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Derselbe Ort bei Nacht, Regen und Sturm. Calan und Chus.
Calan: Sie haben uns bei Dunkelwerden Speise herausgegeben, iß, Kind.
Chus: Ich kann nicht – essen heißt Geschrei in meinen Ohren, atmen heißt Geschrei in meinen Ohren, leben ist Geschrei und nur vor deiner Stimme schweigt es – sprich.
Calan: Ich vermag nicht weiter, Chus, lebe Kind, so lange du atmen kannst.
Chus: Erbarmen; der Tod sitzt in meinen Ohren und brüllt auf meine Seele. Nimm dein Schwert und töte den Tod, daß ich sei wie Alle – lautlos, leidlos, – nimm dein Schwert.
Calan: So halte die Spitze des Schwertes in deiner Hand und leite sie dahin, wo dein Herz sich hebt. Faß.
Chus: Dank für deine Güte – da ist der rechte Ort, stoß! (er fällt).
Calan (lauscht über ihm): Nur noch ein Lispeln von Leben, ein Hauch – und noch ein Hauch, ein Spiel von Wärme auf dem Herzen, kaum zu spüren – und nun leise Leere – aus. (setzt sich) Ich will wachen und warten, bis sein Leib erkaltet ist.
Der Aussätzige und der Hirt tappen heran, Calan ist im Dunkeln unkenntlich.
Hirt: Du bist vom vielen Fluchen müde und heiser 92 geworden – hier ist der Platz Noahs, von wo er uns vertrieb. Alles schläft, schlafe auch, ich hüte dich.
Aussätziger: Wir stolpern uns, wenn wir weiter wandern, in Stockfinsternis zu Tode. Gib mir etwas mich zu bedecken und laß mich schlafen. Mich hungert, aber Gott und Noah brauchen Alles selbst – heiser, ja, aber nochmal: verflucht sei das Leben! (legt sich, der Hirt sitzt bei ihm, Stille).
Calan: Wohin geht euer Weg?
Hirt: Wir suchten den Paß über die Berge. Aber Wolken hingen dick überall und senkten sich schwer auf uns nieder. Es drückte uns zu Boden und wir fliehen vor ihnen ins Tal.
Calan: Die Zeit ist reif.
Hirt: Wovon sprichst du?
Calan: Willst du Nahrung für dich und ihn verdienen, so grab und lege mit mir mein totes Kind hier neben uns hinein. Wir warten, solange er warm bleibt.
Hirt: Ich kann nicht graben, Herr, mir fehlen die Hände. Calan hat sie mir abschlagen heißen und Chus, sein Knecht, hat es vollbracht.
Calan: Ich bin Calan, und Chus, mein Kind, sonst mein Knecht, liegt neben mir, er starb. Deine Blutstropfen haben sich in Meere verwandelt und mir Herden und Herrschaft ertränkt. Deine Seufzer zogen alle Wolken der Welt über uns zusammen – die Zeit ist reif.
Pause. 93
Calan: Warum weinst du? Ich höre es wohl.
Hirt: Ich weiß nicht warum.
Calan: Warum flucht dein Gefährte, dein buckeliger Begleiter?
Hirt: Er flucht seines Gottes, der ihm Alles gegeben hat, Aussatz, Mißgestalt – dazu ein Herz.
Calan: Er flucht mit Recht.
Hirt: Ich würde über Gott weinen, der das getan.
Calan: Aber du fluchest doch Calans, der dir die Hände genommen?
Pause.
Calan: Antworte – ich bins, Calan, dem Gott für deine Hände die Herrschaft nahm. Fluche doch, ich habe dich schwerer geschlagen als Gott ihn mit seinem Aussatz und seiner Mißgestalt.
Hirt: Fluchen kommt aus Blindheit, ich aber sehe.
Calan: Was siehst du?
Hirt: Ich schäme mich von Gott zu sprechen und auch sonst sprach ich nie von ihm. Das Wort ist zu groß für meinen Mund. Ich begreife, daß er nicht zu begreifen ist, das ist all mein Wissen von ihm.
Calan: Du hast Recht – ich bin auch nur durch Noah zum Plappern über Gott gekommen. Es ist dasselbe, wie wenn die Würmer in meinen Eingeweiden sagen wollten: Calan muß Fleisch essen, sonst geschieht uns unrecht und er sei verflucht.
Aussätziger (erwacht): Mit wem sprichst du? 94
Hirt: Mit Calan.
Aussätziger (auffahrend): Mit Calan, mit dem großen Calan?
Calan: Calan ist klein geworden, arm, kalt, hungrig, naß – aber Calan ist es, Bruder.
Aussätziger: Arm und naß und kalt? Und doch hast du dein Leben lieb, Calan, also bist du beglückt. Wer schläft neben dir?
Calan: Einer, der lieber sterben als essen wollte. Du sollst mir graben helfen und wir legen ihn in die Erde. Dort steht der Krug, stärke dich und trinke Wein, iß von der Schüssel, denn du willst lieber essen als sterben.
Aussätziger (ißt und trinkt mit Gier).
Calan: Iß und trink, es ist dir gegönnt, aber gönne auch deinem Bruder davon.
Aussätziger: Er ist nicht mein Bruder.
Calan: So gönne es ihm als Freund.
Aussätziger: Er hat keine Hände, kann den Krug nicht heben, hat keine Finger zum Fassen.
Calan: So reich es ihm mit deinen Händen zum Munde.
Aussätziger:Zu spät, es ist nichts übrig.
Calan: So hilf mir graben.
Aussätziger: Die Schakale wollen auch fressen, schade um den schönen Schmaus. Calan, Calan, wie bist du herabgekommen, sitzt im Elend bei den Elenden und mußt höflich anhören, wie man dich höhnt. Schade um 95 deine schöne Hoffart von früher – tust mir leid, lieber Calan.
Calan: Hast du dein Leben lieb?
Aussätziger: Meins?
Calan: Deins, das ich aus Elendsbrüderlichkeit und Freundschaft mit diesem Schwert von dir nehmen werde. Schade um das schöne Schwert, aber wenn es dir Brüderlichkeit beweisen kann – – –
Aussätziger (rüttelt den Hirten): Steh auf, Bruder, ist es Zeit zum Faullenzen, wenn Frost und Nässe unsere Herberge heißt? Wir wollen weiter wandern ins warme trockene Land.
Hirt (steht auf): Ich folge dir, aber fluche nicht mehr.
Aussätziger: Ei ja – hättest du dir nicht deine Hände abhauen lassen, so könntest du dir die Ohren zuhalten. Ich habe es nicht getan, bedank dich bei Calan dafür.
Beide ab.
Ebenda, trüber Tag, Calan gräbt ein Grab, Zebid schaut zu.
Calan: Die hölzernen Götzen, die du deinem Vater stahlst, als wir auszogen, Zebid, hast du unterwegs weggeworfen. Sie wurden dir zu schwer als wir ins Gebirge kamen. Schlimm, Zebid, die hölzernen Götter sind noch die besten. Wenn sie schon keine Not verhüten, so verhelfen sie doch nicht dazu – du mußt es jetzt mit Noahs Gott halten.
Zebid (weinend): Ist es wahr, was sie sagen, alles Land liegt unter Wasser?
Calan (nickt flüchtig).
Zebid: Du lügst. (weint aber weiter)
Calan (nickt).
Zebid: Was ist es nun mit dem Wasser, ist es oder ist es nicht?
Calan: Wie du willst, da doch Niemand glaubt, als was ihm genehm ist. Du willst kein Wasser, also glaubst du kein Wasser. Es ist dir genehmer, daß ich lüge, als daß das Land überläuft – also glaubst du, daß ich lüge.
Zebid: Sie lügen hier Alle, nur Ham nicht.
Calan: Es ist dir so genehmer, also glaub.
Zebid: Worauf sonst als auf sich selbst, soll man sich verlassen? 97
Calan: Verlaß dich auf deine Meinung von Ham wie auf das feste Land – hast du Japhet schon lieb?
Zebid: Ich will ihm das Leben nicht verdanken, aber er sagt es immer wieder und so soll ich ihn nun lieb haben. (heftig weinend) Wenn alle tot sind, so ist Mes tot, so ist Sin tot, ist Asad tot, und so viele sind tot. Abbir auch! Bist du wirklich ein Bettler geworden, Calan, sie sagen es, aber sie sagen es ganz leise.
Calan (nickt).
Zebid: Du lügst.
Calan (nickt): Du hast Recht, denn sieh, Zebid, Chus ist noch mein. Aber hilf mir, ihn hinlegen, dann bin ich wirklich ein Bettler, wenn sie es so nennen wollen.
Sie legen Chus ins Grab.
Calan (wirft die Grube zu): Er soll nicht im Wasser treiben, soll nicht in den Wirbeln wiegen wie alle meine Weiber und Kinder. Ruhe, Chus, mein Kind.
Zebid: Dein Kind? Dein Knecht!
Calan: Ein Herr hat Knechte, ein Bettelmann nicht.
Zebid: Willst du nun bei uns betteln, Calan?
Calan: Betteln? Was hättet ihr Knechte zu geben! Ich will sehen wie Knechte schwimmen. So, Zebid, jetzt ist er sicher in der Erde, nun darf die Flut kommen.
Zebid: Wenn wir schwimmen, wirst du auch nicht untergehen. Auch Ram ist tot, das hätte ich fast vergessen – o Calan, wenn auch er tot wäre! Er hat Japhet einmal so verhöhnt, daß Japhet rot wurde und stotterte und wie wütend dastand und doch nicht zu schlagen wagte. Es 98 war eine Freude für Alle, die es sahen, Calan, glaube es mir.
Calan: Ja, das glaube ich dir. Aber Ram hat jetzt den Mund voll Wasser und Japhet verspottet sie nach der Reihe und wird nicht rot dabei. Er ersetzt dir den Spaß mit Ram, mit Mes und vielen Andern. Da kommt Noah und kommt gekrümmt gegen den Wind – ach wie künstlich ist sein Gang. Ich sehe ihm an, er will mich von hier verscheuchen.
Noah kommt.
Noah (zu Zebid): Du frierst hier im Wind, geh ins Haus, Kind, wärme dich, du wirst auch zu naß.
Zebid ab.
Calan: Ich bin kalt und naß, Noah.
Noah (reibt die Hände): Mich friert auch, Calan.
Calan: Was habt ihr beschlossen, du und deine Söhne?
Noah (sieht umher): Hast du gegessen, Calan, war genug Wein im Krug? Du sollst mehr haben, wenn du willst.
Calan: Die Zeit ist reif, Noah, zu was hilft Speise und Trank. Die Tiere des Waldes bergen sich bei euch im Gehäuse und finden Erbarmen. Ich bin zufrieden mit einem Plätzchen bei den Tieren – und Calan ist allein – ein paar Wildkatzen für Calan!
Noah (verlegen): Wo hast du dein Schwert, Calan?
Calan: Ich habe dir oft geholfen, Noah, du weißt es, vergiß es nicht, oft und gern. Machen euch die wilden Tiere zu schaffen? Ich will abermals helfen – komm ins Haus, es soll schnell besorgt sein. (will gehen.)
Noah (hält ihn erschrocken an): Nicht hinein, geh nicht hinein, Calan. Es hat keine Gefahr mit den Tieren, sie 99 sind fromm und still und friedlich alle miteinander. Nein, Calan, nicht ins Haus.
Calan: Aber ich friere und bin naß, will mich wärmen und die Kleider trocknen.
Noah (weinend): Du wirst Herr werden über uns, Calan. Und wirst in Gottes Hause fahren und mich und meine Söhne zu Knechten machen. Du weißt es, Calan!
Calan: Wenn Gott es zuläßt, dann ist es so Gottes Wille gewesen, das weißt du, Noah.
Noah: Wo hast du dein Schwert?
Calan: Hier oder da – fürchte dich nicht, Noah, dein Leben steht in Gottes Hand, das war der Trost Noahs für den, der seine Hände verlor.
Japhet kommt gelaufen.
Japhet: Komm ins Haus, Calan, wärme dich und trockne dich. (zu Noah) Wenn ihr Alle es auch nicht wollt, so kann es doch nicht anders kommen, er gehört zu uns. (zu Calan) Sie ratschlagen hin und ratschlagen her, wie sie es mit dir halten wollen und sind nur einig über Eins, daß du ein Räuber bist und in der Flut recht Gericht findest (zieht ihn fort). Ach, Calan, wie gut Zebid mit mir ist, glaub es, glaub es, gut und gehorsam und – Calan – wenn sie nur ihre Hände auf mich legt, so faßt es mich und frißt sich herrlich bis ins tiefste Gedärm, glaub es, Calan. Dann bin ich wie verwandelt und kaum noch Japhet, sondern fast wie sie, wie Zebid selbst, als ob ich sie selbst wäre und das ist doch ohne Gleichen auf der Welt, komm ins Haus, komm! (Alle ab.)
Ebenda, Unwetter, Sem und Ham.
Ham: Unsere Weiber sind wie toll, Calan hier, Calan da. Was sagst du, Sem?
Sem: Du hast mich herausgewinkt, ich warte auf deine Worte, Ham.
Ham: Wir sind schon jetzt nur die Calanschen Knechte, du, ich, wir Alle. Das siehst du doch, Sem?
Sem: Ham . . .
Ham: Halt! Vater versteht sich am besten auf Calan. Er fährt und wir fahren mit ihm, und begibt es sich, daß das Wetter sich bessert, so nimmt er uns die Weiber und schert die Wolle von unsern Schafen und frißt das Fett von unsern Rippen. Vater hat Recht.
Sem: Ham . . .
Ham: Halt – laß mich ausreden – nun was meinst du denn, Sem?
Sem: Ich denke es auch, Vater versteht es und du verstehst es und ich auch.
Ham: Weißt du nicht mehr? Das ist wenig.
Sem: Nicht weniger als ihr wißt.
Ham: Können wir Stiere schlachten und Wölfe töten, so können wir auch Calan erschlagen.
Sem: Ich habe es diese ganze Nacht überlegt, Ham, und du weißt, daß ich einen kühlen Kopf habe; aber mein Herz ist schon krank von dem Gedanken an einen Mord. Bis 101 eine Gelegenheit günstig ist und endlich die Stunde stimmt und wir uns getrost auf unsere Vorsicht verlassen können – ach, Ham!
Ham: Ach, Sem, du brauchst blos an Awah zu denken. Ich sollte meinen, das wäre Trost und Stärkung zu unserm Vorhaben genug.
Sem: Das sagst du so – ich habe von dir mehr Sorgen um Awah als von Calan. Stell dich nicht so steif dahin, Ham, ich sehe wohl, was ich nicht zu sehen wünsche.
Ham: Was kannst du mir vorwerfen?
Sem (will antworten).
Ham: Ich denke, wir sprechen hier von Calan?
Sem: Aber die Rede wandte sich auf dich, Ham.
Ham: Nun, ich bin begierig, Sem; sehr, Sem.
Sem: Du hast Lust an ihr, das ist schon zuviel. So leise Frechheit gegen sie, daß man es fast vergessen hat, ehe man es erkannte. Aber dein Gefallen geht um sie herum, Ham, dein Lungern nach ihr hat lange Finger.
Ham: Lust und Lungern und Gefallen? Darüber mußt du mir Zeit nachzudenken geben. Lust und Gefallen und Lungern! Wollen wir nicht lieber einen bequemen Weg suchen, auf den wir Calan bringen können, Sem? Einen Weg, irgendwohin, einerlei wo? Lust und Lungern und Gefallen! – Wer hat hier in den Boden gehauen, Sem, es sieht aus wie ein Grab.
Sem: Erde wie über einen Mann gehäuft. Wer mag da liegen?
Ham: Du wirst keine Antwort von ihm kriegen, Sem, 102 hilf mir, befrag ihn mit den Nägeln – – – Lust und Lungern und Gefallen, wahrhaftig, das ist viel zu viel. (sie graben.)
Sem: Hier schaut eine Hand heraus, Ham, heb' den Arm hoch, so wird der Kopf kommen.
Ham: Chus! – Chus ist es und zwar der tote Chus, das kann man dreist sagen – laß es, Sem, es ist Chus, Calans rechte Hand, ein zweiter Calan, wenn er lebte – den sind wir los. Gott hat es zugelassen, wie Vater sagen würde, daß Calans rechte Hand welkte – gut, daß wirs wissen, eine Hand weniger wider unsere Freiheit. Schließ die Kammer und laß ihn liegen, so lange er mag, laß ihn lungern, Sem, gönne ihm die Lust und das Gefallen am liegen. (sie häufen die Erde wieder über dem Grab).
Calan und Noah kommen. Ham und Sam stehen horchend abseits.
Calan: Ihr habt mit gesegneten Händen gebaut. Gott hat euch geholf en und Gott liebt das Getier wie euch selbst – für mich hat er keine Herberge vorgesehen. Gib mir zu, Noah, der Wandel der Tiere riecht nicht so recht nach Gottes Lob und Preis. Ich habe, wo mir recht ist, deiner Söhne Bastarde unten im Land bei den Wölfen gesehen, sie bellten und bissen mit Mäulern und Zähnen um sich wie alles gottlose Getier und sind vergangen wie Alles, wogegen Gott ergrimmte – nun, noch ein Wort, Noah.
Noah: Ach, Calan, sprich, aber sprich im Guten mit mir. Warum hast du mich hergeführt?
Calan: Höre mein Wort. Sieh, da ist Chus seine Stätte, 103 Chus liegt sicher in der Erde und auch ich will nicht im Wasser mit dem faulen Vieh treiben, wer weiß wohin und wessen Fisches Fraß ich werde. Versprich mir, Noah, daß du mich hier neben ihn legen und bei ihm bestatten willst. Nun?
Noah: Ich, Calan?
Calan: Du, Noah.
Noah: Dich ins Grab, Calan? Begräbt man Lebende?
Calan: Lebende? Nein, Noah, aber tot – tot bin ich, wenn ich an meinen Ort komme.
Noah (händeringend): Calan, Calan, du lebst und redest vom Sterben?
Calan: Du mußt es an mir tun, oder Einer von euch – Chus, der es täte, hat es von mir begehrt und ich begehre es von dir. Du oder euer Einer. Was da, Noah, wenn Gott es zuläßt – mich, Gottes Feind und Verächter, wie?
Noah: Gott wird nach seinem Gefallen mit dir verfahren – quäl' mich nicht, Calan, wie du noch lachen magst!
Calan: Der Eine, Noah, dessen Sohn ich bin, der mich frei und ohne Furcht ins Leben gelassen, der hat mich vergessen. Oder, Noah, er ist seiner Sorge um mich darum ledig, weil er mir genug gab – und ich danke ihm für Alles, was er mir gegeben. Aber ich will nicht von Noahs Gott mit den Rindern und Kamelen zugleich ertränkt werden. Ich bin stärker als er, vergiß das nicht, und will sterben wie es dem Sohn ansteht, der kein Knecht seines Vaters ist. Nun? 104
Noah: Mir graust; Gottes Gebot heißt, nicht töten.
Calan: So fahre ich auf der Flut und spotte deines Gottes. Ihr Alle sollt meine Knechte werden – so ist dein Haus mein Haus, eure Weiber meine Weiber und eure Hände regen sich im Dienst dessen, den ich euch setze. Gott ist abgetan, Gott läßt es zu, daß ich seine Hände abhaue – soll das sein? (zu Ham und Sem) Kommt heran alle Beide und bittet euren Vater, daß er euch Segen gebe zu dem Werk.
Sem und Ham stehen unschlüssig.
Ham: Du bist gegürtet, Calan, hast ein Schwert und zwei Hände – wirf es von dir und wende dein Angesicht von uns ab.
Calan (lachend): Mein Schwert? Soll ich mich schlachten lassen wie ein Tier? Nein, Ham, mein Schwert ist zu mir geboren, mein Schwert ist ein Stück von mir – wollt ihr an mich, so wagt euch an mein Schwert. Gott, ist er stärker als ich, wird euch Schwerter in die Hände geben und ihnen befehlen, wie er dem Bau des Hauses geboten nach seinem Willen zu tun. Gibt euch Gott keine Schwerter, so seid ihr meine Knechte – – seht, seht, was für ein fingerlanges Vertrauen ihr zu ihm habt – habt nur Vertrauen und ihr habt auch Schwerter in den Händen.
Die Stimme des Aussätzigen: Mutter, Vater, Noah, Noah, Calan, Brüder, Freunde – Mutter, Mutter!
Aussätziger (angstschlotternd): Ach, ach, ach, sie kommen, ach sie klettern! 105
Calan (rüttelt ihn): Wo ist dein handloser Hüter, Mensch, wo ist dein Genosse geblieben?
Aussätziger: Bei Calan bin ich, bei Calan? Noah, ach, Noah, hilf mir, Noah!
Calan (schlägt ihn): Sprich, wo ist er?
Aussätziger (blickt zurück): Sie kommen, sie klettern mir nach, große Tausende geblähter Äser auf der Flut, hängen zwischen den Bäumen und schwimmen am Berg und häufen ihre Bäuche und wälzen sich übereinander und schieben sich mit der Flut voran.
Calan (schlägt ihn): Wo hast du ihn gelassen?
Aussätziger: Ach, Calan, alle meine stinkenden Flüche auf meinen Fersen, Berge von Flüchen, erstickt und stumm, wollen mich unter sich wälzen, wollen mir den Atem aus dem Leibe schlagen. (umfaßt Calan krampfhaft) Calan, Calan, hilf und halte mich, daß sie mir das Leben nicht abtreiben!
Ham und Sem sind währenddessen näher getreten. Wie der Aussätzige Calan umklammert greifen sie zu Stricken und werfen sie um Beide, umschnüren sie und werfen sie nieder. Japhet kommt darüber zu.
Ham: Die Hände, Sem, die Hände – fester, fester und die Arme gefaßt, vielfach und immer mehr – knote, daß ihnen die Knochen knacken – zieh, Sem, zieh!
Japhet: Wo ist Calan – Calan wo bist du?
Ham: Calan hat sich im Netz verkrochen, wo bist du, Calan? (er zieht Calans Schwert hervor) 106
Japhet: Gebunden – gebunden habt ihr ihn, was hat er euch getan?
Ham (stößt ihn beiseite): Meine Hände zittern, Sem, nimm du es und vollbring es, stoß zu.
Sem: Meine Hände zittern nicht, aber das Herz stockt mir, ich versteh mich nicht auf das Geschäft, tu es selbst, Ham.
Ham (geht heran): Macht euch Alle fort, seht nicht her – was haben eure Augen auf meine Hände zu hacken! (das Schwert fällt zu Boden)
Calan: Tu du es, Japhet, nimm es auf und durchstich uns Beide – tu es, guter Japhet!
Japhet: Ich kann nicht, Calan, du hast Blut im Leibe und dein Schwert ist so schrecklich scharf. (läuft fort)
Calan: Noah, Noah, denk du daran, was ich Alles für dich tat; tu auch etwas für mich, Noah, schlag zu!
Noah: Dein Leben ist in Gottes Hand, Calan, leg dein Herz zu seinen Füßen und er wird dich aus den Banden lösen. Ich nicht und auch nicht meine Söhne sollen richten. (zu Sem und Ham) Kommt, Kinder, die Zeit ist reif für Gottes Rache. (nimmt das Schwert und geht fort)
Ham (schlägt Sem auf die Schulter) Du bist frei, Sem, die Zeit hat unsere Freiheit gereift.
Aussätziger: Soll ich mit Calan verderben, ihr Guten, ihr Starken, ihr Stolzen, ihr Göttlichen? (sie wollen gehen, er schreit lauter) Eure Hände, ach, eure geschickten schnellen Hände, ach, ihr Gönner – Calan ist euer gewisser Feind, aber ich, ich bin euer Freund, ein 107 erbärmliches, elendes bißchen guter Wille zu eurem Wohl. Wälzt uns um, wendet mich nach oben, daß ich atmen kann, wenn er ertrinkt – womit habe ich euch je geschadet, ihr Schönen, ihr Herrlichen, ihr Hohen, ihr Schinder, ihr Schufte?
Sem: Er hat Recht, Ham, womit hat er es um uns verdient?
Ham: Er? Schön, sein Wunsch soll wirken, mag er oben liegen und alt werden. (er wälzt sie um)
Aussätziger: Sem, ach Sem, wie die Stricke ins frierende Fleisch schneiden, ach Sem, wie gerne würde ich deine Füße küssen, Sem, womit habe ich dies verdient um euch?
Calan: Bindet ihn los, den armen Schelm.
Aussätziger: Bindet mich los, ihr Freunde, ich helfe euch hernach von Herzen gern – um und um soll er in Schlingen geschlagen werden – ich hasse ihn, ich tu's herzlich gern.
Ham: Damit er uns die ganze schöne Freiheit verdirbt – er hat Hände, Sem, und Calan wird ihm die halbe Erde versprechen. Wir, Sem, wir sind die Herren der Erde. (zieht ihn mit sich fort) Halt dein Herz fest und Kind und Kindeskind werden dich segnen.
Beide ab.
Ebenda, Dunkel. Calan und der Aussätzige.
Aussätziger: Gott rächt sich an deinen Untaten, Calan, Gott tut es und was er tut, das tut er im Überfluß. Für das elende Dasein, das er mir geschenkt hat, sollte ich mich an ihm rächen, aber mir scheint, das Rechte geschieht auch hier am falschen Ende. Gott übernimmt es an meiner Statt und rächt es in der Eile an mir selbst. Glaubst du, daß Gott bloß taub ist, ich glaube er ist auch blind, wenigstens sieht er nicht im Dunkeln, sonst müßte es ihm doch unbequem sein, daß wir offenbar unbillig gleich behandelt werden, wie im gleichen Stand der Schuld. Was Calan? Glaubst du, daß es Gott an Elend in der Welt zuviel werden kann? Glaubst du, daß er ein einziges Mal mit Essen überschlägt, weil all das menschliche Elend mit seinem Brand und seiner Bitterkeit in seinen behäbigen Bauch beißt und die Krallen der Gebete seinen Magen wund kratzen? Ob er wohl ein Herz hat? Ich glaubs nicht.
Calan: Schweig, Quäler.
Aussätziger: Was für einer bin ich? Ein Quäler? Dann wäre ich ja wie Gott, da sei Gott vor, daß ich das dächte. Nein, das Quälen versteht er über Verstehen und Begreifen.
Calan: Der Geifer deines Mundes tropft mir in die Augen und fließt über meine Lippen. Schweig wie ich.
Aussätziger: Beißt wohl die Zähne aufeinander, Calan? 109
Calan (schweigt).
Aussätziger: Calan – he, Calan! Bist zu stolz mit mir zu reden? Ich will dich von der Sünde heilen; sieh, ich schlemme den Schleim meines faulenden Mundes über dich aus, das wird dich vom Stolz herstellen und dein Stöhnen wird einherzig mit meinem verschmelzen. So sind wir ein liebendes Paar beieinander. Wenn wir an Übermut darben, so haben wirs üppig in Traulichkeit und Getrostheit. Was sagst du, demütiger Bruder Calan?
Calan (schweigt).
Der Hirt schleicht und kriecht heran.
Hirt: Wer spricht von Demut und Getrostheit? Ich bleibe wo Getrostheit spricht.
Aussätziger: Hier, hier, Bruder, hier am schlammigen Ort, hier wiegen wir uns im wüsten Wohlsein – ich bins, Bruder, ich und Calan, innig von Banden der wahren Brüderlichkeit umwunden.
Calan: Welchen Weg ziehst du, wo alle Wege ins Verderben führen?
Hirt: Das Wasser wies mir den Weg, matt wie ich am Boden lag – die Flut füllt alle Tiefen und hetzt was lebt zur Höhe. Ich wandere mit den vierbeinigen Völkern der Höhlen und Löcher und Gruben des Gebirgs. Liegt nicht, erhebt euch und laßt uns dem Zug der ziehenden Tiere folgen.
Aussätziger: Erheben sollen wir uns? Hilf du uns aus unserer Herrlichkeit auf, greif ins Geschlinge von Bast 110 und Binden und wir wollen getrost und traulich mit dir wandern.
Hirt: Ich habe keine Hände, euch zu helfen.
Calan: Nein, er hat keine Hände, hat keine und kann nicht helfen; die Flut hetzt Alles was lebt zur Höhe!
Aussätziger: Dir geschieht Recht, Calan, Gott gibt dir Vergeltung zu schmecken. Aber warum soll ich, weil du ihm die Hände abgehauen hast, in schlammiger Getrostheit liegen bleiben? Warum ich, wenn dir schon recht geschieht?
Calan: Ich schmecke was durch mich geschah, mir geschieht Recht. Aber der rächende Gott ist doch nicht der rechte. Noahs Gott ist grimmig wie ich war und mir graust vor dieser Göttlichkeit. Ich liege im Schlamm und erbarme mich seiner geringen Größe.
Hirt (fällt zu Boden und schlägt um sich).
Aussätziger: Warum liegst du, was wimmerst du – willst du die Welt totschlagen, ehe sie mit dir fertig wird?
Hirt: Das beißende hungrige Getier, das Gewimmel von tausend Fressern – alles über mich her. (rafft sich auf und verschwindet.)
Aussätziger: Über dir? Auch über mir, Beißer überall an meinem Leibe – erbarm dich, Gott, erbarm dich, Gott – sprich, Gott, sag ein Wort, ich will hören, womit du dich verantworten kannst. Rede, ruf – räuspere dich nur! 111
Einen Augenblick hört man nichts, als das Rauschen des Regens, dann leises Donnern in der Ferne.
Aussätziger: Oho, so wars gemeint? Das ist halbe Antwort, verfluchte Ausflucht, kümmerliche Verantwortung, dein Murmeln in der Ferne geht um die Frage herum. Hast doch wohl ein Herz und willst das liebe Getier beim Fraß nicht verscheuchen? Doch wohl, doch wohl ein Herz, hübsch milde wie sichs geziemt für den gnädigen Gott seiner hungrigen Gäste. Fraß bist du, Calan, Fraß für Fresser; hör sie pfeifen, fühl das Feuer ihrer Zähne in deinem Fleische, so schmeckst du an den Fingern, was du vor Zeiten Andern gegeben hast – Calan – –
Ebenda, Dunst und trübe Helle. Zwei unkenntliche Gestalten wälzen sich am Boden. Noah, eingehüllt in Gewänder, kommt furchtsam durch den Schlamm gewatet. Setzt einen Krug zu Boden,
Noah: Ich hörte Gewimmer die ganze Nacht, wir haben es Alle gehört, aber meine Söhne hielten die Tür verrammelt. Wo seid ihr – Calan, wo bist du, ich will dich tränken.
Der Eine: Gib her, Noah, gib her.
Noah: Das ist nicht Calans Stimme – wer seid ihr Elenden?
Der Eine: Ich war Calan, aber die Tiere haben an meiner Zunge genagt, ich spreche nicht im alten Ton – gib mir zu trinken.
Noah (weicht zurück): Nehmt was ich euch lasse – ich kenne euch nicht mehr.
Der Eine: Die Fresser haben unsere Augen geschlürft, das Fleisch von den Fingern geschält – wir sehen nicht, wir fassen nicht – gib Noah, gib.
Der Andere: Sprich vom Grimm Gottes oder sprich von Gottes Gerechtigkeit, wenn du kannst.
Noah: Das sagte Calan – Calan, bist du es – armer Calan!
Calan: Sprich vom gerechten Gott, sprich von Gottes Rache, wag es. 113
Noah (weicht weiter zurück, hält die Hand vor die Augen): Gottes Walten ist gerecht, aber seine Gewalt ist über die Kraft meiner Augen, sie ertragen nicht den Anblick seines Tuns.
Calan: Als die Ratten meine Augen aus den Höhlen rissen, Noah, bin ich sehend geworden. Ich ertrage den Anblick Gottes, ich sehe Gott.
Noah (weiter zurück).
Calan: Hörst du, Noah?
Noah: Ach, Calan, was siehst du – Gott ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln. Er wird mich durch die Flut führen und mich retten vom Verderben.
Calan: Das ist Gott der Fluten und des Fleisches, das ist der Gott, von dem es heißt, die Welt ist winziger als Nichts und Gott ist Alles. Ich aber sehe den andern Gott, von dem es heißen soll, die Welt ist groß und Gott ist winziger als Nichts – ein Pünktchen, ein Glimmen, und Alles fängt in ihm an und Alles hört in ihm auf. Er ist ohne Gestalt und Stimme.
Noah: Armer Calan!
Calan: Du armer Noah! Ach, Noah, wie schön ist es, daß Gott keine Gestalt hat und keine Worte machen kann – Worte, die vom Fleisch kommen – nur Glut ist Gott, ein glimmendes Fünkchen und Alles entstürzt ihm und Alles kehrt in den Abgrund seiner Glut zurück. Er schafft und wird vom Geschaffenen neugeschaffen.
Noah: O Calan – Gott, der unwandelbare von Ewigkeit zu Ewigkeit? 114
Calan: Auch ich, auch ich fahre dahin, woraus ich hervorgestürzt, auch an mir wächst Gott und wandelt sich weiter mit mir zu Neuem – wie schön ist es, Noah, daß auch ich keine Gestalt mehr bin und nur noch Glut und Abgrund in Gott – schön sinke ich ihm zu – Er ist ich geworden und ich Er – Er mit meiner Niedrigkeit, ich mit seiner Herrlichkeit – ein einziges Eins.
Ham (stürzt heran): Wo – wo – wo, Vater, wo bleibst du! Es schob und schüttelte in den Tiefen und das Feld der Flut hat sich zu Bergen gehoben und seine Wände wälzen sich auf uns hernieder – lebe, lebe, Vater, ehe Gottes Grimm dich mit den Verlorenen begräbt. (er reißt ihn fort, man hört das Brausen heranwälzender Fluten).