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»Nach Wolfsgarten,« stand auf dem Wegweiser am Rande des gutbestandenen Hochwaldes, in den man jetzt einfuhr.
Wir sind hier auf Grund und Boden des Edelmanns.
Jeder Fremde, der des Weges kam und sich nach dem weithin blickenden einfachen Herrenhause mit dem gestaffelten Giebel dort oben näher erkundigte, erhielt die Antwort, daß dort zwei glückliche Menschen wohnten, denen nichts fehlte als der Kindersegen.
Graf Clodwig von Wolfsgarten war ein Edelmann in der besten Bedeutung des Wortes. Er gehörte zwar nicht zu den zuvorkommenden Menschen, die Jeden mit freundlicher Ansprache gewinnen, er hatte eine vornehme Zurückhaltung und Stille; aber der unabhängige Gutsbesitzer, der Fabrikant wie der Taglöhner, der Pfarrer wie der Handwerker, der Beamte und der Kaufmann in den Städten – Jeglicher glaubte, daß er ihn ganz besonders zu ehren und zu lieben verstehe. Man betrachtete ihn wie eine Zierde der Umgegend, wie einen mächtigen Baum auf der Bergeshöhe, unter dem man sich des Schattens und des freien Ausblicks erfreut und dem man Sicherheit vor allem Unwetter wünscht.
Clodwig war lange im Auslande gewesen und erst seit fünf Jahren, seitdem er sich zum zweitenmal verheirathet hatte, wohnte er auf dem Schlosse. Seine Gemahlin Bella war schön, Manche sagten, fast zu schön für den alten Herrn. Sie war gesprächsamer als ihr Gatte, und wenn sie in dem niederen kleinen Wagen, der mit zwei gescheckten Ponies bespannt war, über Land und durch die Dörfer fuhr, grüßte Alles staunend, denn Bella führte die Zügel, während ihr Gatte neben ihr und der Bediente auf dem Rücksitz saß. Man hätte glauben mögen, daß sie auch im Hause die Zügel führe; das war aber keineswegs der Fall. Sie war gegen ihren Gatten voll Demuth und Hingebung, ja es war diesem oft mißfällig, daß sie ihn, und sogar manchmal in seinem Beisein, übermäßig lobte, seine Güte, seine gleichmäßige Ruhe und seinen großen Blick in alle Weltverhältnisse mit beredter Zunge rühmte.
Erich erinnerte sich nur dunkel des Aufsehens, das in der Residenz die Verheirathung Clodwigs mit Bella erregt hatte, denn das Ereigniß fiel gerade in die Zeit, als er aus dem Militärdienste trat. Er hatte Bella oft gesehen, aber den Grafen Wolfsgarten nie. Der Graf hatte viele Jahre den Gesandtschaftsposten des Fürstenthums bei dem päpstlichen Hofe in Rom bekleidet, wo auch der Vater Erichs ihn kennen lernte.
Clodwig war in der wissenschaftlichen Welt durch eine kleine archäologische Schrift mit sehr kostspieligen Zeichnungen bekannt, denn neben Musik, die er leidenschaftlich liebte, betrieb er mit jener Sauberkeit und jenem Ernste, die sein ganzes Wesen bezeichneten, die Alterthumswissenschaft. Man rühmte ihm überhaupt nach, daß es kaum eine Wissenschaft und eine Kunst gäbe, der er nicht eifrige Pflege angedeihen ließ.
Kinderlos, in Rom verwittwet, kehrte er ins Vaterland zurück, war ein angesehenes, dem sogenannten gemäßigten Fortschritte huldigendes Mitglied des Hauses der Standesherren, und verkehrte während der Session viel mit dem alten Herrn von Prancken, der ebenfalls Mitglied dieses Hauses war. Bald bildete sich eine anmuthende Beziehung zu Bella von Prancken, die eine imponirende Erscheinung war und namentlich durch ihr wunderbares Clavierspiel glänzte. Bella war, wenn man es unhöflich ausdrücken wollte, überständig geworden; sie war in ihrer Blüthezeit die schöne Dame des Hofes gewesen, jetzt sah sie bereits einen Nachwuchs in der Gesellschaft glänzen, zu dem sie keine Beziehung hatte.
Bella hatte ein schönes Stück Welt gesehen. In Gemeinschaft mit zwei Engländerinnen bereiste sie Italien, Griechenland und Egypten; sie hatte einen gewandten Courier gemiethet, der Alles für sie besorgte. Nun wieder an den Hof zurückgekehrt, wo der Vater Oberstallmeister war, betheiligte sie sich an den Gesellschaften mit jener Resignation, die einer höheren Natur solchen Alltäglichkeiten gegenüber zusteht. Mit Clodwig von Wolfsgarten unterhielt sie sich sehr viel, und er ging von der Voraussetzung aus, daß die Nichtigkeiten der Gesellschaft kaum ihre Beachtung fanden; sie erklärte sich geradezu als eine reifere Natur, die nur noch in höheren Interessen lebte. Mit großer Aufmerksamkeit und lebhafter Theilnahme ging sie selbst auf die archäologischen Liebhabereien Clodwigs ein.
Sie hatte auf ihrem Nipptisch keine Porcellanfiguren und dergleichen Schnörkeleien, sondern nur ausgewählte Nachbildungen von Antiken, und sie trug eine große Bernsteinkette, die man in dem Grabe einer vornehmen Römerin gefunden. Sie hatte ein großes photographisches Album, Ansichten von ihrer Reise, mitgebracht, und war glücklich, mit Clodwig Alles noch einmal zu betrachten und sich von ihm belehren zu lassen. Dafür spielte sie ihm auch manchmal vor, während sie sich in Gesellschaften nicht mehr zum Musiciren bewegen ließ.
Die ganze Hofgesellschaft that einmal etwas Neues; sie trug zwischen Clodwig und Bella hin und her, was das Eine vom Andern Begeistertes gesprochen hatte, und selbst die höchsten Herrschaften betheiligten sich an der Ermuthigung Bella's und Clodwigs; denn die Beiden waren zaghaft, als sie inne wurden, daß ihr Verhältniß ein anderes werden sollte. Sie entschlossen sich indeß, und die Verlobung wurde im engsten Kreise der Hofgesellschaft gefeiert.
Clodwig hatte einmal kurz vor der Hochzeit einen Schwindelanfall gehabt, und von jenem Tage an hatte es Bella eingerichtet, daß Clodwig, wohin er ging, und meist ohne daß er es wußte, von einem Diener begleitet war. Mit der größten Sorgfalt pflegte sie den alten Herrn, und als sie sich nun auf das Erbgut zurückgezogen, gewann Clodwig neue Rüstigkeit.
In den Bädern, wohin sie allsommerlich gingen, waren Clodwig und Bella hoch angesehene Erscheinungen. Bella wurde nicht nur ihrer Schönheit wegen verehrt, sondern auch wegen ihrer treuen Hingebung und bis zur Aengstlichkeit gesteigerten Sorgfalt für ihren alten Gatten.
Erich erinnerte sich vieler dieser Thatsachen, während er mit Prancken den Berg hinanfuhr.