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Die Seneschallin brauchte nicht allzulang darüber nachzusinnen, wie sie es anfangen wolle, den kleinen René mit Sicherheit für sich zu angeln; sie verfügte über einen Köder, daß einer kein Gimpel zu sein brauchte, um anzubeißen.
Folgendes war der Hergang.
In den heißen Stunden des Tages pflegte der alte Bruyn nach Art der Sarazenen Siesta zu halten, nämlich ein Schläfchen zu tun, wie er es sich im Heidenlande angewöhnt hatte. Während dieser Zeit blieb Blancheflor allein. Sie erging sich entweder auf der Wiese oder beschäftigte sich spielend mit kleinen Arbeiten, mit Weben oder Sticken, wie Frauen zu tun pflegen, oder sie sah in der Halle oder in der Wäschekammer nach dem Rechten, kurz, schlenderte herum, wie es ihr beliebte. Diese Zeit gedachte sie in Zukunft ausschließlich der Erziehung des Pagen zu widmen, und sie begann damit, daß er ihr aus Büchern vorlesen und die üblichen Gebete hersagen mußte.
Am andern Tag nun, als auf Schlag Mittag der Seneschall sich seinem süßen Schlaf überließ – denn es war heiß, und die Felsen von Roche-Corbon wurden wie glühend von den Strahlen der Sonne, also daß der Mensch nicht leicht dem Schlummer widerstand, es sei denn, daß die diabolischen Irritationen und Tribulationen einer aufgepeitschten Jungfernschaft ihn daran hinderten –, da rekelte die Seneschallin sich in dem herrschaftlichen Lehnstuhl ihres Gemahls so lange zurecht, bis sie die anmutigste Lage herausgefunden hatte; und wenn der Stuhl auch etwas unbequem hoch war, sie bedauerte es nicht, weil dadurch glückliche perspektivische Zufälligkeiten nur begünstigt werden konnten. Zierlich wie eine Schwalbe in ihrem Nest, machte sie es sich so mollig wie möglich und lächelte listig, indem sie wie ein schlafendes Kind ihr Köpflein über die Lehne hängenließ und genäschig sich einen Vorgeschmack gab von den zu erwartenden Leckerheiten, den verstohlenen Keckheiten und Frechheiten des kleinen Pagen, der zu ihren Füßen liegen werde, kaum um einen Flohsprung von ihr entfernt. Immer näher rückte sie mit ihrer Fußspitze das samtne Kissen. Darauf sollte René niederknien, das arme Kind, das ihr wie die Maus der Katze zum Spielball dienen mußte mit Leib und Seele. So nah rückte sie das Kissen, daß er wohl gezwungen war, und wenn er auch ein steinerner Heiliger gewesen wäre, mit seinen Blicken den Falten ihres Kleides nachzugehen und die Linien zu verfolgen, mit denen der Stoff ihr feines Bein modellierte. Nein, es war nicht zu verwundern, daß ein armer kleiner Page sich in einer Falle fing, wo es der stärkste Ritter nicht als Schande erachtet haben würde, als Gefangener zu zappeln. Nachdem sie so alles aufs verfänglichste gedeichselt und ihren Körper so lange zurechtgedrückt und -gerückt hatte, bis sie die Haltung gefunden, die am sichersten dem Knaben gefährlich werden mußte, rief sie mit sanfter Stimme den Pagen, und René, von dem sie wußte, daß er sich nebenan in der Halle aufhielt, streckte auch schon seinen schwarzen Lockenkopf durch den Vorhang der Tür.
»Was befiehlt meine Herrin?« fragte er. Er hielt in großer Ehrfurcht sein rotes Samtkäppchen in der Hand; aber röter als das Käppchen waren in diesem Augenblick seine frischen, allerliebsten Grübchenwangen.
»Komm näher«, antwortete sie, die Worte nur so hauchend. Denn sie zitterte innerlich beim Anblick des Kindes.
Es war aber auch kein Edelstein so funkelnd und blitzend wie die Augen des Kleinen, kein Seidentaffet weißer und weicher als seine Haut, kein Mädchen graziler an Formen wie er. Und sie, in gesteigerter Begierde, fand ihn leckerer als je; und ihr könnt euch denken, wie soviel Jugend, warme Sonne, Heimlichkeit der Stunde und alles zusammen das holde Spiel der Liebe begünstigen mußte.
»Lies mir die Litanei der Heiligen Jungfrau«, sagte sie zu ihm und wies auf ein offenes Buch auf ihrem Gebetpult, »ich möchte wissen, ob du auch was lernst bei deinen Lehrern ... Sag, findest du die Heilige Jungfrau schön?« fragte sie lächelnd, als er nun das Stundenbuch in der Hand hielt, worin viel heilige Figuren abgemalt und mit Gold und Blau illuminiert waren.
»Das ist nur gemalt«, antwortete er schüchtern, indem sein Blick die schönheitsvolle Herrin streifte.
»Lies, lies.«
Und René begann sie zu rezitieren, die Litanei voll süßer Mystik; und ihr werdet gern glauben, daß die Ora pro nobis der Seneschallin immer schwächer klangen wie der Klang des Horns in der weiten Landschaft. »Du geheimnisvolle Rose«, rezitierte der Page voll Inbrunst. Und die Schloßherrin, die wohl gehört hatte, antwortete nur mit einem leisen Seufzer. Da konnte René nicht mehr zweifeln, daß die Seneschallin eingeschlafen war. Er gab also seinen erstaunten Blicken freien Lauf und dachte an keine andre Litanei mehr als die der Liebe; dem Armen drohte das Herz stillzustehen vor heißem Glück; und wer es gesehen hätte, wie hier zwei Jungfernschaften aneinander und füreinander entbrannten, würde sich wohl hüten, je so was zusammenzubringen.
Die Augen des glücklichen René lustwandelten sozusagen im Garten des Paradieses, er sah über sich die verbotene Frucht, das Wasser lief ihm im Mund zusammen. So sehr geriet er in Verzückung, daß das Stundenbuch seiner Hand entfiel, worüber er verlegen wurde wie eine Nonne, die in ihrem Schoß plötzlich sich etwas regen fühlt. Er gewann aber daraus die Gewißheit, daß Blancheflor fest und sicher schlief; sie rührte sich nicht. Die listige Evastochter hätte auch bei einem ernsteren Fall oder Unfall die Augen nicht geöffnet, sie rechnete darauf, daß noch andres fallen werde als Stundenbücher, denn heftiger als das unberechenbare und kapriziöse Verlangen einer Schwangeren ist das einer solchen, die es erst werden will. Unterdessen betrachtete der Edelknabe den Fuß seiner Dame, der in einem gar zierlichen Pantöffelchen von hellblauer Seide stak und recht auffällig auf einem Schemel ruhte, da der Sessel des Seneschalls, worin die Dame die Schlafende spielte, ungewöhnlich hoch war. Und ach, was war das für ein Fuß! Schmal war er und war reizvoll geschwungen, nicht länger als ein Hänfling, den Schwanz mit eingerechnet, kurz, ein Fuß zum Entzücken, ein jungfräulicher Fuß; er verdiente geküßt zu werden, wie ein Dieb verdient gehängt zu werden. Ein feenhafter Fuß war's, ein wollüstiger Fuß, ein Fuß, über den ein Erzengel gestrauchelt wäre, ein verhängnisvoller Fuß, ein herausfordernder Fuß, ein Fuß, in dem der Teufel stak, so weiß und unschuldig er aussah, ein Fuß, der dazu aufforderte, zwei neue, ganz gleiche zu machen, um ein so schönes und vollkommenes Werk Gottes nicht aussterben zu lassen. René hätte am liebsten den unglückseligen oder vielmehr ganz glückseligen Fuß aller seiner Hüllen entkleidet. Von diesem wonnigen Fuß gingen seine trunkenen Augen, darinnen alles Feuer seiner ersten Jugend flammte, hinauf nach dem schlafenden Antlitz seiner Frau und Herrin, er lauschte auf ihren Schlummer, er trank ihren süßen Atem. Und so hin und zurück. Er konnte sich nicht entscheiden, was süßer zu küssen wäre, die frischen, feuchtroten Lippen der Seneschallin oder dieser vermaledeite, vielmehr gebenedeite Fuß. Er entschied sich dennoch endlich, und aus ehrfürchtiger Angst, vielleicht auch aus übergroßer Liebe wählte er den Fuß und küßte ihn, küßte ihn hastig wie ein Jungferlein, das gern möchte und noch nicht wagt. Dann griff er nach seinem Stundenbuch, und während das Rot seiner Wangen noch röter wurde, schrie er wie ein Blinder vor der Kirchentür:
»Janua coeli, du Pforte des Himmels.«
Aber kein Ora pro nobis antwortete ...
Blancheflor erwachte nicht; sie rechnete darauf, daß der Page vom Fuß bis zum Knie hinaufstiege und so weiter die Leiter. Sie war darum sehr enttäuscht, daß die Litanei ohne weiteren Fall und Unfall zu Ende ging und René, dem sein Glück schon zu groß schien für einen einzigen Tag, auf den Zehen aus dem Saal schlich, sich reicher dünkend von dem kühn geraubten Kuß als ein Dieb, der den Opferstock erbrochen hat.
Die Seneschallin blieb allein zurück. Sie dachte in ihrer Seele, wie lange wohl dieser Page brauchen werde, um vom Präludium zum Introitus zu gelangen. Sie faßte den Entschluß, am nächsten Tag den Fuß noch ein wenig höher zu stellen, um auf diese Weise ein kleines weißes Zipfelchen von jener Schönheit hervorblicken zu lassen, von der man bei uns zu Haus sagt, daß ihr die Luft nicht schadet, weil sie trotzdem immer frisch und geschlacht bleibt. Wie der Page die Nacht zubrachte, könnt ihr euch denken. Er schlief auf seiner Begierde wie auf einem glühenden Rost, und mit einem erhitzten Gehirn voll Bildern und Phantasien erwartete er mit brennender Ungeduld die Stunde des verliebten Brevierbetens. Er wurde gerufen, und die seltsamliche Litanei mit ›Du elfenbeinerner Turm‹, ›Du Arche Noä‹, ›Du göttliches Gefäß‹ begann von neuem. Blancheflor verfehlte nicht, einzuschlafen; und René, unterdessen kühner geworden, tastete mit zitternder Hand über das hochgestellte Bein, er wagte sich so weit vor, um sich zu überzeugen, daß das Knie glatt und rund und etwas anders weich war wie Seide; aber so gebieterisch richtete sich seine Angst auf und stellte sich seinem verwegenen Wunsch in den Weg, daß er nur ganz flüchtige Devotionen und Liebkosungen wagte, kaum einen hingehauchten Kuß, worauf er sich sofort wieder in die Haltung des frommen Beters warf, als ob nichts geschehen wäre. Die Seneschallin, deren sensitiver Seele und intelligentem Körper nichts entging und die sich mit aller Gewalt zurückhielt, um sich auch nicht um ein Härlein zu rühren, verzweifelte fast.
»Was ist denn, René«, lispelte sie, »ich schlafe ja.«
Als der Page diese Worte hörte, von denen er glaubte, daß sie ein schwerer Vorwurf seien, ergriff er, das Buch und alles zurücklassend, mit Entsetzen die Flucht. Da fügte die Seneschallin der berühmten Litanei eine neue Strophe hinzu:
»O allerheiligste Jungfrau«, seufzte sie, »eine wie schwere Sache ist doch das Kinderkriegen.«
Beim Essen mußte der Page seinem Herrn und seiner Herrin aufwarten. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirne. Aber wie groß war seine Überraschung, als ihm Blancheflor statt bitterer Worte süße Blicke gab, verliebte Blicke, so verliebt, als Frauenblicke nur sein können, und voll geheimnisvoller Allmacht; denn sie verwandelten mit einem Schlag das schüchterne und ängstliche Kind in einen mutigen Mann.
Als darum der gute Herr Bruyn an diesem Abend sich etwas länger, als er sonst zu tun pflegte, in seiner Seneschallerei zu schaffen machte, suchte René die schöne junge Herrin, die wieder schlief, und ließ über sie einen Traum kommen, mit dem sie zufrieden war, nahm ihr kurzerhand, was ihr so lang zur Last gewesen, und gab ihr, wonach sie so lange und so viel geseufzt. Er tat sogar etwas mehr, als zu diesem löblichen Zweck nötig gewesen wäre, also daß das übrige gut zu zwei weiteren Kindern gereicht hätte. Auch fühlte er sich plötzlich an den Haaren gepackt und eng an eine weiche Brust gedrückt.
»Oh, Kleiner«, rief das verschmitzte Weibsen, »nun hast du mich aufgeweckt.«
Sie hatte wahrlich so gut geschlafen, als es ihr nur möglich war, aber es gibt Dinge, die stärker sind als der stärkste Schlaf. In dieser Stunde, und es war weiter gar kein Wunder dazu nötig, geschah es, daß auf dem kahlen Schädel des guten Bruyn, ohne daß er, wie alle seinesgleichen, auch nur das geringste davon merkte, ganz sänftiglich jenes Gewächs aufsproßte, das ich euch nicht näher zu beschreiben brauche.
Seit diesem Tag, der rot gedruckt war in ihrem Kalender, machte die Seneschallin alltäglich ihren Mittagsschlummer, wie man so sagt, auf französische Art, der Seneschall aber blieb der sarazenischen Mode treu. Die schöne Frau machte dabei die Erfahrung, daß nicht ganz reife Früchte einen besseren Geruch haben als überreife, an denen die Fäulnis schon ihr Werk begonnen hat; sie wickelte sich darum des Nachts fest in ihre Tücher und rückte so weit weg als möglich von ihrem Herrn Gemahl, den sie stinkend fand wie einen alten Bock.
Und siehe, mit lauter Einschlafen und Aufwachen am glockenhellen Tag, mit Mittagsruhehalten und Litaneienbeten kam die Seneschallin mit Gottes Hilfe glücklich so weit, daß auch in ihr etwas wuchs und sproßte. Sie hatte sich so lange danach gesehnt, aber nun auf einmal waren ihr die Mühen der Fabrikation lieber als das Fabrikat.
René, wie ihr wißt, konnte lesen, und nicht nur in Büchern, sondern auch in den Augen seiner schönen ›Dienstherrin‹, für die er durchs Feuer gegangen wäre, wenn sie es nur im leisesten gewünscht hätte. Er las aber in den gedachten Augen, während beide sich immer tiefer in die verliebte Andacht hineinbeteten und bald an die hundert Litaneien hinter sich hatten, daß immer mehr eine schwarze Sorge sich der schönen Frau bemächtigte: die Sorge um Seele und Zukunft des geliebten Pagen; und einmal, an einem regnerischen Tage, nachdem sie wieder über dem beliebten Magnetspiel sich selber vergessen hatten, wie nur zwei unschuldige Kinder sich in ihrem Spiel vergessen können, sagte Blancheflor:
»Mein lieber René, weißt du auch, du Armer, daß du immer eine Todsünde begangen hast, wo ich, weil ich schlief, nur läßlich gesündigt habe?«
»Aber schöne Frau«, antwortete er, »wenn das Sünde ist, wo will denn der liebe Gott hin mit all den Verdammten?«
Blancheflor mußte lachen. Sie küßte ihn auf die Stirn.
»Schweig, du Bösewicht, es geht um das Heil deiner Seele, und ich möchte dich doch an meiner Seite haben durch alle Ewigkeiten.«
»Eure Liebe ist meine ewige Seligkeit.«
»Lassen wir das«, sagte sie, »Ihr seid ein Ungläubiger, ein böser Mensch, Ihr wollt nichts hören von dem, was ich liebe. Das seid Ihr. Wisse aber, mein Schatz, daß mir ein Kind von dir im Schoße wächst, das ich über kurzem so wenig werde verbergen können wie meine Nase. Was wird der Abt von Marmoustiers dazu sagen? Und was mein Herr und Gemahl? Er wird dich vernichten in seinem Zorn. Und also ist es meine Meinung, Kleiner, daß du den Abt aufsuchst, ihm deine Sünden beichtest und seinen Rat einholst, wie du dem Zorn des Seneschallen schicklich zuvorkommen magst.«
»Aber wird nicht der Alte«, antwortete der listige Page, »wenn ich ihm unser Glück verrate, über unsere Liebe das Interdikt verhängen?«
»Wahrscheinlich«, sagte sie; »aber dein ewiges Seelenheil geht mir jetzt über alles.«
»Ihr wollt es also, Geliebte?«
»Ich will es!« antwortete sie mit schwacher Stimme.
»So werde ich hingehen!« rief er entsagungsvoll. »Aber vorher schlaft noch einmal ein, mir schwant, daß es das letztemal ist.«
Betete also das schöne Paar seine Abschiedslitanei, und eins wie's andre hatte das Gefühl, daß der kurze Lenz ihrer Liebe sich zum Ende neige. Am andern Tag aber machte sich René auf den Weg nach Marmoustiers, mehr um seiner Herrin Ruhe willen als zu seiner eignen Rettung, vor allem aber aus Gehorsam gegen seine Gebieterin.