenen Kohlenbecken erhitzt werden. Ein kleiner Handblasebalg dient dazu, die Gluth gehörig anzufachen. Drei Formen von Glüheisen sind hier im Gebrauch, ein messerförmiges, ein spatenförmiges und ein münzenförmiges. Man sieht auf den marokkanischen Märkten, sowie in Tunesien und in Tripolis, die Heilkünstler in ihren dachförmigen Wanderzelten sitzen, mit den Glüheisen zu sofortiger Anwendung bereit. »Man brennt, sagt Quedenfeldt, nicht allein Wunden und Geschwüre aus, sondern rückt auch einer schlecht geheilten Verrenkung, Rheumatismen, Magencatarrhen, kurz allen rebellischen Krankheiten, sogar Milz- und Lebertumoren damit zu Leibe. Der Operateur erhält eine Okîa (Unze, ungefähr fünf Pfennige) für das Brennen als geringstes Honorar; Reiche aber zahlen bis zu einer Peseta, und im Falle, dass das Glüheisen post hoc oder propter hoc Heilung gebracht, geben sie noch einen Hammel, ein Paar neuer gelber Lederschuhe und dergleichen drauf.«

Fig. 158. Glüheisen aus Marokko. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach Photographie.

Ganz ähnlich klingen die Schilderungen, welche Moore von der ärztlichen Thätigkeit der Eingeborenen von Radschputana entwirft. Hier scheinen sich besonders die Bheels eines hervorragenden Vertrauens zu erfreuen. Das bei den verschiedenartigsten innerlichen und äusseren Leiden in Anwendung gezogene Glüheisen, der Dhag, ist gewöhnlich ein am Ende abgeflachtes Eisenstück, welches in dem Augenblick auf die Haut aufgesetzt wird, wenn es stark rothglühend geworden ist.

In einigen Gegenden von Radschputana, nämlich in den Districten der Bheels, wird häufig die Application des Glüheisens als Specialität von einem Weibe betrieben. Die Brandschorfe werden linienförmig, kreuzweise oder in der Form eines Rostes angelegt, oder auch fleckweise, von der Grösse eines Zwei-Anna-Stückes bis zu der einer Rupie. Gebrannt wird alles, was eine Anschwellung macht, sei es eine entzündliche Schwellung, ein Tumor, eine Cyste, eine Hernie oder ein verrenkter Schulterkopf. Diese unvorsichtige Anwendung des Glüheisens richtet vielfach erheblichen Schaden an. So war z. B. eine Hydrocele auf diese Weise zur Verjauchung und der Testikel zur Gangrän gebracht. Die Zahl der applicirten Glüheisen richtet sich nach der Grösse der Geschwulst. Einen lipomatösen Tumor hat Moore mit fünfzig Brandschorfen bedeckt gesehen.

Auf chinesischem und japanischem Gebiet wird das Glüheisen durch die Moxa ersetzt. Wir haben früher schon hiervon gesprochen. Sie war vor wenigen Jahrzehnten in etwas energischerer Form auch bei uns noch im Gebrauch und bedarf hier keiner näheren Beschreibung.

An den milden Reiz der japanischen Moxen erinnert ein Verfahren der Mincopies auf den Andamanen: »Bei Phthisis oder wenn irgend ein inneres Organ erkrankt ist, so werden von den Freunden des Kranken Schritte gethan, um die Machinationen des bösen Geistes, dem die Leiden des Opfers zugeschrieben werden, zu Nichte zu machen. Zu diesem Zwecke werden ein oder mehrere Knochen-Halsbänder (Fig. 62) erst fest auf der Stelle des Schmerzes befestigt, darauf wird ein Stück Bienenwachs tô-bul-pîd über ein Feuer gehalten, bis es tropft, und dieses wird dann auf das Fleisch schnell applicirt. Das anhaftende Wachs wird nicht entfernt, aber es fällt in einigen Tagen von selber ab.«

Fig. 159. Fig. 160.

Fig. 159. Krankentragstuhl, Sumatra. Nach van Hasselt.

Fig. 160. Stuhl für einen gelähmten Knaben, Sumatra. Nach van Hasselt.

Erwähnen müssen wir aber noch, dass auch auf Tahiti, Samoa, Tonga und den Loyalitäts-Inseln das Glüheisen bisweilen angewendet wird. Auf Tonga und Samoa wird es manchmal auch durch eine zerquetschte Weinrebe ersetzt, deren scharfer Saft dem Aetzkali nicht unähnlich wirkt, Ella sah sie bei einer Lähmung der Beine anwenden. Der Kranke collabirte mehr in Folge dieser Behandlung, als durch seine ursprüngliche Krankheit.

121. Knochenbrüche und Verrenkungen.

Dass die uncivilisirten Völker sich auch mit Knochenbrüchen und Verrenkungen beschäftigen müssen, das ist bei ihrer Lebensweise selbstverständlich. Der Mechanismus der Luxationen scheint ihnen aber nur selten zu vollem Bewusstsein zu gelangen. Wenigstens sind unsere Nachrichten hierüber von einer überraschenden Dürftigkeit. Bei den Hindu und bei den Marokkanern wird, wie gesagt, auch gegen diese Verletzung mit dem Glüheisen vorgegangen, und sogar die inveterirten Fälle hoffen sie auf solche Weise zu heilen. Die Aschanti mischen den Brei einer bestimmten Pflanze mit Pfeffer und legen ihn auf das verrenkte Glied.

Fig. 161. Kranken-Tragbahre der Maori, Neu-Seeland. Nach Thompson-Longmore.

Ueber eine Einrenkung nach den Regeln der Kunst fand ich nur eine einzige Angabe. Dieselbe stammt von der Insel Nias. Man hält daselbst ausschliesslich solche Personen für befähigt, Luxationen wieder einzurenken, welche mit den Füssen voran geboren worden sind. Allerdings ist es anderen Leuten erlaubt, den für die Einrenkung nothwendigen Zug an dem luxirten Gliede auszuüben, aber nur diese durch die Eigenart ihrer Geburt Bevorzugten dürfen mit ihren Händen den Rücktritt des verrenkten Gelenkkopfes in die Gelenkhöhle dirigiren.

Ein geschicktes Einrichten und Bandagiren gebrochener Gliedmaassen wird uns von verschiedenen Naturvölkern berichtet. Sie benutzen zu diesem Zwecke für gewöhnlich Schienen, welche sie aus Holz oder aus Baumrinde fertigen und die durch sorgfältig angelegte Bandagen an dem frakturirten Gliede befestigt werden. Das wird namentlich von vielen Indianer-Stämmen gemeldet von der Nordwestküste an bis südlich zu den wilden Stämmen Brasiliens. Ihre Befähigung ist aber nicht gleich, denn während man z. B. von den Creeks und von den Winnebagos die geschickte Handhabung derartiger Verbände rühmend hervorhebt, werden die ihnen benachbarten Dacota als ungeschickt im Anlegen von Schienen bezeichnet.

Die Schienen sind von Holz oder von Binde, Letzteres z. B. bei den Bilqula-Indianern. Einige Stämme lassen die Verletzten in dem Schienenverbande liegen, bis die Consolidation der gebrochenen Knochenenden erfolgt ist. Die Heilresultate bei einigen nordamerikanischen Indianer-Stämmen werden als nicht sehr günstige geschildert, weil sie es unterliessen, die nothwendige Extension anzuwenden.

Auch die Eingeborenen von Manahiki oder der Humphreys-Insel verstehen sich auf das Anlegen von Schienenverbänden bei Knochenbrüchen, und die Mincopies auf den Andamanen legen auch hierbei Blätterverbände an.

Die Winnebago-Indianer wagen sich aber sogar an die complicirten Fracturen heran. Diese sowohl, als auch die einfachen Knochenbrüche bandagiren sie nach erfolgter Einrichtung mit Schienen, und sie binden dann die Extremität in extendirter Lage fest. In dieser Verfassung muss der Verletzte verbleiben, bis die Fragmente sich vereinigt haben.

Von den Hindu-Aerzten in Radschputana berichtet Moore, dass sie zwar die gebrochenen Glieder mit Bambusstücken schienen und bandagiren, dass sie aber keine Reposition der verschobenen Fragmente vornehmen und dass daher sehr häutig eine Unbrauchbarkeit des Gliedes entsteht. Auch werden die Bandagen oft zu fest angelegt, und in Folge dessen sieht man Druckgeschwüre gar nicht selten.

Die Eingeborenen der Insel Nias bandagiren das gebrochene Glied mit einem Baumwollenstoff oder mit dünn und weich gemachter Baumrinde. Wenn Schmerzen eintreten oder Entzündung, so wird das Glied mit dem ganzen Verbände zur Kühlung in einen frisch ausgehöhlten Bananenstamm gelegt, welcher je nach Bedürfniss mehrmals gewechselt wird. Nach dem Verlaufe von vier Wochen entfernen sie den Verband, weil sie den Glauben haben, dass in diesem Zeitraum die Heilung glücklich erfolgt sein müsse. »Wenn dann das Glied von Neuem bricht, oder wenn der Patient lahm bleibt, so wird die Schuld nicht dem Arzte zugeschrieben, denn, wie sie sagen, wer kann sehen, was im Inneren eines Menschen vorgeht!«

Am originellsten und für uns überraschendsten ist unstreitig die Behandlungsmethode eines im Uebrigen besonders tief stehenden Volkes, nämlich der Eingeborenen von Süd-Australien. Auch hier werden zwar von einigen Stämmen die Fracturen geschient, aber bei einigen Anderen werden die Glieder nach erfolgter Geradestreckung in eine Umhüllung von Thon eingebettet. Dieser erhärtet dann und schützt die Bruchenden vor erneuter Verschiebung.

Bei einem Knaben, welcher durch einen Sturz vom Pferde eine Fractur des Kiefers erlitten hatte, bedeckten sie sein ganzes Gesicht mit einer dicken Maske von Thon. Die Heilung war eine ausgezeichnete. In einem Falle hatten sie einem verunglückten Manne den gebrochenen Schenkel mit Schienen und Bandagen verbunden. Als sie ihn dann aber zu dem Lager der Seinigen bringen wollten, nahmen sie ihm den Schienenverband ab und ersetzten denselben durch solch einen Verband von erhärtendem Thon. Auch hier war die Heilung eine vollkommene, ohne eine Spur von Difformität oder Lahmheit zurückzulassen.

122. Der Krankentransport.

Es wird vielleicht am passendsten sein, wenn wir an dieser Stelle gleich folgen lassen, was wir über den Krankentransport der Naturvölker erfuhren, van Hasselt fand bei der niederländischen Expedition nach Mittel-Sumatra für die Beförderung der Kranken und Verletzten Hängematten im Gebrauch, welche meistens aus Baumrinde hergestellt werden. Man benutzt dort aber auch einen besonderen Stuhl (Fig. 159), der nach Art einer sogenannten Kraxen, wie sie bei uns in den Alpen gebräuchlich sind, auf dem Rücken getragen wurde. Auf einem ähnlichen Stühlchen (Fig. 160) wurde auch ein sechsjähriger Knabe getragen, welcher angeblich durch den Dämon Isjtanah vollständig lahm war. Der Stuhl hat eine kleine Lehne, einen schmalen Sitz, und die schräg nach hinten gerichteten vorderen Füsse stützen sich gegen die hinteren Füsse des Stuhles.



Fig. 162. Kranken-Tragbahre der Dacota-Indianer. Nach Schoolcraft.

Von den Maori auf Neu-Seeland wird eine Art Hängematte zum Transporte benutzt, welche sie mit dem Namen Amoo (Fig. 161) bezeichnen. Sie hängt an zwei parallelen Tragestangen, welche auf den Schultern der Träger ruhen und vorn und hinten durch ein Querholz verbunden sind. Zu den Stangen benutzt man passende Baumäste, und das Netzwerk der Hängematte improvisirt man aus dem wilden Flachs, welcher fest und haltbar ist, eine Höhe von mehreren Fuss erreicht und überall wächst. Diese Tragen sind so practisch befunden, dass sie auch von den weissen Occupationstruppen adoptirt worden sind. Uebrigens gilt das Letztere auch von den verschiedenen Arten der Hängematten und Trageeinrichtungen, wie sie im Himalaya und von den verschiedenen Stämmen Indiens in Anwendung gezogen werden.

Die Dacota- und Winnebago-Indianer construiren für ihre Verwundeten in sehr geschickter Weise Sänften (Fig. 162), und sie kommen damit schneller zu Stande, als das bei den Weissen der Fall zu sein pflegt.

»Zu diesem Zwecke nehmen sie zwei Stangen, 4 oder 5 Fuss länger, als die zu befördernde Person, und legen sie parallel auf die Erde 2 oder 3 Fuss von einander entfernt. Quer darüber in passender Entfernung werden zwei kurze Stangen gelegt, rechtwinklig zu den ersten und hier mit ledernen Riemen festgebunden. Ueber die Stangen wird ein Blanket oder ein Büffelkleid gelegt, das ausgespannt und in gleicher Weise festgebunden wird. Hierauf wird der Kranke gelagert. Zwei Tragriemen werden nun an die Enden der langen Stangen gebunden, in der Weise, dass, wenn die Träger zwischen ihnen stehen, die Mitte des Riemens fest oben auf ihrem Kopfe liegt, und sie bequem mit den Händen die Enden der Stangen fassen können. Wenn sie aufbrechen, so kauert sich eine Person an jedem Ende der Trage nieder, und wenn sie den Riemen über ihren Kopf gelegt haben, fassen sie mit den Händen die Stangen und richten sich auf, wenn nöthig, von einigen Beistehenden unterstützt, und dann brechen sie auf und halten Schritt mit einander, und auf diese Weise werden Kranke und Verwundete manchmal sicher viele Meilen an einem Tage befördert in einer Gegend ohne irgend einen Weg für Wagen oder Pferde.« Bisweilen werden auch, wenn es das Terrain gestattet, die beiden Träger durch zwei Pferde ersetzt.

123. Amputationen.

Lassen sich die uncivilisirten Völker auch auf Amputationen ein? Das ist eine Frage, deren Erörterung wir noch zu unternehmen haben. Ueberall dort, wo man uns berichtet, dass die Eingeborenen weder von der Behandlung schwerer Wunden, noch auch von einer Stillung der Blutung irgendwelche Ahnung besitzen, werden wir es nicht erwarten können, dass sie sich an Amputationen wagen. Ja, sogar von solchen Volksstämmen, welche in Bezug auf ihr chirurgisches Können immerhin schon eine leidliche Entwickelungsstufe erstiegen haben, wird es uns manchmal ausdrücklich berichtet, dass sie Amputationen nicht unternehmen. So hören wir von den Creek-Indianern, dass sie niemals amputiren. Das Gleiche gilt von den Winnebago-Indianern, und der Berichterstatter fügt hinzu: »Ihre Praxis lehrt, dass die Amputation nicht immer nothwendig ist, wenn die weissen Chirurgen dieses erklären.«

Den Dacota-Indianern wird nachgesagt, dass sie »selten« ein Glied amputiren. Wir müssen hieraus die Folgerung ziehen, dass es doch bisweilen vorkommen muss.

Ein Insulaner der Loyalitäts-Insel Uvea wollte sich von einem Panaritium befreien. Er holte einen Meissel aus der Werkstatt, setzte ihn auf den Finger und liess durch einen Hammerschlag sich von einem Freunde den Finger amputiren. Es musste eine Nachamputation gemacht werden.

Die Amputation der einen oder beider Hände wird, wie bekannt, bei manchen Stämmen als eine Scharfrichteroperation zum Zweck der Bestrafung ausgeführt. Quedenfeldt berichtet, dass in solchen Fällen oft mit heissem Pech die Blutung gestillt wird. Wir hatten das oben bereits erwähnt. Wahrscheinlich dürfen wir aber auch annehmen, dass in diesen Ländern, wo man hier und da den glücklichen Ausgang einer solchen Strafamputation zu beobachten vermag, man wohl auch bei Zerschmetterungen der Finger und Hände ein ähnliches Verfahren versuchen wird.

Corre sah einen Fullah vom Rio Nuñez, dem man wegen Diebstahls die Hand abgehackt hatte. Der Amputationsstumpf war »très régulier« und in vollkommenster Weise vernarbt.

Capello und Ivens erzählen von ihrer Reise in das Yacca-Gebiet von West-Afrika, dass Fälle von amputirten Schenkeln bei den Negern gewöhnlich waren, veranlasst durch die Zerstörungen, welche der Sandfloh in ihren Unterextremitäten hervorgebracht hatte. Die Schwarzen »hatten es zugelassen, die Beute dieses schlimmen Insektes zu werden, so dass dann schliesslich jegliche Behandlung, abgesehen von der Amputation, unmöglich ist, weil der befallene Theil buchstäblich von den Thieren wimmelt«. Es geht aus dieser Angabe nicht mit Sicherheit hervor, wer denn nun die Amputation ausgeführt hat; ob sie von den Negern unternommen wurde, oder ob die armen Leute von Europäern amputirt worden sind.

Fig. 163. Fetisch von Benguela ( Central-Afrika) mit einem Nabelbruch. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach Photographie.

Krücken und prothetische Apparate sind im Ganzen wohl den Naturvölkern unbekannt. Wir haben ja schon gehört, dass das lahme Kindchen in Mittel-Sumatra auf einer stuhlförmigen Trage auf dem Rücken befördert wurde; Krücken oder stützende Stöcke scheint dasselbe nicht besessen zu haben.

Bei den Buschnegern in Guyana traf Crevaux ein Kind und ein junges Mädchen, welche beide lahm waren in Folge einer Hüftgelenksentzündung. Auch hier war der Gebrauch der Krücken unbekannt; die Kranken schleppten sich mühsam weiter, indem sie sich mit einem grossen Stocke stützten.

Pallas hat bei den Sagajern am grossen Syr von einem berühmten Schamanen in Erfahrung gebracht, dass ihm die Geister schon den einen Fuss unbrauchbar gemacht hätten. Er sollte aber im Stande sein, »mit seinem hölzernen Fusse die besten Zaubersprünge zu verrichten«. Es ist im höchsten Grade bedauerlich, dass die von Pallas abgeschickten Boten den Wundermann nicht zu Hause trafen. Er hatte sich jedenfalls aus dem Staube gemacht, um vor Pallas nicht seine Zauberkünste zeigen zu müssen. Wir kommen aber dadurch um die Möglichkeit, über die gewiss recht interessanten Einzelheiten dieses Stelzfusses etwas Genaueres in Erfahrung zu bringen.

124. Die Bruchschäden.

Von den Unterleibsbrüchen stehen bei den Naturvölkern in Bezug auf ihre Anzahl und Verbreitung die Nabelbrüche bei Weitem obenan. Es hängt dieses mit der Art zusammen, wie der Nabelstrang von dem Kinde getrennt wird und wie die Mütter und die helfenden Weiber nachher mit dem Nabel des Kindes verfahren. Ausführliches über dieses Thema findet man in meinem mehrfach citirten Werke zusammengestellt. Namentlich sind es die afrikanischen Völker, bei welchen grosse Nabelbrüche zu den ganz alltäglichen Erscheinungen gehören. Dieses ist ihnen so zum Bewusstsein gekommen, dass sie sehr häufig sogar ihre in Holz geschnitzten Fetischfiguren (Fig. 163) mit einer grossen Nabelhernie darstellen. Das gilt für viele ihrer weiblichen Figuren sowohl, als auch für männliche. Es muss daher bei uns die Vermuthung erwecken, dass sie solch einen Nabelbruch entweder für eine grosse körperliche Schönheit ansehen, oder dass sie ihn sogar als zur normalen menschlichen Form gehörig betrachten.

Fig. 164. Bruchband, Marokko. Aeussere Ansicht. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Hiernach lässt es sich wohl begreifen, dass von Schutzvorrichtungen oder von Maassnahmen, um einer allmählichen Vergrösserung der Nabelbrüche zuvorzukommen, bei diesen Volksstämmen nirgends die Rede ist. Allerdings ist mir aber auch keine Angabe bekannt, dass bei dieser Art der Missbildungen bedrohliche Erscheinungen gesehen worden wären.

Was die Leistenbrüche anbetrifft, so ist von diesen nur selten die Rede. In Harrâr haben sie ein Medikament, welches den Namen Martáss führt und »zerstossen, mit Rindssuppe genossen, gegen den Leistenbruch« gebraucht wird. Auf der Insel Bali behandeln die Specialärzte für Bauchkrankheiten auch die Leistenbrüche mit ihrer Massage.

Gefährlicher ist schon ein Eingriff, dessen Endergebniss Moore bei einem Inder in Radschputana sah. Der einheimische Arzt hatte ihm das Glüheisen auf einen eingeklemmten Leistenbruch gesetzt, sicherlich ohne irgend welche Ahnung von dem Wesen der Erkrankung zu haben.

Ein Eingeborener der Loyalitäts-Insel Uvea operirte sich selbst eine Schenkelhernie. Er ging an dieser Operation zu Grunde.

Von den Indianer-Stämmen der Vereinigten Staaten giebt Schoolcraft an, dass sie bei einer Einklemmung der Leistenbrüche allerdings rathlos daständen, für die nicht eingeklemmten Brüche aber fertigen sie eine Bandage, welche den Bruch zurückdrängt und in der That eine wirksame Hülfe leistet.

Fig. 165. Bruchband, Marokko. Innere Ansicht. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Ein schon ziemlich vollkommenes und ganz sinnreich construirtes Bruchband hat Quedenfeldt aus Marokko mitgebracht.

Aehnlich wie bei unseren Bruchbändern geht eine mit rothem Leder überzogene Feder im Halbkreis um die eine Körperhälfte; ein langer Riemen an dem hinteren Ende und eine Schnalle an dem vorderen gestatten es, den Verschluss zu vollenden. Am vorderen Ende der Feder ist ein Zahnrad, gegen welches ein vertikaler Stab sich anstemmt. Er trägt an seinem unteren Ende die Mitte eines horizontalen Eisenstabes, und an den freien Enden des Letzteren sitzt wiederum ein verticaler Stab, der unten die Pelotte trägt. Dieses System von Stäben mit den beiden Pelotten erinnert in der Form an eine kleine Waage mit aufgekippten Wiegeschalen. Die Pelotten bilden flache Kugelschalen und sind ebenfalls mit rothem Leder bekleidet. Das Bruchband ist für einen doppelseitigen Leistenbruch bestimmt (Fig. 164 und 165).

125. Operationen an den männlichen Harn- und Geschlechtsorganen.

Blutige Operationen an den männlichen Geschlechtstheilen werden seit uralten Zeiten ausgeführt. Von den leichteren derselben, den Beschneidungen u. s. w., haben wir früher bereits gesprochen. Erinnert soll hier auch nur werden, ohne dass wir näher auf den Gegenstand eingehen, an die bei orientalischen Völkern so weit verbreitete Castration.

Die Castration führen übrigens auch die Eingeborenen von Tahiti, Samoa, Tonga und den Loyalitäts-Inseln aus zur Beseitigung der Hydrocele und zur Behandlung von Hodenentzündungen.

Einer näheren Betrachtung müssen wir aber einige andere Operationen unterziehen. Wir nennen hier zuerst die Lithotomie.

Die Steinbeschwerden sind einzelnen der uncivilisirten Völker wohlbekannt, Unter dem Heilschatze der Aschanti befindet sich nach Bowditch das Neeöndoo, »die Arzney, die sie am höchsten halten. Vier Nüsse wachsen in einer Hülse auf einem sehr grossen Baum vom härtesten Holze; sie werden begierig gekauft, da sie nur an den Grenzen von Empoöngwa wachsen, und die mit dem Steine Behafteten gebrauchen sie mit vielem Erfolge«.

Nach Fleming Carrow wird von den Chinesen gegen die Steinbeschwerden die Moxa oder das Glüheisen angewendet. In Laos fand Bock eine grosse Anzahl von Steinkranken, er unterlässt es jedoch, anzugeben, wie man ihre Beschwerden zu lindern sucht. Auch in Indien kommt der Blasenstein in einer ganz erstaunlichen Häufigkeit vor. Jetzt suchen die Inder in vielen Fällen in den Regierungshospitälern Hülfe, und dass der Beistand der einheimischen Aerzte nicht immer ein sehr befriedigender ist, das beweisen Fälle, wie sie Moore in Radschputana gesehen hat, wo schliesslich der in den Blasenhals eingekeilte Blasenstein aus einem Abscess am Damm sich entleerte. Eine Reihe der einheimischen Aerzte wagt sich aber auch an den Steinschnitt heran. Es sind dieses meistens Specialisten, ähnlich wie die europäischen Steinschneider früherer Jahrhunderte. Auch ihre Operationsmethode scheint im Allgemeinen die gleiche zu sein. Ein Finger wird in den After geführt und vom Mastdarm aus der Stein fest gegen das Perinäum angedrückt, bis sich dort eine Erhöhung hervorwölben lässt. Dann wird mit einem gewöhnlichen Rasirmesser ein tiefer Einschnitt in den Damm gemacht, bis auch die Wände der Harnblase durchtrennt sind, und danach wird der Stein mit einer Zange entfernt.

Die Aehnlichkeit zwischen diesen indischen Lithotomisten und den alten Steinschneidern Europas wird durch den Umstand noch erhöht, dass auch die Ersteren, Praxis suchend, im Lande umherziehen. Uebrigens haben sie nach der Angabe von Keelan in Hyderabad auch innerliche Mittel gegen den Stein. Unter diesen Medicamenten, welchen man die Fähigkeit zuschreibt, die Steine innerhalb der Harnblase aufzulösen, spielen gepulverte Perlen eine hervorragende Rolle. Diese, sowie auch werthvolle Steine werden in Gegenwart der Patienten zerstossen und, dem einzelnen Fall entsprechend, ihnen darauf eingegeben. Diese kostbare Medicin nehmen sie mit vollem Vertrauen ein.

Unter den Matakau- oder Verbotszeichen von der Insel Serang findet sich auch eins (Fig. 166), das demjenigen, welcher das Verbot übertritt, ein Bluturiniren anzaubern soll. Es giebt ja nun bekanntlich allerdings gewisse Malaria-Erkrankungen, bei welchen blutiger Urin gelassen wird. Hierher gehört das namentlich an der Goldküste Afrikas sehr gewöhnliche Blackwater-Fever. Aber bei unserem Matakau ist doch höchst wahrscheinlich an Steinbeschwerden gedacht worden. Es besteht aus einem horizontalen Holzstück, auf welchem, von Dornen oder Spähnchen getragen, fünf ringförmig zusammengerollte Blätter sich finden. Die Blattstreifen sind aber derartig zusammengebogen, dass sie in eine vordere, Spitze auslaufen. Wie ich vermuthe, soll jedes Blatt einen spitzen Blasenstein repräsentiren, dessen Spitze die Schleimhaut verletzen und die Blutung hervorrufen soll.

Eine eigenthümliche Operation an den männlichen Genitalien wird uns von v. Miklucho-Maclay und einigen Anderen berichtet. Sie ist bisher eine unbestrittene Domäne gewisser Stämme von Australien und wird im Allgemeinen mit dem Namen Mika, von dem am Coopers Creek wohnendem Dieyerie-Stamme mit dem Namen Kulpi bezeichnet. Sie besteht in einer vollständigen Aufschlitzung der Harnröhre auf der Unterseite des Penis, von dem Orificium cutaneum in der Eichel bis zu dem Hodensack hin. Diese absonderliche Operation wird bei fast allen Jünglingen der betreffendem Stämme vorgenommen und zwar im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren. Wenigstens hat man gerade Knaben dieses Alters mit noch entzündeten oder frisch vernarbten Wunden gesehen. Nach überstandener Operation dürfen sie wie die erwachsenen Männer ohne das bei Knaben übliche Schamtuch umher gehen.

Fig. 166. Verbotszeichen von Serang, das dem Uebertreter Blutharnen verursacht. Nach Riedel.

Nach Taplin wird die Operation in folgender Weise ausgeführt. Ein passend gearbeiteter Känguru-Knochen (vom Walibi) wird in die Harnröhre eingeführt bis zum Ansatze des Scrotum, und dann wird er hier so hervorgedrängt, dass er durch die Weichtheile zu Tage tritt. Schliesslich nimmt darauf der Operateur die Aufschlitzung mit einem Steinmesser vor. Nach einem anderen Berichte wird der Einschnitt auch ohne die Leitungssonde ausgeführt; es wird jedoch dazu der Penis auf ein Stück Baumrinde aufgelegt. Die Nasims am Golf von Carpentaria sollen sich zum Operiren ausser des Quarzsplitters auch wohl einer scharfen Muschel bedienen. v. Miklucho-Maclay bildet ein zur Mika-Operation dienendes Messer von den Eingeborenen am Herbert-Flusse ab. »Dasselbe ist ein Quarzitsplitter mit einem Stiel, welcher aus dem (durch Fettzusatz) gehärteten Safte des Grasbaumes (Xanthorrhoea) hergestellt ist« (Fig. 167). Bei den Dieyerie wird gleich nach der Operation ein Baumrindenstück so auf der Wunde befestigt, dass sie sich nicht wieder schliessen kann. Die Nasims legen ein Stöckchen oder einen dünnen Knochen in die frische Wunde, um sie an sofortiger Verklebung zu hindern.

Ueber die Wirkung dieser Harnröhrenspaltung erfahren wir dann noch Folgendes. Die Urethra bildet nun natürlich keine Röhre, sondern nur eine flache Rinne auf der Unterseite des Gliedes. Und die äussere Oeffnung der Harnröhre befindet sich hart vor dem Hodensack. Der Urin wird wie von den australischen Weibern mit breitgestellten Beinen im Stehen entleert. »Wenn die Wunde geheilt ist, erscheint (bei den Nasims) der Penis sehr zusammengezogen, und hat im collabirten Zustande das Aussehen eines grossen Knopfes.« Die sehr gute Photographie eines solchen Operirten hat kürzlich die Berliner anthropologische Gesellschaft von Herrn B. H. Purcell in Melbourne erhalten. »Bei der Erection soll der operirte Penis sehr breit und flach werden und das Sperma bei der Ejaculation ausserhalb der Vagina ausfliessen.« Was mit dieser Operation bezweckt wird, lässt sich aus letzterer Angabe ersehen. Es handelt sich wohl zweifellos um eine Beschränkung der Nachkommenschaft, und die Eingeborenen vom Herbert-Flusse geben dies als den Beweggrund hierfür an. Die Stämme vom Port Lincoln sagen allerdings, dass sie es nur thäten, weil ihre Väter es so gemacht hätten. Aber auch die Nasim-Weiber bestätigen, dass solche Männer sie nicht zu befruchten vermöchten.

Fig. 167. Steinmesser der Australneger vom Herbert-Fluss für die Mika-Operation. Aus Zeitschr. f. Ethnologie. Bd. XIV.

Es ist nun sehr bemerkenswerth, dass einzelne Männer im Stamme ausgespart werden, denen der Penis nicht verstümmelt ist. Im Allgemeinen scheinen dieses besonders kräftige Leute zu sein. Nur bei den Nasim ist es umgekehrt: »Es scheint, dass die stärksten jungen Leute vorzugsweise für die Operation gewählt werden, welche Wahl bei diesem Stamme als eine Ehre angesehen wird.« Allerdings giebt der Berichterstatter an, dass sie von den Weibern bevorzugt werden.

Wenn nun auch die Eingeborenen Australiens, soweit bis jetzt unsere Nachrichten reichen, mit dieser kosmetischen, oder, wenn man will, mit dieser nationalökonomischen Operation, eine völlig isolirte Stellung einnehmen, so gilt doch nicht das Gleiche auch von der Urethrotomia externa überhaupt. Für diese wird uns eine Analogie von Karl von den Steinen mitgetheilt. Bei seiner Xingu-Expedition in Brasilien traf er bei den Bakairí im Wasser Candirús, d. h. »ein hier 2 cm langes transparentes Fischchen mit gelber Iris, das gern in die ihm zugänglichen Körperhöhlen eindringt. Wenn dasselbe, wie häufig vorkommen soll, in die Urethra schlüpft, ist die Lage wegen der gleich Haken sich in die Schleimhaut einbohrenden Flossen sehr kritisch; gelingt es nicht durch ein warmes Bad den Störenfried herauszuschaffen, bleibt nur die Operation übrig. Es soll sich der Sertanejo alsdann auch nicht besinnen, die Urethrotomie auszuführen und in vielen Fällen an diesem heroischen Verfahren zu Grunde gehen.«

126. Operationen am Halse und Trepanationen.

Die Operationen an dem Halse würde ich nicht mit in das Bereich dieser Besprechungen gezogen haben, wenn nicht gerade von ihnen ein paar interessante Beispiele gemeldet würden. Der Eine wurde in Persien Polak von einem einheimischen Chirurgen mitgetheilt. Der Letztere fand bei einem Patienten am Halse eine grosse Anschwellung. Er wollte den Mann davon befreien, aber schon nach den allerersten Schnitten trat eine profuse Blutung ein. Nun erst durchschaute er den Ernst der Situation. Er erklärte dem Patienten und dessen Angehörigen, dass er eiligst nach seinem Hause müsse, um noch einige Instrumente zur Blutstillung zu holen. Er eilte fort und floh aus der Stadt, den Kranken seinem Schicksal überlassend.

Fig. 168. Eiserner Haken für Halsoperationen. Haussa. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Fig. 169. Eiserner Haken und Spatel für Halsoperationen, g Haussa. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Fig. 170. Hohlmeisselartiges Instrument f. Halsoperationen. Haussa. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Man kann aus dieser Geschichte ersehen, wie ausserordentlich wenig die persischen Chirurgen von der Gefährlichkeit solcher Operationen am Halse wissen. Wahrscheinlich hat unser Operateur sich die Verhältnisse vorgestellt ungefähr wie bei einem Blutgeschwür.

Da scheinen die Medicin-Männer der Fullah im Gebiete des Rio Nuñez doch einen bedeutend höheren Grad von Geschicklichkeit zu besitzen. Dieselben bekämpfen die so äusserst gefährliche Schlafkrankheit durch eine Ausschälung der geschwollenen Drüsen am Halse. Corre hat solch einen Fullah gesehen, der die Operation in seiner Kindheit durchgemacht hatte. Er zeigte an jeder Seite des Halses eine Narbe von ausserordentlicher Grösse.

Unter den chirurgischen Instrumenten, welche Robert Flegel von den Haussa mitgebracht hat, befinden sich auch einige, welche bei einer Halskrankheit in Anwendung kommen, die mit dem Namen Beli bezeichnet wird. Sie soll unserer Bräune ähnlich sein und es sollen mit den Instrumenten schleimige Häute aus dem Halse herausgeholt werden. Es sind zwei kleine eiserne Haken (Fig. 168, 169), deren umgebogenes Ende aus einem flachen Eisenstück besteht; ferner gehört dazu ein spatelähnliches Instrument (Fig. 169), das vielleicht zum Niederhalten der Zunge benutzt wird. Das vierte Stück endlich erinnert an einen Hohlmeissel (Fig. 170), an dessen gedrehtem Stiel eine kleine Schelle hängt, nebst ein Paar kleinen Ringen. Ein Zeugstreifen ist um den Stiel gebunden. Diese Instrumente gehören in ein kleines wurstförmiges Besteck von Leder (Fig. 171).

Als oben von den Knochenbrüchen die Bede war, hatten wir bereits den Fall berichtet von dem Indianer, welchem nach einer Verletzung durch einen Grizzly-Bären Knochensplitter aus dem Gehirn gezogen wurden. Es ist das ja nicht eigentlich eine Trepanation, sondern eine Operation, wie die Noth sie vorschrieb.

Fig. 171. Lederfutteral für ein chirurgisches Besteck der Haussa. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Aber auch von wahren Trepanationen liegen uns genaue Berichte vor. Samuel Ella lebte lange Zeit unter den Eingeborenen der Loyalitäts-Insel Uvea, welche sich noch in der Steinzeit befinden, deren Culturstufe also ungefähr derjenigen entspricht, auf welcher einst die Europäer während der neolithischen Periode standen. Ella schreibt nun von den Uvea-Insulanern: »Eine wahrhaft überraschende Operation wird hier ausgeführt. Hier herrscht die Ansicht, dass Kopfschmerz, Neuralgie, Schwindel und andere Gehirnaffectionen durch einen Spalt im Kopfe oder durch Druck des Schädels auf das Gehirn verursacht würden. Das Heilmittel hierfür besteht darin, dass sie die Weichtheile des Kopfes mit einem + - oder T-Schnitte durchtrennen und mit einem Stück Glas den Schädel sorgfältig und behutsam schaben, bis sie in den Knochen in ungefährer Ausdehnung eines Kronenstückes ein Loch bis auf die Dura mater gemacht haben. Manchmal wird die Schabe-Operation durch einen ungeschickten Operateur oder in Folge der Ungeduld der Freunde bis auf die Pia mater ausgedehnt, und dann ist der Tod des Patienten die Folge.«

»Im besten Falle stirbt die Hälfte von denen, die sich dieser Operation unterziehen; jedoch ist aus Aberglauben und Sitte dieser barbarische Gebrauch so herrschend geworden, dass nur sehr wenige erwachsene Männer ohne dieses Loch im Schädel sind. Es ist mir berichtet worden, dass bisweilen der Versuch gemacht würde, die so exponirten Membranen im Schädel durch das Einsetzen eines Stückes Cocosnussschale unter die Kopfhaut zu decken. Für diesen Zweck wählen sie ein sehr dauerhaftes und hartes Stück der Schale, von dem sie die weichen Theile abschaben und es ganz glatt schleifen, und sie bringen dann eine Platte hiervon zwischen die Kopfhaut und den Schädel.«

»Früher war das Trepanations-Instrument einfach ein Haifischzahn, jetzt wird aber ein Stück zerbrochenes Glas für geeigneter angesehen. Die für gewöhnlich gewählte Stelle des Schädels ist die Gegend, wo die Sagittalnaht mit der Kranznaht sich verbindet, oder etwas weiter oben, gemäss der Annahme, dass hier ein Schädelbruch bestehe.«

Fig. 172. Trepanirter Schädel einer Mumie aus Neu-Caledonien. Sammlung Umlauff, Hamburg. – Nach Photographie.

Diese interessante Angabe wird auch von George Turner bestätigt. Er sagt: »Auf Uea bestand die Behandlung von Kopfschmerzen darin, den Schmerz aus der Höhe des Kopfes durch folgenden schrecklichen chirurgischen Eingriff herauszulassen. Die Kopfhaut wurde aufgeschlitzt und umgeschlagen und der Schädelknochen mit einer feinschneidigen Muschel durchgeschabt, bis die Dura mater erreicht war. Man duldete nur den Austritt von sehr wenig Blut. In manchen Fällen wurde die geschabte Oeffnung mit einem dünnen Stück Cocosnussschale bedeckt; anderenfalls wurde die durchschnittene Kopfhaut einfach an ihre alte Stelle gebracht. Diese Cur hatte manchmal den Tod, meistens aber Heilung zur Folge. Dieses Mittel gegen Kopfschmerzen hatte eine solche Ausbreitung erlangt, dass die scharfspitzigen Keulen ganz eigens zu dem Zweck gefertigt wurden, um diese weiche Stelle auf der Höhe des Kopfes zu treffen und den unmittelbaren Tod zu verursachen.«

Da diese Notiz von Turner sich in seinem Werke über Samoa befindet, so ist durch unvollständiges Citiren verbreitet worden, dass auch bei den Samoanern solche Trepanationen gebräuchlich wären. Das ist nicht der Fall und es handelt sich hier einfach um eine Verwechselung.

Wenn wir nun hören, dass die Medicin-Männer der Uvea-Insulaner von ihren in so primitiver Weise Operirten noch die Hälfte am Leben erhalten, so kann uns dieses ausgezeichnete Resultat nicht genug mit Bewunderung erfüllen. Denn fragen wir, was bei den civilisirten Völkern in den Händen der geschicktesten Operateure die Trepanation für Erfolge bot, bevor die Einführung der antiseptischen Methode die Wundeiterungen auszuschliessen vermochte, so fällt der Vergleich im höchsten Grade ungünstig für die Culturvölker aus. Der berühmte Dieffenbach schreibt in seiner » operativen Chirurgie« (II. 17):

»Seit vielen Jahren habe ich die Trepanation mehr gescheuet, als die Kopfverletzungen, welche mir vorkamen; sie ist mir in den meisten Fällen als ein sicheres Mittel erschienen, den Kranken umzubringen, und unter den vielen Hunderten von Kopfverletzungen, bei welchen ich nicht trepanirte, wäre der Ausgang, während ich so nur verhältnissmässig wenige Kranke verlor, wahrscheinlich bei einer grösseren Zahl ungünstig gewesen, wenn ich in der Trepanation ein Heilmittel zu finden geglaubt hätte. In früheren Jahren, wo ich nach empfangenen Grundsätzen vielfach trepanirte, war der Tod bei Weitem in der Mehrzahl der Fälle der Ausgang.«

In dem Besitze des Herrn Umlauff in Hamburg befindet sich die Mumie eines Neu-Caledoniers (Fig. 172), welcher einer Trepanation erlegen ist. Ich schliesse dieses aus dem Umstande, dass die Operation nicht ganz vollendet wurde. Wahrscheinlich also starb der Patient unter den Händen seiner Operateure. Dass er die Operation nicht überlebte, zeigt auch der Mangel jeglicher entzündlichen Reaction an den Rändern der Knochenwunde; und dass es nicht eine Trepanation sein kann, die man an einem eben Verstorbenen ausführte, etwa um der Seele einen Ausweg zu schaffen, das wird wiederum dadurch bewiesen, dass die Operation unvollendet blieb. Denn wenn der Mann bereits eine Leiche war, so ist es natürlich nicht einzusehen, warum man die Operation nicht zu Ende führte.

Die Trepanationswunde hat ihren Sitz auf der Höhe des rechten Stirnbeins, ungefähr entsprechend dem Tuber frontale. Sie bildet eine fast kreisrunde Oeffnung von der ungefähren Grösse eines grossen Zwanzigpfennigstücks. Der Knochen ist in senkrechter Richtung durchschnitten, doch man erkennt deutlich an den Rändern der Knochenwunde, dass nicht ein circulär schneidendes Instrument, ähnlich einer Trepankrone, den Knochen durchtrennte, sondern dass diese Durchschneidung freihändig mit kurzen Zügen stattgehabt hatte.

Diese immerhin nicht kleine Oeffnung ist dem Operateur nun sicherlich nicht als vollkommen hinreichend erschienen, denn er hat den Versuch gemacht, dieselbe noch nach hinten zu vergrössern. Man sieht, dass er um ein halbmondförmiges Stück die Trepanationsöffnung noch erweitern wollte. Der Schädel war schon so tief eingeschnitten, dass man die Form und Ausdehnung der Nachoperation ganz klar und deutlich erkennen kann; aber die Schnitte sind noch nicht durch die ganze Dicke des Schädels gegangen und so haftet das umschnittene Stück noch unverrückt an seinem ursprünglichen Platze. Nur an der lateralen Spitze durchsetzt der Schnitt schon die ganze Dicke des Knochens, und von dem für die Entfernung bestimmten Stück ist die äussere Knochenlamelle heruntergesprengt.

Die Trepanationen des Schädels gehören zu den allerältesten Operationen der Menschheit. An verschiedenen Stellen Europas haben sich unter Skeletten der neolithischen Periode, der sogenannten jüngeren Steinzeit, mehrfach Schädel vorgefunden, welche ohne allen Zweifel trepanirt worden waren. Auch die herausgeschnittenen Knochenscheiben hat man wiederholentlich entdeckt, und es konnte nachgewiesen werden, dass dieselben als Amulete getragen worden sind. Als den Entdecker dieser Thatsache müssen wir Prunières bezeichnen; ganz eingehend ist dieselbe darauf von Paul Broca studirt. Ein Theil der Schädel war ganz bestimmt erst nach dem Tode der Trepanation unterworfen worden, bei anderen aber bewies deutliche Vernarbung an den Rändern des künstlichen Schädeldefektes, dass die alten Chirurgen der Steinzeit nicht nur am Lebenden operirt hatten, sondern auch dass der Patient die Operation auf lange Zeit überlebte. Auf die hypothetischen Erörterungen, warum man zu diesen Operationen schritt, können wir hier nicht näher eingehen. Sie sind in der Abhandlung von Tillmanns in bequemer Weise zusammengestellt worden. Als eine Regel wird es bei diesen prähistorischen Trepanationen hingestellt, dass sie niemals im Stirnbein ihren Sitz haben.

Fig. 173. Trepanirter Peruaner-Schädel, Pisac. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. – Nach Photographie.

Bei dem oben erwähnten Neu-Caledonier der Sammlung Umlauff sass aber, wie sich der Leser erinnern wird, die Trepanationsöffnung gerade im Stirnbein; und das Gleiche hatte Statt an einem alten Peruaner-Schädel aus einem präcolumbischen Gräberfelde in Yucay, welcher von Squier abgebildet wurde. Die Form der Trepanations-Wunde ist hier eine ungewöhnliche und Squier stellt die Vermuthung auf, dass diese Operation mit einem Meissel ausgeführt worden sei. Man sieht auf dem rechten Stirnbein dieses Schädels zwei Paar parallele Linien, welche sich rechtwinklig schneiden. Sie sind tief in den Knochen eingedrungen und das kleine, quadratische Feld, das sie umschliessen, ist aus der ganzen Dicke des Schädels entfernt. Das Präparat hat Nélaton vorgelegen. Derselbe gab seine Ansicht dahin ab, dass der Operirte die Trepanation um ungefähr 14 Tage überlebt haben müsse.

Dem Museum für Völkerkunde in Berlin ist durch Hettner aus einem alten Grabe von Pisac in Peru ebenfalls ein trepanirter Schädel (Fig. 173) zugegangen. Die grosse Trepanationsöffnung hat in der Seitenfläche des linken Stirnbeins ihren Sitz; mit ihrem hinteren Bande greift sie sogar noch ein ganz klein Wenig in das linke Scheitelbein hinein, da der untere Theil der Sutura coronaria mit hinweggenommen wurde. Der untere Band liegt nur ganz wenig oberhalb der oberen Grenze der Schläfenbeinschuppe, und von dem grossen Keilbeinflügel ist das oberste Ende noch mit entfernt.

Die Form der Knochenwunde lässt es vermuthen, dass, ganz ähnlich wie bei dem Neu-Caledonier-Schädel, der Operateur es für nöthig gehalten hat, die Trepanationsöffnung nachträglich noch um ein gewisses Stück zu vergrössern. Das primär trepanirte Stück, dem hinteren Theile der Wunde entsprechend, hatte nahezu die Form eines Quadrats, dessen obere Seite etwas convex ist. Bei einer Länge von 28 mm hat sie eine Höhe von 26 mm.

Dieses ausgeschnittene Stück hat nun sicherlich nicht ausgereicht, um den angestrebten Zweck zu erfüllen, und so hat dann der Operateur die Wunde nach vom um ein unregelmässig dreiseitiges Feld vergrössert. Dabei ist die obere vordere Ecke des ursprünglichen Quadrates als ein in die Knochenöffnung einspringender Vorsprung stehen geblieben, und er legt nun Zeugniss ab für diese nachträgliche Erweiterung der Wunde. Das secundär entfernte Knochenstück hatte an seinem hinteren Bande eine Höhe von 17 mm, während es vorn nur 8 mm hoch war; seine Länge betrug 9 mm. Somit hat also der gesammte künstliche Knochendefect eine Länge von 37 mm. An der operirten Stelle ist der Schädel sehr dünn gewesen, was die Operation ohne Zweifel nicht unwesentlich erleichtert hat. Mit was für einem Instrumente dieselbe vorgenommen wurde, das lässt sich aus der Knochenwunde nicht ersehen. Aber darüber kann kein Zweifel herrschen, dass der Operirte die Trepanation glücklich überstanden hat und dass er lange Zeit nach derselben, wahrscheinlich Jahre lang hinterher, sich noch am Leben befunden hat. Das lehren deutlich die Bänder der Knochenwunde, welche vollständig übernarbt und mit neuer Knochenrindensubstanz bedeckt sind, welche die Ränder wie zugeschärft erscheinen lässt. Nur der dem grossen Keilbeinflügel angehörende Theil zeigt eine massige ostitische Verdickung. Auch die den Rändern benachbarten Knochentheile lassen die Reste entzündlicher Reaction erkennen. Dieses Reactionsfeld hat nach vorn eine Ausdehnung von 3 mm, nach unten eine von 5-6 mm, und am oberen Bande begleitet es die Wunde in der Ausdehnung eines ganzen Centimeters.

Wir hatten oben von den Trepanationen der Uvea-Insulaner Bericht erstattet. Dieselben trepaniren aber ausser dem Schädel auch noch die Extremitätenknochen. Auch hierüber erfahren wir Näheres durch Ella. Derselbe sagt von diesen Eingeborenen der Loyalitäts-Inseln: »Dieses Mittel der Knochenausschabung wird bei dem alten Volke in ähnlicher Weise bei Rheumatismus angewendet. Die Haut wird in der Längsrichtung eingeschnitten und darauf die Mitte der Ulna oder des Schienbeins blossgelegt. Dann wird die Oberfläche des Knochens mit Glas geschabt, bis ein grosses Stück der äusseren Lamelle entfernt ist.«

Wir sehen, dass es an chirurgischem Muth diesen Naturkindern nicht gebricht, und immer muss es uns mit Bewunderung erfüllen, dass solche wahrlich kühnen Eingriffe doch schliesslich noch zu Heilungen führen. Allerdings wird der angestrebte Zweck nur unvollkommen oder gar nicht erreicht. Denn Ella sagt: »Ich habe niemals Jemanden gefunden, der sich dieser Operation unterzogen hatte, welcher angegeben hätte, dass sie in der angestrebten Absicht wirksam gewesen sei. Sie waren rheumatisch geblieben und litten ausserdem noch grosse Pein durch die im Verlaufe des Vernarbungsprocesses zu Stande kommende Fixirung der Haut an den Knochen.«

127. Der Bauchschnitt oder die Laparotomien.

Sogar an das Aufschneiden des Leibes, an die Laparotomien, wagen sich die Naturvölker heran. Bancroft berichtet von einem Onkanagan-Indianer, den sein Gewährsmann operiren sah. Es wurde ihm mit einem Messer der Bauch aufgeschnitten und aus dem Inneren desselben eine grosse Menge Fett herausgezogen. Darauf wurde die Wunde zugenäht und der Medicin-Mann stellte den Operirten vollständig wieder her.

Auch von einem Chippeway-Indianer wird berichtet, dass er an seiner schwangeren Frau mit glücklichem Erfolge den Kaiserschnitt ausführte. Das Kind kam ebenfalls mit dem Leben davon. In Uganda in Central- Afrika hat Felkin einem Kaiserschnitt beigewohnt. Es war in Kahura im Jahre 1879. Er gab eine Skizze von der Operation, sowie von dem convexen Messer (Fig. 174), mit welchem der Medicin-Mann sie ausführte, und auch von der vernähten Wunde (Fig. 157). Ueber die Ausführung dieser Laparotomie äusserte er sich folgendermaassen:

Fig. 174. Operationsmesser, Uganda. Nach Felkin.

»Die Frau, eine 20 jährige Erstgebärende, lag auf einem etwas geneigten Bette, dessen Kopfseite an der Hüttenwand stand (Fig. 175). Sie war durch Banana-Wein in einen Zustand von Halbbetäubung versetzt worden. Völlig nackt war sie mit dem Thorax durch ein Band an das Bett befestigt, während ein anderes Band von Baumrinde ihre Schenkel nieder- und ein Mann ihre Knöchel festhielt. Ein anderer, an ihrer rechten Seite stehender Mann fixirte ihren Unterleib. Der Operateur stand zur linken Seite, hielt das Messer in seiner rechten Hand und murmelte eine Incantation. Hierauf wusch er seine Hände sowie den Unterleib der Patientin mit Banana-Wein, und alsdann mit Wasser. Nachdem er dann einen schrillen Schrei ausgestossen, der von einer ausserhalb der Hütte versammelten Menge erwidert wurde, machte er plötzlich einen Schnitt in die Mittellinie, ein wenig oberhalb der Schamverbindung beginnend, bis kurz unter den Nabel.«

»Die Wand sowohl des Bauches, als auch der Gebärmutter war durch diese Incision getrennt und das Fruchtwasser stürzte hervor. Blutende Stellen der Bauchwand wurden von einem Assistenten mittelst eines rothglühenden Eisens touchirt. Der Operateur beendete zunächst schleunig den Schnitt in die Uteruswand; sein Gehülfe hielt die Bauchwände bei Seite mit beiden Händen, und sobald die Uterinwand getrennt war, hakte er sie mit zwei Fingern aus einander. Nun wurde das Kind schnell herausgenommen und, nachdem es einem Assistenten übergeben worden war, durchschnitt man den Nabelstrang.«

»Der Operateur legte das Messer weg, rieb den Uterus, der sich zusammenzog, mit beiden Händen und drückte ihn ein oder zwei Mal. Zunächst führte er seine rechte Hand durch die Incision in die Uterinhöhle, und mit zwei oder drei Fingern erweiterte er den Gebärmutter-Cervix von innen nach aussen. Dann reinigte er den Uterus von Gerinnseln, und die Placenta, die inzwischen gelöst war, wurde von ihm durch die Bauchwunde entfernt. Der Assistent bemühte sich ohne rechten Erfolg, den Vorfall der Därme durch die Wunde zu verhüten. Das rothglühende Eisen benutzte man noch zur Stillung der Blutung an der Bauchwunde, doch wurde dabei sehr schonend verfahren.«

»Während dem hatte der Hauptarzt seinen Druck auf den Uterus bis zur festen Zusammenziehung desselben fortgesetzt; Nähte wurden an die Uteruswände nicht angelegt. Der Assistent, welcher die Bauchwände gehalten hatte, liess dieselben nun los, und man legte eine poröse Gras-Matte auf die Wunde. Die Bande, welche die Frau fesselten, wurden gelöst, sie selbst auf den Bettrand gewendet und dann in den Armen eines Assistenten aufgerichtet, so dass die Flüssigkeit aus der Bauchhöhle auf den Fussboden abfliessen konnte. Dann wurde sie wieder in ihre frühere Lage gebracht und, nachdem man die Matte hinweggenommen, die auf der Wunde lag, wurden die Ränder der Wunde d. h. der Bauchwand an einander gelegt und mittelst sieben dünner, wohlpolirter eiserner Nägel, die den Acupressur-Nadeln glichen, mit einander verbunden. Dieselben wurden mit festen Fäden aus Bindenstoff umwunden (Fig. 157). Schliesslich legte man über die Wunde als dickes Pflaster eine Paste, die durch Kauen von zwei verschiedenen Wurzeln und Ausspucken der Pulpa in einen Topf hergestellt war, bedeckte das Ganze mit einem erwärmten Bananenblatte und vollendete die Operation durch eine feste, aus Mbugu-Bast bestehende Bandage.«

Fig. 175. Kaiserschnitt in Uganda. Nach Felkin.

»Während des Anlegens der Nadeln hatte die Patientin keinen Schrei ausgestossen, und eine Stunde nach der Operation befand sie sich ganz wohl. Die Temperatur der Kranken stieg in den nächsten Tagen nicht bedeutend (in der, zweiten Nacht 101 F.), der Puls auf 108. Zwei Stunden nach der Operation wurde das Kind angelegt. Am dritten Morgen wurde die Wunde verbunden und man entfernte einige Nadeln, die übrigen am fünften und sechsten Tage. Die Wunde sonderte wenig Eiter ab, den man mittelst einer schwammigen Pulpa entfernte. Am elften Tage war die Wunde geheilt.«

Muss uns hier der chirurgische Muth überraschen, so muss dies ausserdem auch noch die physiologische Einsicht dieser Naturvölker, wenn wir erfahren, dass sie sogar Ovariotomien unternehmen und zwar in der vollbewussten Absicht, das der Operation unterworfene Mädchen für die Fortpflanzung untauglich zu machen. Solche Person sah Roberts in Indien; sie war ungefähr 25 Jahre alt, gross, muskulös und vollkommen gesund. Die Fettentwickelung an dem Körper war eine hinreichende, nur an den Hinterbacken und an der Schamgegend war das Fettpolster sehr gering. Pubes hatten sich nicht ausgebildet und die Menstruation fehlte vollkommen. Am Cap York in Australien hat Mac Gillivray eine Stumme gesehen, an welcher, wie die Narben in der Leistengegend auch bestätigten, die eingeborenen Medicin-Männer die Exstirpation der Eierstöcke ausgeführt hatten. Als Grund für die Operation gaben sie an, sie hätten es vermeiden wollen, dass die Unglückliche stumme Kinder gebäre.

Ebenfalls unter den Eingeborenen Australiens und zwar am Parapitshuri-See traf Rotsh »ein eigenthümlich aussehendes Mädchen, welches, die Gesellschaft von Frauen meidend, immer bei den jungen Männern des Stammes, mit welchen es die Beschäftigung und Strapazen theilte, sich aufhielt. Das Mädchen zeigte eine sehr geringe Entwickelung der Brüste und des Fettpolsters überhaupt; die mageren Hinterbacken und einige am Kinn wachsende Haare gaben ihr ein knabenhaftes Aussehen. Wenn auch das Mädchen den Weibern aus dem Wege ging, so zeigte es doch keine besondere Neigung zu den jungen Männern, zu deren geschlechtlicher Befriedigung sie bestimmt war. Auf zwei längliche Narben in der Leistengegend deutend, erklärte einer der Eingeborenen, welcher etwas Englisch sprechen konnte, dass das Mädchen »all same spayed cow« wäre. Rotsh hatte auch gesagt, dass dieses Mädchen nicht das einzige Exemplar dieser Art sei, dass diese Operation von Zeit zu Zeit an Mädchen vorgenommen wird, um den jungen Leuten eine specielle Art von Hetaira, welche nie Mutter werden kann, herzustellen.«

Wenn wir die Berichte von diesen grossen Operationen lesen, so müssen sie uns mit vollem Rechte in ein nicht geringes Erstaunen versetzen. Sie alle gehören denjenigen operativen Eingriffen an, welche in den civilisirten Ländern von den allerberufensten Händen doch nur so selten, wie nur irgend möglich, und nur mit einer gewissen Scheu unternommen wurden, bevor man durch das antiseptische Verfahren dahin gekommen war, mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit die grossen Gefahren des Wundverlaufes, das Wundfieber, die Eiterungen und vor allen Dingen die septische Infection, die »Blut- und Eitervergiftung«, auszuschliessen. Diese Methoden beherrschen die Naturvölker nicht. An schmutzigen Patienten, mit schmutzigen oder ganz ungenügend desinficirten Händen und mit sicherlich oft höchst unsauberen Instrumenten führen sie diese gefährlichen Operationen aus, und dennoch sterben ihnen nicht nur nicht alle ihre Operirten, sondern sie bringen überraschender Weise sogar eine grössere Zahl ihrer Kranken durch, als das unter den geordneten Verhältnissen wohleingerichteter Kliniken und Krankenhäuser der Fall war. Dieser Widerspruch ist nicht anders zu erklären, als dass wir annehmen, die Naturvölker besitzen einen bedeutend höheren Grad von Widerstandsfähigkeit gegen die Angriffe der Erreger der Wundcomplicationen, als die hochcivilisirten Nationen. Ich habe dies an einer anderen Stelle in ausführlicher Weise darzulegen versucht. Max Bartels: Culturelle und Rassenunterschiede in Bezug auf die Wundkrankheiten. Zeitschrift für Ethnologie. Jahrgang XX. Berlin 1888. S. 169-183.


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