Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band I
Berthold Auerbach

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Zehntes Capitel.

Still und gedankenvoll saß Erich neben dem Doctor. Wie von Wind und Wellen hin und her getragen, erschien er sich. Er war eingetreten in das Lebensschicksal so vieler Menschen, das konnte in seinem und in ihrem Dasein nicht mehr getilgt werden.

»Sie glauben also an Erziehung?« fragte der Doctor endlich.

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Ich halte eigentlich nichts auf Erziehung; die Menschen werden das, wozu sie von Natur aus angelegt sind. Wie man den Menschen in die Wiege legt, so legt man ihn in den Sarg. Kenntnisse, Fertigkeiten zum Fortkommen gibt die Bildung, den Ausschlag gibt die Naturanlage.«

Da Erich die Achseln zuckte, fügte der Doctor hinzu: »Ich kann nicht wünschen, daß alle Menschen sein mögen wie ich, denn ich habe es aufgegeben, auf Andere wirken zu wollen; Anderen helfen wollen, ist eine Jugendkrankheit, es unterlassen, ist freilich eine Altersschwäche, aber sie ist bequem.«

Erich war nicht gewillt, auf diese Erörterungen einzugehen, er war des ständigen Besprechens müde.

Der Doctor fuhr fort:

»Eigentlich gönne ich Sie diesen Leuten nicht; es ärgert mich, daß die Reichen sich auch Duft und Frucht höherer Erkenntniß sollen kaufen können; aber es bleibt wahr: es kommt kein Reicher ins Himmelreich. Die Reichen haben zu viel Ballast geladen; sie haben kein verkünsteltes Leben fern von der Noth des Daseins und entziehen sich selbst der Naturmacht der Jahreszeiten; sie fliegen aus und ein in verschiedene Klima's und haben überall wohnlich eingerichtete Schwalbennester. Es wäre eine Unbarmherzigkeit des Schicksals gegen uns, wenn die Reichen zum mühelosen Besitze noch die höheren Freuden haben sollten, die uns allein gehören.«

»Es gibt keinen Königsweg in der Geometrie, heißt der Spruch Euklids,« schaltete Erich ein; »Wissen und Erkennen erlangt man nur durch Arbeit. Es ist in Ein Wort zusammenzufassen, was ich mit diesem Knaben will: er soll Selbstthätigkeit gewinnen.«

»Recht so,« erwiderte der Arzt. »Ja, so ists! Das, was wir, die dem Geiste leben, vor dem Reichen voraus haben, besteht darin, daß wir für uns allein sind, der Reiche kennt die thaubildende Stille der Einsamkeit nicht; er hat immer so viel, aber nie sich selbst und nie sich allein. Herr Sonnenkamp könnte hier in der That im Eden leben; aber die große Frage ist immer, wie diese Ausstattung mit allem nur Wünschbaren noch die Empfänglichkeit zuläßt. Es würde Ihre Hauptaufgabe sein, diese in Roland zu wecken und auszubilden. Er soll eigentlich doch erst schulmäßig lernen. In dem, was er von der Welt weiß, ist er ein Kind, und in dem, was er von der Welt verlangt, ein Mann, man könnte beinahe sagen, ein Lebemann.«

Erich hatte Vieles zu erwidern, aber er lächelte in sich hinein, denn er dachte, wie leicht es ist, Lehren zu geben. Der Doctor hatte ihn mit Recht darüber angelassen, daß er sich über so Vieles ausbreite, jetzt sollte der Doctor auch merken, daß er schweigen könne. Er schwieg und der Doctor fuhr fort:

»Uebrigens kann ich Ihnen gute Handreichung bieten, wenn Sie dennoch in die Stelle eintreten. Leider sind Sie kein Mediciner, und nach meiner Ansicht sollte nur ein Mediciner Erzieher sein. Haben Sie bereits bemerkt, daß der Junge einen Magen hat, der nicht gut verdaut? Ein Junge in diesen Jahren müßte Kieselsteine verdauen! Ich bringe es nicht dahin, daß ihm nur einfache Speisen gegeben werden. Die Vornehmen und Reichen essen ohne Hunger und trinken ohne Durst. Der Junge kann Alles bekommen, nur Eins nicht: rechte, grundmäßige Freude. Es ist ein Kleines, nehmen Sie es nur als Beispiel: er freut sich über kein neues Gewand. Streichen Sie aus Ihrer Kindheit, aus Ihrer Jugend diese Freude! Ich muß gestehen, wochenlang kann ich mich mit einem gutsitzenden Gewand freuen.«

Der Doctor schilderte nun den athletischen Bau Sonnenkamps und wie er beständig mit seinem gewaltigen Naturell zu kämpfen habe. Seine Milde, der man das Erzwungene und Geflissentliche sofort ansähe, neutralisire stets eine gewisse unbändige Kraft in ihm. Er sei ein verhaltener Faustkämpfer, und habe in der That, wie er sich einmal rühmte, eine eiserne Faust.

Der Arzt erzählte lachend, als er Sonnenkamp zuerst gesehen, habe er immer nach der Keule geforscht, die dieser Mann eigentlich in der Hand tragen müßte. Wenn er sich freundlich geberdet, da sei es immer, als wollte er sagen: sei unbesorgt, ich thue Dir nichts.

Dann schilderte der Doctor das Schlafleben der Frau Ceres, der die scharfzüngige, noch mehr aber neidische Gräfin Wolfsgarten den Beinamen Crocodilia gegeben habe, weil sie etwas von dem Ungeheuer habe, das sich am Ufer in der Sonne ausreckt. Für Frau Ceres sei jede noch so kleine Bemühung eine Anstrengung, sie lasse sich des Tages dreimal ankleiden, ohne dabei nur eine Nadel festzustecken, gehe stundenlang in ihrem Zimmer umher, betrachte sich von allen Seiten, füttere ihren Papagai, lege Patience und kultivire ihre Nägel. Das arme Wesen solle immer von der schönen Natur leben, und das könnten doch viel bedeutendere Menschen nicht. Sie habe eigentlich eine Gelenkschwäche, sei indeß nicht ohne Tücke und Launen.

Erich gedachte der räthselhaften Art, wie ihn Frau Ceres hatte rufen lassen, er berichtete nicht davon, aber er forschte weiter und der Doctor erzählte:

»Es mag jetzt bald ein Jahr sein, da ist mir etwas vorgekommen, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich wurde nach der Villa gerufen; die Tochter des Hauses war in einem Zustande des Starrkrampfes oder einer Art Ekstase, die ich nicht begriff. Fräulein Perini erzählte mir, das Mädchen habe die Hände so heftig in einander gefaltet, daß dieselben nur mit Hülfe zweier Diener auseinander zu bringen waren, obgleich sich das Mädchen nicht wehrte. Noch als ich kam, waren alle Gelenke an der Hand wie geknickt. Ich konnte nie erforschen, welche aufs Aeußerste gesteigerte Seelenaufregung eine solche körperliche Folge hervorbringen konnte; ich erfuhr nur, daß Herr Sonnenkamp seiner Frau irgend etwas verweigert habe, was sie heftig wünschte. Sie strafte ihn damit, daß sie der Tochter, die ihren Vater bisher wie ein höheres Wesen verehrt hatte, etwas mittheilte, das das arme Kind so aufregte. Noch als sie geheilt war, blieb sie schwermüthig, bis man sie ins Kloster brachte, wo sie nun neu auflebte.«

Erich lenkte die Frage nach dem Grunde, warum Sonnenkamp so vielen Gehässigkeiten und Verleumdungen ausgesetzt sei. Der Arzt ging leicht darüber hin und erklärte, daß der hungrige Hofadel als natürliche Gegenwehr jeden Makel suche gegen einen Mann von so unermeßlichem Reichthum, der sie mit seinem Aufwande fast persönlich beleidige. Nur Herr von Prancken sei ihm geneigt und nicht blos, weil er die Tochter mit der reichen Mitgift heiraten wolle, es sei auch ein natürlicher Zusammenhang zwischen ihnen, denn »Herr Sonnenkamp interessirt sich sehr für sich selbst und Herr von Prancken betrügt seinen Nächsten wie sich selbst.«

»Und nun, mein Freund,« schloß der Arzt, »nun sehen Sie, wie Sie in diesem Hause zurecht kommen wollen, wenn Sie eintreten.«

»Ich habe eine Bitte,« sagte Erich. »Lassen Sie mich hören, wie Sie zu einem Freunde über mich sprechen würden, wenn ich abgereist wäre. Wollen Sie das?«

»Gewiß; diese Bitte liegt nach Ihrem Wesen ganz auf der Linie. Sie sind ein Idealist. Ach, was haben die Menschen für schwere Noth mit ihrem Ideal! Ihr Idealisten, die Ihr stets für Andere denkt, arbeitet und empfindet, kommt mir vor wie die Wirthe auf hohen Aussichtspunkten, die Alles vorbereiten und stets zu Gott beten müssen: Laß gut Wetter werden und Gäste kommen! Sie können das Wetter nicht zwingen und die Gäste nicht. Darum ist der einfache Rath: sei kein Wirth zur Herberge der Idealität. Laß Dir's gut schmecken und denke nicht an Andere, sie holen sich ihre Portion selbst oder bringen etwas in ihrem Schnappsack mit, wo nicht, mögen sie hungern und dürsten. Ich habe gefunden, es gibt nur zwei Wege, sich im Leben abzufinden: entweder mit der Welt unzufrieden oder mit sich selbst unzufrieden. Die heutige Jugend, wie ich sie kenne, hat noch einen dritten Weg, sie ist zugleich mit der Welt und mit sich selbst unzufrieden.«

»Es ist leider zuweilen bei mir der Fall.«

»Und eben darum,« fuhr der Doctor fort – er nahm seine großen Handschuhe ab und legte die Hand auf die Schulter Erichs – »eben darum wünschte ich, daß Sie ein anderes Loos hätten . . . ich weiß nicht was . . . ich suche vergebens.«

Eine lange Reihe von Wagen mit geschälten Buchenästen kam die Straße daher. Der Arzt berichtete, daß man diesen Aesten bereits verschiedene chemische Stoffe entzogen und sie nun nach einer Pulverfabrik bringe. Erich erwähnte, daß er das kenne, er habe sich auch längere Zeit nach der Pulverfabrik im Gebirge commandiren lassen und dort gearbeitet.

Eine mit zwei Apfelschimmeln bespannte Kalesche folgte den Wagen; ein junger schöner Mann, der selbst kutschirte, grüßte schon von ferne.

Der Doctor ließ anhalten.

»Willkommen!« rief er dem jungen Manne zu.

Sie reichten sich von Wagen zu Wagen die Hand und der Doctor fragte: »Wie geht's Louisen und den Kindern?«

»Alles wohlauf.«

»Waren Sie bei der Mutter?«

»Ja.«

»Wie steht's bei Ihren Eltern?«

»Sind auch wohlauf.«

Der Doctor stellte den jungen Mann als Herrn Heinrich Weidmann, seinen Schwiegersohn, vor.

»Sind Sie der Sohn des Herrn Weidmann von Mattenheim?«

»Allerdings.«

»Wo ist denn Ihr Vater?« fragte der Doctor.

»Da drüben im Dorfe; sie verhandeln dort über die Anlegung einer Pulvermühle.«

Wie ein Blitz ging es vor dem Doctor aus; er wendete sich zu Erich, sagte aber kein Wort. Der junge Weidmann drückte auch Erich die Hand und sprach die Hoffnung aus, daß sie sich nicht blos so kurz begegnet und an einander vorüber gefahren seien; Erich werde auch bei seinem Vater willkommen sein.

Die beiden Wagen fuhren davon, jeder seinem Ziele zu.

Der Doctor berichtete Erich, daß sein Schwiegersohn praktischer Chemiker sei, und vor sich hin murmelte er:

»Trumpf gefordert, Trumpf bekannt.«

Erich verstand ihn nicht; er gedachte lächelnd, wie Prancken von den Söhnen Weidmanns mit den impertinent weißen Zähnen gesprochen habe.

Als man dem nächsten Orte zufuhr, kam eben das Dampfschiff vom Oberrhein daher; der Doctor befahl seinem Kutscher, so rasch als möglich zu fahren, damit man das Dampfschiff noch bei der Landungsbrücke erreiche. In rasendem Galopp fuhren sie dahin. Der Doctor rief:

»Nun hab' ich's! Nun hab' ich's!«

Er faßte dabei den Arm Erichs mit einer Heftigkeit, als ob er auf den Tisch schlage, daß die Gläser klirren. »Wir suchen Herrn Weidmann sofort auf,« setzte er hinzu.

Der Wagen kam noch glücklich an, als eben das Brett schallend von der Landungsbrücke auf das Schiff gelegt wurde. Schnell stieg der Doctor aus und sagte dem Kutscher, er möge seiner Frau melden, daß er erst zum Abend heimkäme; dann bestieg er mit Erich das Schiff.

Auf dem Schiffe wurde der Arzt von Bekannten begrüßt, und eine Gesellschaft, die sich eine Maibowle bereitet hatte, bot ihm und seinem Freunde alsbald ein Glas; der Doctor stieß an, trank aber nicht, denn er erklärte, daß er nie gekünstelten Wein trinke. Die Gesellschaft war heiter; ein Krüppel, der auf dem Schiffe war, spielte auf der Ziehharmonika und man sang dazu.

Auf dem Verdecke an einem kleinen Tischchen, darauf eine Champagnerflasche im Eiskühler stand, saß der Weincavalier und ihm gegenüber eine schöne weibliche Gestalt mit sehr viel falschem Haar und sehr viel einnehmender eigener Schönheit. Die Beiden rauchten kleine Cigaretten und plauderten lebhaft Französisch mit einander. Der Weincavalier vermied es, den Blicken des Arztes zu begegnen, und der Arzt nickte vor sich hin, wie wenn er sagen wollte: doch noch ein Rest Schamgefühl.

Als man des Dorfes ansichtig wurde, das der Schwiegersohn genannt, sagte der Doctor zu Erich, Herr Weidmann sei es, der ihm zu helfen verstünde und dessen Rath er sich unbedingt fügen dürfe.

Erich stieg mit dem Doctor in den Kahn, der sie vom Dampfschiff ans Land brachte; die auf dem Schiffe grüßten noch mit den Gläsern in der Hand; schnell war das Schiff verschwunden. Der Ferge kannte den Doctor und grüßte ihn vertraulich, indem er sagte:

»Sie treffen Herrn Weidmann dort im Garten.«

Man landete an dem stillen Dorfe. Erich wurde Weidmann vorgestellt. Es war ein Mann mit hagerem, auf den ersten Anblick trocken erscheinendem Wesen; aus seinen Zügen sprach ruhiger Verstand und Gleichmuth, aber im hellen Auge lag warme Begeisterung. Weidmann saß mit mehreren Männern um einen Tisch, auf welchem Papiere lagen, daneben standen Flaschen und Gläser.

Weidmann begrüßte Erich kurz, dann wendete er sich wieder zu den Genossen, mit denen er gesprochen hatte.

Der Doctor ward sofort abgerufen, denn der Vater des Wirthes war krank und man betrachtete es als einen glücklichen Zufall, daß der Arzt gekommen sei. Erich ging allein am Ufer auf und ab; wie in eine fremde Welt verschlagen erschien er sich. Da fahren die Menschen zu Berg und zu Thal und sitzen in den Gärten und denken und berathen, wie man die Natur ausbeute.

Der Ferge kam zu Erich und sagte, Herr Weidmann ließe ihn bitten, in den Garten zu kommen. Weidmann ging ihm mit herzerquickender Freundlichkeit entgegen und sagte, daß er ihn jetzt erst willkommen heiße; er sei vorhin zu sehr beschäftigt gewesen. Auch der Doctor kam bald nach.

Die Drei setzten sich in eine Ecke des Gartens an den Tisch, wo die weite Aussicht sich aufthat, und nachdem Erich erzählt, woher er komme, schilderte Weidmann mit schalkhaftem Tone die Gewaltthätigkeit des Doctors, der immer sage, daß er nicht auf andere Menschen wirken wolle, und doch gern mit drastischen Mitteln drein greife. Es bildete sich ein geschickter Einigungspunkt zwischen Erich und Weidmann, indem sie in neckischer Weise, die doch Ehrerbietung in sich schloß, sich gegen den Doctor vereinigten.

Erich vernahm, daß der Doctor ihn bereits zur Leitung der Pulverfabrik vorgeschlagen habe. Weidmann berichtete, daß der Staat noch allerlei Hindernisse mache, obgleich man den Absatz wesentlich in der neuen Welt suchen wolle; sein Neffe, Doctor Fritz, habe hiezu einen der Männer, mit denen er eben verhandelt, aus Amerika herübergeschickt. Auch wünsche sein Neffe, daß man einen erfahrenen deutschen Artilleristen fände, der nach Amerika übersiedeln und dort einer Fabrik zur Bereitung von Pulver und Zündern vorstehen möge; es ließe sich dabei rasch und sicher ein namhaftes Besitzthum erwerben.

Der Doctor sah auf Erich, dieser aber lächelte und schüttelte verneinend den Kopf.

Weidmann berichtete ferner, daß sich indessen etwas ganz Neues gezeigt habe; man habe ein Braunsteinlager entdeckt und es wolle sich eine Gesellschaft bilden, die dasselbe ausbeute; ein Mann, der Ordnung zu halten verstände, würde sich leicht in das Nöthige einarbeiten.

Er sah ebenfalls fragend auf Erich und stellte ihm dann geradezu das Anerbieten mit der Aussicht eines bedeutenden Gehaltes und eines sich steigernden Gewinnantheils.

So höflich als dankbar lehnte Erich ab, da es ihm durchaus nicht darum zu thun sei, aus dem gelehrten Beruf herauszutreten; er achte die Freiheit, die der Besitz gebe, sehr hoch, aber er sei nicht zum Erwerbsleben geschaffen.

Weidmann erzählte, daß er einen Brief von seinem Neffen, dem Doctor Fritz, aus Newyork erhalten habe, der in den nächsten Tagen ein Töchterchen schicke, das in Deutschland erzogen werden solle; er habe deßhalb den früheren Lehrer Rolands, den Candidaten Knopf ins Haus genommen. Erich erkundigte sich nach diesem Lehrer und hörte viel Löbliches, Niemand aber wußte, warum er so plötzlich Villa Eden verlassen hatte.

Das letzte Schiff kam stromaufwärts. Der Doctor und Erich nahmen Abschied von Weidmann; dieser drückte Erich herzlich die Hand. –

Am Landungsplatze unter neu gepflanzten Linden gingen Männer und Frauen aus dem Städtchen auf und ab, denn es ist immer ein wichtiges Ereigniß des Tages, wenn das Schiff ankommt, das hier übernachtet. Auch die Frau des Doctors war am Ufer und ging mit Erich und ihrem Manne heimwärts. Sie hieß Erich als Gast willkommen und sagte, daß sie ihn auf Wolfsgarten kennen gelernt; Erich erinnerte sich dessen nicht mehr, denn er hatte die bescheidene, schweigsame Frau damals kaum bemerkt.

Im Hause warteten Viele auf den Arzt. Erich wurde in sein Zimmer und dann in die Bibliothek geführt; er sah zu seiner Freude, daß der Mann mit den neuen Forschungen in seiner Wissenschaft fortzuschreiten suchte, und er hoffte, durch ihn manche Lücke in seinem Wissen auszufüllen.

Die Dämmerung war eingebrochen; Erich saß still, da hörte er Pferdegetrappel vor dem Hause. Er stand unwillkürlich auf und schaute hinaus; er glaubte, daß der Reiter, der jetzt eben vorübergeritten, Roland gewesen sei – oder hatte ihn seine Vorstellung und sein beständiges Denken an den Knaben getäuscht?

Es war ein behagliches Sein im Hause des Arztes, wo Alles von gediegenem Wohlstand zeugte; aber noch vom Abendtische weg mußte der Arzt in ein nahgelegenes Dorf. Erich ging mit der Frau des Doctors die schöne Landstraße am Ufer des Stromes entlang, und sie sagte: sie wünsche sehr, daß ihr Mann einen geistig regsamen Freund zu ständigem Umgang haben könnte, er fühle sich hier im Städtchen doch oft allein und müsse sich Alles selbst schaffen.


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