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Es schneite schon seit vierundzwanzig Stunden. Langsam und stetig. Es hatte keine Eile damit. Der orientalische Himmel ließ sich Zeit. Jawasch, jawasch! Die Straßenhunde verkrochen sich, so gut sie konnten, die armen Leute auch. Die Krähen waren Herren der Straßen. Büffelfuhrwerke konnten nicht mehr fahren, denn die ungelenken Tiere glitten leicht aus, und wenn sie erst einmal gefallen waren, vermochte man sie nicht mehr aufzurichten. Sie blieben liegen, und da die nur wenig behaarten Tiere gegen Kälte sehr empfindlich sind, gingen sie ein. Nur die kleinen Balkanpferdchen aus Haut und Knochen bewegten sich ungehindert durch den Schnee, ohne daß es sie störte, die einzigen Tiere, die mit den Krähen an Widerstandskraft und Unempfindlichkeit gegen Eis und Schnee und Kälte konkurrieren können.
Das war eine gute Zeit für Friedrich Franz und Leda. Sie konnten die Umgebung Sofias abstreifen, soviel sie nur wollten, ohne Gefahr zu laufen, Bekannten zu begegnen. Sie nutzten die Gelegenheit auch reichlich. Fast jeden Vormittag trafen sie sich außerhalb der Stadt und wanderten miteinander durch die verschneite Welt. Nachmittags trafen sie sich dann irgendwo bei einem Tee oder in der Schipkastraße, wenn es Leda gelang, der Mutter eine Einladung woandershin zu verschaffen. Auch abends gab es reichlich Geselligkeit, so daß die beiden sehr viel zusammen waren, ohne daß es besonders auffiel. Aber je häufiger sie sich sahen und sprachen, um so mehr wuchs bei beiden das Bedürfnis danach. Es war, als müßten sie in vierzehn Tagen nachholen, was sie in den langen Monaten versäumt hatten; und gab es einmal keinen Tee, wo man sich ungeniert treffen konnte, und gelang es Leda einmal nicht, Frau Adda für einen solchen Nachmittag anderweitig unterzubringen, dann wollten die beiden zwar vernünftig sein und sich auf den folgenden Tag vertrösten, aber meist hielt es Friedrich Franz nicht aus und ging trotz Frau Adda in die Schipkastraße.
Zwar fiel es Frau Adda nachgerade auf, daß die beiden einander nicht mehr aus dem Wege gingen wie bisher, aber sie dachte sich nichts dabei, zumal ihre Gedanken ganz und gar auf den neuen Vertrauensmann gerichtet waren, der demnächst eintreffen sollte.
Peter Karakinow war aus Berlin zurückgekehrt und schmiedete mit Christo und Frau Adda Pläne.
»Hauptmann Göbel wird Sensation machen, sage ich euch. Groß, schlank, feurig, witzig, prachtvoller Tenor, perfekter Klavierspieler, so recht ein Mann für Mädchen und Frauen. Dabei gescheit, und die Diplomaten kann er auch nicht leiden. Das geht fast allen besseren Deutschen so und kann uns nur recht sein.«
»Leda hat mir anvertraut, sie möchte für einige Wochen nach Konstantinopel«, sagte Christo.
»Muß das gerade jetzt sein?« fragte Frau Adda etwas gedehnt.
»Ich möchte ihr den Wunsch jedenfalls nicht abschlagen. Sie hat eine kleine Abwechslung und Ausspannung wirklich verdient.«
»Aber wenn in der Zwischenzeit gerade Hauptmann Göbel eintrifft?«
»Das schadet doch nichts, Adda, im Gegenteil. Ich habe für ihn schon eine Wohnung gemietet. Ich finde, es ist besser als das Hotel. Im Hotel lernt er alle möglichen Leute kennen, findet Verkehr und Umgang ohne uns, den wir gar nicht kontrollieren können. Hätten wir Herrn von Kaufmann gleich eine Privatwohnung besorgt, wäre er auch abhängiger von uns gewesen und mehr auf uns angewiesen. Den Hauptmann Göbel können wir ganz anders mit Beschlag belegen. Er kann kein Bulgarisch, er spricht nur mäßig französisch, vielleicht sein einziger Fehler in seinen Augen, in meinen nicht. Da ist er ganz auf uns angewiesen. Wir können verhindern, daß er mit Personen umgeht, die wir nicht haben wollen. Wir können ihm die Leute auswählen, die uns als Umgang für ihn gut erscheinen.« Peter Karakinow rieb sich die Hände. »Man kann nicht vorsichtig genug sein. Wir haben ja mit Herrn von Kaufmann unsere Erfahrungen gemacht.«
»Ich verstehe nur nicht«, warf Frau Adda ein.
»Wenn er herkommt, und Leda ist gerade nicht da, so ist das doch kein Schade. Es wird sogar ganz gut sein. Die Leute haben dann gar keine Gelegenheit, viel herumzureden und Leda mit der Sache in Verbindung zu bringen.«
»Daran liegt mir viel«, unterbrach Christo. »Ich will durchaus nicht, daß da gleich wieder die Köpfe zusammengesteckt werden, kaum daß Kathrine unter der Erde ist. Die Leute sehen uns schon auf die Finger seitdem, mehr als früher, sie sind mißtrauisch geworden.«
Frau Adda lächelte spöttisch und geringschätzig.
Christo wurde erregter. »Ich will überhaupt nicht, daß Leda ins Gerede gebracht wird. Ich habe an der Geschichte mit Kathrine genug. Leda soll tun und lassen können, was ihr beliebt. Wenn ihr der Hauptmann Göbel gefällt, soll es mir recht sein, wenn ihr der Mann nicht gefällt, habe ich auch nichts dagegen und wünsche, daß man sie in Ruhe läßt.«
Frau Adda lachte. »Aber Christo! Du siehst Gespenster. Was du dir nicht einbildest! Meinst du, ich oder Peter dächten daran, Leda zu irgend etwas zu zwingen? Wir denken nicht im entferntesten daran. Wir machen nur unsere Pläne, und das ist doch wohl erlaubt und nichts Unrechtes.«
Peter meinte: »Deshalb sage ich, es ist gar nichts dagegen einzuwenden, wenn Leda für einige Wochen nach Konstantinopel zu Eveline will. Im Gegenteil, es ist nur gut so. Dann kommt sie nicht auf den Gedanken, daß wir mit dem Hauptmann Göbel allerhand vorhaben. Wenn es sich ohne Schwierigkeiten machen läßt, wie sich von selbst versteht. Für Zwang war ich nie, aber für Nachhelfen immer, wenn es sich zwanglos machen läßt. Ich bin sogar dafür, daß sie recht bald reist, damit sie nicht gar zu lange fort bleibt. Auch ist es möglich, daß Göbel schon in acht bis zehn Tagen eintrifft. Er wird mir vorher rechtzeitig telegraphieren. Wenn er kommt, sollte Leda schon fort sein.«
»Wo sie sich jetzt mit Herrn von Kaufmann ganz gut verträgt,« sagte Frau Adda überlegend, »könnte man Herrn von Kaufmann vielleicht bitten, sich ihrer unterwegs anzunehmen. Sie könnte dann eigentlich mit demselben Zug fahren.«
»Das ist sogar eine recht gute Idee«, sagte Peter Karakinow. »Dann kommen die Leute schon gar nicht auf den Gedanken ... Ich finde den Einfall von Adda sehr gut. Was meinst du?«
Christo antwortete: »Wenn sie damit einverstanden ist, warum nicht, aber wenn sie das nicht will, soll sie fahren, wann sie Lust hat.«
»Mein Gott, Christo, du tust ja gerade, als hätten wir etwas gegen Leda«, meinte Frau Adda ärgerlich.
»Er bekommt seinen Orden, er bekommt sein Abschiedsmahl, mit allem, was dazu gehört, er wird Offizier der mazedonischen Division, wir vertrauen ihm Leda an, nun soll noch einmal jemand sagen, daß wir nicht dankbar sind.« Peter Karakinow lachte vergnügt.
»Dann werde ich gleich mit Leda sprechen«, meinte Frau Adda.
»Nein Adda, das werde ich tun«, sagte Christo, erhob sich und ging hinaus.
»Es ist wirklich kränkend für mich, wie er sich mit einemmal benimmt«, sagte Frau Adda zornig, als ihr Mann das Zimmer verlassen hatte. »Er hat jetzt ein Getue mit Leda. Gerade als ob ich nicht auch ihr Bestes wollte.«
»Ärgere dich nicht, Adda, rege dich nicht auf, laß ihn gewähren, wenn es ihm Spaß macht, wenn es ihn beruhigt. Man soll ihn nicht unnütz vor den Kopf stoßen.«
»Aber ich kann Leda doch gerade so gut fragen wie er, ich bin doch die Mutter!«
»Die Sache mit Kathrine liegt ihm noch zu nahe.«
»Aber mir doch auch!«
»Sie wirkt aber anders bei ihm als bei dir. Dafür kann er doch nichts, dafür kannst du doch nichts. Das ist nun einmal so. Jeder muß solche Dinge auf seine Art abmachen und überwinden. Darin wollen wir ihn nicht stören, auch nicht durch Empfindlichkeit. Er meint es ja nur gut, und er denkt gar nicht daran, dich kränken zu wollen. Laß ihn doch jetzt nur gewähren. Dann findet er sich am schnellsten wieder zurecht und ist bald wieder ganz der alte.«
Christo Serafinow trat wieder in das Zimmer und sagte: »Ich habe eben mit Leda gesprochen. Es ist ihr recht, wenn sie in demselben Zug nach Konstantinopel fährt wie Herr von Kaufmann.«
»Na siehst du!« sagte Frau Adda vorwurfsvoll. »Das wußte ich doch schon im voraus. Du aber dachtest dir, wie es scheint, wieder irgend etwas dabei, als ob ich Ledas Wünsche nicht berücksichtigen könnte. Da siehst du, wie du mir Unrecht tust.«
»Herrgott, ihr seid wirklich alle beide etwas nervös geworden«, fiel Peter Karakinow ein. »Ich verstehe das ja, aber tut mir den einzigsten Gefallen und verderbt euch nicht gegenseitig das Leben. Dazu ist wirklich nicht die Zeit!«
Am folgenden Nachmittag traf sich Friedrich Franz und Leda in dem kleinen Gasthaus am vierten Kilometer. Dahin kam bei dem Schnee niemand anders jetzt, hier waren sie völlig ungestört.
Bis an die Fenster reichte dem kleinen Häuschen der Schnee, und da auch das schräg abfallende Dach hoch mit Schnee bepackt war, sah es fast aus, als sei es völlig im Schnee vergraben. Im Innern aber war es warm und gemütlich. Die Familie hielt sich in der Küche auf. Das Gastzimmer war den beiden überlassen, um die sich niemand kümmerte.
Leda lachte ihm schon entgegen, als Friedrich Franz eintrat. Sie hing an seinem Halse und küßte ihn.
»Wir haben Glück. Mehr als ich verdiene ... Denke dir, Papa ist gestern selbst zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich in demselben Zug mit dir nach Konstantinopel fahren wolle. Ist das nicht großartig?«
»Und was hast du gesagt?«
»Ich habe es mir eine Welle überlegt und mich schließlich damit einverstanden erklärt, wenn Papa Wert darauf lege. Papa sagte, er lege gar keinen Wert darauf, er frage nur, ob es mir recht sei. Wenn nicht, könne ich geradeso gut einen andern Zug benutzen. Da bekam ich es mit der Angst und sagte, es sei mir durchaus recht, ich hätte nicht das geringste dagegen einzuwenden. Papa war sehr befriedigt, wie es schien. Du bist es hoffentlich auch?«
Friedrich Franz schüttelte den Kopf. »Eigentlich hintergehen wir deinen Papa auf eine recht schändliche Weise.«
»Fängst du schon wieder an?«
»Ein Essen geben sie mir auch noch und einen Orden, worauf ich weniger Wert lege, und zum Offizier der mazedonischen Division machen sie mich, was mich wirklich freut, sie häufen Freundlichkeit auf Freundlichkeit auf mich, und ich?« ...
»Warum tun sie denn das alles? Weil sie ein schlechtes Gewissen dir gegenüber haben. Ich kenne sie doch. Weil sie sich damit in ein gutes Licht setzen wollen. Weil sie wünschen, daß du sie in guter Erinnerung behältst. Weil man nämlich nie weiß, wozu das noch einmal gut sein kann. Das alles geschieht, weniger um deinet- als um ihretwillen, verlaß dich darauf.«
»Wenn auch. Trotzdem ist mir unbehaglich bei dem allen.«
»Ihr könnt doch alle nicht aus eurer deutschen Haut, die viel zu empfindlich ist.«
»Wie sollten wir das auch anstellen?«
»Wenn wir erst in Konstantinopel geheiratet haben, du sollst einmal sehen, wie sie dich dann erst feiern würden, wenn sie dich noch hier hätten. Wie du ihnen dann erst imponierst!«
»Soll ich nicht doch lieber wenigstens deinen Vater einweihen?«
»Er sagt es sofort weiter, und damit verdirbst du mir den ganzen Spaß. Sie sollen einmal sehen, daß ein Deutscher noch gescheiter sein kann als sie.«
»Also gut, lassen wir's.«
Sie saßen nebeneinander und tranken Tee, zu dem Leda Gebäck mitgebracht hatte. Es war warm und still. Kein Laut drang von draußen in die Stille.
»Wird man dich zu Hause nicht vermissen, Leda?«
»Man denkt gar nicht daran. Wenn ich nur zum Abendessen wieder daheim bin. Man fragt nicht einmal, wo ich gewesen bin. Ich glaube, wir haben viel mehr Freiheit als ihr daheim?«
Friedrich Franz lächelte. »Das glaube ich jetzt beinahe auch.«
»Am Ende bedauerst du es?«
Er nahm ihre Hand und küßte sie. »Ich bin ein Egoist und freue mich darüber. Wie wenig hätte ich jetzt von dir, wenn es anders wäre.«
Sie setzte sich auf seinen Schoß. Er hob seine Rechte, in die sie ihr schönes Haupt lehnte wie in einen Sessel. Lange sahen sie sich stumm in die Augen.
»Warum liebst du mich eigentlich?« fragte sie leise.
»Um deiner Schönheit willen.«
»Und wenn ich nicht mehr schön bin?«
»Um deiner freien Seele willen, um deiner heroischen Art willen, meine Königin.«
»Wenn ich aber ein kleines Bürgermädchen wäre?«
»Dann würde ich dich nicht lieben können.«
»Wenn ich dabei aber dennoch schön wäre, wie du sagst?«
»Dann würde ich vielleicht mit dir flirten, dich aber nicht lieben.«
Sie schwieg.
»Warum liebst du mich eigentlich?« fragte er leise.
Sie lächelte. »Weil du ein Deutscher bist.«
»Es gibt viele Deutsche hier.«
»Sie kommen mir nicht so deutsch vor wie du.«
»Warum nicht?«
Sie lächelte wieder. »Weil du eigensinniger und starrköpfiger bist als sie, weil du einen halben Kopf größer bist als die meisten andern, weil du nicht mit mir geflirtet hast.«
»Woher weißt du das?«
»Weil du mich gleich geküßt hast, und weil du, als du mich geküßt hattest, doch nicht mit zum Abendessen ins ›Bulgarie‹ gingst, sondern lieber allein sein wolltest, als mit vielen Menschen zusammen, trotzdem ich unter ihnen war.«
»Sieh einmal an, das war nicht schlecht gesagt. Und trotzdem hast du an mir gezweifelt?«
»Weil du dich nicht mehr wie ein Deutscher benahmst.«
»Wie hätte ich mich denn benehmen müssen?«
Sie sah ihm voll in die Augen. »Nicht lange fragen, sondern nehmen!«
Er lachte. »Also doch ein Barbar!«
»Hoffentlich!«
»Erlaube mal ...«
»Sie flirten, aber sie wagen nichts.«
»Wer?«
»Die andern. Sie trauen sich nicht, weil sie nicht stark sind. Und weil sie nicht stark sind, beneiden sie euch, und aus Neid beschimpfen sie euch und nennen eure Stärke, die sie nicht haben, barbarisch. Bei sich selbst würden sie es anders nennen. Ihr Starken aber, ihr schämt euch einer Stärke, weil sie ihr einen falschen Namen geben, und mit Worten seid ihr immer noch zu überwinden, wie es scheint, wenn auch nicht mit Taten.«
»Weiter«, sagte er lächelnd.
»Im Grunde sehnen sie sich ja nur nach eurer Stärke, denn sie allem imponiert den Menschen. Weil du stark bist, deshalb liebe ich dich, du Barbar!«
»Das ist also ein Kompliment?«
Sie preßte ihren Mund auf den seinen. »Das allergrößte.«
Sie sprang von seinen Knien. »Nun habe ich dir für heute Komplimente genug gemacht. Gehn wir.«
»Wenn ich wirklich ein Barbar wäre ...«
»Du irrst dich. Wenn du jetzt bitten würdest, wärest du ein Schwächling wie so viele andere, wenn du mich zwingen wolltest, länger zu bleiben, so wäre das eine Roheit, aber keine Stärke. Vielleicht seid gerade ihr manchmal in Versuchung, das zu verwechseln, mehr als die andern, die Schwächlinge sind und andere Versuchungen haben.«
Er verschloß ihr den Mund mit der Hand, die sie küßte.
»Also gehen wir?«
Er nickte.
Sie nahm im Hinausgehen seinen Arm und streichelte ihn. »Habe ich nicht recht?«
»Du hast ganz recht, Leda. Aber nimm's mir nicht übel, es ist mir immerhin eine angenehme und trostreiche Vorstellung, daß es so nicht mehr allzulange weitergeht, daß wir bald reisen.«
Sie küßte ihn hinter dem rechten Ohr und biß ihn in das Ohrläppchen. »So gefällst du mir!«
»Wo treffen wir uns morgen?« fragte er nach einer Weile.
»Beim vierten Kilometer nicht mehr«, lächelte sie.
»Das scheint mir auch besser zu sein.«
»Treffen wir uns bei mir zu Hause.«
»Gut. Lebe wohl, bis dahin, Königin.«
»Auf Wiedersehen, mein lieber Barbar!«
»Und übermorgen?«
»Hast du schon vergessen? Da sind wir doch den ganzen Abend zusammen, da kommt doch die Abschiedsfeier Nummer eins.«
Die Abschiedsfeier Nummer eins, wie Leda es nannte, fand im Hause Peter Karakinows statt. Es waren außer allen maßgebende Mazedoniern mit ihren Familien nur noch Bekannte von Friedrich Franz geladen, einige deutsche und österreichisch-ungarische Offiziere und selbstverständlich auch die Familie Petrow.
Es sollte nichts Offizielles, es sollte eine Art Familienfeier sein, wie sich Frau Karakinow ausgedrückt hatte.
Zu Anfang ging es aber trotzdem sehr feierlich zu. Christo Serafinow hielt die erste Rede auf den scheidenden Gast. Sie war sehr warm und herzlich und ohne billige Übertreibung gehalten. Peter Karakinows Rede war schon wesentlich überschwenglicher.
Friedrich Franz saß zwischen der Dame des Hauses und Leda Serafinow, da sich Tags zuvor der Onkel dessen versichert hatte, daß Leda nichts dagegen einzuwenden hatte.
»Er ist ein junger Mann und soll nicht nur eine verheiratete Frau neben sich haben«, hatte Peter Karakinow gesagt.
Leda strahlte, Friedrich Franz sah bei den etwas reichlichen Lobesworten unter sich.
Nun gab ihm Leda einen kleinen Stoß, und er erhob sich, um den Mazedoniern zu danken und ihnen einige freundliche Worte zu sagen.
Es wurde ihm nicht ganz leicht, denn seine Lage kam ihm sehr unehrlich vor, namentlich Christo Serafinow gegenüber. Aber das mußte nun mit in Kauf genommen werden. Leda wollte es nun einmal nicht anders.
Sehr brav saßen die beiden nebeneinander. Er unterhielt sich möglichst viel mit Frau Karakinow und Leda mit Leutnant Gonthard, neben dem Maria Petrow saß. Dafür standen ihre Füße unter der Tafel dicht nebeneinander und unterhielten sich sehr gut miteinander.
Zum Nachtisch überreichte dann Christo Serafinow dem Scheidenden die Bestallungsurkunde als Leutnant der mazedonischen Division als Dank für seine Verdienste um die mazedonische Sache.
Alle klatschten Beifall, und Peter Karakinow ließ Friedrich Franz von Kaufmann, den guten Freund der mazedonischen Sache, hochleben.
Leutnant Gonthard trat zu Friedrich Franz und flüsterte ihm zu: »Wahrhaftig, ich beneide Sie.«
»Warum eigentlich?«
»Schauen Sie die Petrowa an, was sie Ihnen für enthusiastische Blicke zuwirft. Mir wird es nicht so gut.«
»Nur Mut, Gonthard, Sie sind doch sonst nicht ängstlich. Die Petrowa wird Sie dann noch ganz anders anschwärmen.«
»Glauben Sie wirklich? Ich traue mich immer noch nicht recht. Es ist doch eine ernste Sache, wenn man bedenkt, eine Bulgarin und ein Deutscher.«
Friedrich Franz lachte unwillkürlich über das feierliche Knabengesicht. »Im Vertrauen, ich versichere Ihnen, es ist nur halb so schlimm, wie Sie sich das denken.«
Leutnant Gonthard begab sich mit neuem Mut zu seiner Tischdame.
Nach dem Essen wurden mazedonische Lieder gesungen und mazedonische Tänze zum besten gegeben.
Der Abend verlief stimmungsvoll und heiter.
»Es ist zwar eine Abschiedsfeier, aber wir werden uns ja wiedersehen«, meinte Peter Karakinow. »Konstantinopel und Sofia liegen ja nicht allzu weit auseinander, nicht wahr?«
Friedrich Franz nickte.
Zwei Tage später war auch das offizielle Abschiedsmahl im Klub mit der Überreichung des Ordens überstanden.
Gott sei Dank! dachte Friedrich Franz und atmete erleichtert auf. Es wurde nachgerade zuviel des Guten, des Lobens und Preisens, wovon er nie ein Freund gewesen war.
Aber um Ledas willen freute ihn das alles, denn ihr bekannte eigentlich jetzt erst, wie gut er sich eingelebt hatte. Ihn selbst machte das schlechte Gewissen immer wieder befangen. Auch war ihm, wo es nun wirklich ans Scheiden von Sofia ging, doch etwas wehmütig ums Herz. Er erkannte eigentlich jetzt erst, wie gut er sich eingelebt hatte, und wie vieles ihm an der ganzen Art hier gefiel, das er so woanders nicht wiederfinden würde. Es wurde ihm auf einmal gar nicht so leicht, als er sich das bis vor kurzem noch gedacht hatte, von hier fortzugehen. Doch er war in solchen Dingen ja immer etwas sentimental gewesen, wenn er es auch niemals laut zugegeben hätte.
Ein klarer, windstiller Wintertag. Sofia zeigte sich ihm von der besten Seite, als er am letzten Tage noch einmal durch die Straßen wanderte, die modernen, die so sehr an eine mittlere europäische Residenzstadt erinnerten, und die alten, die ihm jetzt ganz heimlich und vertraut vorkamen. Die Stadt besaß doch wenigstens eine Physiognomie, ein eigenes Gesicht. Und auch die Menschen, die hier lebten, waren Leute eigener Art. Man kam nicht leicht dahinter, sie öffnete sich nicht jedermann so ohne weiteres. Aber man mußte sie respektieren, und gar manches war hier menschlicher als anderswo, weil es wirklich demokratisch war, weder servil nach oben noch hochmütig nach unten, kein Kastengeist irgendwelcher Art, kein bureaukratisches Schema, in das man hineingepreßt wurde, ob man wollte oder nicht, und viel individuelle Freiheit, viel rein menschliche Betrachtungsweise ohne Vorurteile und Voreingenommenheiten, wenig Subordination, viel gesunder Menschenverstand.
Nun ist es aber genug, dachte Friedrich Franz und spottete ein wenig über sich selbst. Er machte kehrt und hatte sofort auch wieder seinen Ärger, denn die Koffer waren immer noch nicht zur Bahn geschafft worden, trotzdem er es schon ein halbes Dutzend mal angeordnet hatte. Er tat das beste, was er tun konnte, er half sich selbst und fuhr die Koffer selbst zur Bahn.
Am Abend gab es dann ein letztes Abschiednehmen und Händeschütteln.
»Und nicht wahr, Sie nehmen sich Leda ein wenig an, bis sie bei Eveline ist«, sagte Christo Serafinow.
»Aber Papa, ich bin doch kein Baby. Du tust ja gerade, als ob ich noch nie gereist wäre!« rief Leda aus ihrem Abteil erster Klasse.
»Und bleibe nicht zu lange fort, Leda, hörst du!« sagte Frau Adda.
»Nicht länger, als es mir gefällt, Mama.«
Sie war sehr vergnügt und guter Dinge. Sie beugte sich weit aus dem Coupé, zog Maria Petrow, neben der Leutnant Gonthard stand, etwas zu sich in die Höhe und flüsterte ihr ins Ohr: »Sei nett zu Gonthard, die Deutschen sind nette Leute, du wirst es nicht bereuen.«
Die Bahnhofsglocke läutete zum drittenmal.
Hüteschwenken, Tücherwehen, der Zug setzte sich langsam in Bewegung.
Eine mazedonische Kapelle, die Peter Karakinow als letzte Überraschung aufgespart hatte, spielte die deutsche Weise: »Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus ...«
Friedrich Franz begab sich zu Leda Serafinow, die schon auf ihn gewartet hatte.
»So«, sagte Leda, und machte ihm neben sich Platz.
»Wie fühlst du dich in diesem Augenblick?« fragte er, als er sich gesetzt hatte.
»Ganz ausgezeichnet!«
»Gar keine Bedenken oder so?«
»Nicht die Spur. Ich freue mich, daß wir endlich zusammen sind und zusammen bleiben.«
Er nahm ihre beiden Hände. »Na weißt du, ein Volk, das solche Mädels hat, allen Respekt!«
Sofia blinzelte ihnen nur noch mit einigen letzten Lichtern freundlich zu.