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Häusliche Gesinnung.
Herr von Tiefeneck war so eben mit seiner Gemahlin am Schachbrete beschäftigt, als der Bediente hereintrat, um den Baron von Wartenstein anzukündigen.
»Wir sind nicht zu Hause!« rief Klotilde, und Johann trug die Abweisung an die Behörde hinaus.
»Er wird es übel aufnehmen,« sagte Tiefeneck.
»Desto besser. So erläßt er uns ein andermal seine Besuche.«
»Um am dritten Orte boshaften Witz über unsre Häuslichkeit auszugießen.«
»Weil Häuslichkeit überhaupt sich mit seinem saubern Liebessysteme nicht vertragen will! Mag er. Hätte die Marquise ihn so aus ihrem Hause verbannt, so wäre es zu keinem Skandal zwischen ihrem Gatten und ihr gekommen. Ich will zeigen, daß seine stechenden Blicke so gut von mir abprallen, wie seine hohlen Worte.«
»Aber, warum ihm ausweichen?«
»Aus Furcht wahrlich nicht, eher aus Liebe zur Bequemlichkeit.«
»Oft, gute Klotilde, macht grade die Liebe zur Bequemlichkeit das Leben recht unbequem. Der Baron hat viel Bekanntschaften, und kann mancherlei Schaden thun, wenn er will. Er konnte wissen, daß wir beide zu Hause waren. Mit Einem Worte, Liebe, ich muß darauf denken, dich durch Unpäßlichkeit bei ihm zu entschuldigen.«
»Ich bekomme wirklich in diesem Augenblicke heftiges Kopfweh!« sagte sie aufstehend.
»Man muß niemand reizen,« sprach Tiefeneck mit einem zärtlichen Kusse. Doch aus dessen gleichgültiger Aufnahme zu schließen, hatte er es in diesem Momente völlig mit seiner Gattin verdorben.
Der abscheuliche Mensch!
Tiefeneck beharrte indessen bei seinem Vorsatze und veranstaltete es, daß ein Paar Tage darauf Wartenstein den ganzen Abend im Hause zubrachte.
»So, liebe Klotilde,« sagte ihr Gatte am Morgen nachher. »Ich danke Dir, daß Du mir gestern Deine Bequemlichkeit so schön zum Opfer gebracht, und den Dir Verhaßten mit der nöthigen Höflichkeit abgefunden hast.«
»Aber sahst Du wohl, wie jedes seiner Worte mir einen längern Blick von ihm zuzog, wie sein Auge mich hütete; wie sein Fuß, wo er konnte, mir auf den Fersen war?«
»Lächerlichkeiten, liebes Kind. Wahrlich, ich bin zu eitel für den Glauben, daß ein Mensch, wie Wartenstein, jemals in deinem Herzen, ich will nicht sagen, einen Vorzug vor mir, sondern auch nur das geringste Plätzchen erlangen könnte. Oder sollte ich mich irren?«
»Diese Frage verdiente – – ! Doch da kommt er eben wieder um die Ecke. Vielleicht gar in unser Haus.«
»Ganz gewiß. Er hat mir eine seltene Münze in meine Sammlung versprochen.«
»Nur diesmal, Tiefeneck, laß mich von seinem gierigen Auge verschont. – Um der gestrigen Aufopferung willen!«
Und nach einer herzlichen Umarmung schlüpfte sie aus dem Zimmer.
Als der Besuch fort war, erzählte ihr Tiefeneck lachend, wie Wartenstein allezeit beim Aufgehen der Thüre, wahrscheinlich in Hoffnung ihres Erscheinens, das Auge aufgerissen und ihm mit dem ermüdendsten Geschwätz, vermuthlich nur darum so lange lästig gefallen sei, weil er noch immer auf Klotildens Hereintreten gerechnet habe.
»Der abscheuliche Mensch!« rief Frau von Tiefeneck. »Er wird mir noch manchmal Deine liebe Nähe, mein einziges Bedürfniß, durch seine verdrießliche Dazwischenkunft entziehen.«
Vor'm Jahre.
Aber die Stimmungen sind einander nicht gleich. Ein Paar Wochen später gähnte Tiefeneck eines Nachmittags im Zimmer auf und nieder, und seine Gemahlin war auch nur halb bei dem Romane, dessen Blätter sie von Zeit zu Zeit umwendete. Da rollte ein Wagen, und sie flog so rasch an's Fenster, daß der Roman herunterfiel.
»Wo ist denn mein Buch hingekommen?« fragte sie, als sie vom Fenster zurückkehrte.
»Wo es Ihre Eilfertigkeit aufgehoben hat,« antwortete Tiefeneck mit Lachen auf die Erde zeigend.
»Wie schnell auch die Zeiten sich ändern!« rief sie und langte nach dem Buche. »Nur ein Jahr früher, und ich hätte zuverlässig weder der Frage noch dieses Bückens bedurft, weil Sie dem allen galant zuvorgekommen wären.«
»Vor'm Jahre, liebes Kind, hätten Sie auch sicher kein Buch ergriffen, um sich damit vor meiner Unterhaltung zu schützen.«
»Aber vor'm Jahre, mein Lieber, hatten Sie sich das verdrießliche Gähnen noch gar nicht angewöhnt.«
»Weil Sie vor'm Jahre einen äußerst gefälligen Humor besaßen.«
»Aber besinnen Sie sich nur auch, wie liebenswürdig Sie vor'm Jahre waren, wie Sie jeden Anlaß ergriffen, mir Freude zu machen, wie mein ärmstes Wort, mein kürzester Blick Sie in Entzücken versetzen konnte.«
»Vor'm Jahre, liebes Kind! – – Doch wozu Bitterkeit gegen Bitterkeit? Die Zeit der großen Hoffnungen ist vorüber. Wir wissen nunmehr, daß die Leidenschaft eine Menge davon mit Affenliebe pflegt, die nur im Lande der Träume ihre Erfüllung finden. Begnügen wir uns mit dem Wenigen, was etwa übrig bleibt.«
Tiefeneck entfernte sich nun, und Klotilde sann mißmuthig darüber nach, warum auf die üppige Poesie des Brautlebens eine so magre Prosa, wie der Ehestand, folgen müsse.
Ein recht lieber Abend!
Die Theestunde führte endlich Tiefenecken zurück, die heute eine ansehnliche Gesellschaft mitbrachte. Sehr natürlich. Man mußte sich mittheilen über einige Hauptereignisse im Reiche der Mode. Man mußte ein großes politisches Wunder mit erklärenden Anmerkungen begleiten. Man mußte die geheimen Ursachen einer so eben verloren gegangenen Schlacht einander in's Ohr sagen.
Bei solch einer Menge von Stoff war die Unterhaltung recht animirt und laut. Besonders gerieth der Hausherr in lebhaften Streit mit einer reizenden Dame, und führte ihn so anmuthig und galant, daß Klotilde nichts anders als Rache zu denken hatte. Hierzu, meinte sie, würde Wartenstein kein übler Mann seyn. Auch war er ziemlich der einzige, welcher nicht ganz von dem allgemeinen Gespräche umstrickt, der Hausfrau nahe saß, und ihr von Zeit zu Zeit einige besondre Artigkeiten zuflüsterte.
Frau von Tiefeneck sprach viel und angelegen mit ihm. Allein so sehr sie sich auch bestrebte, durch laute Munterkeit ihren Gemahl aufmerksam zu machen, dieser hatte kein Ohr als für die Gräfin. Der Verdruß darüber zog die Wirthin immer tiefer in das Gespräch mit dem Baron.
»Ein recht lieber freundlicher Abend!« sagte Tiefeneck zu seiner Gattin, als die Versammlung auseinander war.
»Gewiß. Wartenstein kann doch wahrlich weit angenehmer seyn, als ich's ihm zugetraut hätte.«
»Ach,« sagte Tiefeneck, »die Gräfin hätten Sie erst beobachten sollen. Nie würde ich von einer Dame diese tiefe und vielseitige Bildung erwartet haben.«
»Und ich niemals von einem Manne so viel Gefälligkeit, jeder Laune des Gespräches mit dieser Anmuth des Geistes nachzufolgen.«
»Die Gräfin kennt die Geschichte, wie wenig Männer.«
»Der Baron die ganze Zartheit der weiblichen Natur.«
»Der Mann sollte heirathen, um die Weiblichkeit näher in's Auge zu fassen.«
»O, der Baron an Ihrer Stelle hätte mir wahrlich vorhin die kleine Aufmerksamkeit bewiesen.« Ihr Auge zeigte dazu nach der Stelle, wo das Buch am Boden gelegen hatte.
»Und der Gräfin an Ihrer Stelle wäre die große Vernachlässigung gewiß nicht zur Last gefallen, meinem Umgange einen schlechten Roman vorzuziehen.«
Beide erhitzten sich äußerst. Beide sahen aber auch bald darauf ein, daß sie es nicht hätten thun sollen. Beide fühlten sich sogar bereit, durch ein herzliches Bereuen allen übeln Folgen vorzubeugen. Nur den ersten Schritt wollte niemand thun. Darüber verstrich eine halbe Woche in dumpfer Stille. Die Gräfin war indessen auf ihre Güter gereiset, ohne daß Tiefeneck auch nur ein bedauerndes Wort hätte fallen lassen.
Der Baron.
Am vierten Tage machte der Baron den Besuch, den er versprochen hatte.
Die zwanglose Freundlichkeit, mit welcher Tiefeneck ihn behandelte, verfehlte ihre Wirkung nicht auf Klothilden.
»Ich habe Wartensteinen neulich doch wohl zu sehr gerühmt!« sagte sie, als er fort war, ihrem Gatten die Hand reichend.
»Gern übernehme ich einen Theil an dieser Schuld!« erwiederte er sie umarmend.
»Uebrigens kann der Baron unmöglich so gefährlich seyn, als man ihn geschildert hat.«
»Siehst Du wohl. Nun, so hat der reizbare Tag wenigstens das Gute hervorgebracht, daß Du künftig Wartensteinen als Gesellschafter wirst dulden können.«
»Indessen, mein lieber Tiefeneck, begreife ich immer noch nicht, wie wir beide in so reizbare Stimmung gerathen waren.«
»Das ist nun einmal das Zubehör mancher Tage, meine gute Klotilde. Man muß aber in der Ehe vergessen können.«
Dieser Gegenstand wurde mit allen seinen Nebenbeziehungen noch weiter abgehandelt, bis man übereinkam, daß das eheliche Leben einen hinlänglichen Ersatz gewähre für den Verlust der zarten Blüten, unter denen die Sehnsucht der Verlobten sich verborgen halte.
Allein die Folgen jenes reizbaren Tages waren hierdurch nicht geschlossen. Der Baron verdoppelte seine Besuche, kam immer öfter, und wurde bald ein nothwendiges Zubehör im Hause.
Tiefeneck hatte einigen Argwohn gegen den Baron. Die Stadt wollte wirklich wissen, daß Wartenstein seine Leidenschaft gern ohne Zügel herumirren ließ, unbesorgt, was daraus entstehen, und welches Glück dadurch vernichtet werden könnte. Nach des Barons sichtbarer Aufmerksamkeit für Klotilden wollte er in diesem Hause nicht vorsichtiger zu Werke gehen. Aber Tiefeneck wußte noch immer, welche Abneigung Klothilde vor dem Menschen gehabt hatte. Dazu traute er auf die geprüften Sitten seiner Gemahlin, und am meisten auf ihren Geschmack. Denn die Eitelkeit überredete ihn, daß es einer geschmackvollen Dame unmöglich sei, seinem ausgezeichneten Aeußeren den darin höchst unbedeutenden Baron vorzuziehen. Die tägliche Erfahrung hatte gut reden, da seine überlaute Eitelkeit ihn taub machte
Aufmerksamkeiten.
Der Baron hatte sich indessen wirklich durch tausend gefällige Kleinigkeiten der Frau von Tiefeneck allmählig so sehr genähert, daß bald jeder Abend, an dem er ihrem Umgange fehlte, sich ihr zu der Länge einer schlaflosen Nacht ausdehnte. Ihr selbst unbewußt, wurde der Hausfreund ihr drittes Wort, und wenn von Güte und Tugenden überhaupt die Rede in ihren vertrautern Zirkeln war, so wußte sie gemeiniglich aus des Barons Leben Beweise für das Daseyn dieser Tugenden aufzufinden.
Anfangs schien er nur zufällig auch zu solchen Zeiten zu kommen, in denen der Hausherr abwesend war. Aber bald wurde die Frau von Tiefeneck inne, daß er einzig noch diese Zeiten gern bei ihr zubrachte. Sie machte sich Vorwürfe, seine unverkennbare Leidenschaft nicht früher ernstlich zurückgewiesen zu haben. Doch mußte sie es billigen, daß sie von dem anfänglich so ungerechten Betragen gegen ihn abgegangen war. Und, fragte sie sich entschuldigend, wenn hätte ich nachher anfangen sollen, ein Wohlwollen zurückzuweisen, das seiner völligen Anspruchlosigkeit wegen noch bis diese Stunde Schonung und Dankbarkeit zu verdienen scheint?
Ihr gutes Herz entfernte alles, was den Baron ein Weh zufügte. So hattet sie bemerkt, daß ein Ring mit Tiefenecks Portrait ihn betrübte, und sie vermied es, diesen Ring in Wartensteins Gegenwart am Finger zu tragen. Ihr Dankgefühl erwieß ihm tausend ähnliche Aufmerksamkeiten, die, so schuldlos sie an sich seyn mochten, doch des Barons Leidenschaft in immer mächtigere Flammen setzten.
Nur eins hatte er sie gebeten, daß er sie nämlich bei ihrem Vornamen nennen dürfe, und eben weil es seine einzige Bitte war, hatte sie geglaubt, es ihm bewilligen zu müssen.
Die Aufopferung.
Der Baron hatte seit kurzem ein Wort auf dem Herzen, dem der Weg über die Lippen schwer wurde. Klotilde bemerkte es, scheute sich vor dem Worte, und suchte es durch scherzhafte Einfälle so lange zurückzutreiben, bis Wartenstein einmal ganz unerwartet damit hervorbrach.
»Klotilde,« fing er an, »daß Sie das Wesen sind, dem mein ganzes Daseyn gehört, das müssen Sie längst errathen haben.«
Frau von Tiefeneck erschrak um so mehr über diesen Ausbruch, da der Baron ihre Hand zugleich mit Heftigkeit anfaßte. Sie wollte sich schon losreißen, als er gelassener fortfuhr:
»Lassen Sie mich ausreden, Beste. Es zerreißt mir die Brust dieses Schweigen; mein Leben ginge zu Grunde, wenn es länger dauerte, und das würde Sie doch ein wenig schmerzen.«
»Was wollen Sie von mir, da Sie wissen – – « Hier warf sie einen Blick auf das Gemälde ihres Gatten, das über dem Sopha hing.
»Ich weiß – und will nichts von Ihnen, als die Annahme – meiner ewigen Treue.«
»Unmöglich, Wartenstein. Womit könnte ich Sie entschädigen?«
»Und habe ich denn Entschädigung verlangt? Ist es nicht eben der entzückende Gedanke der Aufopferung, der mich glücklich macht, der Aufopferung für Dich? – Hier stehe ich am Abgrunde. Dein Nein stürzt mich unerbittlich hinab.«
Er warf sich dabei vor ihr nieder, und sie verlor ihr halbes Bewußtseyn, als in demselben Augenblicke Frau von Selter hereintrat.
Allgemeine Verstimmung.
»Ich störe!« sprach die Angekommene erschrocken.
»Nichts weniger!« antwortete Klotilde, und der Baron rief aufstehend: »Seyn Sie Schiedsrichterin, gnädige Frau, da Sie nun einmal so viel gesehen haben.«
Es trug hierauf sein Verlangen vor, und Frau von Selter sagte: »Die Sache ist so eigen, daß Sie wohl Ueberlegung fordert.«
»Aber, mein Himmel,« rief der Baron, »ich begehre ja bloß die Annahme eines freiwilligen Geschenkes.«
»Wohl möglich. Aber die Treue ist ein Geschenk, das – in der Regel wenigstens – ein Gegengeschenk von derselben Art verlangt.«
Hierauf sagte Wartenstein mit beleidigendem Spotte, daß man doch nicht jeden ungewöhnlichen Fall nach dem gemeinen Maaßstabe beurtheilen möge.
Es war ein Glück, daß Tiefenecks Eintreten den Faden der zeitherigen Unterhaltung gänzlich abschnitt, weil zu Klotildens großer Betrübnis beide Partheien Bitterkeiten gegen einander auf der Zunge zu haben schienen.
Tiefeneck wußte gar nicht, woran er war. Des Barons unsichere Blicke, der Selter glühendes Gesicht und Klotildens Aengstlichkeit, sollte dies alles ein Werk des Zufalls seyn? Dazu kam, daß keine Saite des Gesprächs, die er zu berühren versuchte, einen fortlaufenden, ja manche nicht einmal einen einzelnen Ton angab.
Der Baron konnte endlich seinen Unmuth nicht länger beschwichtigen und ging.
Ausflucht.
»Was hatte denn der?« fragte der Hausherr. Es war ein Glück, daß Frau von Selter die Frage Klotilden sogleich von der gepeinigten Seele nahm und sagte: »Ich bin in Streit mit ihm gerathen, lieber Tiefeneck, und zwar über Kleinigkeiten, wie das wohl zu gehen pflegt.«
»Zum Beispiel?«
»Wahrhaftig, ich wüßte Ihnen die Sache gar nicht vorzutragen. Auch verdient sie in der That keiner weitern Erwähnung.«
Tiefeneck war um so weniger hiervon befriedigt, da ihm das stumme, gespannte Wesen seiner Gattin durchaus nicht entgehen konnte. Doch fand er es schicklicher, das Zimmer wieder mit Anstand zu verlassen, als in die Ursachen des Streites sich eindrängen zu wollen, die ihm, wie es schien, verhehlt werden sollten.
Herber Rath.
»Gott sei Dank!« rief Klotilden, als ihr Gemahl hinaus war. »Sein Auge traf wie ein Richtschwert auf mich. Was aber nun, liebe Selter?«
»Alles vermeiden, was ähnliche Verlegenheiten erzeugen kann.«
»Und Wartenstein?«
»Muß nach seinen heutigen Ansprüchen zuerst vermieden werden.«
»Aber, liebe Selter, ist eine freiwillige Opferung seiner selbst ein Anspruch?«
»Opferungen, die nicht viel sagen wollen!«
»Wie wenig kennst Du den Mann, von dem die Rede ist.«
»Vielleicht besser, liebe Tiefeneck, als sein untreuer Spiegel, dein bestochenes Herz. Ich sage gar nicht, daß Wartenstein böse sei. Aber er überläßt sich der Leidenschaft, wohin sie ihn führt. Die Reize jedes Weibes können Zaubernetze für ihn werden.«
»Ich weiß jetzt besser, wie sehr der Ruf ihn verläumdet. Aber ich widerspreche nicht, so sehr ich auch könnte. Sage nur, was ich thun soll?«
»Durch entschiedene Kälte ihn nöthigen, eine neue Liebe aufzujagen.«
»Beste! Er liebt niemanden als mich, er kann niemanden weiter lieben. Du kennst ihn wahrlich nicht im geringsten. Er geht zu Grunde über meinen Verlust.«
»Ueber Deinen Verlust! Er hat Deine Neigung also schon gewonnen?«
»Das nicht! Auch liebe ich Tiefenecken aufrichtig, aber –«
»Ohne aber! Ich gehe, um Dich den Gedanken an Deine Pflicht allein zu überlassen, welche unbedingten Gehorsam fordert und keinem treulosen Aber das Wort gestattet.«
Gegenvorstellungen.
Der tiefe Eindruck dieser Ermahnung auf Klotilden bewährte sich, als der Baron bald nach der Selter Hinweggehen zurückkam. Stürmischer als zuvor drang er auf Erklärung. Klotilde machte ihre Hand von ihm los und trat einige Schritte zurück. »Sie kennen meine ganzen Verhältnisse,« sprach sie, »und sollten als Freund unsers Hauses am wenigsten darauf denken, sie zu zerstören.«
»Zerstören, wer will das? Mein Vorsatz ist vielmehr, sie Ihnen zu erleichtern.«
»Wer sagt Ihnen denn, daß sie mich drücken?«
»Wie oft, Klotilde, bin ich nicht Zeuge gewesen, daß Ihr feuchtes Auge den Himmel schüchtern suchte, um zu fragen, was Sie verschuldet hatten, daß man Ihre zarten Gefühle mit so unzarten Händen anfassen dürfe? Wie oft habe ich gesehen, daß Ihre billigsten Wünsche da Widerstand fanden, wo man ihnen mit Freuden hätte entgegenkommen sollen! – Sollte es Ihnen kein Trost seyn, zu wissen, daß es einen Menschen in der Welt giebt, der Sie besser versteht, der, wenn ihm das Glück durch Ihren Besitz hätte den Himmel aus Erden vergönnen wollen, gewiß nicht Ihre höchsten heiligsten Gefühle mit einem eiskalten Verstande ersticken würde; einen Menschen, der überall, wo er lebt, nur für Sie lebt; den jeder Schmerz, der Sie anfaßt, zehn, ja tausendfach trifft, und der, seit er Sie näher kennt, nur noch in Ihrem Anschauen die Freuden seines Daseyns empfindet?«
»Und wenn es wäre, Wartenstein, wenn ich Ihre Güte auch schätzte, so würde ich doch wahrlich nicht so grausam seyn, Ihnen das Versprechen einer Treue abzunehmen, welche unter meinen Verhältnissen so wenig belohnend für Sie seyn könnte!« wandte Frau von Tiefeneck mit gerührter Stimme ein.
»Abnehmen? Der Himmel hat längst schon meine Zusage angenommen, wie manches andre Gelübde der Entsagung. Ihr Billigen der Sache verlange ich ja nur, das, genau betrachtet, nichts weiter ist, als die Anerkennung meiner so uneigennützigen wie unvergänglichen Liebe zu Ihnen. Denn ich schwöre – – «
Hier unterbrach der Bediente die Scene mit Anmeldung einer Verwandten, die sogleich selber hereintrat. Vergebens hoffte der Baron, den Besuch abzuwarten. So einsilbig auch die Unterhaltung ward, die Dame blieb noch, als er ging, und wartete auch, bis Tiefeneck nach Hause kam.
Zwei Wege.
Als Gatte und Gattin allein waren, fragte der erstere Klotilden, was ihr fehle, und seine sichtbare Theilnahme rührte sie so, daß sie Zuversicht faßte und ausrief: »Ein Vertrauter, und in wem könnte ich einen bessern finden als in Dir.«
Hierauf entdeckte sie des Barons Begehren, jedoch mit Behutsamkeit und Entfernung alles desjenigen, was den Gemahl hätte beleidigen können.
»Und wozu denkst Du Dich zu entschließen?« fragte er nach mehrmaligem Farbenwechsel sehr gemäßigt und sanft.
»Das eben sollst Du mir sagen, mein Lieber.«
»Hier sind nur zwei Wege. Gänzliche Trennung – entweder von dem Liebhaber oder von dem Gatten.«
»Um Gotteswillen, Tiefeneck, wie magst Du den zweiten auch nur aussprechen?«
»Weil Du den ersten – weit näher liegenden – nicht finden konntest.«
Das Billet.
»Aber, mein Lieber,« seufzte Klotilde, »der arme Wartenstein – – «
»Den Namen nicht wieder, wenn Du nicht auch den Mann haben willst! Der Baron ist in unser Haus gekommen, ich weiß kaum wie.«
»Aber ich weiß es! – « sagte Frau von Tiefeneck im sanftesten Tone die Hand des Gatten ergreifend.
»Soll ich etwa gar heute noch Vorwürfe hören? Damals war mir es um den Anstand zu thun. Und auch heute wieder um den Anstand. Ich habe sehr gut bemerkt, wie sich dieser Mensch nach allen Kräften hier befestigte, und seine tausend Vorbereitungen bis zu der heutigen Unverschämtheit werden mir in diesem Momente recht klar. Wer Treue giebt, begehrt auch Treue und verkleidet dies Begehren nur so lange, bis er seines Erfolges gewiß ist. Von Stunde an wird ihm mein Haus verschlossen, daher kommt es nun darauf an, ob Du es unter diesen Umständen künftig auch noch für das Deinige ansehen willst.«
»Tiefeneck!«
Klotilde wollte ihn in die Arme schließen. Doch er sagte zurücktretend: »Jetzt verlange ich einen Entschluß und keine Umarmung. Soll ich dem saubern – Liebhaber seinen Platz hier sogleich schriftlich aufkündigen, oder Ihnen bis nach unsrer gesetzlichen Trennung die Schlüssel allein überlassen?«
Klotilde öffnete ihm selbst den Schreibetisch, und bat nur, daß er in dem Baron den Kranken nicht vergessen möge.
»Seyn Sie unbesorgt. Ich werde kein Wort zu viel an ihn verschwenden.«
Tiefeneck schrieb:
»Auf meiner Gattin Verlangen ersuche ich Sie hierdurch, die Schwelle unsers gemeinschaftlichen Hauses nicht wieder zu betreten.«
Das Todesurtheil.
Klotilde erblaßte, als er sie das Billet lesen ließ, und er sagte im Zusammenbrechen desselben: »Auf Ihr Verlangen mußte ich schreiben. Ihre eigene Ehre forderte das.«
Frau von Tiefeneck schwieg und der Zettel wurde dem Bedienten übergeben.
»Und nunmehr noch eins!« fügte der Hausherr bald darauf hinzu: »Ich verlange, daß jeder Brief von dem verunglückten Liebhaber, der sich durch geheime Gänge bis zu Ihnen schleichen könnte, mir uneröffnet eingehändigt werde. Dieses bin ich meiner Ehre schuldig.«
Klotilde sagte es weinend zu, nur bat sie, daß ihr kein Geheimniß aus dem Inhalte der Wartensteinischen Aeußerungen gemacht werden möchte.
Der Baron schrieb zur Antwort:
»Das Todesurtheil, welches Ihre Gattin über mich ausgesprochen, habe ich so eben erhalten.«
»Der lächerliche Romanheld!« sagte Tiefeneck unwillig.«
»Aber, gesetzt nun, daß er – –« warf Klotilde ein, die der Ohnmacht nahe war.
»Gesetzt! So hätte die Welt einen albernen Menschen weniger.«
Mit diesen hart genug ausgesprochenen Worten verließ er das Zimmer.
Wieder ein Brief.
Eine Stunde später suchte Klotilde ihren Gemahl auf seinem Zimmer auf. »Hier ist ein Brief an mich.«
»Auf welchem Wege?«
»Durch seinen Bedienten.«
Tiefeneck erbrach den Brief und las:
»Gnädige Frau! Ich könnte Sie vorhin beunruhigt haben, daher diese Zeilen. Was auch aus mir werde, so soll doch auf Sie keine Schuld fallen. Die mündliche Versicherung meiner Treue haben Sie zurückgewiesen. Dennoch wiederhole ich es hier, daß ich sie Ihnen für die Ewigkeit widme, und lieber mein Daseyn aufgeben, als aus einer andern weiblichen Hand mein Glück empfangen will. Leben Sie wohl. Die Pferde, die mich von hier wegbringen sollen, sind schon vor meinem Wagen. Leben Sie zufrieden!«
»Glückliche Reise!« rief Tiefeneck. » Der Entschluß zeigt doch, daß er noch nicht alle Vernunft bei seiner Liebe zugesetzt hat. Das Uebrige wird sich finden.«
Klotilde schüttelte seufzend den Kopf.
Die Anzeichen.
Frau von Tiefeneck hatte eine heillose Nacht. Ihre Träume ließen den Baron auf tausendfache Weise umkommen. Sie fuhr aus ihnen auf, und da gab alles im Zimmer, was platzen konnte, als Wandschränke, Tische und dergleichen, die entschiedensten Vorzeichen seines nahen Todes von sich. »Ach unfehlbar ist er schon in dieser Nacht gestorben!« klagte Klotilde am Morgen den einsamen vier Wänden ihres Boudoirs. »Und zwar wegen seiner Liebe zu Dir!« Sie warf mit dem Frühesten ihren Mantel um, und eilte zur Selter.
Diese war sehr erfreut, als sie das Vorgefallene erfuhr.
»Aber meine Ruhe?« rief Klotilde.
»Kann einzig in diesem Gleise Dir erhalten werden. Denn nur der hat Anspruch auf Ruhe, der die Verhältnisse eines anständigen Lebens zu ehren weiß.«
Klotilde erzählte hierauf von den Vorzeichen der Nacht.
»Vorzeichen! Ei, liebes Kind, seit wenn bist Du denn so abergläubig? Am Ende wirst Du gar noch zur Geisterseherin.«
»Das wolle der Himmel nicht.«
»Er will es auch gewiß nicht. Aber das verlangt er, daß Du deiner Phantasie nicht den Zügel schießen lässest wie vorige Nacht. Denn sonst könnte sie doch wohl noch bis dahin gelangen. – Es ist wahrhaftig schon eine schlimme Sache, wenn man die todten Schränke und Tische reden hört.«
Klotilde gestand es jetzt selbst, daß sie in diesem Augenblicke nicht sonderlich mehr an die Anzeichen glaube. Uebrigens erbot sich Frau von Selter, wegen des Barons Aufenthalt und Leben Erkundigung einzuziehen, und die Resultate davon gewissenhaft anzuzeigen.
Allein, leider, war sie durchaus unglücklich in ihren Nachforschungen. Kein Mensch wußte, welchen Weg der Baron nach den ersten Poststationen eingeschlagen hatte.
Klotilde war untröstlich, und ihr Gatte versuchte alles umsonst zu ihrer Zerstreuung. Die Gesellschaft bewirkte so wenig eine Veränderung in ihr als die Einsamkeit. Ja, die letztere brachte ihr, zumal bei Nacht, immer wieder neue Anzeichen und Vorbedeutungen mit, und sie durfte das nicht einmal jemanden im Hause sagen, weil lauter ungläubige Menschenkinder darin ihr Wesen treiben.
Uebrigens hatte bei der fortdauernden Unruhe der Wirthin die Stimmung aller, die ins Haus gehörten, eine ziemlich dunkle Farbe angenommen.
Der lustige Gast.
Endlich erschien doch einmal ein heiterer Abend. Der seltene Humor eines alten Universitätsfreundes, des Herrn von West, der sich unverhofft bei Tiefenecken sehen ließ, war die Ursache.
Klotilde gestand, als der Mann fort war, daß er ihr sehr wohlgefallen habe, und Tiefeneck eilte am folgenden Morgen mit dem Frühesten in's Hotel, um die von dem Fremden abgelehnte Bitte, sein Haus dem Gasthofe vorzuziehen, so dringend zu wiederholen, daß der alte Freund nicht widerstehen konnte.
Die unerschöpfliche Laune des neuen Hausgenossen brachte auch in der That eine recht glückliche Veränderung in Klotilden hervor. Er hatte so viel von sich und andern zu erzählen, und wußte das Unbedeutendste durch gute Einfälle zu würzen und zu erheben.
»Meine ganze Familie,« sagte er einsmals, wie man seine Laune gerühmt hatte, »besitzt diesen heitern Sinn, und wenn meine Schwester nicht etwa durch eine Liebschaft, von der sie mir eben geschrieben hat, zu sentimental geworden ist, so sollen Sie in der eine Person kennen lernen, die ich selber nothwendig heirathen müßte, wenn sie nicht eben das Unglück hätte, meine Schwester zu seyn. Sogleich nach ihrer Hochzeit wird sie mit ihrem Gatten hieherkommen. Nur soll mir der letztere kein Murrkopf seyn, wenigstens nicht ungestraft. Denn sonst ruhe ich nicht eher, bis die Scheidung vollzogen ist, oder ich schieße ihn im Zweikampfe todt, weil ich meine Familie durch kein dickes Blut verfälscht sehen will.«
Die Geistergeschichte.
Allein Klotildens kaum gewonnene bessere Stimmung ging auf Einmal wieder verloren. Eine Geschichte, welche das Gerücht mit vielen Umschweifen herumtrug, gab die Veranlassung dazu. In einer nah gelegenen kleinen Stadt war der Liebeshandel einer jungen Person mit einem Manne unter ihrem Stande von den Verwandten entdeckt und zerstört worden. Die Verliebte selbst hatte den Vernunftgründen ihrer Angehörigen nachgegeben, der junge Liebhaber jedoch sich die Sache dermaßen zu Gemüthe gezogen, daß er in ein hitziges Fieber verfallen und daran gestorben war. Seit seinem Tode nun erschien er dem Mädchen, nach dem Ausspruche von Augenzeugen, fast in jeder Nacht in drohender weißer Gestalt. Der Geist scheute auch da Wachen nicht, welche späterhin die Geplagte sich beigesellte. Man bettete sie in andre Zimmer, aber auch diese wußte er zu finden. Angst, Schlaflosigkeit und Gram bedrohten die Arme mit einer auszehrenden Krankheit. Auch war nach allen Umständen, die man hörte, an reinen Betrug bei der Sache zu denken.
Klotilde vernahm die Geschichte nicht ohne das heftigste Grausen. Ihrer Meinung nach war sie weit schuldiger als das gequälte Mädchen. Diesem blieb doch der Trost, ein unwürdiges Verhältniß abgebrochen zu haben, und der Liebhaber trug eigentlich nur die Strafe seiner Schuld. Was aber war Wartensteins Verbrechen? fragte sich Frau von Tiefeneck. Ist es nicht die höchste Grausamkeit, einem Menschen die uneigennützigste Liebe zu verweigern, ihn um dieser willen wie einem Nichtswürdigen das Haus zu verbieten, und durfte ich die Willkühr eines Ehegatten soweit gehen lassen, daß er den schuldlosesten Mann darum, weil er ein Herz – jedoch ein Herz ohne alle Ansprüche, für mich hatte, dem peinlichsten Tode überlieferte? Denn daß Wartenstein die Verweisung aus ihrer Nähe nicht überleben würde, davon war sie wie von ihrem Leben überzeugt.
Der Umstand, daß kein Mensch von des Barons Aufenthalte Nachricht geben kannte, schien ihr die finstre Vermuthung außer allen Zweifel zu setzen. Aus unverdienter Schonung für mich, dachte sie, will er gar nichts mehr von sich wissen lassen. Sie überredete sich so gar, daß er, um ihr nur so nahe als möglich zu seyn, unter fremdem Namen in die Stadt zurückgekehrt wäre, und hier ohnfehlbar seinen Tod erwarten wolle.
Der Pistolenschuß.
Klotilde hatte eine äußerst schauerliche Nacht. Denn bei diesen Gedanken fiel ihr kurz vor dem Schlafengehen auch noch ein, daß Wartenstein einmal den Werther sehr gepriesen hatte. Daher stellt ihr ein Traum den Baron dar, wie er unten an ihrer Hausthüre Anstalten zur Reise in die andre Welt trifft. Sie versucht nun durch einen Schrei das Abdrücken des Pistols zu verhindern, aber der Athem fehlt ihr, und in demselben Augenblicke weckt der Knall des entsetzlichen Pistols sie aus dem Schlummer.
Klotilde klingelt sogleich ihren Leuten. Nur schnell hinunter und nachgesehen, was vor unserm Hause vorgefallen ist!« ruft sie mit bleichem, verstörten Gesicht in's Bette zurücksinkend.
Der ebenfalls aufgeschreckte Gemahl will wissen, was das seltsame Begehren bedeute.
»Sie werden alles erfahren,« sagte Frau von Tiefeneck, »wenn die Leute zurückkommen. O mein Gott, daß ich Ihrer übermüthigen Forderung wie ein einfältiges Kind nachsehen konnte!«
»Welcher Forderung?«
»Nur Geduld, Sie werden alles erfahren.«
Indessen kamen die Leute zurück, und versicherten, daß sie nicht das mindeste an der Hausthüre entdeckt hatten.
Der Gefühllose.
»Kann ich immer noch nicht hören – – ?« sprach Tiefeneck, als die Leute wieder zur Ruhe waren.
»O ja, Wartenstein, der unglückliche Wartenstein hat unten, dicht vor unserm Hause, seinem Leben ein Ende machen wollen.«
»Woher wissen Sie denn diese unwahrscheinliche Thatsache?« rief ihr Gatte befremdet und nicht ohne Ironie.
»Ich weiß es. Schreiben Sie übrigens das Woher einer Ahndung, einem Traume, oder irgend etwas anderm zu. Genug, ich habe ganz deutlich den Unglücklichen gesehen. Ich habe den Schuß mit diesen meinen Ohren gehört.«
»Und die Leute, die weder in einer Ahndung noch im Traume, sondern wirklich unten am Hause gesucht und nichts gefunden haben!«
»Kann er denn nicht von seiner Todesangst nach vollbrachter That noch über einige Straßen geschleppt worden seyn? Ach, wenn er zu retten wäre!«
»Wenigstens wollen wir an diese vermeintliche Rettung nicht unsern Ruf als vernünftige Menschen wagen, und die, sehr zur Unzeit gestörten, Dienstleute wieder einschlafen lassen.«
Mit diesen Worten legte sich Tiefeneck nieder.
Klotilde stand auf, um sich anzukleiden. Aber ihr Gemahl äußerte sehr hart, daß er, wenn ihre Fieberhitze auf so ungereimte Dinge verfiele, seine Thüren verschließen müsse.
Er that es auch wirklich.
Klotilde jammerte laut, und begriff nicht, wie die Gefühllosigkeit bis zu dieser Höhe steigen könne.
Nachrichten.
Am Morgen bezeigte Frau von Tiefeneck gar keine Lust zum Aufstehen. Der herbeigerufene Arzt fand ihren Puls in sehr fieberhafter Bewegung. Ihr Gemahl beschwur sie zum Einnehmen der verschriebenen Mittel. Der Ausspruch des Arztes hatte sein Mitgefühl so hoch aufgeregt, daß er wenig von ihrem Bette kam.
»Und hört man noch nichts von seinem Tode?« fragte sie angelegen.
Tiefeneck verneinte.
»Verhehlet mir's nicht!« flehte sie.
»Gewiß nicht« antwortete ihr Gemahl mit der sichtbarsten Theilnahme.
»Im Bette?« rief Frau von Selter, die einen Besuch machen wollte.
»Ein plötzliches Fieber!« erwiederte der Hausherr, der so eben abgerufen wurde.
»Glaub' es nicht!« sprach Klotilde. »Hast Du aber vielleicht etwas gehört? Wartenstein – –«
»Ich komme, um Dir von ihm zu sagen.«
»Leider, weiß ich schon alles.«
»Nun, er soll auf einem Gute nicht gar weit von hier leben.«
»Leben? – Wenn das wäre!«
»Ja wohl leben, und sich zudem bei einer neuen Liebe recht wohl befinden.«
Klotilde entzog ihr ihre Hand und kehrte sich von ihr weg. »Elende Vorspiegelungen!« rief sie. »Man hat Dich, merke ich, geholt, um mich wie eine Verrückte mit Fabeln hinzuhalten. Glaube mir, ich weiß es, weiß nur allzugut, daß er in dieser Nacht hier in der Stadt gestorben ist!«
»In dieser Nacht?« – – – Frau von Selter erinnerte sich an das Fieber, von dem Tiefeneck ihr gesagt hatte, und glaubte unter solchen Umständen den Widerspruch vermeiden zu müssen. »Das ist mir etwas Neues!« sagte sie.
»Man wüßte also wirklich in der Stadt noch nichts von seinem gewaltsamen Tode?«
»Ich komme von seinen Schwestern, die keine Silbe davon erfahren hatten, vielmehr das mir sagten, was ich Dir eben mittheilte.«
»Apropos, eine Neuigkeit!« sprach Tiefeneck, der jetzt wieder hereintrat. »Die Zeitung bringt die Nachricht mit, daß Wartenstein Hochzeit gemacht habe.«
Klotilde kehrte sich hierauf von neuem nach der Wand und war zu keinem Worte zu bewegen. Erst als Frau von Selter kopfschüttelnd das Zimmer verlassen hatte, wendete sie sich wieder herum, und sagte: »Ich weiß in der That nicht, warum man mir eine so große Portion von albernem Glauben zutrauen kann«.
»Das Zeitungsblatt wird in einer halben Stunde hier seyn, um Dich zu überzeugen.«
Die Erklärung.
»Hier, meine liebe Klotilde!« sagte Tiefeneck bald nachher, und sie nahm selbst die Zeitung und las:
»Heute war der selige, erste Tag unserer Ehe.«
Moritz Franz von Wartenstein,
Leopoldine von Wartenstein,
geborne von Landau.
»Seine Taufnamen treffen zu.«
»Nicht übel, aber doch vergebens ersonnen!« rief Klotilde das Blatt weglegend.
»Ersonnen? Von wem und weshalb? Etwa wegen Deines Fieberanfalls in dieser Nacht? Und die Zeitung ist schon vorgestern gedruckt gewesen!«
»Doch diesen Morgen vermuthlich hier in der Stadt nachgedruckt worden. Dergleichen ist sogar neu nicht mehr.«
»Klotilde, welche wunderliche Grillen?« rief Tiefeneck, mit Geberden, worein sie kein Mißtrauen setzen konnte.
»Nun dann,« sprach sie, »so hat irgend jemand einen schlechten Scherz auf Wartensteins Kosten machen wollen. Auch solche Dinge sind häufig dagewesen.«
»Aber warum nun nicht lieber das Natürlichste zuerst glauben! Klotilde, Klotilde, fast besorge ich, daß Dein Herz diesen Schritt von Wartenstein tief empfinden würde.«
»Mein Herz? Wahrlich, Tiefeneck, Du thust meinem Herzen großes Unrecht. Ich könnte wahnsinnig werden vor Freude, wenn der Baron geheirathet, und dadurch meine Unruhe für immer gehoben hatte. Doch leider ist mir der Vorfall von voriger Nacht zu denkwürdig, und wenn es wirklich nur ein Blendwerk war, was mir seinen Tod vorspiegelte, so bin ich doch fest überzeugt, daß es zu denjenigen denkwürdigen Blendwerken gehört, welche man Todesvorzeichen nennt, und daß nichts so wenig als eine Hochzeit darauf folgen könne.
Die neue Neuigkeit.
Klotilde war endlich kaum aufgestanden und zu ihrem Gatten in's Wohnzimmer gegangen, so trat West lachend mit der Neuigkeit von der Auflösung jener Gespenstergeschichte herein, welche zu Klotildens schlimmer Nacht die erste Veranlassung gegeben hatte, einer Auflösung, die zu ihrer gläubigen Laune an Geistererscheinungen und Todesvorzeichen nicht sonderlich passen wollte. Denn so viel auch das Gerücht die Geschichte mit Umständen verbrieft und versiegelt hatte, die ihr Uebernatürliches recht außer Zweifel setzen sollten, und so häufig gesagt worden war, daß hier von Betrug gar nicht die Rede seyn könne, so war es doch endlich herausgekommen, daß der Liebhaber des Mädchens die Sage von seinem Tode nur hatte verbreiten lassen, um im Einverständniß mit der Geliebten bei Nacht in die Stadt zu schleichen, und sie als Gespenst besuchen zu können, und daß die Wächterinnen sämmtlich von ihr selbst gewählt und in's Interesse gezogen waren.
Die alte Neuigkeit.
»Das wäre denn eine ganz neue Neuigkeit gewesen!« fügte West hinzu. »Aber nun habe ich auch noch eine alte diesen Morgen erhalten.« Hierbei zog er einen offenen Brief aus der Tasche. »Vor einer halben Stunde nämlich wird mir dieses Billet zugestellt, nachdem es als Einschluß bei einer Dame, welche erst gestern Abend von einer Reise zurückgekommen, schon vierzehn Tage hier in der Stadt ausgeruhet hat. Es ist von meiner Schwester, die mir endlich den Namen ihres Bräutigams darin meldet. Der Mann hat seinen Wohnsitz in dieser Stadt, und sie schreibt mir, daß er ihr einen ganzen Schwarm verliebter Unbesonnenheiten bereits eingestanden habe. Indessen, sie will es wagen, ihm den Kopf zurecht zu setzen. Was wagte ein verliebtes Mädchen nicht? Apropos, Leutchen, er ist in euerm Hause auch aus- und eingegangen, und zwar noch vor Kurzem. Es wäre mir lieb, wenn ihr mir einige dumme Streiche von ihm angeben wolltet, die ich ihm in einer poetischen Brühe überreichen könnte. Und je dümmer die Streiche, je besser! Sie errathen wohl aber noch gar nicht, daß es ein Herr von Wartenstein ist, den meine Schwester heirathen wird, oder nun ohnfehlbar schon geheirathet hat.«
Zweifel.
»Also auch Sie, lieber West,« erwiederte Klotilde, »auch Sie hat man in das Bündniß gezogen, das meinen nur zu gegründeten Besorgnissen durch offenbare Widersprüche entgegen wirken soll? – Ich begreife nicht, wie man bei diesen verabredeten Nachrichten nicht mehr auf Uebereinstimmung sehen kann.«
»Mein Gott, ich begreife ja gar nichts mehr!« rief West. »Ich weiß nicht einmal, ob meine Ohren noch die Fähigkeit besitzen recht zu hören. Ein Bündniß, das Ihren Besorgnissen entgegenwirken soll?«
»Und das sich lauter Widersprüche zu Schulden kommen läßt. Nach Ihrer Behauptung ist Ihre Schwester Wartensteins Gattin, während die letztere nach diesem Zeitungsblatte einen ganz andern Familiennamen führt.«
»Also die Zeitungen sagen schon von der Heirath?«
»Ja,« antwortete Tiefeneck, »aber wirklich ist nach ihnen, wie Du hier selber lesen kannst, der Baron mit einem Fräulein von Landau verheirathet.«
»Nun ja! Ich denke das wißt Ihr längst, daß es meine Halbschwester ist, die den zweiten Gemahl meiner Mutter zum Vater hat!«
Schluß.
West übergab Klotilden den Brief, und je mehr sie sich von der Wahrheit des Vorganges überzeugte, desto heiterer wurde sie, und gab auch Westen über ihre vorige, ihm jetzt räthselhafte Aeußerung selber und mit vieler Laune Auskunft.
Es kam zu tausend Scherzen, die bald den Todesvorzeichen, bald den ersten Veranlassungen zu Wartensteins Befestigung im Tiefeneckschen Hause galten.
»Das heißt mit blauem Auge davon gekommen!« sagte Klotilde, als sie wieder mit ihrem Gemahl allein war. »Von nun an, Tiefeneck, wird niemals in Deiner Gegenwart zu einem Romane gegriffen.«
»Oder,« erwiederte der Gatte; »wenn es doch geschähe, und das Buch herunterfiele, soll es auf der Stelle von mir aufgehoben werden.«
»Wenn Du nur den Abend nachher die schöne Gräfin nicht so sorgfältig unterhalten hättest.«
»Wohl wahr, meine Gute!«
»Doch wer wird nicht über dem lustigen Ende alles gern vergessen!« rief Klotilde.
In der Folge kam das Paar zuweilen mit Wartensteins zusammen, und man ging selten auseinander, ohne des vormals verunglückten Liebhabers schnellen Entschluß, seinen ewigen Harm gegen die Freude umzutauschen, zu erwähnen und zu belachen.
Uebrigens war aller äußere Anschein dafür, daß der Baron den vorigen Flattersinn über dem fröhlichen Geiste seiner Gemahlin gänzlich vergessen habe.
* * *