Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Zweites Capitel.

Erich hatte sich beurlaubt. In dieser Stadt, wo er geboren war und die größte Zeit seiner Jugend verbracht hatte, war er nun als Fremder in einem Gasthof und Diener eines Fremden. Er kämpfte alle Grübelei nieder und schrieb einen Brief an seine Mutter, worin er die Ankunft meldete und sie dringend bat, durch keinerlei Zureden sich verleiten zu lassen, mit nach der Residenz zu ziehen. Er brachte den Brief selbst auf die Post und wanderte dann lange in der stillen, menschenleeren, kleinen Residenz umher. Er kannte jede Straße, jedes Haus, da und dort wohnten Jugendgenossen, befreundete Familien; er wußte nicht, wie er zu ihnen stehen werde.

Er kam an dem großen Gebäude vorüber, in dem die Antiken ausgestellt waren; eine Minute streifte ihn der Gedanke, wie es wäre, wenn er die Stelle des Directors hier erhalten.

Ruhelos ging er hin und her und begab sich endlich in ein Bierhaus.

Dort setzte er sich in eine Ecke und hörte Bürgersleuten zu, die mit langen Pfeifen im Munde sich über einen halben Witz erlustigten und von Allerlei redeten.

Er horchte auf, da er den Namen Sonnenkamps hörte, denn ein breiter rothbäckiger Mann sagte:

»Von heute an muß ich besonderes Fleisch nach dem Victoria-Hotel liefern, Herr Sonnenkamp hat einen ganz besondern Geschmack.«

Ein Buchdrucker, den Erich kannte, sagte:

»Unser Redacteur, Professor Crutius, behauptet, er kenne Herrn Sonnenkamp, aber er will nicht mit der Sprache heraus.«

Bei dieser Erwähnung spannte Erich seine Aufmerksamkeit, und weiter wurde erzählt, wie groß die Summe sei, die der Victoriawirth täglich erhalte; dann hieß es, daß Sonnenkamp das Rabeneck'sche Palais kaufe, und es sei so viel als sicher, daß er auch den Adel erhalte. Es wurden Bemerkungen gemacht, die Erich nicht hörte; er vernahm nur allgemeines Gelächter.

»Und ich sage,« rief ein dicker Mann, den Erich als Getreidehändler und Bäcker kannte, »erinnert mich daran, daß ich es heut gesagt habe: dieser Herr Sonnenkamp ist ein Emissär. Die Junker in den Südstaaten wollen einen Kaiser haben, und er hat Unterhandlungen, vielleicht höher hinaus, als wir Alle ahnen.«

»Dann ziehst Du mit ihm und wirst Hofbäcker,« hieß es. Ein gewaltiges Gelächter begleitete diese Antwort.

»Was geht das uns an? Der Mann bringt viel Geld ins Land; wenn nur noch hundert kämen, sie mögen gewesen sein, was sie wollen, wenn sie nur viel Geld ins Land bringen.«

So rief ein kleines, rundliches Männchen, das aus einer großen Meerschaumpfeife rauchte. Er leerte auf diese Rede sein Deckelglas und nickte der Kellnerin zu, wie wenn er sagen wollte: Bring mir noch ein frisches, ich hab's verdient, bin doch der Gescheidteste.

Erich schlich leise davon; er war froh, nicht erkannt worden zu sein.

Als er heraustrat, begegnete ihm ein junger Mann und begrüßte ihn sehr freundlich.

Erich erinnerte sich seiner Bekanntschaft nicht, aber der junge Mann kannte ihn als Sänger vom Musikfest her; er war Lehrer an der Realschule in der Residenz und verkündete Erich, daß man ihn zum Ehrenmitglied des Schullehrer-Vereins ernennen werde.

Erich dankte und machte sich davon. Er kam auf der Straße in einen großen Menschenstrom, Wagen fuhren rasselnd dahin, das Theater war zu Ende. Er eilte nach dem Gasthof, Roland sollte ihn zu Hause finden. Er wartete auf seinem Zimmer, aber Roland kam nicht; er ging nach dem Gesellschaftssaal, aber er war nicht dort.

Die Cabinetsräthin bemerkte lächelnd, man könne unbesorgt sein; Roland sei in Gesellschaft Cuno's und da unterhalte er sich gewiß gut. Sie entschuldigte sich nun, daß auch sie die Gesellschaft verlassen müsse. Sie nahm Sonnenkamp noch in eine Fensternische und überreichte ihm den Gothaischen Almanach des neuen Jahres mit der Bemerkung, daß künftig keiner mehr erscheinen solle, in dem nicht auch der Name Sonnenkamp wäre; sie erklärte sich von heute an als seine Steuerpflichtige; sie werde lebenslang jedes Jahr dies kanonische Buch der Ehre übersenden.

Sonnenkamp war sehr dankbar und geleitete die Dame bis zum Wagen.

Ins Zimmer zurückgekehrt, sagte er zu Erich:

»Ich hatte erwartet, daß Roland mehr Zuverlässigkeit beigebracht wäre; er ist nun trotz seines Versprechens noch nicht da.«

Erich wollte erwidern, daß ja nicht er, sondern der Vater ihm die Erlaubniß gegeben, schon am ersten Abend, kaum aus dem Wagen gestiegen, seine eigenen Wege zu gehen. Er hielt es indeß zurück, eine Erörterung war fruchtlos.

»Ich kann nicht zu Bette gehen, bis er da ist,« jammerte Frau Ceres.

»Wissen Sie vielleicht, wo wir ihn suchen sollen?« wendete sich Sonnenkamp zu Erich.

»Es ist nicht nöthig, er ist da,« erwiderte Erich.

Roland trat ein.

Die Mutter klagte, der Vater schalt, daß er nicht sein Wort gehalten, aber Roland sagte:

»Ich verdiene weder Klage, noch Scheltworte; es hat mich viel Mühe gekostet, mich von der Gesellschaft loszumachen, die ich bis zu dem Restaurant begleitete, aber dort umkehrte.«

Nun war Alles gut und man ging zur Ruhe.

»Warum fragst Du mich nicht, wie es mir im Theater gefallen?« fragte Roland in seinem Zimmer.

»Ich wollte warten, bis Du es mir von selbst sagst.«

»Ach, es war sehr schön; wunderschöne Mädchen tanzten, und Cuno kannte alle bei Namen, er wußte von Jeder etwas zu erzählen; aber langweilig war die Geschichte doch. Stundenlang nichts als Sprünge und Bewegungen hin und her und kein Wort dabei. Mir fiel ein, was Benjamin Franklin sagen würde, wenn er das sähe, und da war der ganze Spaß verdorben. Cuno sagt, ich sei ein Philister; ich habe das ruhig hingehen lassen; als er aber noch etwas hinzufügte, hätte ich fast ein Duell mit ihm bekommen.«

»Darf ich wissen, was er noch sagte?«

»Es betrifft Dich, aber – es kann Dir ja gleichgültig sein.«

»Ich bitte, nichts weiter. Ich brauche nicht zu wissen, was die Menschen über mich sagen; das belastet die Seele und hilft nicht besser werden. Aber Du hast Dich brav gehalten, Du kannst gut schlafen, Du hast zum ersten Male im Feuer exercirt. Halte Dich nur immer treu in Dir und zu mir.«

Mit glücklichen Gedanken legte sich Erich nieder und mit glücklichen Gedanken schlief Roland ein.


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