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Johann Orth

Um den Anfang der Achtzigerjahre war meine liebe Vaterstadt Linz freudig erregt. Sie hatte sich immer schon gewünscht, einmal einen Erzherzog zu haben, was ja nicht bloß dem Gefühl, sondern auch dem Kommerz zusagt, der sich viel von einer kleinen Hofhaltung verspricht. Und nun kam wirklich einer hin und noch dazu einer, der gleich der Phantasie der Bürger zu schaffen gab. Denn es hieß, dieser Erzherzog Johann, zum Kommandeur der dritten Division ernannt, sei sozusagen nach Linz verbannt, aus Strafe nämlich für die zu moderne Gesinnung seiner Schrift »Drill oder Erziehung«, wodurch er sich allen Anhängern des starren Systems als ein höchst verwegener Kopf verdächtig gemacht. Natürlich war so ein unschuldiger Frondeur dem Bürgertum von vornherein höchst willkommen, das ja gern in einem gefahrlosen Radikalismus schwelgt, und der revolutionäre Prinz tat auch alles, um sich in dieser Gunst noch zu befestigen. Gleich in den ersten Tagen gewinnt er die Stadt, denn er hat eine große Begabung, sich immer den Menschen ganz so zu zeigen, wie sie ihn eben haben wollen, und trägt eine lebhafte Neigung für bedenklich kühne Worte zur Schau, recht nach dem Herzen friedlich gesinnungstüchtiger Bürger. Bald gehört er zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt; man ist sicher, ihn auf dem breit mit hellen Häusern um die alte Dreifaltigkeitssäule lagernden Hauptplatz zu den Stunden, wo hier, an Wochentagen bevor die Sonne sinkt, an Sonntagen nach dem Hochamt, die heiratsfähigen Töchter ausgestellt werden, behaglich spazieren zu sehen, langsam bis an die Brücke hinab und dann wieder zum Schmiedtor zurück. Für jeden Gruß hat der fröhliche Jüngling mit den gesprächigen Augen einen freundlich nickenden Dank, er kennt alle Welt und hält gern die Passanten mit munteren Reden an, die eines stachligen Spottes gegen die Hochgestellten in Wien droben, einer ganz ungeschminkten Aufrichtigkeit niemals entbehren. So gilt er allen bald als einer, der manches böse Geheimnis wissen muß, viel mehr noch als er sagen darf, und der wohl der richtige Mann wäre, wenn man ihn nur ließe, doch gerade deswegen hat man ihn ja verbannt! In dieser Wolke von Bewunderung, Argwohn und Vertrauen scheint es ihm zu gefallen und seiner frischen Jugend (er ist eben erst dreißig Jahre vorbei) verzeiht man gern, wenn er einer harmlosen Eitelkeit nicht immer ganz Herr wird und so oft er beim Fink, bei der stattlichen Hof-, Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung auf dem Platz, vorüber kommt, lächelnd nach dem Schaufenster schielt, wo die neuesten der von ihm komponierten Walzer in Scharen aufgehängt sind; und der kleine, dicke Fink mit der großen Glatze steht in der Tür, knixt vor Sr. Hoheit tief und ist selig. Alle sind sie selig in der braven Stadt, diesen bildhübschen vergnügten Divisionär bei sich zu haben, der ein wirklicher Prinz und dabei doch eigentlich fast etwas Verbotenes ist, so daß also durch ihn sowohl das patriotische Bedürfnis wie zugleich des Staatsbürgers Lust an unerlaubten Dingen befriedigt wird und man sich in höchst loyaler Art doch beinahe revolutionär betätigen kann. Alle sind sie selig, und wie der Bürgersinn schon ungenügsam ist und immer gleich an seinen Lieblingen kristallisieren muß, spinnen sich bald ganze Legenden um ihn. Man läuft ihm neugierig auf den Exerzierplatz hinaus nach, und mit Begeisterung wird erzählt, wie die Soldaten an ihm einen wahren Vater haben. Diese Vaterschaft scheint hauptsächlich darin zu bestehen, daß es ihm das größte Vergnügen macht, seinen Spott auf Kompagniekommandanten und Bataillonskommandanten auszugießen. Der unmittelbare Kommandant ist ja der Mannschaft der eigentliche Tyrann, und wer ihm das Leben sauer macht, gewinnt sie leicht, was nun ein Schlag sozusagen demagogischer Generale, der in unserer Armee nicht selten ist, schlau zu benützen weiß: der General, der mit dem Offizier so grob wird wie der Offizier mit dem Soldaten, ist sicher, bald populär zu sein. Darauf versteht sich der Prinz und vor allem, meldet die Fama, muß es der Koburger Ferdinand büßen, der unter seinem Befehl steht. Der ist in der Stadt nicht sehr beliebt, weil er noch nicht gelernt hat, leutselig zu sein, sich einsam hält und, mit seinem starken, schußbereiten Ehrgeiz geladen, aus Angst, ihn vor der Zeit zu verraten, etwas Verschlossenes, Kaltes und Abweisendes hat, das man nicht versteht und ihm weidlich verargt. Den nimmt sich nun der Prinz zuweilen vor der Front zu seinen Scherzen her und abends erzählt sich's die ganze Stadt, wie witzig er heute wieder den Hochnäsigen behandelt hat. Aber auch an romantischen Kapiteln fehlt es der Legende nicht. Sie will wissen, er habe bei sich im Hause ein Mädchen aus dem Volke versteckt; die Schlüsselbewahrerin heißt sie im hurtigen Stadtgeschwätz. Und ein anderer weiß ganz bestimmt, daß er sie heiraten wird. Und der dritte gar, daß sie schon heimlich verheiratet sind. Da schlägt ihm manches Mädchenherz, und er kommt allmählich an stiller Frauengunst fast schon jenem anderen, noch unvergessenen Johann gleich, der die Postmeisterstochter von Aussee heimgeführt hat. Auf die Männer weiß er wieder anders zu wirken, als ein starker, fast gefährlicher Freigeist. Wird es ihm schon hoch angerechnet, daß er, mit dem Kronprinzen zusammen, den spiritistischen Schwindel entlarvt und für die Sache der Aufklärung gar tapfer gefochten hat, so zeigt er nun gar erst politisch zuweilen einen Mut, daß manch einer davon eine Gänsehaut kriegt. Ich erinnere mich noch so gut, wie mein alter Vater einmal ganz verwirrt, ja völlig verstört von einem Diner bei dem Erzherzog kam, der seine Gäste, Bauern und Bürger des Landes ob der Enns, erst durch Leutseligkeit bezaubert, dann aber zum schwarzen Kaffee durch solche politische Verwegenheiten entsetzt hatte, daß ihnen allen vor seinem österreichischen Pessimismus ganz angst und bang geworden war. Er hatte zuweilen, als Causeur, fast einen Orleanszug und spielte gelegentlich gern den Egalité der guten Stadt Linz, zur Zigarre beim schwarzen Kaffee.

Vier Jahre blieb Linz sein Ponti. Dann wurde, September 1887, der durchlauchtigste Herr Ovid ganz plötzlich des Kommandos enthoben. Was war geschehen? Man erfuhr nur, er habe heimlich in der großen Politik mitgezettelt, ja seine kühne Hand gar nach der Fürstenkrone von Bulgarien ausgestreckt, bis auf einmal Bismarck zornig dreingefahren. Ganz starr aber waren unsere braven Leute erst, als man dann auch noch erfuhr, daß das, woran sogar die Kraft ihres Lieblings zerbrochen war, eben jenem einsamen Koburger in aller Stille zufiel, dem sie das doch nie zugetraut hätten; und es bestätigte sich ihnen so wieder einmal, daß im Laufe der Welt eben überall immer der Unrichtige drankommt. Und keine zwei Jahre vergingen, da hörte man, daß der so beliebte, so begabte, sichtlich zu so hohen Dingen vorbestimmte Prinz seinem Rang entsagt, seine sämtlichen Würden abgelegt, einen bürgerlichen Namen angenommen, die Heimat verlassen und als sein eigener Kapitän in die weite Welt hinausgefahren, auf ein neues Leben los. Und nun ist er seit zwanzig Jahren verschollen.

Allerhand Züge sind in dem eigentümlichen Bild dieses so hell beginnenden, plötzlich aus seiner Bahn geschleuderten und in Geheimnis entsinkenden Schicksals beisammen. Die Lust, Wissenschaft und Kunst zu hegen, oder doch zuzeiten freundlich mit ihnen zu spielen, »mag er vom Vater haben, der bis 1859 Regent in Toskana war und dann noch elf Jahre sich auf einem böhmischen Gute still des Daseins erfreut hat; der wird als ein ernster, mehr als Herrscher sonst vorzugeben für nötig halten, gelehrten und schöngeistigen Neigungen ergebener Mann geschildert, er hat sich für Schulen, Kunststraßen und Bauten interessiert und die Werke des Magnifico herausgegeben. An seiner poetischen Haltung fällt ein erstaunlicher, dem Tätigen nicht eben sehr empfehlenswerter Gerechtigkeitssinn auf, der stets auch den Feind der eigenen Sache fast mit einer geheimen Sympathie, zu verstehen sucht. Beim Sohn ist das dann beinahe zur Koketterie geworden; er hat immer nach der anderen Seite des Lebens geschielt und sich gewünscht, es vor allem jenen recht zu machen, die nun doch einmal gegen ihn standen. Aber auch an seinen unglücklichen Oheim mag man denken, den Max von Mexiko, der freilich von Anfang an ein romantischer Jüngling war, während Johann erst unwillkürlich, ja widerwillig in eine Romantik geriet, für die er seinem ganzen Sinn nach eigentlich keineswegs angelegt schien. Als Max mit seiner jungen Frau zum erstenmal nach Lacroma, seiner so geliebten »immergrünen Feeninsel«, und dort durch den Pinienwald zum stillen See des Mare morto kam, da rief er zwischen den dunklen hundertjährigen Eichen und den traumverlorenen Myrten aus: »Hier muß sich's gut Byron lesen lassen!« Wer dazu veranlagt ist, kann sich das ja schließlich ebensogut am Traunsee wünschen, doch dem Johann ist es sicher nie eingefallen, er war mehr von ironischer Art als von der heroischen. Eins aber hat er mit dem Max gemein: den unbiegsamen, durchschlagenden Ehrgeiz, sich auszuzeichnen und über die Menschen hervorzuragen. In den Schriften des Mexikaners (sieben Bände rinnender Lyrismen!) ist es seltsam, wie der träumerische Jüngling aus seiner rührenden Bescheidenheit immer wieder durch den ungeduldigen Schritt einer bald fast kindischen, bald eher weibischen Ehrsucht aufgeschreckt wird, die jetzt nach den Sternen zu greifen sucht, es aber dann doch auch billiger tut; nach großen Taten verlangt ihn, und da ihm die Gelegenheit dazu fehlt, sucht er wenigstens jedes kleine Jugenderlebnis durch Ruhmredigkeit zu steigern. Wenn der Vizekönig der Lombardei und Veneziens auf seiner ersten Fahrt nach dem amerikanischen Süden mit Sr. Majestät Dampfer »Elisabeth« an den Äquator kommt, schwillt er von unermeßlichen Gefühlen auf. Die Matrosen treiben nach altem Brauch allerhand Mummenschanz an Bord, der Heizer wird als Neptun verkleidet, mit goldener Krone und weißwallendem Bart, den Dreizack in der Faust, und der Kommandant spritzt den Prinzen mit Salzwasser an und tauft ihn zum Seemann, indem er spricht: » AI primo Arciduca che traversa i regni del Nettuno il battesimo del marinaro« Dann aber wendet er sich dem grotesken Wassergott zu und beschwört ihn: » O re del profondi abissi, ordina ai tuoi venti, ordina ai tuoi mari abbian ad essere proprizi al Principe marinaro!« Ein harmloser, alter Matrosenspaß, nichts weiter. Aber in des Prinzen begehrender Phantasie nimmt alles gleich symbolische Bedeutung an und mit einem in seiner leisen Komik doch wunderschönen Ernst schreibt der siebenundzwanzigjährige Mann gerührt in sein Tagebuch ein. »Wogte auch der Scherz durch das ganze fröhliche Schiff und verschlang das Fest fast ausschließlich alle Gedanken, so erfüllte mich doch hauptsächlich eine Art Siegesbewußtsein ein innerer Jubel, auf wahrem Dankgefühl beruhend, daß ich trotz allen Widerwärtigkeiten und Schwierigkeiten die Situation erobert hatte und auf der Linie zwischen zwei Hemisphären als Seemann graduierte. Dies war es, was mein junges Matrosenherz mit gerechtem Stolz erfüllte. ... Die »Elisabeth« ist der erste österreichische Dampfer, der, seit Dampf die Welt regiert, die Linie passiert hat, und wenn auch eine Frau meines Stammes uns den Weg in die neue Welt gezeigt hat, so freu' ich mich doch, der erste Mann meines Hauses zu sein, der in die südliche Hemisphäre einzieht.« Als sie sich nun aber gar der Küste nähern, was ja unvermeidlich ist, wenn man nach Amerika kommt, ruft er in überströmender Seligkeit: Land, Land! Und er kann's gar nicht fassen, daß ihm das Schicksal ein solches Erlebnis schenkt: »Ein Märchen scheint es mir, daß ich der erste Blutserbe Ferdinands, und Isabellens bin, dem es von Kindheit an eine Lebensaufgabe war, einen Kontinent zu betreten, der für die Geschichte der Menschheit eine so riesenhafte Bedeutung erlangt hat!« Man hört heraus, daß er gar nicht weit entfernt ist, sich als Kolumbus zu fühlen. Das ist es, was offenbar der Johann auch hatte. Auch dem Johann saß im Blut die nämliche Begierde: sich groß vorzukommen und sich mit weltgeschichtlichen Blicken anzusehen, auch auf dem Hauptplatz in Linz. Nun aber war solchem blähenden Bewußtsein in beiden noch ein merkwürdiger Trotz beigemischt, ins Extreme zu gehen und ihr Schicksal bis ans Ende zu bestehen, gegen alle Warnungen, ja selbst gegen das eigene bessere Gefühl. Was sich in hochgemuten Augenblicken einmal der auffliegenden Seele dargeboten hat, wird eigensinnig festgehalten, auch wenn der Rausch längst entwichen ist und der nachrechnende Verstand dann selbst nicht mehr daran glauben kann. Der Herzog Ernst hat geschildert, wie Kaiser Max und Kaiserin Charlotte, bevor sie nach Mexiko gingen, noch mit Napoleon und der Eugenie beisammen waren. Die zwei Kaiserinnen in lebhafter spanischer Konversation, »als ob sie die Sorgen ihrer Männer durch die schönsten kastilianischen Wohllaute verscheuchen wollten«. Die Männer schweigsam in stillen Ahnungen. Napoleon nimmt den Herzog beiseite und versichert ihm, mit schlechtem Gewissen: » Une très mauvaise affaire! Moi, à sa place, je n'aurais jamais accepté.« Aber auch Max ist beklommen und gedrückt. Der Herzog erzählt: »Seit ich den liebenswürdigen und geistvollen Prinzen zum letzten Mal – 1862 in Miramare – gesehen hatte, war er um vieles älter geworden als die Zahl seiner Jahre erwarten ließ. Er machte nicht den Eindruck, als ob er dem gefährlichen und im ganzen doch abenteuerlichen Unternehmen mit vollstem Jugendfeuer entgegenginge; die schmerzlichen Reflexionen über das Verlassen der Heimat herrschten in seiner Seele ersichtlich vor und standen im grellen Widerspruch zu der freudigen Empfindung seiner Gemahlin. Was ihn zu treiben schien, war weniger die Erwartung des Gelingens, als vielmehr die starre Konsequenz des einmal ausgesprochenen Entschlusses. Er konnte es nicht mehr über sich gewinnen, vor den Schwierigkeiten, die sich auftürmten, zurückzuweichen. Mit Tränen in den Augen nahm er Abschied, er lud mich ein, ihn zu besuchen; dann sagte er: Wenn du nicht zu mir herüber kommst, so sehe ich dich nie wieder.« Von der starren Konsequenz des einmal ausgesprochenen Entschlusses spricht der Herzog. Lieber mit offenen Augen ins Verderben als eingestehen, daß man sich übernommen hat! Ist's nicht eben der innere Zustand, in dem Johann Orth mit seinen Kapitänen hadert, weil sie ihm dasselbe sagen, was er sich wohl selbst schon längst hat sagen müssen, aber nicht zugeben will, aus Scham, einzugestehen, daß er sich, nun, wo's die heißersehnte Tat endlich gilt, zu klein für sie fühlt? So wurden die Kapitäne weggeschickt, »aber da«, heißt's in den Berichten, »schlug Johann Orths tatkräftige Stimmung in eine weltschmerzlich gedrückte um.« Ist's nicht genau derselbe Zustand wie bei dem Oheim ein Menschenalter vorher? Beiden war die Kraft versagt, auszuführen, Westen sie sich in der Aufwallung beherzter Stunden vermessen hatten, und sie waren doch auch wieder zu schwach, zärtlich gehegten Träumen resolut zu entsagen. So blieb ihnen nichts übrig, sie ließen in einem düsteren und fanatischen Leichtsinn ungehörter Verzweiflung ihr Schicksal treiben.

Vielleicht aber war es nicht nur der romantische Tropfen in seinem Blut, der dem liebenswürdigen Prinzen tragisch wurde. Es mag vielleicht überhaupt für einen Fürsten, der auch nur leise von unserer Zeit angeweht worden ist, nicht ganz leicht sein, sich in ihr zurecht zu finden. Ehren erdrücken ihn von allen Seiten, aber er hat wenig Gelegenheit, sich ihrer würdig zu zeigen. In Thomas Manns letztem Roman wird diese neue Prinzentragik im richtigen Ton geschildert, nämlich mit allem Erbarmen, das ihr gebührt, und doch nicht ohne eine leise Schadenfreude, weil sie ja schließlich von einer einigermaßen starken Natur immerhin ertragen werden kann. Da wird der königlichen Hoheit, dem Klaus Heinrich, auch eines Tages »so neuartig zumute«, er seufzt und gesteht seinem Erzieher: »Sie glauben nicht, wie ungern ich neulich zur Einweihung der Stadthalle gefahren bin. Und morgen muß ich die Rekrutenbeeidigung bei den Leibgrenadieren vornehmen. Und dann kommt das Hausordenskapitel. Das ist mir sehr zuwider. Ich habe gar keine Lust zu repräsentieren. Ich habe gar keine Lust zu meinem sogenannten hohen Beruf.« Damit fängt's meistens an: die Sache wird den hohen Herren leicht langweilig. Bald aber meldet sich wohl auch ein tieferes Gefühl: sie schämen sich des unverdienten Ruhmes. Wie schon der Kaiser im Faust sagt:

Selbst ist der Mann! Wer Thron und Kron begehrt,
Persönlich sei er solcher Ehren wert.

Das reizt sie: was ihnen an Glanz und Glück in die Wiege gelegt worden ist, das möchten sie sich nun aus eigener Kraft auch erwerben, um es so für das eigene Gefühl erst voll zu besitzen. Aber wie? Wodurch? Wo ist für sie Raum und Gelegenheit zu Taten, sich so glorreich vor allen Menschen auszuzeichnen, daß dadurch die Huldigungen, mit denen die höfische Sitte sie von klein auf umgibt, halbwegs abgezahlt wären? Es ist schwer für sie, man kann's nicht leugnen. Freilich, der liebe Prinz in meinem neuen Roman hat eine Lösung gefunden: er bereitet sich vor, den Tristan zu singen.

Doch vielleicht ist dies alles ins Blaue gefabelt, denn wer weiß? Das Gerücht will ja nicht verstummen, daß Johann Orth noch lebt. Immer wieder will ihn einer an fernen Küsten gesehen, in einem lachenden, sonngebräunten, schwarzbärtigen Mann an der Spitze von verwegenen Aufständischen erkannt haben. Das wäre wunderschön. Denn dann wär er einer von den Starken, die sich das Höchste vom Schicksal ertrotzen: von allem frei zu werden, wobei sie nur mit halber Seele sind, und aus ihrem eigenen Sinn zu leben.

Juli 1910.


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