Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band III
Berthold Auerbach

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Fünftes Capitel.

Noch spät am Abend ging Manna zwischen der Oberin und der Professorin, von Beiden an der Hand geführt, den breiten Gang auf der Insel auf und ab. Es war, als ob zwei Weltmächte sich liebend um sie stritten.

Die beiden Frauen sprachen – es ließ sich kaum mehr zurückleiten, wie man dazu gekommen war – über Rechthaberei. Die Professorin behauptete, daß die Erlösungsfähigkeit in der Bereitwilligkeit bestehe, eine Uebereilung, ein Unrecht, einen Irrthum frei zu erkennen und zu bekennen.

Die Oberin stimmte dem bei, aber sie behauptete, daß man zum Irrthum, zu falscher Ansicht in den höchsten Dingen immer wieder zurückkehren könne, wenn nicht feste, unerschütterlich geoffenbarte und durch ein unfehlbares Organ immer neu verkündete Lehre den Irrthum heile; sonst wisse man ja nie, ob man nicht wieder im Irrthum sei.

Die Oberin hatte jenes sichere Bewußtsein des Positiven, während die Professorin für jedes Vorkommniß neue Erkenntniß und Bestimmung suchen mußte, so daß sie gewissermaßen unstet und unsicher erschien. Dies Gefühl wurde noch vermehrt, da sie sich nicht für berechtigt hielt, gegen einen so festen und segensreich wirkenden Glauben anzukämpfen. Eine Unruhe, wie ein Spion sie empfinden muß, der in bester patriotischer Absicht im Feindeslager sich umschaut, beherrschte das Wesen der Professorin; sie bedauerte, daß sie einen solchen Auftrag übernommen. Aber jetzt war sie auf dem Posten, jetzt mußte sie ihre Anschauung vertheidigen; sie suchte den Punkt, wo sie ganz wahr sein durfte, indem sie Manna erzählte, daß ihr Vater eine ausgebreitete Wohlthätigkeit organisiren wolle, und welch ein schöner Beruf es sei, da mitwirken zu dürfen. Die Oberin ließ Manna erwidern, die nun sagte:

»Frauen können nicht im Großen wirken und die Gaben, die mein Vater spendet, kommen doch nicht in die rechten Hände; wir können das Besitzthum nur wieder zurückgeben in die Hand dessen, der allein zu bestimmen hat, wohin es wirken soll.«

Die Oberin wiederholte, daß sie Manna entschieden abrathe, den Schleier zu nehmen; es sei zu fürchten, daß ihr Naturell sich nicht dazu eigne. Zur Professorin gewendet setzte sie in scharfem Tone hinzu:

»Wir sind gleichgültig gegen den Vorwurf, daß man uns nachsagen könnte, wir hätten nach dem Besitzthum des Kindes gestrebt; wir verschmähen das Besitzthum nicht, wir können Großes damit wirken, aber die Seele des Kindes allein ist es, worauf wir Werth legen, und fragen nichts darnach, ob die Weltlinge uns das glauben oder nicht.«

Die Professorin war froh, als sie endlich allein in der Zelle war, wo sie schlafen sollte.

Man war im Kloster sehr früh wach, aber lange bevor das Mettenglöcklein läutete, stand die Professorin angekleidet in ihrer Zelle und schaute hinaus in den anbrechenden Tag, wo die Nebel auf dem Strom mit dem Morgendämmern kämpften.

Sie dachte sich in die Hunderte von jungen Seelen, die jetzt noch im Schlafe liegen, einer fraglichen Zukunft entgegenwachsend; sie dachte sich in die Seelen der Nonnen, die dem Leben entsagt hatten, denen der Tag kein persönliches Ereigniß mehr brachte, nur noch die stetige Pflicht.

Darf man es wagen, in solch ein Leben einzugreifen, es zu stören?

Mag auch viel Ungehöriges hier geschehen, es herrscht ein heiliger Wille über die Gemüther. Man kann einer bestehenden positiven Religion sich nur entgegenstellen durch mehr Religion. In der Welt ist die Idee des Reinen verfolgt, gehetzt, verdunkelt; die Hand muß sicher und höher geweiht sein, die es wagen kann, ein Asyl der Idee anzugreifen.

Das Morgenlicht war Herr geworden über die Nebel und erglänzte über den Bergen und aus dem Strom; die Klosterglocke läutete; es ward lebendig in dem großen Hause.

Die Professorin blieb, bis der Morgengottesdienst zu Ende war, dann ging sie in den Speisesaal, um von Manna und der Oberin Abschied zu nehmen. Sie wurde bis ans Ufer geleitet.

Mit befreiter Seele fuhr sie hinüber.

Als sie mit Sonnenkamp nach der Villa zurückfuhr, entwarf sie auf dem Schiffe den Plan, wie man eine ausgebreitete Wohlthätigkeit organisire; es müsse etwas Umfassendes geschaffen werden, so daß Manna von dem einen Heiligthum in das andere eintrete.

Sonnenkamp hörte still, aber unwillig zu; die ganze Welt hatte sich verschworen, ihn zum Tugendheuchler zu machen.

Ganz Aehnliches hatte Prancken gestern von ihm gefordert; er hatte die religiöse Verpflichtung hervorgehoben.

Sonnenkamp hatte die Achseln gezuckt, da der Mann auch vor ihm sich eine Maske vorhielt. Erst als Prancken hinzufügte, daß der Hof dadurch nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, ihm die Standeserhöhung zu verleihen, willigte er ein. Nun kam die Professorin mit dem Gleichen, und das war gut, sie meinte es wahrscheinlich ehrlich.

Die Heimfahrt war wenig belebt, denn man kam leer zurück, ja, Sonnenkamp war empört, daß er wieder nur leisten sollte, ohne etwas erreicht zu haben.


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