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»Bitte, sei so gut und bestelle zweimal die Woche für mich eine Tasse Sahne,« wandte sich der junge Herr Evans beim Frühstück, kurz nach Daisys Abreise, an seine Mutter.
»Aber, Kind, du kannst doch jeden Tag soviel Sahne haben, wie du willst,« bemerkte die Mutter verwundert. »Hier ist noch eine gute Tasse voll,« fügte sie hinzu, indem sie einen Blick in den Sahnetopf warf.
»Nun, dann gib sie mir.« Und er streckte die Hand nach dem Topfe aus.
Die Mutter wollte die Sahne in eine Tasse gießen, aber der Doktor hinderte sie daran.
»Bitte, laß das nur. Sie ist nicht für mich – sondern für einen jungen Herrn, namens Numa Pompilius.«
»Für einen Herrn?« klang es erstaunt zurück. »Wie eigentümlich! Warum kauft sich der Herr denn nicht seine Sahne selbst? Ist er in ärmlicher Lage?«
»Er ist überhaupt nicht in der Lage, sich Sahne oder irgend etwas zu kaufen, oder auch nur darum zu bitten. Um dir die Wahrheit zu gestehen, Mutter, er ist eine Schildkröte.«
»Nein! So was!« rief Frau Evans mit mehr Heftigkeit als Eleganz. »Ich wette, dahinter steckt wieder der ›kleine Teufel von nebenan‹. So eine Idee, einer Schildkröte Sahne zu geben! Das nenne ich eine sündhafte Verschwendung – wahrhaftig!«
»Deshalb bot ich dir ja an, sie auf meine Kosten zu bestellen. Haben muß die Schildkröte die Sahne, oder sie könnte sich abhärmen und sterben. Und um nichts in der Welt möchte ich jenem kleinen Persönchen mit der Nachricht gegenübertreten, daß ihre geliebte Schildkröte tot sei.«
»Du bist ganz verdreht mit dem Kinde, Georg, wie ich dir schon einmal gesagt habe. Und warum bloß? Das kann ich nicht begreifen.«
Ein Lächeln umspielte die Lippen des jungen Mannes, während er entgegnete: »Sie wird sich als ein sehr edler Charakter entwickeln, wie du auch schon noch eines Tages erkennen wirst. Und es wäre ratsam, daß du suchst, sie lieb zu gewinnen, da sie sich entschlossen hat, meine Frau zu werden.«
»Sprich doch nicht solch einen Unsinn, Georg! Ich hoffe, dich lang verheiratet zu sehen, ehe jener kleine Teufel erwachsen ist. Ist – ist denn wirklich alles aus, Georg, zwischen dir und Fräulein Dai–«
»Himmel, ja!« fiel ihr Georg ungeduldig ins Wort. »Sie würde sich nie herablassen, den Sohn eines ›Krämers‹ zu heiraten.«
»Krämer!« fuhr die Mutter empört auf. »Du redest, als ob dein Vater einen kleinen Laden hätte, anstatt die größte Eisenwarenfabrik der ganzen Umgegend.«
»Laden oder Eisenwarenfabrik, das ist für sie dasselbe. Ich tadle sie aber nicht deswegen. Ihre Erziehung trägt die Schuld an ihrer einseitigen Ansicht. Jedoch ihre kleine Namensschwester würde mich deswegen nie aufgeben. Aber jetzt, bitte, wollen wir das Thema fallen lassen. Es berührt mich schmerzlich. Übrigens muß ich doch jetzt auch meiner neuen Liebe treu bleiben,« schloß er scherzend, während er mit der der Schildkröte so mißgönnten Sahne abging.
»Na, hören Sie mal, Herr Georg, was denken Sie sich denn,« wandte James, der Obergärtner, ein, »daß Sie Ihrer Mutter beste Sahne der elendigen Schildkröte geben?«
»Ich denke an eine verbannte Prinzessin,« erwiderte der junge Mann lächelnd.
»Hm!« sagte der Gärtner, sich den Kopf kratzend. »Das Biest da wird sicher nicht die Sahne trinken. Und Sie werden nur dadurch alle Katzen der Nachbarschaft in den Garten locken, junger Herr.«
»Dann täten Sie gut, Fallen für die Katzen aufzustellen,« gab ihm Georg gelassen zur Antwort, während er die Sahne in eine Schüssel goß und dann den Kopf von Numa Pompilius hineinsteckte. »Nun, schieße los!« ermunterte er die Schildkröte.
Aber Numa Pompilius verschmähte die schöne Sahne, streckte den Kopf weiter vor und kroch langsam davon. Die Katzen kamen aber, wie der Gärtner prophezeit hatte, von allen Seiten herbeigeeilt, und machten sich, eine die andere verdrängend, gierig über den ungewohnten Leckerbissen her.
Am nächsten Morgen kam ein Brief für den jungen Doktor an.
»Ah, von der verbannten Prinzessin!« bemerkte er lächelnd. »Was sie mir wohl zu schreiben haben wird, das arme, kleine Dingelchen? Hoffentlich fühlt sie sich nicht zu unglücklich in ihrer Pension.«
Damit öffnete er den Brief und las:
»Mein lieber Prinz!
Ich hoffe, Du und Numa Pompilius und Angelina und Seraphia seid alle wohl und glücklich. Bitte, gib ihm doch einmal als Abwechslung ein Kohlblatt, mit meinem herzlichen Gruß. Hier ist eine goldhaarige Prinzessin, welche diesen Brief für mich druckt. Ihr Haar geht aber nicht abzunehmen, auch das Rot von ihren Wangen kommt nicht fort; ich habe nämlich meinen Finger in den Mund gesteckt, und dann damit ihr Gesicht gerieben, um es zu untersuchen; und sie sagt, daß das abscheulich wäre und daß ich das nie mehr tun dürfe! Natürlich werde ich es auch nun nicht mehr tun. Ich habe auch gar nicht mehr den Wunsch, da ich jetzt ja weiß, daß es wirklich ist. Ich habe sie sehr lieb. Sie heißt auch ›Daisy‹, aber sie ist nicht wie jene andere Prinzessin, welche Dich verlassen hat. Sie würde so etwas nie tun, glaube ich. Denn sie ist sehr gut. Und als ich ihr erzählte, daß Deine erste Prinzessin Dich verlassen hat, rief sie gleich: ›Wie lieblos!‹ Aber natürlich kann sie nicht Deine Prinzessin werden, weil ich jetzt doch Deine bin.
Lieber Prinz, ich bange mich sehr nach dir und auch nach der Schildkröte. Ich lerne jetzt viel, damit ich ein kluges Mädchen werde. Neulich lehrte mich Fräulein Bryant, daß das Meerwasser schwer wäre und daß aus diesem Grunde Schiffe darauf schwimmen könnten. Aber sie hat mir ein Märchen gesagt. Denn ich warf ihre goldene Taschenuhr in die See, weil ich dachte, es müßte sehr hübsch aussehen, wenn sie schwimmt, aber sie blieb nicht oben, und nun ist Fräulein Bryant sehr böse. Und selbst wenn Mütterchen ihr eine neue schickt, wird es nie dasselbe für sie sein, weil ihr Vater ihr die andere geschenkt hatte. Dann hätte sie mir aber kein Märchen erzählen sollen!
Der Gärtner hier ist nicht ein bißchen gut. Er steckt seine Pflanzen mit ihren schmutzigen Haaren in die Erde. Und als ich sie ausgrub und sie alle schön sauber wusch, da war er furchtbar böse und hat sich gar nicht über das schöne weiße Haar gefreut. Er sagt, es seien nur Wurzeln, und Wurzeln werden nicht gewaschen. So hatte es keinen Zweck, daß ich mich bemühte, ihm zu helfen. Und ach! lieber Prinz, es ist mir gräßlich langweilig, immer von dem Hund zu lesen, der die Katze biß. Es sind die dümmsten Hunde- und Katzengeschichten, die ich je gehört habe. Und es ist mir auch sehr langweilig, ein kluges Mädchen zu werden. Ich möchte viel lieber wieder Deine kleine Prinzessin sein.
Deine Daisy.«
»P. S. Bitte, lieber Prinz, vergiß doch nicht, die Kinder jeden Tag spazieren zu führen und grüße sie viele, viele Male. Und sage ihnen, ich hoffe, sie sind artig und bangen sich nicht zu sehr nach mir. Adieu, mein lieber, lieber Prinz. Bitte, schreibe mir doch sogleich und beantworte diesen Brief.«
Nachdem der »Prinz« dieses Schriftstück gelesen hatte, fiel er in düsteres Sinnen. Endlich raffte er sich auf, nahm den Brief noch einmal zur Hand und blickte prüfend erst auf das Schriftstück, dann auf die Adresse.
»Sie ist es! Ja, sie ist es!« murmelte er leise, während ein schwermütiges Lächeln auf seinen Lippen lag. »Welch wunderbare Fügung!« Und den Brief sorgsam zusammenfaltend, legte er ihn in seine Brieftasche, zu dem Bilde eines goldhaarigen jungen Mädchens.
Dann begab er sich an seinen Schreibtisch, um Daisy folgendes zu antworten:
»Meine kleine, liebe, verbannte Prinzessin!
Numa Pompilius geht es vorzüglich; er sendet Dir seinen herzlichen Gruß. Auch bittet er mich, Dir mitzuteilen, daß er sich gar nichts aus Sahne macht. Deine Kinder erfreuen sich einer guten Gesundheit. Sie finden die Luft in meiner Schublade zwischen den Kragen und Taschentüchern so stärkend – wahrscheinlich wegen des Kampfergeruchs – daß sie sehr selten den Wunsch haben, ins Freie zu kommen.
Bitte, danke der goldhaarigen Prinzessin, deren Haar und Wangen wirklich sind, vielmals dafür, daß sie diesen wundervollen langen Brief gedruckt hat; und sage ihr, sie dürfe nicht meine Prinzessin tadeln, denn ich habe ihr vergeben, weil ich fühle, daß ich tief unter ihr stehe.
Du aber, mein liebes, kleines Prinzeßchen, bemühe Dich, ein recht vernünftiges Mädchen zu werden und zu lernen, daß der Rang nur Talmigold ist, das echte Gold aber in dem Wert des Menschen liegt, und dann wirst Du niemals einen Mann unglücklich machen.
Es tut mir sehr leid, daß Deine Unterrichtsstunden Dich bis jetzt nur gelehrt haben, goldene Uhren in die See zu werfen. Indessen gibt der erste Unterricht leicht Veranlassung zu Irrtümern, und wir wollen hoffen, daß Du mit der Zeit klüger werden wirst.
Angelina sagt mir eben, sie würde es besser gewußt haben, und es ist traurig, wenn eine Tochter klüger ist als ihre Mutter. Ich glaube, sogar Seraphia war entsetzt, aber bei ihr kann man immer nicht recht wissen, was sie meint, weil ein Teil ihres Mundes fehlt und ihre Nase platt gedrückt ist, wodurch sie etwas undeutlich spricht.
Sonst habe ich Dir keine Neuigkeiten zu erzählen. So lebe denn wohl, für heute, mein liebes, kleines Prinzeßchen.
Dein treuer Prinz
Georg Evans.«