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Das medicinische Wissen und Können der Naturvölker, wie es uns in den vorhergehenden Abschnitten entgegengetreten ist, musste uns mit Recht in vielen Fällen sehr bedenklich und fragwürdig erscheinen. Einem grossen Irrthum verfielen wir aber, wenn wir ihre chirurgischen Fähigkeiten nach dem gleichen Maassstabe beurtheilen wollten. Mancher zweckentsprechenden Maassnahme, zielbewusst und wohlüberlegt, begegnen wir hier, und selbst von manchem kühnen Eingriffe erfahren wir, der ein grosses Können, eine scharfe Ueberlegung und ein nicht alltägliches Handgeschick erfordert. Dass aber auch ihr chirurgisches Handeln in vielen Beziehungen geleitet wird von ihren allgemeinen Anschauungen über die Natur und das Wesen der Krankheiten, das muss uns wohl natürlich erscheinen, und dieser Einfluss tritt besonders häufig bei der kleinen Chirurgie zu Tage.
Immerhin ist es wohl zu begreifen, dass der stete Kampf mit der umgebenden Natur, mit den Raub- und Jagdthieren und mit den feindlichen Nachbarn den Naturvölkern manche Verletzung bringen muss, deren unmittelbare Ursache ihnen klar und deutlich vor Augen liegt. Hier bedarf es nicht der Anschauung, dass eine Bezauberung oder Verfluchung, dass eine Besessenheit das Kranksein bedinge; nun ist es nicht ein unbekannter Feind, mächtig, gewaltsam und übernatürlich, mit dem der schwache Mensch den Kampf aufnehmen soll; wohlbekannt ist die Aetiologie und muthvoll wird die Behandlung begonnen. Und mit der Häufigkeit der Verletzungen wuchs auch unstreitig das chirurgische Geschick; mit dem bei Naturvölkern meist sehr günstigen Verlauf vermehrte sich aber auch der chirurgische Muth, und so werden wir Operationen begegnen, die man in den grossen Kliniken Europas noch vor wenigen Jahrzehnten nur mit Zagen unternahm.
Wir wollen uns in unseren Betrachtungen zuerst der kleinen Chirurgie zuwenden, von der wir übrigens in den vorhergehenden Abschnitten bereits die eine oder andere Maassnahme angetroffen haben.
Ungemein weit verbreitet finden wir die Gewohnheit, dem erkrankten Körper Blut zu entziehen. Man thut wohl nicht unrecht, wenn man die Blutentziehungen als ein Gemeingut des gesammten Menschengeschlechts betrachtet. In der Art der Ausführung derselben bestehen jedoch mancherlei Unterschiede und besondere Vorschriften. Bald geschieht dieses ohne vorherige Verletzung der Haut, bald werden irgendwo am Körper Einschnitte oder Einkratzungen gemacht, also eine Art von Scarificationen, bald sind es regelrechte Venaesectionen, bald unserem Schröpfen verwandte Processe.
Die schmerzberuhigende Wirkung des Speichels und der Zunge ist den Naturkindern wohlbekannt. Der arme Lazarus, dem die Hunde die Schwären lecken, Sigurd der Drachentödter, der den in Fafnirs Blut verbrannten Finger in jähem Schmerze zum Munde führt, finden überall in der Welt ihre vielfachen Analogien. Von Einreibungen mit Speichel ist weiter oben schon die Rede gewesen. Auch das Saugen an dem schmerzhaften Theile haben wir bereits kennen gelernt. Dass seine Wirkung eine energische ist, das wurde ebenfalls schon gesagt. Liegt dieser Procedur nun auch der Gedanke zu Grunde, den bösen Geist, das dämonische Thier oder den in den Körper hineingezauberten Fremdkörper aus dem Patienten zu entfernen, so darf man doch nicht unberücksichtigt lassen, dass solch ein energischer Saugeprocess mindestens wie ein trockener Schröpfkopf wirkt. Musste man dieses auch schon a priori annehmen, nach den Schilderungen, die wir von diesem Saugen besitzen, das nicht selten stundenlang fortgesetzt wird, so liegen uns doch ausserdem auch noch ganz bestimmte Bestätigungen hierfür vor.
Gibbs hat bei den Nord-Californiern solch eine Saugecur beschrieben. Bei derselben hatten erst vier junge und, als diese ermattet waren, vier alte Weiber an dem Patienten herumgesogen, bis sie über seinem ganzen Körper Beulen hatten aufschiessen lassen. Das klassische Gebiet dieses schröpfenden Saugens ist Australien und Amerika. Von Afrika ist mir bisher keine derartige Angabe bekannt geworden, und aus Asien wird solches Aussaugen nur von einigen Inseln Indonesiens, z. B. von den Andamanen berichtet.
Aber nicht als blinder Schröpfkopf allein, sondern auch als blutiger wirkt dieses Saugen. Denn gar nicht selten heisst es in den Berichten, dass dem Patienten Blut ausgesogen wird. Ausnahmsweise nur wird dabei angegeben, dass der Medicin-Mann ihn zuvor scarificirte; und da es andererseits dann heisst, dass Letzterer das ausgesogene Blut ausgespien habe, so kann ein Zweifel nicht bestehen, dass es sich nicht nur um ein Zuführen des Blutes in die Haut, sondern um eine Blutentziehung im wahren Sinne des Wortes handelt. Von den Onkanagan-Indianern in Britisch-Columbien wird uns dieses noch extra bestätigt. Der Berichterstatter sagt, er habe sie oft ganze Mund voll Blut aussaugen sehen, ohne dass an der Haut eine Spur zu erkennen war. Auch in Californien saugen sie, bis das Blut fliesst, und das Gleiche gilt von den Klamath und Karoks, sowie von den Eingeborenen Australiens. Aus dem malayischen Archipel wird nun dieses Blutaussaugen von dem Seranglao- und Gorong-Archipel und von den Kêi- und Aaru-Inseln berichtet; auf den Letzteren wird diese Methode direct als eine Art des Aderlasses bezeichnet.
Als einen Uebergang zu der vorausgeschickten Scarification haben wir es wahrscheinlich zu betrachten, wenn uns von den Keisar-Insulanern berichtet wird, dass sie auf die zu saugende Stelle vorher Kawi-Blätter auflegen. Die Menge des ausgesogenen Blutes beträgt dann manchmal zwei volle Kalapa-Schalen.
Das Aussaugen der blutenden Wunden ist nach Bissen und Stichen giftiger Thiere, z. B. von Schlangen und Scorpionen u. s. w. bei sehr vielen Volksstämmen im Gebrauch. Die Opoates im nördlichen Mexico üben dieses Aussaugen auch nach Pfeilschussverletzungen aus, und die Australneger von Victoria haben die Gewohnheit, überhaupt aus jeder frischen Wunde das Blut auszusaugen.
Weit verbreitet ist der Gebrauch, den Körper bei allerlei Beschwerden zu scarificiren. Die Scarificationen werden je nach dem Bildungsgrade des betreffenden Volkes entweder mit ihren gewöhnlichen Messern oder mit scharfen Splittern von Muscheln, von Feuerstein oder von Obsidian, mit Glasscherben, Dornen und Fischgräten ausgeführt. Der scharfe Steinsplitter als Scarificationsinstrument wird uns von den Indianern Nieder-Californiens und des nördlichen Mexico, sowie von den Flatheads und den Mincopies bestätigt. Die Dacota, die Creek- und die Winnebago-Indianer, sowie die Eingeborenen von Alaska und die Karayá-Indianer in Brasilien bedienen sich ihrer Steinmesser hierzu. Die Australnegerinnen aus Victoria und die Mincopies bringen sich mit Glasscherben Schnitte bei. Bei den Mincopies pflegt dieses Scarificiren von Weibern ausgeführt zu werden. Entweder thut es die Frau des Erkrankten, oder eine andere weibliche Verwandte. Die Süd-Mexicaner und die Mosquitos scarificiren mit Fischgräten, und die alten Mexicaner wendeten für diesen Zweck Dornen an.
Die Karayá-Indianer in Brasilien fertigen sich aber zum Scarificiren auch noch ganz besondere Instrumente, welche sie i-šaura nennen. Solch Apparat besteht nach Ehrenreich »aus einem drei- oder viereckigen Stückchen Cuyen-Schale (Fig. 145), dessen eine Fläche mit einer centimeterdicken Wachs- oder Harzschicht beschwert ist, während der andere eine Reihe scharfer Fischzähnchen trägt. Solche Schröpfer werden paarweise aufbewahrt, indem die convexe Kratzfläche des Einen auf der concaven des Anderen liegt. Die Zähnchen schützt man durch dazwischen gelegte Baumwolle.«
»Während der Patient sich krampfhaft an einen Pfahl festklammert, drückt man ihm die Spitzchen tief in die Haut des leidenden Körpertheils ein und ritzt dieselbe mit raschen Zügen nach verschiedenen Richtungen hin auf. Das Blut wird mit Palmblattstreifen abgekratzt, die Wunden im Bade mit Sand abgerieben. Nicht selten soll zur Erhöhung der ableitenden Wirkung gestossener Pfeffer aufgelegt werden.«
Die Aschanti schlagen die Stelle, welche sie scarificiren wollen, mit dem stachlichen Blatte einer bestimmten Pflanze.
Bei den Eingeborenen der Watubela-Inseln im malayischen Archipel wird vor dem scarificirenden Einschnitt an der ausgewählten Stelle mit einer besonderen Bambuszange eine Hautfalte in die Höhe genommen.
Bisweilen müssen die Einschnitte eine bestimmte geometrische Figur bilden, so z. B. bei den Lappen diejenige eines kleinen gleicharmigen Kreuzes. Hiervon konnte ich mich selbst überzeugen, als ich einmal einem Lappen eine Luxatio subcoracoidea zu reponiren hatte. Er gehörte einer Hagenbeck'schen Truppe an.
Bei den Dacota-Indianern und denjenigen von Canada macht der Medicin-Mann dem Patienten bisweilen Einschnitte in die Haut, damit er ihm an diesen Stellen um so bequemer das Blut aussaugen könne.
Wir begegnen aber auch bei den Naturvölkern der kunstgerechten Venaesection. Die Aderlass-Lancette fertigen sich die nordamerikanischen Indianer aus einer Messerspitze oder aus einem Feuersteinsplitter, womit sie einen Holzgriff armiren, und die sie nur soweit aus diesem hervorragen lassen, als er in die Vene eindringen soll. Entweder stechen sie dann freihändig in die Vene ein, oder sie setzen das Instrument auf dieselbe auf und führen mit einem Stück Holz einen Schlag auf den Handgriff desselben aus, so dass die Spitze in die Ader eindringt.
In ganz analoger Weise wurde der Aderlass auch bei den alten Peruanern ausgeführt, von Tschudi sagt: »Das Instrument dazu bestand in einem zugespitzten, scharfen Steinsplitter, der in ein gespaltenes Hölzchen eingeklemmt und festgebunden wurde. Beim Aderlasse wurde ein leichter Schlag auf den am gehörigen Orte aufgesetzten Splitter gegeben, ähnlich wie es die Thierärzte beim Aderlassen von Pferden, Rindvieh u. s. w. machen.«
Einen Muschelscherben oder ein Stück Bergkrystall wenden die Eingeborenen von Australien an.
Die Kwixpagmut an der Mündung des Yukon in Alaska benutzen eiserner Messerchen zum Aderlass (Fig. 146).
Einer originellen Art, die Vene zu öffnen, bedienen sich angeblich die Isthmus-Indianer. »Der Operateur schiesst einen kleinen Pfeil mit einem Bogen in verschiedene Theile des Körpers von dem Patienten, bis zufällig eine Vene eröffnet wird. Der Pfeil wird in kurzem Abstande von dem Punkte gehalten, um einem zu tiefen Eindringen vorzubeugen.« Jedenfalls steht diese Methode vollständig vereinzelt da; nirgends in der Welt findet sich, wie ich glaube, hierfür irgend eine Analogie, und das Verfahren zeugt ohne Zweifel von sehr geringen anatomischen Anschauungen.
Der Aderlass an den Armvenen scheint auch von den Naturvölkern bevorzugt zu werden. Er wird uns von verschiedenen Theilen Australiens, sowie von mehreren Indianer-Stämmen berichtet. Um Kopfschmerzen zu bekämpfen, machen die Karayá in Brasilien den Aderlass an der Stirnvene. Die Indianer in Honduras machen die Venaesection am Ober- oder Unterschenkel oder an der Schulter, und die Eingeborenen von Central-Californien venaeseciren am rechten Arme, wenn die Erkrankung im Rumpfe sitzt, und am linken Arme, wenn die Extremitäten befallen sind. Die alten Peruaner machten den Aderlass an den Venen der Nasenwurzel. In Victoria und Süd-Australien ist der Aderlass ein Vorrecht der verheiratheten Männer. Die Junggesellen und das weibliche Geschlecht dürfen auch nicht einmal Augenzeugen dieser feierlichen Handlung sein.
Von den persischen Chirurgen oder Badern wird der Aderlass häufig ausgeübt; der Arzt hält ihn unter seiner Würde. »Die Ader wird mittelst einer sehr feinen pfriemenartigen Lancette ( nischter) geöffnet, nachdem vorher der Oberarm mit einem dünnen Lederbändchen festgeschnürt und dem zu Operirenden, damit er die Finger bewege, eine Kugel in die Hand gegeben worden. Man hat besondere Anzeichen für die bâsilik (vena basilica), die keifâl (v. zephalica), die sâfen, die salvatella und ramina. An Tagen, an welchen es nach der Berechnung der Astrologen besonders gut ist, zur Ader zu lassen, fliesst in der Rinne vor den Barbierstuben das Blut buchstäblich in Strömen.«
Eine ganz ausserordentlich weite Verbreitung hat bei den Naturvölkern auch das Schröpfen gefunden; die Art der Ausführung ist aber für gewöhnlich in hohem Grade verschieden von der bei uns gebräuchlichen. Als Schröpfkopf fungirt direct oder indirect gewöhnlich der Mund des Medicin-Mannes. Wir haben ihre Methoden des directen Saugens an den betroffenen Stellen ja oben bereits ausführlich besprochen und brauchen darauf nicht wieder zurückzukommen. Hier interessiren uns nur solche Eingriffe, wo ein besonderes Hülfsinstrument in Anwendung kommt, wenn auch im Uebrigen des Medicin-Mannes Mund den Haupttheil der Arbeit zu leisten hat.
Bei den Navajó-Indianern in Arizona und einigen ihnen benachbarten Stämmen bedient sich der dem Midç-Orden angehörende Medicin-Mann zum Aussaugen der Krankheit eines besonderen knöchernen Rohres, das er ähnlich einem Stethoscop auf die erkrankte Stelle setzt. Die gleiche Methode ist bei den Midç der Chippeway-Indianer (Fig. 147) gebräuchlich, In Alaska nimmt man hierzu die Tibia oder den Flügelknochen eines Adlers. Wir müssen hierin bereits den Uebergang zu einem wirklichen Schröpf-lnstrumente erkennen.
Diejenigen Völker nun, welche sich zum Schröpfen eines besonderen Werkzeuges bedienen, benutzen dazu gewöhnlich ein Ochsen- oder Büffelhorn, beziehungsweise das obere Ende eines solchen. Die Spitze ist mit einem kleinen Loche durchbohrt; an ihr wird gesogen, um einen luftleeren Raum herzustellen, und wenn dieses geschehen ist, so wird die kleine Oeffnung schnell mit einem Stückchen Wachs verschlossen. Diese Methode üben z. B. die Haussa in Nord-Afrika (Fig. 148) und die Kaffern und Basutho in Süd-Afrika, die Eingeborenen der Luang- und Sermata-Inseln und der Inseln Leti, Moa und Lakor im malayischen Archipel, und auch die Winnebagos, die Creek- und die Dacota-Indianer in Nord-Amerika.
Von den Marutse in Süd-Afrika schreibt Holub: »Oertliche Blutentziehungen mit Metall-, Horn- und Knochenmessern bewirkt, und das Blut mit Hornsaugröhren ausgesogen, fand ich wie unter den Betschuanas gemein und gewöhnlich an den Schläfen, Wangen, Oberarmen, der Brust und an den Schultern applicirt. Es soll Schmerzen an diesen Körpertheilen mildern; wie ich bemerken konnte, meinte man hiermit Neuralgien sowohl als Entzündungsschmerzen der betreffenden oder der Nachbarorgane.«
Aus Marokko hat Max Quedenfeldt einen Schröpfkopf (Fig. 149) mitgebracht, welcher das gleiche Princip in vervollkommneter Weise darstellt. Der Schröpfkopf ist aus Messing und hat die Form eines hohen, aber nur sehr schmalen Bechers; seine Höhe beträgt ungefähr 12 cm. bei einem Durchmesser von höchstens 4 cm. Aus seinem unteren Drittheil geht seitlich in horizontaler Richtung ein schmales, leicht gebogenes Rohr hervor, länger als die Höhe des Schröpfkopfs. Wenn der Schröpfkopf aufgesetzt ist, so muss der Schröpfende an dem Ende dieses Messingrohres saugen, um so die Luft im Schröpfkopf zu verdünnen. Der Name dieses Instrumentes ist el-korâra. In Marokko sind aber auch gläserne Schröpfköpfe im Gebrauch, die ganz nach Art der unsrigen mit Hülfe brennender Papierstreifen luftleer gemacht werden.
Der unblutige Schröpfkopf bei den Persern wird mit dem Namen Kuze, d. h. Krug, bezeichnet: »Man drückt einen Teig glatt auf die betreffende Körperstelle, legt ein angezündetes Kerzchen oder ein Stück Baumwolle darauf und lässt dieses unter einem darüber gestürzten Krug von 3-4 Zoll Mündungsweite verbrennen.«
Auf den Inseln Leti, Moa und Lakor wird die ausgewählte Stelle zuerst blind geschröpft, dann scarificirt und darauf das Schröpfhorn noch einmal aufgesetzt, um nun das Blut zu entziehen.
Ausser der vorher erwähnten Methode des blinden haben die Perser auch noch das blutige Schröpfen, für welches sie als Schröpfkopf ( hedschâmeh) sich ebenfalls eines Hornes bedienen. Auch hierüber erstattet uns Polak Bericht: »Zwischen den Schulterblättern ist der Körper fast jeden Persers ganz mit Striemen durchfurcht. Anfangs glaubte ich, dieselben rührten von Ruthenstreichen her, bis ich sah, dass Streiche ausschliesslich nur auf die Fusssohlen ertheilt wurden, und nun Schröpfnarben in den Striemen erkannte. Das Verfahren ist im ganzen Orient noch dasselbe, wie zu den ältesten Zeiten der Aegypter. Man macht die Schnitte mit einem Rasirmesser und stülpt ein Horn darüber, wodurch das Blut herausgezogen wird. Mit Bezug auf dieses Verfahren lautet daher die Ordination des Arztes »ein bis drei Horn Blut«.
Wir dürfen an dieser Stelle auch die rituellen Operationen nicht unerwähnt lassen, denn sie gehören zum grösseren Theile in das Gebiet der kleinen Chirurgie, und meistens ist es auch nicht der eigentliche Medicin-Mann, sondern nur ein niederes Heilpersonal, welches sich mit ihnen beschäftigt. Die Operateure für das weibliche Geschlecht sind, wo wir diese Operationen antreffen, wohl durchgehends bestimmte Weiber. Bei dieser sogenannten Beschneidung der Mädchen handelt es sich auf einigen Inseln des malayischen Archipels nur um das Abschneiden eines Stückchens von dem Praeputium clitoridis. Bei den ostafrikanischen Völkern aber werden Theile des Mons Veneris sowie der grossen Labien excidirt, gemeinhin mit schmutzigen Rasirmessern. Durch passende Lagerung mit geschlossenen Beinen, oder selbst bisweilen durch eine Nath wird eine Verschmelzung der beiden Wundflächen und dadurch auch ein Verschluss der Vulva erzielt. Ein eingelegtes Röhrchen sorgt dafür, dass die Verwachsung keine vollkommene wird, so dass eine Oeffnung für die Entleerung des Urins zurückbleibt. Das bezeichnet man als die Infibulation. Für die Verheirathung wird die Verwachsung zum Theil und später für die Entbindung vollständig auf blutigem Wege wiederaufgetrennt. Nach glücklich überstandenem Wochenbett wird häufig die Infibulation wiederholt. Ausführliches über diesen Gegenstand habe ich in meiner Bearbeitung des Ploss'schen Werkes: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde zusammengestellt.
Ueber die allbekannte Beschneidung der Knaben braucht hier nur wenig gesagt zu werden. Im nördlichen und centralen Afrika und bei den mohammedanischen Volksstämmen Asiens wird sie ebenfalls meist mit Rasirmessern ausgeführt. Die alttestamentarischen Juden scheinen Feuersteinmesser dazu benutzt zu haben. In dem malayischen Archipel pflegt ein scharfer Bambusspahn als Operationsinstrument zu dienen.
In dem letztgenannten Inselgebiet hat man aber zwei Methoden der Beschneidung. Die eine besteht in der allbekannten Art, in der circulären Abtragung des Präputium. Bei der anderen, z. B. auf der Insel Serang gebräuchlichen Art zieht ein alter Mann dem Jünglinge, der beschnitten werden soll, das Präputium so weit wie möglich vor und schiebt ein Stück Holz in die Oeffnung hinein. Darauf setzt er ein Messer in der Längsrichtung auf die Vorhaut und schlägt auf dieses mit einem anderen Stück Holz. Auf diese Weise wird dann nur eine Längsspaltung der Vorhaut, aber nicht eine circuläre Abtragung derselben ausgeführt. Die Blutstillung nach den Beschneidungen wird meistens mit sehr einfachen Mitteln, entweder durch eine Art der Tamponade, oder durch Bestreuen mit styptischen Pulvern in zufriedenstellender Weise herbeigeführt.
Wir haben hier noch einer Anzahl anderweitiger operativer Eingriffe zu gedenken, welche in den allermeisten Fällen sich auch in den Händen besonderer, nicht eigentlich medicinisch geschulter Specialisten befinden. Es sind das die kosmetischen Operationen. Dieselben dienen bekanntlich dazu, den Körper je nach den herrschenden Schönheitsbegriffen in seiner äusseren Erscheinung zu vervollkommnen. Die Ausführung der Operation ist gewöhnlich mit einem Feste verbunden und entweder wird das kindliche Alter oder das Alter der Pubertät als der Zeitpunkt für das Operiren gewählt. Das ist besonderen Gesetzen unterworfen.
Die Art und Weise des Operirens soll hier nicht näher geschildert werden; sie ist ja auch hinreichend bekannt und vielfach schon erörtert worden. Auch liegt, wie das ja bereits betont worden ist, keiner einzigen von diesen Operationen ein eigentlicher Heilzweck zu Grunde, sondern alle sind sie ausschliesslich nur dazu bestimmt, die körperliche Schönheit zu erhöhen. Es sind nur die Rücksichten der Vollständigkeit, welche für ihre Aufzählung an dieser Stelle die Veranlassung abgeben.
Zuerst sind zu nennen die schmückenden Einschnitte, mit denen an bestimmten Körperstellen in regelmässiger Weise die Haut durchtrennt wird. Die nach dieser Operation zurückbleibenden Narben bilden dann ein helles, oft geometrisches Muster auf den gewöhnlich dunkelfarbigen Körpern der so Verschönerten. In vielen Fällen ist es erwünscht, diese Narben erhaben erscheinen zu lassen. Die sofortige Verheilung der frischen Einschnitte wird dann auf das Sorgfältigste verhindert und in die Wunde streut man noch besondere Irritantia ein, um eine möglichst massige Narbe entstehen zu lassen. Das giebt dann die leistenförmig oder knopfförmig hervorspringenden Narbenwülste, nach langer schmerzhafter Leidenszeit ein grosser Schmuck für den viel beneideten Besitzer.
Zahlreiche kleine Verletzungen mit stechenden Instrumenten, welche zuvor in einen Farbstoff getaucht wurden, bilden bekanntlich das Wesen der Tättowirung. Diese Art der Verschönerung hat ja auch unter den sogenannten civilisirten Nationen eine nicht geringe Zahl von Verehrern. Mit nadelartigen Instrumenten, von denen entweder ein einzelnes oder mehrere mit einander vereinigte zur Anwendung kommen, werden die Einstiche freihändig gemacht. In der Südsee befolgt man aber eine etwas andere Methode. Hier haben sie ganz kleine, einem Miniaturkamm ähnliche Instrumente, welche rechtwinklig an einem Handgriffe befestigt sind. Ihre Zinken werden in den Farbstoff getaucht und dann auf die auserwählte Körperstelle aufgesetzt; ein Schlag mit einem hölzernen Schlägel treibt nun das Instrument in die Haut hinein.
Fig. 151. | Fig. 152. | Fig. 153. |
Zu erwähnen ist nun auch noch die Herstellung von jenen Durchbohrungen, in welche Schmucksachen hineingesteckt oder eingehängt werden sollen. Primitive Messer, spitze Knochen und Dornen dienen als Operationsinstrumente. Solche Durchbohrungen bringen sie an in der Nasenscheidewand und im Nasenflügel. Ersteres ist in Neu-Caledonien und in Australien und Letzteres in Indien eine weitverbreitete Sitte. Die Ohrmuschel muss auf verschiedene Weise herhalten, und sie wird bisweilen über den ganzen Helix hin mit einem System von Durchbohrungen verziert.
Auch die Ober- und Unterlippe entgeht nicht diesem Triebe der Verschönerung. Manchmal ist es ihr mittlerer Theil, bisweilen aber auch die beiden Seiten, in deren künstlich gemachte Löcher dann Schmuckknöpfe oder Schmuckzapfen hineingesteckt werden. Aus den kleinen Stichöffnungen verstehen die Wilden, durch die Federkraft zusammengerollter Blätter u. s. w., von denen immer grössere hineingesteckt werden, allmählich Löcher von enormem Durchmesser zu erzeugen. Auch hierüber findet der Leser Genaueres in meiner mehrfach citirten Bearbeitung des Werkes von Heinrich Ploss über das Weib.
Durchbohrungen der Glans penis werden von einigen Naturvölkern ebenfalls vorgenommen. Man schiebt in dieselben zu erotischem Zwecke dann besondere kleine Reizapparate ein. In ähnlicher Absicht machen Andere einen Einschnitt in die Rückenhaut des Penis und schieben kleine Steine und andere Fremdkörper unter dieselbe, um sie daselbst einheilen zu lassen. Die Heimath dieser bestialischen Gebräuche ist der malayische Archipel.
v. Miklucho-Maclay berichtet, dass bei den Eingeborenen der Nordwestküste Australiens von der Harnröhrenmündung aus eine mediane Spaltung der Glans penis an ihrer Unterseite vorgenommen wird. Auch diese Operation wird ausgeführt, um das Wollustgefühl beim Coitus zu erhöhen. Dieselbe ist aber nicht zu verwechseln mit der Mika-Operation, auf die wir noch zurückkommen müssen.
Kaum als chirurgische Operation zu bezeichnen ist die Entfernung kleiner Fremdkörper aus der Haut, wie Dornen, Stacheln, Splitter u. s. w., oder kleiner Insekten, z. B. der so unbequemen und nicht selten sogar gefährlichen Sandflöhe. Auch der Medina-Wurm ist hier anzuschliessen. Hiervon befreit wohl fast Jeder sich selbst und nur in seltenen Ausnahmefällen wird dafür fachmännische Hülfe beansprucht. Als Instrument dient irgend ein Dorn oder sonst ein scharfspitziger Gegenstand. Bei den Karayá-Indianern in Brasilien sind dafür scharfe Fischzähne im Gebrauch.
Der Absonderlichkeit wegen mag eine Sitte aus Cambodja hier angeführt werden. Man hält daselbst für das einzige Mittel, um eine in der Kehle steckengebliebene Fischgräte zu entfernen, das Trinken desjenigen Wassers, in welchem sich Jemand die Füsse gewaschen hat, der mit den Füssen voran geboren wurde.
Die Haussa im nordwestlichen Afrika haben zum Dornausziehen eine eiserne Pincette (Fig. 150) mit kurzen Armen und mit einem sehr langen Stiele, welcher dicht mit einem Lederstreifen umwunden ist.
Die Behandlung von Abscessen fällt aber meistens sachverständigen Händen zu. Ganz ähnlich, wie bei uns, pflegt das erste Mittel, zu dem gegriffen wird, ein Kataplasmiren der befallenen Stelle zu sein. Wir finden dieses in Australien, auf der Osterinsel, auf Engano, bei den Aschanti und bei mehreren Indianer-Stämmen in Nord-Amerika. Heisse oder zerquetschte Blätter, oder andere schmierige und breiige Substanzen liefern das Material dazu. In Süd-Californien und in Victoria werden auch Waschungen der erkrankten Stelle, bei den Dacota-Indianern Einsalbungen und in Süd-Australien und bei den Aschanti Pflaster angewendet. In Australien und auf Engano legt man auch heisse Asche auf, und bei den Bilqula und anderen Indianer-Stämmen wird die Stelle auch wohl cauterisirt.
In Nieder-Californien pflegt der Medicin-Mann das Geschwür durch Saugen zu zersprengen. An dem Frazer River in Nordwest-Amerika wird das Geschwür mit plumpem Messer scarificirt. Auch die Bilqula schneiden dasselbe mit einer Reihe paralleler Incisionen ein, und die Australneger von Victoria öffnen hartnäckige Abscesse mit ihrem Knochenmesser.
Die Südsee-Insulaner von Tahiti, Samoa, Tonga und den Loyalitäts-Inseln eröffnen ihre Geschwüre und Furunkel und sogar tiefsitzende Abscesse mit denselben rohen Werkzeugen, wie sie sie auch zur Blutentziehung benutzen, d. h. mit scharfen Steinsplittern, mit Glas- und Muschelscherben, mit grossen Dornen und mit Haifischzähnen. Hamilton sah auf den Nicobaren, wie die Unterkinnlade eines Fisches mit scharfen Zähnen auf eine Geschwulst aufgesetzt und dann mit einem Stocke darauf geschlagen wurde. Es erfolgte eine heftige Blutung, danach aber baldige Heilung. Auf der Karolinen-Insel Yap ist zum Eröffnen von Geschwüren die gezahnte Scheere eines Heuschreckenkrebses, einer Squilla im Gebrauch (Fig. 152).
Von den Haussa wird für diese Zwecke der kleinen chirurgischen Operationen ein kleines Messer (Fig. 151) benutzt. Es hat die Form einer kleinen Lancette, deren Spitze abgeschliffen ist. Mit seinem Talon steckt es fest in einem Holzgriff, welcher ungefähr die fünffache Länge von der kleinen eisernen Klinge besitzt. Dieser Griff ist aber noch vollständig mit einem groben Stoff umwickelt, so dass von ihm gar nichts zu sehen ist.
Die Dayaken in Borneo bedienen sich zum Eröffnen von Furunkeln und Abscessen einer holzigen Wurzel (Fig. 153), welche sie Pinjampo nennen und der sie durch Zuschneiden und Glätten eine Form gegeben haben, die an einen grossen Angelhaken erinnert. Das Instrument bietet eine ganz gute Handhabe und der kleine widerhakenartige Fortsatz dient vermuthlich dem Daumen zur Stütze, wenn die Faust den Griff umklammert, um die Spitze in den Abscess einzusenken. Auch zur Behandlung schmerzhafter Körperstellen bedienen sie sich desselben Instrumentes; diese werden kräftig damit betupft, weil die Dayaken glauben, dass sie auf diese Weise den Schmerz aus dem Körper herausziehen könnten.
Von den Kirgisen berichtet Pallas, dass sich bei ihnen harte Geschwülste entwickeln. Es kann nach der Beschreibung keinem Zweifel unterliegen, dass dieses Milzbrandcarbunkel sind. Die Behandlung schildert er folgendermaassen: »Die unter dem gemeinen Volke übliche Cur, da nämlich die harte und fast knorpligte Geschwulst mit einer langen Nadel verschiedentlich durchstochen und mit einer Vermischung von Tabak mit Salmiak eingerieben, dem Kranken aber alles kalte Getränk und gewisse Speisen aufs schärfste verboten werden.«
Von den Australnegern in Victoria werden bisweilen die Geschwüre einfach umbunden. Bei den Fullah vom Rio Nunez legt man bei Geschwüren an den Extremitäten feste Umbindungen oberhalb derselben an. Sie glauben auf diese Weise zu verhindern, dass das schlechte Blut zum Herzen gelangen könne. Corre fand dort eine Ulceration durch Compression mit einer Kupferplatte in Behandlung.
Sollen wir die kleine Chirurgie vollständig behandeln, so müssen wir im Anschluss an die Abscesse auch noch von der Zahnheilkunde ein Paar Worte sagen. In den Berichten über die Naturvölker ist sehr häufig auch von den Zähnen die Rede, da es nicht selten bei ihnen gebräuchlich ist, an ihren Zahnreihen durch Ausfeilungen, Ausmeisselungen oder durch Ausschlagen sogenannte Verschönerungen vorzunehmen. Von diesen zu sprechen ist hier nicht der Ort, da sie nicht zu Heilzwecken ausgeführt werden. Es muss uns aber überraschend sein, dass wir, gerade da so vielfach die Emailschicht der Zähne verletzt und zerstört wird, so wenig über Zahnoperationen und Krankheiten der Zähne hören.
Die Behandlung der Zahnschmerzen bei den Australnegern Victorias haben wir oben bereits besprochen. Sie bestand in Bananen-Umschlägen oder in tagelanger Einsperrung des Kranken. Ein Amulett, das Zahnschmerz vertreibt, hatten wir von den Giljaken kennen gelernt. Es ist in Fig. 120 abgebildet. Wir sehen da einen kleinen Menschenkopf in roher Ausführung in Holz geschnitzt, dessen ganze untere Gesichtshälfte durch einen herumgelegten Lappen eingehüllt wird.
Aus Sokotó von den Haussa hat Robert Flegel Instrumente zur Zahnoperation mitgebracht. Das Eine derselben, mit Namen Massassaki, wird zum Lockern des Zahnfleisches benutzt. Die anderen Instrumente sind Zangen, Awarteki genannt (Fig. 154), mit welchen die Zähne ausgezogen werden. Für dieses Armamentarium besitzen sie ein besonderes kleines Lederfutteral (Fig. 155).
Sehr roh ist die Behandlung kranker Zähne bei den Bawenda im nördlichen Transvaal. Sie suchen sie mit ihren Assegaien-Spitzen oder mit Meisselschlägen aus dem Kiefer zu entfernen. Mit welcher Gewalt sie dabei zu Werke gehen, das zeigt die Photographie eines armen Patienten (Fig. 156), dem bei einer solchen Gelegenheit ein grosses Stück des horizontalen Unterkiefer-Astes durch die Weichtheile der Wange hindurchgetrieben wurde.