Ludwig Anzengruber
Der Pfarrer von Kirchfeld
Ludwig Anzengruber

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Dritter Akt.

Zimmer wie im ersten Akt (Verwandlung), nur Tisch und Stühle in der Mitte wegzulassen.

Erste Scene.

Annerl, nach dem Lied Brigitte.

Annerl (singt).
Lied.
A Derndl is verwichen
Hin zum Pfarrer g'schlichen:
Därf ich 's Büaberl lieb 'n?
Untersteh di net, bei meiner Seel',
Wie du 's Büaberl liebst, so kommst in d'Höll'.

Is drauf voll Verlanga
Zu der Muada ganga:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
O, mein lieber Schatz, es is no z' fruah,
Nach zehn Jahrl'n war's a Zeit no gnua.

War in großen Nöten,
Hat 'en Vatern beten:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
Nit dran denken, sagt er, bitt' mir's aus,
Jag' dich auf der Stell' in d'Welt hinaus.

Wußt' nix anzufangen,
Bin zum Herrgott 'gangen:
Därf ich 's Büaberl lieb'n?
Ei ja freili, sagt er, und hat g'lacht,
Weg'n 'en Büaberl hon ich 's Derndl g'macht!

Brigitte (scheltend). Mach fort, ich hab' noch anders für dich z' schaffen – Schand g'nug, daß man dich zu allem extra einspannen muß!

Annerl. Ich weiß mich nicht aus mit dir, Brigitt' – sonst warst allweil freundlich und seit heut fruh bist so z 'wider!

Brigitte. Ah, hat dir das 'leicht wer g'sagt oder merkst's von selber?

Annerl. Du weißt nit, wie weh du mir mit solchene Reden thust. Wärst allweil so grantig g'wes'n, so hätt' ich mir denkt, du bist wie andre alte Weibsleut oft tramhappert und weißt selb'n nit warum; aber so schmerzt mich's doppelt, weil ich seh', 's ist dein Will', daß d' mi kränkst.

Brigitte. Mach fort, sag' ich! (Losplatzend.) Dich hat a der leidige Teixel ins Haus g'führt!

Annerl. Wann d' deutsch mit mir redest, gäb' ich dir Red' und Antwort, aber spanisch versteh' ich net.

Brigitte. Na, ganz deutsch, mußt 's Kreuzel, das dir der hochwürdige Herr zug'steckt hat, gleich vor aller Welt trag'n? Kannst nit g'scheiter sein?

Annerl (stolz). Er hat mir's net zug'steckt, er hat mir's offen g'schenkt und hat mir's derlaubt, daß ich's vor ganz Kirchfeld trag'.

Brigitte. Dös hätt' er verlaubt?! (schlägt die Hände zusammen.) Annerl, Annerl, ich frag' dich, wohin sollt' das führen?

Annerl (aufrichtig). Ich weiß dir keine Antwort, Brigitt', ich hab' nit danach g'fragt!

Brigitte. Du bist 'n hochwürdigen Herrn sein Unglück! Laß mich ausreden! Allzwei seids schon in der Leut' Mäuler! Schon gestern abend muß a Tratschbruder a Brandl g'schürt hab'n, denn 'n Respekt hab'n s' auf einmal auf'n Nagel g'hängt – und g'rauft is worden im Wirtshaus, was nit g'wesen is, seit der hochwürdige Herr auf der Pfarr' is, und heut in der Predigt wirst selb'r g'merkt hab'n, wie alle auf dich g'schaut, sich zublinzelt und wie s' untereinand' plaudert hab'n, während's sonst, wenn der Pfarrer red't, in der Kirch' still war, daß man hätt' können a Mäuserl schliefen hör'n. Jetzt is 's G'red' fertig – der Respekt is fort und ohne den richt' der arme Herr nix – und von heut ab is's, als wär' er verstorb'n und es sitzet a neucher im Pfarrhaus, den die Bauern geg'n 'n vorigen über d'Achsel anschau'n. Und was is an all dem d'Schuld? – Das verflixte Kreuzel! (Erschreckt.) Gott verzeih' mir d'Sünd'!

Annerl (birgt, heftig schluchzend, den Kopf in der Schürze; hervorstoßend). Brigitt', ich bitt' dich um Gott's will'n, denk nix Ungleichs von mir! Ich kann nix dafür, Brigitt'! (Fällt ihr schluchzend an den Hals.) Ich weiß's nit, wie's so kämma is.

Brigitte (weint mit). O du mein Gott! O du mein Gott! (Macht sich von Anna los.) Is das a Jammer! (Im Abgehen.) Da hat doch der Teixel sein G'spiel! Es sollt' doch wirklich auf der Welt nur Männer oder nur Weiber geb'n, allzwei z'samm' thun nie a Gut! (Ab.)

Zweite Scene.

Annerl (allein, trocknet sich die Thräne, stampft dann mit dem Fuße trotzig). Grausliche Lug'nschippeln sein s' doch alle, die mir die üble Nachred' halten, kerzengrad, ohne z' blinzeln, trau' ich mich jed'n von ihner in d'Aug'n z' schau'n! – Der liebe Gott – zu dem keine Lug' reicht – weiß doch, daß sich keins versündigt hat, daß ich ausg'wichen bin, wo ich können hab', und daß ich ihm ihn net hab' abwendig machen woll'n. (Nachdenklich.) War's 'leicht doch g'fehlt, daß ich an seiner Gutheit und an dem Kreuzel ein Wohlg'fallen g'funden hab'? G'wiß is, ich hab' ihm nix Gut's g'stift, daß ich als eitle Gredl das Kreuzel zur Parad' mit in d'Kirch' g'nommen hab' – und an mir wär's jetzt, alles wieder gut z' machen, daß ihn kein unb'schaffener Verdacht treffen kann – – aber dazu bin ich mir net g'scheit g'nug; wenn ich gleich rennet, so weit der Himmel blau is, das G'red' bleibet doch in Kirchfeld – geh' ich, wurd's nit besser und bleib' ich, nur schlechter!! Und doch bin ich nit schuldiger, als wie damal'n, wo ich als klein's Madl mit'n Nachbarskind mich in' Wald verirrt hab' – anfangs hab'n wir kein' Arg' g'habt, die Bäum' war'n so stämmig und stolz und von alle Zweig' hat's g'sungen und pfiffen – 's Gras war so frisch und grün und die Bleameln drin so wunderliab – so sein wir weiter und weiter, bis wir auf einmal g'merkt hab'n, daß wir weit abseits vom g'wohnten Weg kämma sein, da war's freilich gleich aus mit aller Herrlichkeit und wir hab'n allzwei zum Flennen ang'fangt, wir hab'n furchtsam um uns g'schaut und die Bäum' sein völlig vor unsere Aug'n in d'Höh' g'schossen und aneinanderg'ruckt, als wollten s' den Himmel verdecken und uns nit durchlassen, und 's Gras is so an uns 'naufgestrichen, als wachset's uns im Handumkehr über'n Kopf – aber ich bin z'erst g'faßt g'wes'n, bin kuraschiert vorgegangen, und hab' richtig heim'troffen! Kein Mensch hat mir damals 'n g'weisten Weg zeigt, kein Mensch zeigt mir'n leicht heut, aber mit der Hilf' Gottes hab' ich mich damal'n z'rechtg'funden, mit der Hilf' Gottes – der nit woll'n kann, daß der rechtschaffene, brave Mann weg'n mir dummen Derndl leiden soll – werd' ich mich auch diesmal z'rechtfinden, und drum will ich kuraschiert vorangehn!

(Klopfen.)

Dritte Scene.

Vorige. Michel.

Michel (tritt ein). Guten Tag.

Annerl (erstaunt). Bist du's, Michel?

Michel (verlegen). Freilich, Freilich!

Annerl. Willst mit'n hochwürdigen Herrn reden? Er is noch nit z' Haus kämma.

Michel. Na, mit dir!

Annerl. So red!

Michel. Gleich – bis mir a gescheiter Anfang einfallt.

Annerl. Schau, das geschieht dir recht, daß d' nix vorbringen kannst, denn du bist a falscher Bua. Allzwei sein wir aus St. Jakob und dort hast mir 's ganze Jahr 's narrisch'ste Zeug vorplaudert, auf einmal bist weg, bist her nach Kirchfeld; wie aber ich nachher daher auf'n Pfarrhof kämma bin, da hast dich net blicken lassen und selb'r in der Kirchen hast mich nit ang'schaut.

Michel. Dös kommt – weißt, das is daher kämma, weil ich dich eh' kennt hab'!

Annerl. Na hörst, du red'st aber jetzt so viel g'scheit, bist 'leicht in Kirchfeld dalkert word'n?

Michel. Dös just net, aber a nit g'scheiter.

Annerl. Du warst doch damal der Pfiffigste; wann d' weißt, daß dir d'Kirchfelder Luft so schad't, was bist nachher hergangen?

Michel. Weg'n ein' Dirndl bin ich weg!

Annerl. Was d' sagst! Das hab' i nit gemerkt.

Michel. Eben drum.

Annerl. Und hast nix g'red't mit ihr?

Michel. Freilich, 's narrisch'ste Zeug hab' ich ihr vorplaudert

Annerl. Und sie hat dir nix ankennt?

Michel. Ka Spur!

Annerl. Dö muß doch a bissel vernagelt g'wesen sein.

Michel. Na, 'leicht war's doch nit um a Tipferl g'scheiter wie du!

Annerl. Du bist a grober Ding! Bist 'leicht deswegen kommen, um mir Grobheiten z' sagen? Da hätt'st a wegbleiben konna. Weißt sonst nix?

Michel. Ah ja, plauder nur fort, es wird schon kämma.

Annerl. Ich hab' kein' Zeit, lang drauf z' warten, gleichwohl ich wissen möcht', was dich auf einmal für a Wind herweht.

Michel. Gestern hab'n s' mich auf dich aufmerksam gemacht und drum bin ich heut da!

Annerl. So, erst aufmerksam hab'n s' dich machen müssen?

Michel. Na ja – weißt, ich – ich hab' dir seither, als ich mit der ein' von St. Jakob 's Malör g'habt hab', alle Dirndeln verschwor'n und bin ihnen aus'n Weg gangen, also dir natürlich vor all'n andern, dös heißt halt mit de andern.

Annerl. So, und wer hat dich nachher aufmerksam g'macht?

Michel. A ganze Menge.

Annerl. Auf einmal?

Michel. Ja und ordentlich!

Annerl. Ja – wie denn?

Michel. Na, g'haut hab'n s' mich.

Annerl. Warum?

Michel. Weil ihrer mehr war'n.

Annerl. Dös is doch kein Grund?

Michel. Dös is der ausgiebigste!

Annerl. So? Dann bist du also einer von denen, die gestern nacht g'rauft hab'n? Dös is schön! So lang habt's Ruh' g'halten und gestern hat's doch wieder sein müssen? Ihr macht's dem hochwürdigen Herrn a rechte Freud'!

Michel. Ah, der hätt' selb'r dreing'haut, wenn er dabei gewesen wär'!

Annerl. Freilich, der mengt sich in eure dummen Anhahnlereien!

Michel. Na, dösmal is's um was Ordentlichs hergangen!

Annerl. Das kann ich mir denken!

Michel. Na, dös kannst du dir nit denken, sonst wärst nit die, die d' bist, dann müßt' wirklich a anderschte word'n sein, und dann thäten mir d'Schläg' leid, die ich für dich eing'steckt hab'!

Annerl (erschreckt). Weg'n mir werdt's doch nit g'rauft hab'n?

Michel. Sixt, daß d' noch d'Alte bist und daß mich d'Schläg nit z' reuen brauchen!

Annerl. Ich bitt' dich um Gott's will'n, ös werdt's doch nit g'rauft hab'n weg'n dem schlechten G'red', was s' auf einmal über mich hab'n? Michel, 's ist kein wahr's Wörtel dran, das kannst mir glaub'n!

Michel. Dös hab' ich auch 'glaubt – das hab' ich auch g'sagt, aber dö Letfeigen hab'n ja nit auf mich g'hört – und da hab' ich in sie 'neing'schrien – da sein dö grob word'n – ich net höflich – dö hau'n her – ich hau' z'ruck – und so hab' ich mein Teil kriegt.

Annerl (kleinlaut). Und du – du warst der einzige, der dem G'red' nit glaubt hat?

Michel. Die andern hab'n dich ja doch nicht kennt, wie ich dich kenn'! Ich kenn' dich von klein auf und ich glaub' von dir nichts Schlecht's!

Annerl. Michel.

Michel. U mein.

Annerl. Du seufz'st? Was hast denn?

Michel. Ja weißt, das thu' ich so zu meiner Pläsur – ich pfnaus' mich schön stad aus dabei, b'sonders wann ich ein' weiten Weg 'gangen bin.

Annerl. Du wirst aber a weit umgangen sein, bis d' in Kirchfeld zum Pfarrhof 'troffen hast.

Michel. Ah beileib, ich war heut schon weit von Kirchfeld.

Annerl. So, wo denn 'leicht?

Michel. In St. Jakob!

Annerl. Geh, in unsern lieb'n Heimatdörfl?

Michel. Ja! Weil gestern schon 's G'red' war von ein' g'wissen Kreuzel, das dir der Pfarr' g'schenkt hätt' und das d' heut tragen wurdest, bin ich fruh aus 'n Ort und über die Berg'; in St. Jakob hab' ich richtig mein' Mutter in der Kirch' 'troffen. Du weißt, sie hat – wie s' euer Sacherl nach deiner Mutter ihr'n Tod verkauft hab'n – der ihr Betbüchel mit der silbern' Schließen erstanden, das hab' ich ihr mit vieler Müh' abbettelt (zieht ein Tuch hervor, aus dem er das Gebetbuch wickelt) denn ich hab' mir denkt, du könnt'st 'leicht a geistliche Stärkung brauchen, und wenn dir der Herr Pfarrer 's Kreuzel von seiner seligen Mutter schenkt, so kann ich dir nix G'scheiteres bringen, als a Betbüchel von dein' Mütterl – Gott hab's selig!

Annerl (preßt das Buch an die Brust). Michel, du bist a grundguter Bub!

Michel. Na, wann d' nur einsiehst!

Annerl. Wie kann ich dir danken, Michel? Mein' Seel', ich bin's nit wert, daß d' dir all die Müh' nimmst für mich.

Michel. O du heiliger Joseph, wann d' nur net so dalket daherredest! I weiß ja eh'nder, daß d' mir nix dafür geb'n wirst, und that doch alles für dich, wann du's a nit verdienst. I weiß nit, wie's kämma is, aber du bist mir 's Liebst' auf der Welt!

Annerl. Geh, du thust grad, als ob ich die G'wisse wär'!

Michel. Die mich aus St. Jakob vertrieb'n hat, weil s' durchaus nix hat merken woll'n – die mir, weil ich s' in Kirchfeld allweil im Gedanken g'habt hab', anfangs d'Arbeit g'waltig sauer g'macht hat – der ich ausg'wichen bin, gleichwohl s' herkämma is, wie 's brennte Kind dem Feuer – und der ich jetzt zulauf', wo ich denk', daß s' ein' rechten, aufrichtigen Beistand braucht? Ja, ja, Annerl, du bist's – meiner Treu', du warst, bist und bleibst mein Schatz und gleichwohl brauchst nit rot z' werden und nit auf d'Seit' z' schau'n, brauchst, was i dir g'sagt hab', a nit g'hört z' hab'n, ich bin dir drum doch nit harb; in Gott's Nam' will i mi a dreinschicken, wie ich nie was Schlecht's von dir derlebt hab', daß i a nix Lieb's derleb!

Annerl (faßt seine Hände). Du bist doch mein rechter, aufrichtiger Freund! Michel, das gedenk ich dir, solang' i leb'!

Michel. Das war' recht schön – wann d' aber heirat'st!

Annerl. Ich werd' nit heiraten!

Michel. Ich auch nit.

Annerl. Geh, du wirst schon eine finden, die dir taugt.

Michel. I mag aber net – ich schau' mich a gar net um, just nit.

Annerl. Du mußt nit so kapriziert sein.

Michel. Ich bin eh' nit kapriziert. Sag' ich net: du haltst's, wie d' willst? Und ich a – und mir steht kein' andere an.

Annerl. Laß g'scheit mit dir reden!

Michel (verdrießlich). A ja, ich bin grad zu de Dummheiten aufg'legt!

Annerl. Du bist a guter Bub, wurd'st a rechtschaffener Mann, a jede müßt' dir gut werd 'n und könnt' mit dir auskommen!

Michel. Wann d' all das so gut weißt, was nimmst mich denn nachher nit selber? – Annerl, meiner Treu', 's Maul hab' ich heut amol aufthan und werd's a nit eh'nder zumachen, bis ich dir alles g'sagt hab'! Ja, dir z'lieb' wurd' ich alles, was d' nur verlangst – aber krieg' ich dich net, auf Ehr', bei meiner armen Seel', ich schwör' dir, das kannst mir glauben, ich weiß nit, was aus mir wird! Und, Annerl, sei g'scheit, schau a auf dich, du weißt, wie aufrichtig ich's mit dir mein', ich weiß a, daß d' mir nit feind bist, wir werd'n miteinander recht gut auskamma, und schlagst heut ein, is das ganze G'red' wie wegblasen, du bist mein recht's Weib, schaffst und schalt'st in meiner Hütten, kein Finger deut' mehr nach'n hochwürdigen Herrn und alles, wie's in Ehren war, bleibt a in Ehr'n!

Annerl (ernst). Du meinst's recht.

Michel. G'wiß!

Annerl (feierlich, mit ganz wenig Humor, so daß der Effekt nur für den Zuschauer ein klein wenig drastisch wird). Und wann's dein wahr', dein heilig' Ernst und Fürnehma is, so will i a nit die Sünd' auf mich nehmen und ein' ehrlichen Buab'n ablaufen lassen, der leicht Schaden nahm in Zeit und Ewigkeit, wann er kein recht's Weib kriegt; ich will a den Leuten im Ort kein' Ursach' zu mehr G'red' und den Dirndln kein übel Beispiel geb'n, nit a hochnaserte, hoppertatscherte Gredl machen, die sich z' gut halt' für ihr's gleichen. Red mit'n hochwürdigen Herrn und begehr mich von ihm. (Gibt ihm die Hand.)

Michel (preßt sie an sich). Juhu! (schlagt sich erschreckt auf den Mund.) In einer Viertelstund' bin ich wieder da! Jetzt b'hüt dich Gott, herzlieber Schatz! Mir is so leicht und i hab' so viel Kuraschi in mir. B'hüt dich Gott! (Halblaut.) Jetzt setzt's was!

Annerl. Michel!

Michel (an der Thür). Was?

Annerl. Wohin gehst denn?

Michel. A bissel nachschau'n ins Wirtshaus und wann etwa a paar da sein von dö, die mich gestern 'nausg'worfen hab'n, da werd'n wir sehen, wer heut der Stärkere is!

Annerl. Ich bitt' dich –

Michel. 's nutzt nix, die Schandmäuler soll'n mich kennen lernen. G'rauft wird!

Annerl. Michel, sag' ich.

Michel (wendet sich). Ja!

Annerl. Rauf nit, thu mir's z'lieb und rauf nit.

Michel. Du bitt'st noch für sie? Grad drum soll's ihnen nit g'schenkt sein! Aber weil du's bist, weil du für sie bitt'st – du bettelst 'n Teufel 'leicht a arme Seel' ab. (Zieht sie an sich.)

Vierte Scene.

Vorige. Hell (tritt à tempo rasch ein, bleibt, wie er die Gruppe sieht, einen Moment stehen und kommt dann langsam nach dem Vordergrund, währenddem kleine Pause).

Annerl. Es war nix Unrecht's, hochwürdiger Herr, wir haben uns versprochen.

Michel. Ja, alle zwei miteinander und ich schon gar!

Annerl. Es war a nix Unüberlegt's!

Michel. Dös g'wiß net, ich weiß, wie ich ihr hab' zureden müssen.

Hell (schüttelt den Kopf). Du willst fort? Weißt du auch, daß ich das Vertrauen meiner Pfarrkinder eingebüßt habe, weißt du auch, daß sich alle von mir gewendet haben?

Annerl (nickt traurig).

Hell. Und doch! Nun denn, wenn dieser Tag zu Ende geht, so kann ich mein Haupt mit dem Gedanken tief, tief in meine Polster bergen, daß ich keine einzige Seele, daß ich kein einziges Herz mehr zu verlieren habe! Wenn ich doch wüßte, womit ich das um euch verdient habe! Zwar mag es klug sein, von dem zu gehen, den alle meiden; nur dich, Anne, hätte ich nicht für so klug gehalten; und sei es, ich will dir nicht weh' thun, du kennst mich ja nicht so lange, wie sie alle, die ich jahrelang geleitet, die ich zusammen geführt habe zur Eintracht in Leid und Freud', zum freien Ausblick in die weite Gotteswelt und drüber hinaus ins Land der Sehnsucht, sie waren eins unter sich, eins mit mir, sie sollten mich doch kennen! Vor ihnen bin ich offen gewandelt und sie konnten in all mein Thun und Lassen blicken – woher denn nun plötzlich der Zweifel an mir, an allem, was ich bisher gethan, doch nur für sie, und nicht nur der Zweifel an mir, auch der Zweifel an alle dem, was ihnen dies Kleid, das ich trage, vor Augen halten sollte!

Annerl. So mußt nit denken, du thät'st ihnen und mir unrecht; du mußt dir's nit zu Herzen nehmen, daß sie jetzt abwendig thun, wo sie glauben, daß sie sich geirrt haben in dir, das soll dich just stolz machen, denn nit dein Kleid ist's, hochwürdiger Herr, du, du selber bist's, an was sie sich gehalten hab'n, dir sind sie gekommen, dir haben s' vertraut, du bist ihnen alles und drum reden s' und thun s' nit fein, wann s' glauben, daß sich eins zwischen dir und ihnen eindrängen möcht', denn sie wollen, wie bisher, dein' ganze Sorg', dein' ganze Lieb' für sich – es sein rechte Neidteufeln, aber sei ihnen nit bös, sei auch mir nit bös, weil ich geh', weil ich nit möcht', daß sie von mir denken: ich möcht' mich eindrängen. Ich hab' dir zug'lobt, ich werd' dir treu dienen und ich mein' zu Gott, ich kann dir nit treuer dienen, als wann ich jetzt geh' und so geh', wie d' mich da siehst, für immer aus'm Pfarrhof, hinaus auf'n Lebensweg, Hand in Hand mit ein' braven Bub'n, dem ich nit feind sein kann, und nach'm alten Sprüchel: gleich und gleich taugt! Morgen werden wir zwei das ihnen schon sagen und alles sagen, was dir und uns taugt und wie's über Nacht kämma is, was dich kränkt, so soll's a wieder über Nacht 'gangen sein; nur mußt mir nit schwer machen, was sein muß, wann du – so a Mann – nit die Stärk' hätt'st, woher sollt' ich's nehmen? Ich bin nur a Weib, aber du bist ja mehr als ich, nur du, hochwürdiger Herr, laß dich's nit anfechten, nur du laß dir nix anhaben, daß was geschieht, nit umsonst geschieht. (Ausbrechend.) Denn sonst, mein' Seel', sonst lasset ich's gleichwohl sein, wann's für nix sein sollt', und haltet treu bei dir aus bis ans End'.

Michel (stupft sie erschreckt mit dem Ellbogen).

Hell. Suchst auch du deine Stärke in der Pflicht und mahnst mich an die meine, euch die eure tragen zu lehren und tragen zu helfen?! Du bist mir wenigstens echt geblieben, Anne. Geh denn mit Gott!

Annerl. Und noch ein schönes Gebitt' hätt' ich an dich. Nit wahr, du gibst uns selbst vorm Altar z'samm', du schickst uns kein' andern, du bist auch da dabei, wo du nit fehlen darfst?

Hell (fährt mit der Hand gegen die Stirne). Davon ein andermal – jetzt – jetzt nicht! (Winkt ihnen zu gehen.)

Annerl. Ich geh', aber so schick mich nicht von dir; zeig mir, daß du zufrieden bist mit mir und sag mir auch jetzt zum letzten die lieben Wort', die du mir zum ersten g'sagt hast, wie d' mich aufg'nommen hast bei dir, sag mir, daß ich auch da recht gedacht hab' und brav!

Hell (legt ihr erschüttert die Hand aufs Haupt). Recht und brav! (Sinkt in den Stuhl.)

( Annerl und Michel durch die Mitte ab.)

Fünfte Scene.

Hell. Brigitte.

Brigitte (atemlos aus der Mitte). Hochwürdiger Herr, Herr Pfarrer!

Hell. Brigitte, was hast du?

Brigitte. O du mein Gott! 's ganze Dorf is in der Höh' – das Unglück – dem Wurzelsepp sein alt' Mütterl hat sich ins Wasser gestürzt und ist erst weit ober der Mühl' tot herauszog'n word'n!

Hell. Hat man auch alles versucht, sie ins Leben zurückzurufen? Ich will doch selbst –

Brigitte. Der Physikus is schon am Ort, alles hab'n s' 'than, frottiert, aderlassen; aber 's hilft nix, das arme alte Leut bleibt tot. Der Wurzelsepp rennt wie narrisch im Ort herum.

Sechste Scene.

Vorige. (Die Thüre wird aufgerissen, in derselben erscheint bleich, verstört, mit wirrem Haar) Wurzelsepp.

Brigitte. O du mein, da is er!

Sepp (tritt ein und sagt zu Brigitte tonlos). Allein will ich mit'n Pfarrer reden.

Hell (zu Brigitte). Geh nur!

Brigitte. Aber, Hochwürden –

Hell. Geh, Brigitte, und laß uns allein.

(Brigitte ab.)

Siebte Scene.

Sepp und Hell. (Pause, während welcher Hell einen Stuhl faßt und ihn hinter Sepp rückt.)

Sepp (scheu). Ich dank', es that sich net schicken, ich kann schon noch stehn. Ich wollt' nur, ich könnt' mich leichter mit dir reden.

Hell (gütig). Erschwere ich es dir?

Sepp. Nein, du hast recht, ich bin selber d'Schuld. (Lauernd.) Aber du, du hast ja damals g'sagt, du tragst mir nix nach, wann i a – wann i a alles ausplauder'? Ich weiß, du halt'st dein Wort! Aber mir verschnürt's doch die Red', daß ich zu dir kommen muß.

Hell. Fasse dich und rede; wenn du weißt, daß ich mein Wort halte, was ängstigt dich?

Sepp. Ich weiß, wie's auf der Welt zugeht, Dienst um Dienst, und ich möcht' gern wieder mit dir auf gleich werden. (Trocknet sich den Schweiß von der Stirne.) Du brauchst dich nit um die dummen Bauern zu ärgern, ich kann ja sagen, daß alles derlogen war und ein' Jux draus machen.

Hell (ernst). Das lasse, da hast du nichts mehr gut zu machen, das ist vorbei, alles vorbei! Von mir weiter keine Rede, komme auf deine Angelegenheit!

Sepp (ängstlich). Ich komm' lieber morgen, heut könnt'st nit aufg'legt sein, mich anzuhör'n, morgen, wenn's ruhiger im Ort worden ist, komm' ich wieder, da hör mich an und sei g'scheit, Pfarrer, denk auf dein' Vorteil, ich – ich hab' schon ein derspart's Sacherl daheim, wann's a nit viel is, denk halt christlich, ich komm' morgen! (Wendet sich.)

Hell. Halt! Zu zweien Malen, Sepp, bist du in mein Haus gedrungen; das erste Mal geschah es in keiner freundlichen Absicht, das zweite Mal, ich weiß es – bei dieser leidvollen Stunde – geschieht es in keiner schlimmen. Beide Male tratest du mir nicht offen entgegen, beide Male kamst du lauernd an mich herangeschlichen; hinter lauernde Demut verbargst du deinen Haß, um mir zuzurufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie – und doch, siehe, ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dich! Als ich dies Kleid anzog, hab' ich dem traurigen Anrechte des Hasses, wieder zu hassen, entsagt, dem ewig menschlichen an dem Leid habe ich – konnte ich nicht entsagen; das Leid ist so allgemein wie das Sonnenlicht und wir alle haben oder nehmen teil daran; warum nun verbirgst du hinter lauernde Angst auch dein Leid? Kann dich nicht einmal der Schmerz als Mensch zu Menschen sprechen lehren? Und wenn dir das Mißtrauen mit tausend Fasern im Herzen wurzelte, es soll, es muß heraus! Jetzt habe ich dich da, wo ich dich haben wollte, aber ich freue mich nicht darüber, denn mich bewegt's im Tiefsten der Seele, daß ich dich jetzt markten und feilschen sehen muß. Rede mit halben Worten, stammle unter Thränen und ich will dich verstehen, nur rede mir menschlich! Du willst mir erst Dienst gegen Dienst, dann Geld bieten?! Willst du, daß ich eure Hütte aus den Händen der Gläubiger löse, hast du ein Stück Vieh zu verkaufen? Was willst du denn, daß du mir so sprichst zur nämlichen Stunde, da in deiner Hütte der Leib zum letztenmal auf das Lager gebettet wird, der dich getragen, da das Herz stille steht, unter dem du gelegen, da die Augen gebrochen sind, die manche kummervolle Nacht über dich gewacht haben, da die Lippen geschlossen sind, die oft für dich gebetet!

Sepp (sinkt laut schluchzend in den Stuhl).

Hell (rückt einen Stuhl nahe an den Sepps und legt dann die Hand beruhigend auf dessen Knie). Sepp!

Sepp (erhebt sich aus seiner gebeugten Stellung und blickt den Pfarrer an).

Hell. Rede getrost, ich weiß es nun, du wirst mich um nichts bitten, was ich dir versagen kann und darf.

Sepp (trocknet sich die Augen und sieht den Pfarrer groß an). Du kannst's! Mir und ein' jeden!

Hell. Was wäre das?

Sepp. Du weißt, mein' Mutter hat ihr'n Leb'n selbst ein End' g'macht, es laßt sich nicht laugnen; ich sag' dir aber, wenn sie auch letzte Zeit nimmer in d'Kirch' kämma is, sie war doch a fromm's Weib, sie hat ihr Lebtag viel g'halten auf a ehrlich's christlich's Begräbnis, sie hat selbst von ihr'n armseligen Spinnverdienst was auf d'Seit' g'legt aufs letzte, was sie sich g'wünscht hat, (ausbrechend) und wenn ich jetzt denk', daß das alles für nix war, daß 's letzte, was sie begehrt, nit sein soll, daß man sie – als Selbstmörderin – außer'n Friedhof, wie ein' Hund, verscharren wird!

Hell (fährt empor, Sepps Schultern mit beiden Händen anfassend). Sepp, Sepp, was willst du denn aus mir machen?! Nicht dir, noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seine Toten! O, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, daß du nicht wußtest, bevor du deine Bitte vorgebracht, daß ich nicht nein sagen werde, nicht kann, ja nicht darf, wenn jene Stimme in mir recht hat, die laut aufschreit über diese letzte Barbarei, an dem Wehrlosesten, nicht an dem Toten, an den unser Gericht nicht mehr reicht, nein, an den trauernden Hinterbliebenen, in deren vor Weh erzitterndes Herz wir den glühenden Stachel der Unduldsamkeit drücken! Laß das – davon nichts mehr, Sepp! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.

Sepp (sieht ihn groß an). Verzeih mir, Pfarrer, so hab' ich dich nit 'glaubt, du redst viel anders als der frühere; aber die Leut' im Ort denken vielleicht doch noch so wie der! (Bitter.) Und ich, grad ich, hab's sein müssen, der dir's abg'red't hat!

Hell. Beruhige dich, ich werde ja selbst die Leiche zu Grabe geleiten, ich werde für die Tote sprechen, ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie Amen sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.

Sepp (faßt Hells Hände zitternd in seine beiden). So thust du an mir?! – Das vergiß ich dir all mein Lebtag net! Ich dank' dir zu tausend- und tausendmal! (Wendet sich.)

Hell. Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.

Sepp. Du an mich?

Hell. Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, so wirst du nicht außen bleiben können; du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen; solltest du etwa Stimmen um dich flüstern hören: daß du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, laß dir deinen Schmerz nicht durch ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht mir, dein Kommen bereitet mir keine Freude; du kommst ja auch nicht zurück, denn dir steht es frei, zu gehen und wieder fern zu bleiben, wie früher, als ob du nie gekommen wärest.

Sepp (ergriffen). Du redst ein' in die Seel' hinein, als ob d' wüßt', was einer sich z' tiefst drein denkt. O du mein Gott, wann du früher kämma wärst, ich wär' nit a so, wie ich jetzt bin.

Hell. Und mußt du denn so bleiben, wie du bist? Sepp, ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen, und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast! Geh darum nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. Ich weiß, dir ist in der Zeit des Leidens der Funke der Hoffnung aufgegangen, wie ein Licht, das die Nacht nicht überdauern kann, und der aufsteigende Qualm verschleierte dir den Glauben. Der göttliche Funke kam von oben und wenn er nimmer in dir glimmt, hab' ich ihn anzufachen keine Macht; du glaubst zurückweisen zu können, was Tausenden zu glauben und zu hoffen Trost bringt, und siehe, ich dringe nicht in dich und rufe: glaube und hoffe! Aber eins, Sepp, kannst du nicht zurückweisen, du bedarfst's – du bedarfst es, du hast es bei mir gesucht mit Bangen und Zagen, du rufst es nun bei allem an, dir bringt es Trost, daß ich keinen Vorwurf, kein hartes Wort für dich habe, dir thut es wohl in deinem Leid, daß das ganze Dorf noch wach und betend auf ist – nenn es, wie du willst, nenn es Teilnahme, Mitleid, Erbarmen, es ist eins: es ist die Liebe – es ist die Menschenliebe. O laß dich halten an diesem einzigen Faden, den ich habe, dich zu binden, laß dich herausführen aus deinen Wildnissen, in denen du selbst verwilderst, heraus wieder zu uns, aus der Vereinsamung in die Gemeine – sei wieder unser! Was verlange ich denn von dir, das ich dir nicht wieder zu geben bereit bin? Sei wieder für alle, damit alle wieder für dich seien! (Die Arme nach ihm ausstreckend.) Willst du, Sepp?

Sepp (mit voller Leidenschaft seine Kniee umfassend). Mach du mit mir, was du willst; – du – du bist doch der Rechte!

(Gruppe.)


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