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Diethelm wollte nun sogleich von dem Kastenverwalter den Wechsel auslösen, aber er überlegte, daß er dann ohne bar Geld sei, und noch nie hatte er solche Freude an diesem gehabt wie heute.
Das Marktgewühl verlief sich allmählich; die großen Leiterwagen, mit lustigen Bauern und Bäuerinnen voll besetzt, konnten schon in ungehemmtem Schritt durch die Straßen heimwärts fahren, in den Krämerbuden wurde bereits eingepackt und gehämmert und die Pferde der Übernachtenden wurden zur Abendtränke an den Marktbrunnen geführt. Es war Diethelm, der in Gedanken verloren allem zuschaute, als bliebe er zum erstenmale in seinem Leben in einem fremden Ort über Nacht, und als sei er fern in der weiten Welt und diese Stadt ihm nicht wohlbekannt und heimisch. Er wartete noch, bis auch seine Rappen zur Tränke geführt wurden, dann ging er abermals nach dem Kaufhause, um die Beförderung der eingekauften Vorräte nach seinem Heimatsort anzuordnen. Als begänne das eben am Himmel aufflammende Abendrot zu tönen, so war's, als jetzt die Stadtzinkenisten den feierlichen Abendchoral vom Turm erschallen ließen. Diethelm achtete nicht lange darauf, und die Ödigkeit und Kühle, die jetzt in dem vor Stunden so menschenvollen Kaufhause herrschte, machte ihn eine Weile fröstelnd; aber er ließ es dennoch nicht an Umsicht fehlen, und der Reppenberger versah sein Aufseheramt meisterlich. Fünf große Wagen fuhren nach Buchenberg, als Diethelm wieder in den Stern zu seiner Fränz zurückkehrte und zu neuem Aufsehen eine weitere Summe zum Aufbewahren übergab. Das Innere des Hauses hatte in wenigen Stunden ein ganz andres Ansehen gewonnen, und in der Stube lachte ein Mädchen Diethelm aus, weil er es lange anstarrte und nicht erkennen wollte: es war Fränz, die in dem weißen Kleid der Wirtstochter mit veränderter Haartracht in der Tat ganz unkenntlich war. Diethelm schalt offen über diese Vermummung, denn teils regte sich der Bauernstolz in ihm, teils fühlte er auch wohl, wie ungemäß diese Erscheinungsart für die Fränz war. Der Wirt suchte ihn zu beschwichtigen, aber eine Stimme aus der Ecke rief:
»Der Herr Diethelm hat ganz recht; die gewohnte Tracht ziert den Bauersmann am besten und ist auch die nützlichste, weil sie nicht aus der Mode kommt.«
Zu seinem Schreck erkannte Diethelm den Kastenverwalter, und doch trat er rasch freundlich zu ihm und rühmte sich beim Glase sehr viel, wie stolz er darauf halte, ein schlichter, echter Bauersmann zu sein.
»Dreieckiger Hut, dreifache Versicherung hat ehemals bei uns gegolten«, sagte ein hagerer Stammgast mit langer Pfeife, der neben dem Kastenverwalter saß und sich als Kaufmann Gäbler aus der Stadt zu erkennen gab. Und wo drei im Vaterlande heutigestags beisammen sitzen, sprechen sie über die fortschreitende Not und Verarmung des mittleren Bürger- und Bauernstandes. So auch hier.
Leicht aber nehmen solche Gespräche eine selbstische Wendung, die mehr oder minder ausdrücklich darauf hinausläuft, sich am eigenen Wohlgefühl zu erquicken. Diethelm verstand es dabei meisterlich, eine bescheidene Großtuerei an den Tag legen; und als der Kastenverwalter die sicheren Hypotheken lobte, gab Diethelm zu verstehen, daß er deren auch manche habe, daß er sie aber für den Handel nicht angreife. »Das wäre ja«, sagte er, »wie wenn man einen Balken aus dem Hause nähme, um damit Feuer auf dem Herd zu machen.« Der Kastenverwalter fand das klug und lobte das Haus Diethelm, und dieser fand ein eigenes Wohlgefühl darin, mit Prahlereien um sich zu werfen, und sie dünkten ihn bald nichts als reine Wahrheit; denn es ist ja gleich, was man besitzen mag, wenn nur die Menschen daran glauben: der Glaube macht selig, und der Glaube macht reich. Endlich rückte der Kaufmann Gäbler mit seinem eigentlichen Vorsatz heraus, er war Agent einer Brandversicherungsgesellschaft, und Diethelm sollte die eingekaufte Ware und all seinen Hausrat versichern. Mit überlautem Widerspruch verneinte Diethelm diese Zumutung und hatte dafür allerlei unhaltbare Gründe vorzubringen, die der Kastenverwalter mit Siegesstolz widerlegte, wobei er mit besonderem Nachdruck wiederholte: daß nicht der Bauer Diethelm, sondern das Handlungshaus Diethelm versichern müsse. Als endlich auch der Sternenwirt beistimmte, gab Diethelm nach, aber unweigerlich beharrte er gegen den neuen Vorschlag: auch sein Leben zu versichern; ja, es wäre vielleicht darob zu einem heftigen Streit mit dem Kastenverwalter gekommen, wenn nicht plötzlich ein Zwischenfall eingetreten wäre, der Diethelm im hellsten Glanz strahlen machte. Ein junger Mann trat ein und fragte nach Diethelm; dieser ging auf ihn zu und begrüßte ihn mit hoher Freude und zwang ihn, sich mit an den Herrentisch zu setzen. Nach vielem Widerstreben willfahrte der junge Mann, der ein Zeugweber aus der Stadt war, und soviel auch Diethelm abwehrte, bald sprach alles am Tisch nur Lob und Preis über ihn, denn der junge Handwerker, Kübler mit Namen, war der Bräutigam der Bruderstochter Diethelms aus Letzweiler, und Diethelm allein war es, der das Mädchen ausstattete, so daß zu Neujahr die Hochzeit sein sollte. Diethelm nickte bejahend, als der Kaufmann Gäbler sagte: »Wenn der Vetter Diethelm für Euch gutsagt, Kübler, könnt Ihr bei mir holen, was Ihr wollt.« Immer aufs neue erhob sich das Lob Diethelms, der mit fürstlicher Freigebigkeit seinen Verwandten aufhelfe, und der Sternenwirt nannte ihn sogar einen Napoleon. Anfangs war Diethelm dieser Ruhm im Beisein seines Gläubigers peinlich gewesen; als aber auch der Kastenverwalter einstimmte, war es ihm, als wachse er immer. Und als endlich der Beginn des Honoratiorenballes in der Post angekündigt war, trat Diethelm so breit in den Saal, daß die beiden Flügeltüren nicht vergebens aufgemacht waren.
Diethelm fühlte sich bei all seinem Stolz doch bald nicht recht wohl bei dieser Lustbarkeit. So genehm es ihm auch war, mit Beamten an einem Tisch zu sitzen, er machte sich doch bald zu dem alten Sternenwirt, der daheim in der unteren Stube geblieben war, und hier ging ihm eine neue Hoffnung auf. Der Sternenwirt sagte offen, daß er und Diethelm keine Unterhändler brauchten, und erklärte geradezu, daß sein Wilhelm und die Fränz wohl für einander paßten; er verbreitete sich sehr über die wirkliche Tüchtigkeit eines klugen Bauernmädchens, und wie wohl angelegt hier eine reiche Mitgift sei. Diethelm gab nur abgebrochene Antworten und hielt dabei immer derart inne, daß der Sternenwirt etwas einschieben mußte. Immer wohlgemuter und zutraulicher wurden die beiden Genossen, denn der Sternenwirt bewährte heute an sich seine alte wirkliche Ermahnung: »Der Wein hängt an einander.« Mit diesem Wort brachte er immer wieder volle Flaschen auf den Tisch.
Spät in der Nacht, als die Gäste sich bereits entfernt hatten, saßen Diethelm und Fränz noch bei den Wirtsleuten, und es war ihnen allen so vertraut zu Mute, daß man sich garnicht trennen mochte; und doch sprach man nichts von der neuen Familienvereinigung, aber diese schien allen in der Seele zu leben.
Um dieselbe Zeit saß in Buchenberg noch die Frau Diethelms harrend bei der einsamen Lampe. Es war eine Frau von großer, hagerer Gestalt und feinem, fast vogelartigem Gesicht, sie war ersichtlich älter als Diethelm. Wie sie jetzt tief Atem holend vom Spinnen aufschaute und in die Lampe hineinstarrte, sah man, daß ein schwerer Kummer sich in diesem Antlitz heimisch angesiedelt hatte. Sie hatte heute alle heimkehrenden Marktgänger nach ihrem Mann ausgefragt; die einen gaben nur halben Bescheid, die andern verkündeten Dinge, die unglaublich waren. Freilich hielt Diethelm streng darauf, daß sie keine volle Einsicht in seine Handelschaft hatte, soviel aber wußte sie doch, daß er jetzt Bargeld brauchte, er konnte also unmöglich eingekauft haben. Mit den heimkehrenden Marktgängern, ihren mitgebrachten Lederspangen, Gewandstoffen, Kinderpfeifen und Kindertrompeten, mit der Musterung der eingekauften Pferde und Kühe, vor allem aber mit der lärmenden Laune der Angetrunkenen war etwas von dem geräuschvollen Marktgewühl in das stille Dorf gedrungen, und die Heimgebliebenen sahen dem verwunderlich zu; vor allen aber betrachtete die Grobbäuerin – wie Martha Diethelm noch immer nach ihrem ersten Manne genannt wurde – das alles, als wäre es etwas Unerhörtes. Da zeigten die einen die neuen Schuhe und Stiefel, die sie in der Hand trugen, und ließen um den Preis raten, oder sie übergaben den Kindern die für sie eingekauften, die damit davon rannten; andere ließen ihre neuen Hüte mustern, die sie auf dem Kopf trugen, während sie die alten in der Hand hielten, und mancher Spaßvogel stülpte den neuen Hut über den alten auf den Kopf. Der Schmied hatte seinen Weißdornstock quer über den Rücken gelegt und die Arme als Haken darüber geschlungen. Martha wußte nicht, war es Weinlaune oder Ernst, als er ihr berichtete: der Diethelm käme zehnmal so reich wieder heim. Als es wieder still im Dorf wurde, in den Häusern die Lichter erflammten und ein jedes im Kreise der Seinen erzählte, was ihm am heutigen wichtigen Tage begegnet war, saß Martha noch immer im Dunkeln in ihrer Stube; ihr war so bang, sie war wie festgezaubert, daß sie der Magd nicht nach Licht rufen konnte, und als diese endlich von selbst damit kam, heiterte sie sich wieder auf, es war ja nichts geschehen, worüber sie zu bangen ein Recht hatte, und sie ließ sich gern von der Magd berichten, welche neuen Kleider und dergleichen in das Dorf gekommen waren. Als endlich Schlafenszeit war, und noch immer kein Diethelm und keine ausdrückliche Nachricht von ihm kommen wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch ‹häuslich› war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelms, sowie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranz. Damals als die Uhr zum erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen, wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostete dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte.
Ach! An alles knüpften sich traurige Erinnerungen.
Es war still ringsum, denn das Haus Diethelms lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit, und ihr ganzes Leben zog an ihren Sinnen vorüber. Jung verheiratet an einen grämlichen, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hieß, hatte sie ein schweres Los, sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben, als ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm, heiratete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Marthas gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Kohlenhof, zwei Stunden von Buchenberg, verheiratet war, feierte Martha ihre Hochzeit mit Diethelm. Dieser, obgleich zwölf Jahre jünger, schien überaus glücklich mit seiner rüstigen wohlhäbigen Frau, er ehrte und erfreute sie, wo er es nur immer vermochte, und schien sich noch immer fast als Knecht zu betrachten; denn er verfügte über nichts in Haus und Feld, ohne vorher die Frau darum zu befragen.
Buchenberg gehörte noch zu jenen Dörfern, wo alles miteinander verwandt ist, weil die großen Bauern nur unter sich heiraten. Um so glücklicher durfte sich Diethelm schätzen, vom fremden Knecht zum reich angesessenen Hofbauern erhoben zu sein. Er schien das auch zu erkennen. Bald aber erhielt Martha die Kunde, wie er hinter ihrem Rücken über Großes verfügte und namhafte Summen seinen Verwandten schenkte. In seltsamer und doch so häufig vorkommender Verkehrtheit ging sie tage-, ja wochenlang mit tiefem, immer sich steigerndem Zorn in der Seele umher, und unversehens, bei den geringsten Anlässen, brach sie in Verwünschungen, in Schelten und Weinen aus, daß alles zugrunde gerichtet werde. Die Erwartung, daß Diethelm endlich selber seine geheime Schuld bekennen würde, konnte immer schwerer in Erfüllung gehen, denn Diethelm sah nun auf einmal in seiner Frau ein verändertes, zänkisches Wesen, sah sich für sein ganzes Leben ans Unglück geschmiedet und freute sich im Stillen doppelt, daß er in der Aufhilfe feiner Familie doch noch eine Freude habe, während ihm sonst nur Leid bevorstand. Er wußte doch jetzt, wofür er das zu dulden habe. Dem allzeit keifenden Wesen seiner Frau setzte er unverbrüchliches Stillschweigen gegenüber, und als er dies endlich brach, da die Frau ihn im Beisein des Metzgers über den eigenmächtigen Verkauf eines Kälbchens hart anließ, erfuhr er endlich die lang verhaltene Ursache vom Zorn seiner Frau. Jetzt aber war der gerechte Grund ihres Unwillens längst in ihm vernichtet und abgebüßt, und mit schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe.
So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau ein Verhältnis zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblick. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unartikulierten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube.
Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemütern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus. daß er seiner Frau Unrecht getan, daß sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitztums darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hilflosigkeit seiner Angehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Überfluß zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies, und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelms Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aufhelfen. Ein wirklich ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitztum zu verfügen, und vor allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr erkennen.
Das Haus des Grobbauern, das ehedem von den Bettlern gemieden war, zeigte sich seit Diethelms Zeiten als die reichste Quelle der Wohltaten, und es wurde viel gerühmt, daß Martha nie einem Armen eine abgerahmte Milch gab. Eine Eigenschaft zeigte sich bei Diethelm in allem: es war eine unersättliche Ehrbegierde; er hätte lieber das tiefste häusliche Elend ertragen, ehe er davon etwas in der Welt verlauten und so seine Ehre bloßstellen ließ. Als nun nach fünf Jahren kinderloser Ehe die kleine Fränz geboren wurde, war er voll steten Jubels, und an dem Kinde schien immerwährend sein ganzes Leben zu hängen. Aus dem Gespräch der beiden Schäfer ist uns noch erinnerlich, welch eine seltsame Lebenswendung Diethelm einschlug, und wie bald keine Spur mehr davon übrig war, daß er einst das Besitztum seiner Frau wie ein Dienstbote betrachtet hatte. Er schien fortan keine Ruhe mehr in seinem Hause und in seinem ganzen Leben zu haben: es kam hierüber zu heftigen Erörterungen, und Diethelm behauptete ein für allemal, er habe es versäumt, seine jungen Jahre zu genießen, und müsse das jetzt nachholen. Von jener Zeit an sah Martha, welch ein Leben ihr geworden war, sie ließ alles ohne Widerrede geschehen, den Güterverkauf, den Fruchthandel, die Schafhalterei; sie hatte einen Mann, der sie des Reichtums wegen geheiratet, und der nun, dessen gewohnt, ihrer kaum mehr achtete und seine Freude außer dem Hause suchte. Das war aber nicht immer der Fall, denn Diethelm hatte Zeiten, da er voll Ehrerbietung gegen seine Frau war und sie scherzweise Meisterin nannte, und die Frau hatte bei all ihrem vergrämten Wesen doch oft Mitleiden mit dem Mann, der vielleicht mit einer jungen, minder begüterten Frau glücklicher geworden wäre. So lebten diese Leute schon zweiundzwanzig Jahre in der Ehe und hatten noch ihre Einigung nicht gefunden, und doch strebte eigentlich im innersten ein jedes, dem andern zu Gefallen zu leben. War auch viel Streit und Zank zwischen ihnen: war das eine vom andern entfernt, gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander, und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall hin geleitete, hatte sie keine Stütze; denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt; Großtun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete.
Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht: dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: »Willkommen, Diethelm!« Es antwortete niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab, und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf.
»Was habt Ihr, Meisterin?« fragte der Schäfer, dem sein Bruder voraufgegangen war.
»Was will der Landjäger?« fragte die Frau.
»Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde«, antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war.
Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen, und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: »Ausborger! Verganter! Letzweiler Lump!« Dann richtete sie sich schnell wieder auf, riß die Kissen vom Bett und schrie wie rasend: »Das alles wird versteigert, alles. Aufs Stroh, aufs Stroh bringst du mich.« Sie warf sich auf das Stroh und weinte lange, bis sie endlich einschlief.