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Jon Grecea

Jon Grecea war nur ein ungebildeter Bauer. Die großen sozialen Probleme waren ihm fremd und er wußte nichts von dem, was außerhalb des rumänischen Winkels vorging, wo er im Schweiße seines Angesichts schuftete. Seine Eltern und deren Eltern hatten seit undenklichen Zeiten auf den Gütern der Bojaren gearbeitet. Immer fühlten sie sich, gleich dem Land, das sie bestellten, als Eigentum der Bojaren.

Als Jon Grecea das militärpflichtige Alter erreicht hatte – es war während des Krieges – zog man ihn zur Marine ein. Erst da erfuhr er vom Kriege. Er lernte ihn nur in einem ganz schmalen Ausschnitt kennen. Die Befehle führte er aus, wie er sie erhielt. Er hantierte mit dem Gewehr, wie er vordem Pflug und Harke gehandhabt hatte – ohne nach dem Sinn zu fragen. Auch diese Tage des Mordens vermehrten sein Wissen nicht höchstens um die Erkenntnis, daß er wohl töten, aber sich nicht töten lassen durfte.

Eines Tages trat ein Arbeiter an ihn heran und übergab ihm einen Stoß Flugblätter mit der Bitte, sie unter die Kameraden auf dem Schiff zu verteilen. Grecea tat es, ohne zu wissen, was auf den Blättern stand; denn er konnte nicht lesen und Neugier war ihm unbekannt.

Das Flugblatt enthielt einen Aufruf an die Matrosen:

»Soldaten der rumänischen Kriegsmarine, Arbeitsbrüder in Uniform! Schießt nicht auf eure Genossen der Roten Armee, wenn euch die rumänischen Bojaren den Kampf gegen Sowjetrußland befehlen. Denn die Sowjetunion ist euer aller Vaterland, der einzige proletarische Staat der Welt!«

Bald entdeckten die Offiziere, wer die Flugblätter verteilte und Grecea wurde verhaftet. Wie alle, die man politischer Vergehen beschuldigte, wurde er geprügelt, blutig geschlagen und gemartert. Erst nach anderthalb Jahren brutaler Untersuchungshaft wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt. Grecea sollte sich verteidigen. Er erzählte seine Kindheit und Jugend. Wie sein Leben war, ehe er den »bunten Rock« anzog. Wie ein Stück Vieh hatte er gearbeitet, er und die Seinen und seine Vorfahren, »damit« – so sagte er – »sich unser Schweiß in Gold verwandle«. Und daß er diese Fron, die sein Leben ausmachte, für ein Lebensgesetz gehalten habe, für ein unabänderliches Gesetz, das ihn verurteilte, mit seinem Schweiße das Gold zu schaffen für die, die es hienieden ernten.

Ebensowenig wie seinem Vater, seiner Mutter oder seinen Brüdern und Schwestern war es ihm eingefallen, sich über dieses Schicksal zu wundern.

Dann berichtete er den Offiziersrichtern über die Verteilung der Flugblätter; er hatte nicht gewußt, was er tat. Was auf den Zetteln stand, hatte er nicht lesen können und hatte nicht einmal danach gefragt, so sehr war er an Gehorsam und Nachgiebigkeit gewöhnt.

Sozialismus, Kommunismus waren ihm Worte einer fremden, ganz unbekannten Sprache. Erst im Gefängnis hatte er Leute kennengelernt, »die man Kommunisten nannte«. Diese Kameraden, Gefangene wie er, hatten ihn über die Idee aufgeklärt, deren Apostel er gewesen war. Sie hatten ihm das Schicksal der Arbeiter klargemacht, die Ungerechtigkeit und den Wahnsinn einer Ordnung, die aus den arbeitenden Massen Lasttiere von wenigen Besitzenden macht. Sie hatten ihm eingehämmert: den Sozialismus verwirklichen, hieß, diesem barbarischen Zustand ein Ende bereiten und die Masse ausgebeuteter Sklaven zur Sonne, zur Freiheit, zum Leben führen.

Und der kleine Bauer Grecea klagte an:

»Meine Herren Richter, ich habe Ihnen erzählt, was für ein Mensch ich früher war. Ich bin ein anderer geworden. Diese Dinge, die mir früher nie zum Bewußtsein kamen, habe ich jetzt verstehen gelernt und wurde erst wirklich zum Menschen.«

Es wäre für ihn so leicht gewesen, sich aus der Schlinge zu ziehen, wenn er seine Unwissenheit als Entschuldigung vorgebracht hätte. Aber er schuf durch sein Bekenntnis selbst einen neuen wichtigen Anklagepunkt. Freiwillig hielt er seinen Kopf hin, als er wie ein alter christlicher Märtyrer bekannte: »Der Kommunismus ist etwas Herrliches. Wenn ein Gott die Menschen lenkte, würden wir längst eine kommunistische Ordnung haben.«

Ehrfürchtig wollen wir die Worte berichten, die Jon Grecea in den Gerichtssaal zu schleudern wagte. Er sprach in dem Bewußtsein, die Worte an seine Schicksalsgenossen zu richten:

»Alle Söhne des rumänischen Volkes, Bauern, Arbeiter, Soldaten und Handwerker, überhaupt alle, die eine ehrliche Arbeit leisten, müssen sich zum Kommunismus bekennen, die Blutsauger des Volkes zertreten und die Herrschaft der Werktätigen aufrichten!«

Jon Grecea wurde zu fünf Jahren schweren Kerkers verurteilt. Zwar hat Rumänien die Todesstrafe abgeschafft; es verfügt aber über mancherlei Mittel, sie im Rahmen der bestehenden Gesetze anzuwenden.

Als der Ministerpräsident Bratianu von der Rede Greceas vor dem Kriegsgericht hörte, geriet er in großen Zorn. Um ihm gefällig zu sein, versuchte man Grecea durch das klassische Mittel eines »Fluchtversuchs« umzubringen. (Man läßt den Delinquenten auf freiem Felde entlaufen und schießt ihn dann hinterrücks nieder. Offiziell heißt es dann: Er wurde bei einem Fluchtversuch erschossen.)

Doch bei Grecea gelang das Mittel nicht nach Wunsch. Da sollte er vergiftet werden. Ein Zufall verhinderte auch das. Es blieb bei den üblichen Quälereien. Grecea bekam nur das Allernotwendigste zu essen und wurde, an Händen und Füßen gefesselt, in das »Guerlo« geworfen, ein nasses, finsteres Kellerloch, wo er Monate hindurch liegen mußte.

Schließlich trat er in Hungerstreik. Als der Fall bekannt wurde und neben den Protesten der gesamten Arbeiterschaft auch die ausländische Öffentlichkeit dagegen Stellung nahm, mußte der Gefängnisdirektor nachgeben. Durch leere Versprechungen machte er dem Hungerstreik ein Ende und ließ Grecea in die Krankenabteilung schaffen. Die Krankenabteilung von Doftana ist eine Baracke, in die wohl lebendige Menschen hineinkommen, aus der aber nur Tote herausgeschafft werden. Der Gefängnisarzt pflegt das den Gefangenen bei der Einlieferung mit einem Lächeln zu erzählen.

Doch Jon Grecea starb nicht; er wurde wahnsinnig.

Der eines Tages mutig seinen Blutrichtern die Wahrheit ins Gesicht geschleudert hatte, ist nur noch ein Schemen, das sich bewegt und die Leiche seines Hirns mit sich schleppt.

Aber er hat einst bewiesen, daß der Gedanke des Kommunismus auch im Herzen des einfachsten Mannes lebendig ist.


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