Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Vierzehntes Capitel.

Von jenem Morgen her, da Roland zum ersten Male einsam hatte die Sonne aufgehen sehen, stand der Vorsatz in ihm, jedes Jahr einmal und wo möglich am gleichen Tage sich den Anblick zu erneuen. So weckte er nun Erich am Morgen, bevor es tagte. Sie gingen mit einander nach einer Anhöhe, sie sprachen kaum ein Wort und sahen allmälig das Licht aufgehen, dann wanderten sie weiter und weiter, und Roland erinnerte Erich an das Vorhaben, das er ihm einmal geäußert, wie er den Empfindungen beim Sonnenaufgang auf dem Rigi einen gemeinsamen feierlichen Ausdruck hatte geben wollen. Jetzt verstand er, was Erich gewollt und warum es unmöglich war.

An seinem Geburtstage war Roland mit Erich zuerst allein draußen in der freien Welt, dann kehrten sie heim nach der Villa. Als sie im Thale ankamen, läuteten die Glocken und sie sahen Manna nach der Kirche gehen.

Auch Sonnenkamp war schon früh auf, er ging zur Professorin und sagte, wie er ganz in ihren Plan eingegangen; er finde es sehr schön, daß fürstliche Kinder ihren Geburtstag damit feiern, daß sie nichts erhalten, sondern geben. Er dankte der Professorin noch besonders, daß sie ihren Plan als seinen wollte gelten lassen, er übernehme nur ungern etwas, das an Unwahrheit streife, aber dem Kinde zu lieb dürfe er es.

Die Professorin preßte die Lippen zusammen. Dieser Mann, dessen ganzes Leben eine Lüge ist, spielt ihr gegenüber den Wahrhaftigen; sie hatte sich aber bereits an den Gedanken gewöhnt, daß man beim Guten, das geschieht, nicht immer nach den Quellen und Beweggründen fragen darf. Sie ging mit Sonnenkamp nach der Villa.

Als man dort ankam, fuhr ein Wagen vor; Prancken stieg aus. Er sagte, daß er zum Geburtstage Rolands gekommen, und war hoch erfreut, als er hörte, daß auch Manna da sei; er hatte nicht nöthig, Kunde von dem Telegramm zu geben, das Fräulein Perini an ihn gerichtet. Als er auf der Terrasse nach der Rheinseite stand, sah er Manna, wie sie mit einem kleinen Buche in der Hand auf und ab wandelte und leise die Lippen bewegte.

Fräulein Perini kam bald und flüsterte mit Prancken, sie war stolz, das feine Netz der mit Edelmuth sich schmückenden Professor-Familie durchgerissen zu haben, denn es war ihr offenbar, daß Erich den Plan zur Abholung Manna's seinem Zögling eingeimpft habe; die Umgarnung habe schon gestern Abend begonnen, Manna sei nach dem grünen Hause geführt worden und sehr befriedigt von dort zurückgekehrt, vor Allem sei sie entzückt von der Tante.

Manna kam endlich nach der Terrasse und wieder reichte sie Prancken die linke Hand, denn in der rechten hielt sie ihr Gebetbuch. Prancken äußerte sich sehr erfreut darüber, daß keine Blüthe am schönen Frühlingsbaume der Familie fehle; und da er fortfuhr, sich in die Seele Manna's zu versetzen und ihr nachzuempfinden, wie es sein müsse bei der Rückkehr ins elterliche Haus, sagte sie ruhig:

»Unser Haus ist ein Zelt, das aufgeschlagen und wieder abgebrochen wird.«

Prancken faßte diesen hingeworfenen Gedanken rasch; er hatte sich genugsam in die geistliche Redeweise eingelebt, um die Reihe von Betrachtungen und Anschauungen zu ermessen, aus welchen dieser einzelne Ausspruch hervorgetreten war.

Eine gewisse conversationelle Verschliffenheit, in welcher Prancken einige allgemeine Betrachtungen vorbrachte, befremdete Manna zuerst, aber sie schien doch erfreut, den gewandten Mann in diesem Gebiete heimisch zu sehen. Sie fand sich ihm näher, da er, zu ihrer Kirche gehörig, mit ihr im selben Reiche lebte, und sie schlug die Augen nieder, da Prancken, den von ihr geschenkten Thomas a Kempis aus der Tasche ziehend, sagte, wie er ihr durch diese Gabe das Beste verdanke, was er sei.

»Bitte, stecken Sie das Buch wieder zu sich,« sagte Manna schnell, denn sie hörte die Stimme der Professorin und des Majors, die näher kamen.

Pranken that, wie ihm geheißen, er hielt die Hand auf das Buch, das an seinem Herzen ruhte, und sah Manna mit einem vollen Blicke an; er war glücklich und befriedigt, ein Geheimniß und sicheres Einverständniß war zwischen ihnen.

Der Major musterte Manna wie einen Rekruten; sie mußte sich um und um drehen, mußte einige Schritte gehen, damit er ihre Gangart beurtheilen könne, und Manna war heiteren Sinnes bereit, die Evolutionen auszuführen, die der Major wünschte.

»Ja, ja,« sagte er endlich und streckte den Zeigefinger seiner linken Hand in die Höhe – wenn das geschah, hatte er immer eine Weisheit vorzubringen – »ja, ja, wenn's gut geht, ist's gut. Ja, ja, Herr Sonnenkamp, ein Junge unter die Soldaten, ein Mädchen eine Weile ins Kloster . . . wenn's gut geht, ist's gut.«

Der Major schalt, wo der Junge bleibe, er verdiene sein Glück gar nicht; heute sei der schönste Frühlingstag, wie man sich ihn nicht besser bestellen könnte, und es sei auch ein Jahrestag. Er war eben daran, jenes grausige Abenteuer des Extrazuges zu erzählen, da trat Roland mit Erich ein.

Manna umarmte ihren Bruder herzlich, Roland reichte Prancken die Hand, der ihn ebenfalls umarmte, aber schnell wand sich Roland aus dieser Umarmung und sagte:

»Manna, gib auch Herrn Erich die Hand, heut ist sein Geburtstag bei uns; heut vor einem Jahr ist er mein geworden, oder ich sein. Nicht wahr, Erich? Gib ihm nur die Hand.«

Sie streckte ihm die Hand entgegen. Zum ersten Male sahen sich Erich und Manna voll und ganz beim Tageslicht und sie sagte:

»Ich danke Ihnen für alles Gute, das Sie meinem Bruder erzeigen.«

Erich war betroffen von der Erscheinung Manna's; es war zweifelhaft, ob der Ausdruck ihres Gesichtes sanfte Trauer oder kalte Gleichgültigkeit war; ihre Stimme war zauberisch mild, aber aus dem Ton sprach eine gekränkte Seele.

Man ging endlich nach dem großen Saal, wo die Professorin und Claudine, Fräulein Perini und Frau Ceres waren.

Alle Fenster waren streng verschlossen, denn Frau Ceres scheute die Morgenluft; sie gähnte, als Roland eintrat, dann aber umarmte und küßte sie ihn.

Die Professorin umarmte Roland und glückwünschte ihm herzlich.

Auf einem großen Tische waren viele Pakete, mit Namen bezeichnet, ausgelegt. Die Professorin hatte in Gemeinschaft mit Fräulein Milch eine Liste der Altersgenossen Rolands gefertigt, die man heute beschenken wollte. Es waren Handwerkslehrlinge, die auf Wanderschaft ziehen sollten, Schiffer und Weinbergsarbeiter; für Jeden war bereitet, was sich ihm eignete.

In der Mitte des Tisches lag ein großes Briefcouvert. Das hatte Sonnenkamp bei seinem Eintritt schnell hingelegt und darauf war geschrieben: Für Herrn Hauptmann Doctor Erich Dournay.

Nach einem raschen Ueberblick hatte Roland das sofort bemerkt und brachte es Erich.

Erich öffnete es; er fand darin ein Paket Banknoten von namhafter Summe. Erbleichend schaute er einen Augenblick um, dann steckte er das Paket wieder in das Couvert.

Sonnenkamp, der bei Manna und Prancken gestanden, hatte leise zu diesem etwas gesprochen; jetzt trat Erich auf ihn zu und sagte, das Paket darreichend, mit bebender Stimme, er bitte, Herr Sonnenkamp möge . . .

»Nein, nein, danken Sie mir nicht; ich habe Ihnen zu danken,« fiel Sonnenkamp ein.

Erich erhob frei den Blick und sagte:

»Zürnen Sie mir nicht, daß ich dies Geschenk ablehne. Erlassen Sie mir, die Gründe für meine Weigerung zu sagen. Glauben Sie mir, ich kann das Geld nicht nehmen.«

»Ein freier Mann wie Sie,« fiel Prancken ein, »sollte kein Wort darüber verlieren. Behalten Sie nur.«

Er sprach als Zugehöriger, fast als hätte er selbst die Gabe gespendet.

Erich sah ihm fest ins Auge und blickte dann auf Manna. Er fühlte, daß es Pranckens Absicht war, ihn am ersten Morgen vor ihr als Bedürftigen, Beschenkten erscheinen zu lassen. Wie bittend schaute er sie an, daß sie ihm zu Hülfe kommen möge, aber sie schwieg. Er legte schweigend das Paket aus der Hand und verließ das Zimmer.

Sonnenkamp und Prancken sahen ihm achselzuckend nach und Prancken sagte:

»Da haben wir wieder ein Beispiel von erhabenem Bettelstolz.«


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