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Der französische Feldzug

Illustration: Bertall

Lange noch lastete das Unglück von 1814 auf allen Lebewesen. Nach den glänzenden Tagen, nach den Kämpfen, nach den Tagen, in denen sich Hindernisse in Triumphe verwandelten, in denen der geringste Anstoß zum Glück führte, kommt ein Augenblick, wo die glücklichsten Ideen sich in Dummheiten umkehren, wo der Mut ins Verderben führt, der die Befestigung zu Fall bringt. Die eheliche Liebe, die, den Autoren zufolge, ein besondrer Fall von Liebe ist, hat mehr als irgendeine andre menschliche Angelegenheit ihren französischen Feldzug, ihr trauriges 1814. Der Teufel mischt sich gern in die Angelegenheiten armer, verlassener Frauen, und so steht es mit Karoline.

Karoline beginnt auf Mittel zu sinnen, wie ihr Mann wieder zurückzugewinnen sei. Karoline verbringt viele einsame Stunden zu Hause, und währenddessen arbeitet ihre Phantasie. Sie kommt, geht, erhebt sich, oft bleibt sie träumerisch am Fenster stehen, die Gestalt an die Scheiben geschmiegt, und blickt auf die Straße, ohne etwas zu sehen. Sie fühlt sich wie in einer Wüste mitten in ihrem Klein Dünkirchen, in ihren luxuriös eingerichteten Gemächern.

Denn bewohnt man in Paris nicht ein Haus für sich, das zwischen Hof und Garten liegt, so lebt jeder mit dem andren. Jede Partei in jedem Stockwerk eines Hauses hat im gegenüberliegenden Hause ihre Gegenpartei. Jeder blickt nach Belieben zum Nachbarn hinein. Es besteht ein gegenseitiger Beobachtungsdienst, ein allgemeines Besuchsrecht, dem sich niemand entziehen kann. Zu bestimmter Zeit, am Morgen, stehen sie früh auf, das Dienstmädchen des Nachbars räumt das Zimmer auf, läßt die Fenster offen und die Teppiche über dem Geländer! Sie erraten dann eine Unendlichkeit von Dingen, und umgekehrt. Sie kennen auch zur bestimmten Zeit die Gewohnheiten der hübschen, der alten, der jungen, der koketten, der tugendhaften Frau gegenüber oder die Launen des Gecken oder die Einfälle des Junggesellen, die Farbe der Möbel, die Katze im zweiten oder dritten Stock. Alles ist Anlaß und Stoff für das Ahnungsvermögen. Im vierten Stock sieht sich eine Grisette – immer zu spät zwar –, wie die keusche Susanna, dem entzückten Opernglas eines alten Beamten mit achthundert Franken Gehalt preisgegeben, der sich gratis strafbar macht. Zur Entschädigung erscheint ein schöner Volontär, jugendlich keck mit seinen neunzehn Jahren, in dem einfachen Aufzug eines Mannes, der sich rasiert vor dem Auge einer Frommen. Beobachtung schlummert niemals, während Vorsicht ihre vergeßlichen Augenblicke hat. Eine Frau nähert sich vor Tagesende dem Fenster, um eine Nadel einzufädeln, und der Ehemann von drüben bewundert dann einen Raffaelschen Kopf, den er, ein Nationalgardist unter Waffen, seiner würdig hält. Gehen Sie an der Place Saint-Georges vorüber, und Sie können dort die Geheimnisse von drei hübschen Frauen erspähen, wenn Sie Geist in den Augen haben. Oh! das heilige Privatleben, wo ist es? Paris ist eine Stadt, die sich immer gleichsam nackt zeigt, eine ihrem Wesen nach buhlerische Stadt ohne Keuschheit. Um dort Scham haben zu können, muß man hunderttausend Franken Rente haben. Tugenden sind dort teurer als Laster.

Karoline, deren Blick manchmal zwischen den schützenden Mousselinvorhängen hindurchhuscht, die ihre Wohnung vor den fünf Stockwerken des Hauses gegenüber verbergen, beobachtet schließlich ein junges, in die Freuden des Honigmonds versunkenes Ehepaar, das kürzlich den ersten Stock vor ihren Fenstern bezogen hat.

Sie gibt sich den beunruhigendsten Beobachtungen hin. Man schließt die Fensterläden frühzeitig, man öffnet sie spät. Eines Tages sieht Karoline, die um acht Uhr aufgestanden ist, immer zufällig, das Stubenmädchen ein Bad oder irgendeine Morgentoilette, ein reizendes Deshabillé, herrichten. Karoline seufzt. Sie geht auf den Anstand wie ein Jäger; sie überrascht die junge Frau, die glückstrahlend aussieht. Sie belauert die entzückende Ehe und sieht schließlich, wie der Herr und die Frau das Fenster öffnen und, leicht einer an den andern gedrückt, an den Balkon gelehnt, die Abendluft einatmen. Karoline fühlt Nervenschmerzen, da sie eines Abends, an dem man vergessen hat, die Läden zu schließen, die Schatten dieser beiden sich balgenden Kinder beobachtet, die erklärliche oder unerklärliche Phantasmagorien hinzeichnen. Oft sitzt die junge Frau melancholisch und träumend da und wartet auf den abwesenden Gatten, sie vernimmt den Schritt eines Pferdes, das Geräusch eines Wagens am Ende der Straße, sie springt vom Diwan auf, und man kann an ihrer Bewegung leicht sehen, daß sie ausruft: »Das ist er!«

»Wie sie sich lieben!« sagt sich Karoline.

 

Dank ihren Nervenschmerzen kommt Karoline darauf, einen äußerst sinnvollen Plan zu fassen! Sie will dieses Eheglück als ein Reizmittel für Adolf verwenden. Das ist eine ziemlich verdorbene Idee, die Idee eines Greises, der ein junges Mädchen mit Kupferstichen und versteckten Zoten verführen will; aber Karolines Absicht heiligt alles!

»Adolf«, sagt sie endlich, »wir haben als Nachbarin gegenüber eine reizende Frau, eine kleine Brünette …«

»Ja«, erwidert Adolf, »ich kenne sie. Das ist eine Freundin der Frau von Fischtaminel, Frau Foullepointe, die Frau eines Börsenagenten, eines reizenden Menschen, eines gutes Kerls, der seine Frau liebt: er ist vernarrt in sie! Was? … Er hat sein Arbeitszimmer, sein Bureau, seine Kasse im Hof, und das Zimmer nach vorn ist das der gnädigen Frau. Ich kenne keine glücklichere Ehe. Foullepointe redet überall von seinem Glück, selbst an der Börse: er langweilt damit.«

»Schön, bereite mir doch das Vergnügen, mir Herrn und Frau Foullepointe vorzustellen! Wahrhaftig, ich werde mich freuen, zu erfahren, wie sie es anstellt, ihren Mann so in sich verliebt zu machen … Sind sie lange verheiratet?«

»Genau wie wir, fünf Jahre …«

»Adolf, mein Freund, ich sterbe vor Neid! Oh, mach uns alle beide bekannt. Bin ich so hübsch wie sie?«

»Mein Wort! … Wenn ich dir auf dem Opernball begegnen würde und du wärest nicht meine Frau, ich würde gewiß stehenbleiben …«

 

»Du bist heute nett. Vergiß nicht, sie für nächsten Samstag einzuladen.«

»Wird heute abend gemacht. Foullepointe und ich sehen uns oft an der Börse.«

»Diese Frau«, sagt sich Karoline, »wird mir ohne Zweifel endlich mitteilen, wodurch sie wirkt.«

 

Karoline begibt sich auf Beobachtung. Etwa um drei Uhr blickt sie durch die Blumen eines Gewächstischchens, das eine Art Fenstergebüsch schafft, und ruft aus: »Wirklich, zwei wahre Turteltauben!«

Für diesen Samstag lädt Karoline Herrn und Frau Deschars, den würdigen Herrn Fischtaminel, endlich das tugendhafteste Ehepaar ihrer Gesellschaft ein. Bei Karoline ist alles gerüstet: sie hat das feinste Diner bestellt, sie hat Glanzstücke ihrer Schränke hervorgeholt; sie legt Wert darauf, das Vorbild der Frauen zu feiern.

»Sie werden, meine Liebe«, sagt sie zu Frau Deschars in dem Augenblick, da alle Frauen sich still anblicken, »Sie werden die bewunderungswürdigste Ehe der Welt sehen, unsere Nachbarn von gegenüber: einen blonden jungen Mann von unendlicher Anmut und Manieren … einen Kopf à la Lord Byron und wahren Don Juan, aber treu! Er ist vernarrt in seine Frau! Die Frau ist entzückend und hat das Geheimnis entdeckt, der Liebe Beständigkeit zu geben; vielleicht soll auch ich durch dieses Vorbild an Glück gewinnen; Adolf wird, wenn er sie sieht, über sein Benehmen erröten, er …«

 

Man meldet: »Herr und Frau Foullepointe.«

Illustration: Bertall

Frau Foullepointe, eine hübsche Brünette, die echte Pariserin, eine rundliche, zarte Frau, mit glänzenden, von langen Wimpern verschleierten Augen, entzückend gekleidet, nimmt auf dem Kanapee Platz. Karoline begrüßt einen dicken Herrn mit spärlichen grauen Haaren, der beschwerlich dieser pariserischen Andalusierin folgt: Gestalt und Bauch wie ein Silen, einen Schädel glänzend wie frische Butter, ein scheinheiliges und lockeres Lächeln auf den guten dicken Lippen, dazu ein Philosoph! Karoline erblickt diesen Herrn mit erstauntem Gesicht.

»Herr Foullepointe, meine Liebe«, sagt Adolf, indem er ihr den würdigen Fünfziger vorstellt.

»Ich freue mich sehr, gnädige Frau«, sagt Karoline mit liebenswürdiger Miene, »daß Sie mit Ihrem Schwiegervater gekommen sind (große Sensation); doch werden wir hoffentlich auch Ihren Herrn Gemahl …«

»Gnädige Frau …«

Alles hört es und sieht sich an. Adolf wird zum Zielpunkt aller Blicke; er ist blöd vor Erstaunen; er möchte Karoline wie im Theater in einer Versenkung verschwinden lassen.

 

»Das ist Herr Foullepointe, mein Mann«, sagt Frau Foullepointe.

Karoline wird darauf scharlachrot, da sie die Lehre begreift, die ihr erteilt wurde, und Adolf zerschmettert sie mit einem Blick, der die Kraft von sechsunddreißig Gasflammen besitzt.

»Sie haben ihn jung, blond genannt …«, sagt Frau Deschars leise.

Frau Foullepointe blickt als geistvolle Frau kühn das Gesims an.

Einen Monat später werden Frau Foullepointe und Karoline intim, Adolf, der mit Frau von Fischtaminel sehr beschäftigt ist, schenkt dieser gefährlichen Freundschaft, die ihre Früchte tragen soll, keine Beachtung; denn, wissen Sie:

*

Axiom

Frauen haben mehr Frauen verdorben, als sie Männer geliebt haben.


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