Berthold Auerbach
Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg
Berthold Auerbach

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Neuntes Kapitel

Fränz war allein voll Unruhe und Widerstreit. Es war ein seltsam geartetes Kind, wie es in einer Ehe, die so oft von Zwietracht gestört war, kaum anders erwachsen konnte. Als sie noch Kind war, scheuten sich die Eltern anfangs noch, irgend einen Zerfall vor ihr laut werden zu lassen; nach und nach aber verlor sich diese Zurückhaltung, ja, die gehässigen Reden des einen und des andern wurden immer an das Kind gerichtet, da hieß es oft: »Das Vermögen kommt alles von deinem Vater her, darum darf er's verlumpen«, und anderseits: »Dein' Mutter kann in ihren jungen Tagen nichts als gruchzen und flennen.« Es fielen aber auch noch unumwundenere und viel derbere Reden, und das Kind stand dazwischen, wie wenn wilde Vögel ihm ums Haupt schwirrten und wußte nicht, wie ihm geschah. Wenn der Zwiespalt aufs äußerste gediehen war, und doch wieder ein jedes innerlich fühlte, wie sehr es an das andre gebunden war, und nur den Weg zu dieser Äußerung nicht finden konnte, dann haschte ein jedes nach dem Kind und schwur auf sein Haupt: »Wenn du nicht wärst, dann wäre ich schon lang ins Wasser gesprungen, oder ich hätte mich an einen Baum gehängt.« Bei diesen Reden stand das Kind wie ein Lamm da, und wie es die großen, braunen Augen aufschlug, sprachen Worte und Gedanken daraus, die niemand verstehen konnte und wollte. Bisweilen wurde auch Fränz zum Friedensboten gemacht, und von der Mutter nach dem Wirtshaus zum Waldhorn oder in den Stall geschickt, dem Vater leise zu sagen, wenn er alles wolle aus sein lassen, möge er zum Essen kommen; oder auch umgekehrt: der Vater schickte Fränz zur Mutter, die sich in der Regel in das Haus des alten Schäferle, zum Vater von Medard und Munde, flüchtete. Natürlich konnte hierbei von Kinderzucht gar keine Rede sein, und es war nur dem guten Naturell des Mädchens zu danken, daß es nicht widerspenstig und höhnisch gegen die Eltern war. Die Kameradschaft mit Munde, der ein aufgeweckter und äußerst zartsinniger Knabe war, trug viel dazu bei, eine gewisse Milde in das herrische und heftige Wesen des Mädchens zu bringen. Als Fränz zur Jungfrau zu reifen begann, war sie oft unbegreiflich schwermütig und still. In jener Zeit begann aber der Fruchthandel und bald darauf die Schafhalterei Diethelms; er nahm nun das Kind so oft wie möglich mit auf seine Fahrten, und von da an lernte Fränz das Leben außer dem Hause als das allein schöne ansehen und wurde Meisterin einer weltläufigen Verstellungskunst; denn wenn man den Diethelm erinnerte, zu welcher Stellung er, der frühere Knecht, gekommen war, verfehlte er nicht, sein häusliches Glück zu preisen. Schon mit ihrem fünfzehnten Jahre merkte Fränz die bald offenen, bald versteckteren Werbungen um sie, und sie verstand es, dieselben hinzuhalten, während sie daheim den getreuen Munde am Bändel führte und ihn in der Tat von Herzen lieb hatte. Denn Fränz war bei alledem doch durchaus kein verdorbenes Wesen, sie war gutherzig und arbeitsam, nach Laune oft bis zum Übermaß, sie hatte die Lust, zu schenken, wie ihr Vater; nur schien ihr das, was man als Liebe pries, oft wie ein Possenspiel, sie sah es ja so vor sich bei ihren Eltern; sie glaubte nicht an einen Frieden, und alles war nur der Welt wegen, damit die draußen nichts merken. Wenn Zank und Hader zwischen den Eltern war, erging es ihr fast noch am besten, da wurde sie von jedem gehätschelt und durfte tun, was sie wollte; und wenn dann eine Versöhnung stattgefunden hatte, in der sich jedes bestrebte, dem andern besonders liebreich zu sein, hätte sie gerne vor Verachtung die Zunge gegen beide herausgestreckt: sie wußte ja wohl, daß keine Friedsamkeit von Dauer war. Fränz war in der Tat, wie sie schon Medard auf dem Markt genannt hatte, ein Nickel. Ein Oberdeutscher weiß gleich, was das heißen will, und es wird ihm doch schwer, dies zu erklären; denn damit, daß es ein Wesen voll Tücken und Nücken bezeichnet, ist noch nicht alles erschöpft, ist ja damit noch nicht dargetan, daß man dem Nickel auch gut sein muß, man mag wollen oder nicht. Der Nickel kann bis zu einem gewissen Grad aufrichtig treuherzig sein, er kann es manchen Menschen antun, daß sie ihm zu Willen leben müssen, und wenn sie sich tausendmal darüber ärgern, und dann hat der Nickel seine besondere Freude, mit den Menschen zu spielen, sie gegeneinander zu hetzen, und wenn die Händel ausgebrochen sind, daneben zu stehen, als ob er kein Wässerlein trüben könne. Das einzige Bestreben der Fränz war nur, recht bald aus dem Haus und in recht schöne reiche Verhältnisse hinein zu kommen. Von den ländlichen Bewerbern, die sie ehedem kaum angesehen hatte, zeigte sich auffallenderweise seit einem Jahre keiner mehr, und Fränz, die vielgewanderte, sagte sich auch, daß sie keine Lust habe, auf einem einsamen Bauernhof ihr Leben zu verbringen, wo man froh ist, wenn eine Samenhändlerin kommt und einem von der Welt berichtet. »Engelwirtin! das ist das Rechte, aber nur bald, nur fort aus dem Haus«, sagte sich Fränz, während sie still spann.

So verließ Fränz auch jetzt wieder die Stube, und ohne sich deutlich zu machen, was sie wollte, ging sie vor das Haus, um vielleicht noch Munde zu sehen, der fast über sie gestolpert war, als er den Kronentaler empfing. Die Liebe des schönen, jungen Burschen, der sie mit den Augen verschlingen wollte, tat ihr wohl; sie zeigte doch, was sie noch vermöge, und wie sie, wenn sie nur wollte, an jedem Finger einen nach sich ziehen könnte. Am Stall hörte sie drin sprechen, das war die Stimme Mundes, der in Verwünschungen seinem Bruder klagte, daß er nicht den Mut gehabt habe, dem Meister das Geldgeschenk vor die Füße zu werfen; er betrachtete ihn noch immer als Meister und wolle es wegen der Fränz nicht mit ihm verderben. Medard tröstete so gut er konnte, und schalt über die Meistersleute, die zugrunde gehen müßten, und eben zog er über Fränz los und sagte, daß in ihr keine getreue Ader sei; da trat Fränz unter die Stalltür, und als hätte sie nichts gehört, rief sie dem Munde zu, sie wolle ihm noch »b'hüts Gott« sagen, weil er wohl morgen früh abreise. Rasch trat Munde heraus und hielt zitternd die Hand der Fränz in seinen beiden Händen, er wollte eben sprechen, als man vom Hause her Schritte vernahm, und halb widerwillig zog er die Fränz mit sich fort in den Grasgarten hinter den Schafstall. Richtig kam Diethelm nochmals und schärfte dem Medard ein, ja niemals bei Licht Heu vom Boden herabzuholen, es läge jetzt ein ganzes Vermögen auf dem ersten Speicher. Medard mußte ihm noch die Laternen zeigen, damit er wisse, daß keine beschädigt sei, und er befahl ihm, sie morgenden Tages mit Drahtgitter überziehen zu lassen; dann kehrte Diethelm wieder ins Haus zurück. Unterdessen war Munde in seliger Liebe bei Fränz, sie neckte ihn damit, daß sie wahrscheinlich Engelwirtin werde, aber Munde schalt sie über die Neckerei und glaubte nicht daran. Als sie ihm sagte, daß sie ganz gewiß nach der Hauptstadt käme, um dort das Kochen und Nähen zu lernen, war Munde voll Jubels und gab Fränz genau an, wo sie ihm Nachricht geben könne, und Fränz neckte ihn nicht mehr mit der Engelwirtin. Als sie ihm endlich den letzten Kuß gab und verschwand, rief ihr noch Munde nach, »aber nur für heut«.

Fränz kehrte wohlgemut ins Haus zurück. Wenn alle Stränge reißen, bleibt ihr noch Munde, dessen war sie gewiß.

Als Munde neben seinem Bruder in der Stallkammer lag, sagte dieser: »Und ich wette meinen Kopf, der Diethelm will das Haus anstecken, um wieder reich zu werden, drum ist er so ein guter Laternenvisitator; aber mich betrügt er nicht.«

»Sei still, das darfst du nicht reden, oder ich muß dir aufs Maul schlagen«, rief Munde in größter Heftigkeit. »Du mir? Büble, wer bist denn du?« rief Medard und paff! hatte der Bruder einen Schlag weg, aber er steckte ihn ruhig ein, und ohne ein Wort zu sagen, stand er auf und machte sich mitten in der Nacht auf den Weg nach der Garnison.


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