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(Jagdfanfaren, bevor der Vorhang aufgeht, schließen die Ouverture.)
Dekoration: Gebirgslandschaft; Coulisse: vom Hintergrunde ansteigende Felsen, in die Seite verlaufend und praktikabel, links ein kleines Haus, durch Aushängzeichen als Wirtshaus kenntlich gemacht, ein Tisch vorne rechts nahe an der Coulisse.
(Die Jagdfanfare setzt, während der Vorhang aufgeht, noch einmal und während die Scene frei ist und Graf Finsterberg und Lux im Hintergrunde auf den Felsen erscheinen, das zweite und letzte Mal verhallend ein.)
Lux (rauher alter Weidmann, militärische Haltung, in die Scene links weisend). Excellenzherr, dort drüben ist ein kapitaler Stand, da wechselt das Wild gerne.
Finsterberg (graues Haar, in der Mitte gescheitelt, glattes Gesicht, hohe Binde, steif, trocken, aber aristokratische Manieren, Jagdkleid, gleichfalls in die Scene links deutend). Das dort vor uns ist wohl Kirchfeld?
Lux. Zu dienen, Excellenzherr.
Finsterberg (vorkommend). In dem Pfarrsprengel wirtschaftet ja der Hell?
Lux (folgt in respektvoller Entfernung). Hm, halten zu Gnaden, aber (betonend) unser hochwürdiger Herr heißt Hell.
Finsterberg (hustet). Ja, ja, ganz gut. Ist er Ihm auch ins Herz gewachsen, Lux?
Lux. Mir? Halten zu Gnaden, ich bin Weidmann – Forstmann – ich geb' eigentlich auf keinen was, der da in einem gemauerten Häuschen was reden will von dem, der die weite Welt erschaffen hat.
Finsterberg (rasch sich gegen Lux wendend). Lux, was soll das gottlose Reden?
Lux. Ist nicht gottlos, halten zu Gnaden, mag wohl bloß so aussehen; in so einem Gemäuer wird mir angst und bang, wenn da einer Gott und Welt 'neinsperren will und hat kaum eine Gemeinde drin Platz, da 'raus sollten sie kommen in grünen Wald, ho, da würden sie anders reden und der hochwürdige Herr Hell, das wär' so ein Waldprediger nach meinem Herzen – halten zu Gnaden!
Finsterberg (lächelnd). Na ja, ja, Er Waldbär! – Ihm hält man manches zu gute, nur trag' Er das nicht unter die Leute mit den Welt- und Waldpredigern und bedenk' Er, daß der Satan, wenn ihm's um Seine Seele zu thun ist, auch einen grünen Rock anzieht, und drum hol' Er sich immerhin alle Sonntag sein Stück Christentum in dem gemauerten Haus da drüben.
Lux. Thu's ohnedem, Excellenzherr, verdrießt mich auch nicht, von wegen dem hochwürdigen Herrn Pfarrer dort, dem Hell, der sagt: »Sei du brav und geh ehrlich deiner Wege, so sind's Gotteswege.«
Finsterberg (hustet erregt). Lux, thu' Er mir das neumodische Reden ab! Merk' Er's, das leid' ich nicht! Weg und Weg das ist ein Unterschied, auf Gottes Wege glaubt jeder hinzutraben und 's gibt doch Wege, wo er vor Hindernissen nicht hingelangen kann zu ihm und mag er sonst noch so wacker ausschreiten. – Bleib' Er hübsch auf dem, den man Ihm von Kind auf gewiesen hat, und dank' Er Gott dafür, daß Ihm dies Glück geworden ist.
Lux. Thu's ohnedem – halten zu Gnaden – nur mein' ich . . .
Finsterberg (strenge). Lux, solche Leute wie Er haben nichts zu meinen; sobald sie das anfangen, hat alles Auskommen mit ihnen ein Ende. Ihr habt nichts zu meinen! Wir meinen auch nichts, wir nehmen die göttliche Weltordnung, wie sie da ist, mit allen ihren Vorteilen einerseits und all der schweren Verantwortung anderseits.
Lux (hingeworfen). Ungeschaut!
Finsterberg. Und zu der letzteren gehört auch, daß wir die Leute, die wie Er sind, führen zu ihrem eigenen Besten, – das »Obenhinauswollen« führt zu nichts und vorgesorgt muß werden, daß ihr im alten guten Geleise bleibt, denn sieht Er, Lux, die göttliche Weltordnung bestand schon lange, länger als wir es denken können, und wird bestehen, solange es Menschen gibt. Wer sich dagegen auflehnt, dem wird's bald in seiner eignen Haut nicht wohl – warum? Er sieht, das Gebäude steht fest und ändern kann er's nicht, wie er auch dran rüttelt, und wer die andern dazu verführt. den muß man wegrücken aus deren Gemeinschaft.
Lux. Glaub's ohnedem.
Finsterberg (nickt vor sich hin). Dabei bleib' Er, Lux, und wir bleiben die Alten. (Zieht seine silberne Dose, greift bedächtig nach einer Prise.) Die göttliche Weltordnung, Lux (klopft ihm gnädig auf die Achsel), die ist wie sein Wald, ganz so, da ist nichts gewaltsam gemacht, da ist alles geworden und da kann auch nichts gewaltsam davon abgethan werden. Da stehen die gewaltigen vielhundertjährigen Stämme, die durch die Sonne Gottes großgezogen worden sind, da stehen sie weit gebreitet auf dem Boden, der ihnen gehört, da sie in ihm wurzeln, und dehnen sich durch den ganzen Raum, der ihnen zur Entfaltung verliehen ward, und das ist ihr Recht, denn den brauchen sie, auf dem stehen sie – weiß Er nun, Lux, warum das Unterholz ihnen nicht über den Kopf wachsen kann?
Lux. I natürlich, weil sie ihm den Raum dazu vorwegnehmen. Wenn der Regen vom Himmel fällt, so nehmen die Kronen das meiste weg und das Unterholz mag sich getrösten; wenn's nicht regnet, so tröpfelt's doch; und in der Erde rücken sie mit starken Wurzelästen die schwachen Faserchen beiseit'.
Finsterberg (jetzt erst mit Befriedigung schnupfend). Sieht Er, Lux, so ist's, das ist die Weltordnung, das ist der Ständeunterschied; wie die großen Waldbäume das Unterholz vor dem Sturm, so schützen wir die Leute, wie Er ist, vor den bösen Gewitterstürmen der Neuzeit! (Plötzlich launig.) Sag' Er mal, Lux, wenn so ein Unterholz über die andern hinausschießt, daß Er befürchten muß, es fährt Seinen alten Kernstämmen mit den Aesten in die Quere, was thut Er da?
Lux. Versetzen, Excellenzherr, natürlich, versetzen den Waldverderber.
Finsterberg (nickt lächelnd). Ja, ja, daß ihm der »Hochhinaus« die anderen Unterhölzer nicht verdirbt, durch die böse Lockung, versetzen, versetzen! Und wenn er das nicht verträgt?
Lux. Zehrt er ab, verdirbt. Ist aber kein Schade.
Finsterberg (nickt für sich). Ja, ja, kein Schade, versetzen!
Lux (nachdenklich). Halten zu Gnaden, Excellenzherr, das ganze Gleichnis, so gleichsam, vom Wald und Unterholz leuchtet mir schon ein, aber das vom Versetzen?!
Finsterberg. Wart' Er's nur noch ein Weilchen ab, Lux, dann wird's Ihm schon klar werden. Forstwirtschaft, Alter, die Er eben vorher nicht versteht.
Lux. Will schon aufpassen, Excellenzherr!
Finsterberg. Wer kommt denn da den Weg von Kirchfeld her?
Lux. Mein Seel', das ist der hochwürdige Herr!
Finsterberg. Der Hell?
Lux. Er selber, Excellenzherr! Wie der Wolf in der Fabel, nur mit dem gewaltigen Unterschied, daß er kein so gefährlicher Gesell ist.
Finsterberg. Hm, sag' Er das nicht so voreilig. (Kleine Pause.) Lux (winkt ihm zu gehen), laß Er mich allein!
Lux. Excellenzherr!
Finsterberg (unwillig). Marschier' Er!
(Lux ab.)
Finsterberg (allein). Er lauft mir in den Schuß, wir wollen ihn aufs Korn nehmen; wenn er klug ist, so gewinnt er uns beizeiten noch die Witterung ab – wär' mir lieb, gäbe mir ein rechtes Ansehn das. St. Peter, mein heiliger Patron, nannte sich einen Menschenfischer, will heute auch einmal die Flinte aus der Hand legen und Menschenjäger werden. Weidmannsheil (nickt für sich nachdenklich, indem er zur Dose greift), ja, ja, werd' mir zu teil. (Wendet sich gegen den Kommenden.)
Voriger, Hell (von links).
Finsterberg (grüßend). Gelobt sei Jesus Christus!
Hell (dankt). In Ewigkeit. (Will vorüber).
Finsterberg (vertritt ihm den Weg). Ich habe vielleicht noch die Ehre, gekannt zu sein?!
Hell (ihn erkennend und sich verbeugend). Excellenz, Herr Graf von Finsterberg?! O, gewiß kenne ich den Mann, dem mich einst mein Gönner, der Propst von Elfkirchen, so warm empfahl und dessen großmütiger Fürsprache und Verwendung ich einzig meine Stellung verdanke. Ich darf wohl hoffen, dieser Verwendung bis nun keine Unehre gemacht zu haben?
Finsterberg. Hm, hm, Unehre?! Unehre, nein, jedoch verzeihen Sie, daß ich Ihnen kein Gegenkompliment machen kann, das verbietet, offen gesagt, die Aufrichtigkeit. Ihre Seelsorge wäre vielleicht gedeihlich in friedlichen Zeiten, wir leben aber in kritischen Tagen und ein Mann der streitenden Kirche sind Sie nicht.
Hell (unruhig). Excellenz, wenn Tadel in diesen Worten liegen soll, so sei es aufrichtig gestanden, daß ich denselben nicht zu fassen weiß. Sie setzen mir da einen Zweifel in die Seele, der keinen Namen hat, denn bisher glaubte ich nur meine Pflicht gethan zu haben.
Finsterberg (wiegt den Kopf). Ja, ja, der Beruf ist der verantwortlichste und der Hauptfehler junger Leute liegt darin, sie wollen andere leiten und sich nicht leiten lassen; und da braucht's eine feste Hand, die unbarmherzig die wunden Stellen ihrer eitlen Selbständigkeit berührt, die ihnen zeigt, wie sie daran gehen, sich unmöglich zu machen und ihre schöne Stellung samt aller Aussicht für die Zukunft um Flitter und Tand in die Schanze zu schlagen. (Fast väterlich.) Ich habe Ihnen einst die Hand zu Ihrem Emporkommen geboten, als ich Sie nicht gekannt, jetzt kenne ich Sie, weiß, was Ihnen not thut, werden Sie nun den Rat, den ich Ihnen zu Ihrem Fortkommen biete, zurückweisen?
Hell. O gewiß nicht! Ich bitte Sie vielmehr inständigst darum, Herr Graf.
Finsterberg. Ja, ja, mein guter Hell, da Sie darum bitten, so sollen Sie meinen Rat haben, so warm als er aus meinem ehrlichen alten Herzen kommt. (Lächelnd.) Brühwarm sollen Sie ihn haben! Hähähä . . . So treten Sie doch näher.
(Hell tritt langsam näher.)
Finsterberg. Sehen Sie, ich habe früher gesagt, Sie seien kein Mann der streitenden Kirche, jetzt sag' ich Ihnen noch obendrein, Sie sind auch kein Mann der herrschenden Kirche! – Na, nur nicht verzagt, mein Sohn, ich habe Sie niedergestreckt, ordentlich niedergestreckt, aber mit diesen Händen will ich Sie wieder aufrichten . . . hähähä! . . . lacht nicht; (sehr jovial) lacht nicht, der Tausendelementer – hähähä! Warum nicht?
Hell. Nun, ich dächte, die Sache wäre eben zu ernst, wenn Sie über meine Zweifel mich dadurch hinausführen wollen, daß ich Sie entweder dumm oder dreist verlache, dann bin ich der Mann nicht, den Sie je aufrichten, ich bin weder zur Gleichgültigkeit, noch zur Heuchelei angethan.
Finsterberg (verbirgt seine Verlegenheit hinter ein groteskes Gesicht, pfeift vor sich). Hüh, ist das ein ernster Ritter und noch so jung. Nun gut! (Legt plötzlich das Gesicht in ernste Falten.) Also, bester Herr Pfarrer, halten Sie die zwei Begriffe fest: herrschende und streitende Kirche, das führt Sie zu dem Begriffe strenger Subordination, führt Sie zu dem Begriffe eines Oberhauptes, das diese Kirche beherrscht, das sie in stürmischen Zeiten befehligt.
Hell. Ich muß gestehen, ich habe den ersten Ausdruck stets nur im Sinne der Demut und den andern im Sinne geistigen Kampfes genommen; die Macht der Kirche ist doch der Glaube und der wohnt im Menschenherzen, hier herrscht die Kirche als Friedensfürstin und hier auch ist ihr Kampfgefild gegen die finstern Leidenschaften und Laster.
Finsterberg. Lieber Hell, nur nicht mit Phrasen und Bildern spielen, das mag bei Ihren Bauern taugen, doch unter uns bleiben wir hübsch auf dem Boden der Wirklichkeit; die Welt ist wirklich und Gott ist wirklich. Nehmen Sie auch ja nicht bildlich, was ich spreche.
Hell. Ich habe nie noch etwas bildlich genommen, das sich nicht wirklich verwerten läßt; bei unsern heiligen Büchern, die selbst die Bildersprache führen, hab' ich mich nie bedacht, das Bild im größeren Sinne zu nehmen; denn die Deutungen, sie müssen mit den Zeiten wachsen, sonst geht's dem Occident wie dem weiten Orient, der regungslos nun vor uns liegt wie ein über seinen Bildern eingeschlafnes Kind.
Finsterberg (für sich). Spricht famos. Das gäbe einen Frauenprediger! (Laut.) Vortrefflich! Nur begreif' ich nicht, wenn Sie so denken, warum Sie nicht einen Schritt weiter gehen, dann stünden Sie ja mitten auf unserem Boden, auf dem Boden der Wirklichkeit! Wer, wie Sie es im Bilde thaten, Herz und Mensch trennt, erhält eben zwei Begriffe; wir lassen sie beisammen und haben es daher mit wirklichen Menschen zu thun, die fügen sich, oder fügen sich nicht, die werden daher beherrscht oder bekämpft.
Hell (im Eifer ausbrechend). Also hinweg mit allen Bildern – ich meine nicht den Bilderdienst, der auch dem Volke Greifbares bietet – hinweg damit, es spricht sich wirklich ohne sie viel leichter! Wenn's Menschen sind, die einerseits beherrscht werden oder bekämpft, so hat man anderseits nur wieder zwei Begriffe nicht zu trennen: die Kirche und die Priester – die sind eins und man hat es daher mit wirklichen Menschen zu thun, die herrschen oder bekämpfen.
Finsterberg (erstaunt, mit freundlichem Kopfnicken). Ihr seid gelehriger, als ich sonst einen in Eurer Lage gefunden habe. – Ei, freilich, das ist die richtige Fährte. Menschen, wahrhafte Menschen sind auf beiden Seiten: die herrschenden und die beherrschten, die kämpfenden und die bekämpften.
Hell. Also Menschen auf beiden Seiten? Und jetzt erlaubt, wie halten wir denn von all diesen vielen einzelnen Personen den Irrtum ab? Bei seinem Herzen anfragen, das darf nun keiner, das ist nur ein Begriff – wo frägt er sonst nun an, und wenn ja einer ohne Irrtum wäre . . .
Finsterberg (lächelt, gewichtig). Den frägt man, eben den!
Hell. Ist der so bei der Hand? – Ich fürchte, dann fangen wir erst an die Begriffe ganz zu trennen! Wenn dort ein Herz nach Trost schmachtet, wenn hier ein Herz in wilder Leidenschaft mit sich ringt, und ich darf nicht Trost noch Frieden spenden, frei aus eigner Hand, muß erst Nachfrage halten: darf ich's auch, so wie ich's meine? Ei, dann, Herr Graf, dann könnt' es leicht geschehen, daß ohne Trost das Herz bricht, daß ohne Hilfe das Herz verdirbt – und, Herr Graf, ganz wirklich ist dann mit dem Begriff der ganze Mensch gestorben und verdorben!
Finsterberg (trocknet sich den Schweiß). Mit Euch, lieber Pfarrer, spricht sich's doch verteufelt schwer. Ihr kommt doch immer wieder auf die Bilder zurück und Ihr malt grell. Ob Ihr trösten, ob Ihr helfen, beispringen dürft, das zu entscheiden ist in der Wirklichkeit nicht gar so schwer; Ihr müßt nur fragen, ob es auch der Sache, der heiligen Sache dient, ob Ihr so thut oder so.
Hell. Gut, aber man muß doch bei Personen fragen, ob's der Sache dient.
Finsterberg (fährt wieder mit dem Tuche über die Stirne). Wir werden uns leichter verstehen, wenn wir uns ganz auf den Boden der Wirklichkeit begeben. Es geht nicht anders. Wenn ich mir erlauben dürfte, Sie auf Fehler aufmerksam zu machen, die Sie bisher in Ihrer Amtsthätigkeit gemacht, das dürfte Ihnen vielleicht besser frommen, als mein theoretischer Kurs.
Hell. Ei, ganz gewiß.
Finsterberg.
Da ergibt sich ganz von selbst ein kleines Normale, denn durch Schaden wird man klug.
Hell. Jawohl, jawohl; doch dünkt mich das noch immer besser, als man wird – durch Nutzen dumm! Ich bitte, meine Fehler!
Finsterberg. Ja, ja, lassen Sie mich nur besinnen.
Hell. Sind ihrer so viele?
Finsterberg. Das nicht, das nicht, hähähä! (Für sich.) Mir scheint, der schraubt mich. (Trocken belehrend.) Ich will bei Ihrem größten Fehler, weil unverzeihlichsten, beginnen, wenn auch die andern gerade nicht die kleinsten sind. Jetzt, wo rings im Lande die fromme Stimmung im schönsten Flusse ist, wo das Volk zu den Versammlungen wallfahret, warum halten Sie Ihre Gemeinde davon ab?
Hell. Das thu' ich, ja, und heut und morgen thu' ich's und immer wieder. Das ist eine selbstmörderische Bewegung gegen das sich verjüngende Vaterland.
Finsterberg. Was Vaterland – mit solchen Gesetzen? Herr, dort ist unser Vaterland, jenseits (weist gegen die Berge, verbessert aber rasch die Richtung des Armes gegen den Himmel), das heißt dort, dort ist unser Vaterland, jenseits! Was wollen Sie? Die Gesetze der Kirche und die Gesetze des Staates dürfen nicht miteinander in Kollision geraten!
Hell. Sonst heben sie sich gegenseitig auf, das war auch meine Furcht, darum handelte ich so und anders nicht!
Finsterberg. Schreckt Sie der Kampf? Pah, die Kirche hat dabei nichts zu fürchten, die Kirche ist ewig!
Hell. Der Mensch jedoch ist's nicht, sollen alle Segnungen und Tröstungen der Kirche für diese und vielleicht für mehrere Generationen sistiert werden – und warum? Um Sturm zu laufen gegen das Vaterland? Herr, das kann niemand fordern!
Finsterberg. Man kann's, man wird's! Glaubt Ihr, umsonst ist jetzt die ganze Christenheit zu Rom versammelt? Von dort wird Euch der Tagbefehl und, Hell, ich rat's Euch gut, dem gehorcht.
Hell (schmerzlich). Also doch?! Wie oft schon lag wie hier das Morgengrau, eine nahende, neue Zeit, über der schweigenden Erde, da traten sie zur Kirche heran, die vorwärtsdrängenden Gestalten, da bot Calvin, da bot der Wittenberger Mönch die Hand, jedoch die Hand ward nicht erfaßt, der Schritt ward vorwärts nicht gethan; in dem Entsetzen, das die Lenker faßte, geschah er stets zurück! (Zum Himmel.) Und doch, die Sonne neuer Zeit, sie fand noch immer deine Kirche, o laß sie jetzt doch nimmermehr sündigen auf ihre Ewigkeit!
Finsterberg. Das ist Gefasel, junger Mann; wer sündigt je durch festes Vertrauen auf eine heilige Verheißung! Aufrecht muß sie erhalten werden, die alte Ordnung mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, das fordert diese Zeit; gestützt, gestachelt müssen die Schwachen, genährt die Feuergeister werden, das hat man als notwendig erkannt. Wißt Ihr vielleicht es besser, was der Herde frommt, als die, die deren Hirtenstäbe führen?
Hell. Und sind sie denn darüber so einig, alle, alle wie ein Mann?! Und warum, warum frag' ich Euch, könnt' ich es nicht am Ende besser wissen, als wie ein anderer, der meinen Sprengel nie mit Augen sah? Warum gerade sollen wir nicht wissen, was da not thut, wir, die wir dem gläubigen Volke unvermittelt, unvertreten bei Tag und Nacht, in Frost und Glut zur Seite stehn? Wir trösten sie auf ihren Sterbelagern, wir stehen an den Wiegen ihrer Kinder, wir segnen sie am Traualtare, wir nehmen unters Beichtsiegel, was sie reuzerknirscht in unsere Ohren flüstern – und wir, wir sollten es nicht wissen, was in des Volkes Herzen pocht und hämmert?! Wenn's sonst in der Welt gestürmt hat und getobt, wenn's rings von Zwiespalt und von rauhen Kämpfen widerhallte, da konnten die Bedrängten noch zur Kirche flüchten, da standen die zwei gewaltigsten Gedanken Wacht, die je ein sterblich Gehirn erfaßte, die Ewigkeit, der Gottgedanke, in ihrer Größe schmolz die Zeit und alle Not und Sorge, wie Schnee auf den Gebirgen vor der Maiensonne, und Frühling ward's in den kummervollen Herzen! – Nun lasset die Beladnen kommen. – Nun setzt sich in der Kirche fort der Kampf des Tages, das heilige Buch ist von der Kanzel ganz verschwunden und wie wenn er sie als Verlobte verkündigen wollte, wirft der Prediger den Glauben und die Politik von der Kanzel unters Volk. Wollt Ihr der Sorge und der Not ihr heiliges Asyl, die Kirche, rauben? O, seht doch zu, was Ihr beginnt! Ich hab's zum öftern gesagt nach der Schrift: »Der Obrigkeit sollt ihr gehorchen.« Soll ich nun sagen: Der Obrigkeit sollt ihr nicht gehorchen? Ich hab' gesagt, für eure Feinde sollt ihr beten – sag' ich nun das Gegenteil? Soll ich statt Trost den Zweifel bieten, statt Friede Zwiespalt säen? Und was nun, wenn sie kommen fragen: Sind meine Eltern selig, die dort auf dem kleinen Friedhof ruhn? Was sag' ich, sag' ich ja oder nein? Sag' ich ja, so werden sie erwidern: Die haben all das nicht geglaubt, was du uns nun sagst und sind doch selig, so brauchen wir es auch nicht zu glauben! Sag' ich nein, so treff' ich sie ins Herz und sie werden fragen, warum man denn nach Christi Geburt schon 1800 schreibt, da der Erlöser heut doch erst gekommen und niemand früher selig werden konnte?! Und die, die gar nicht fragen kommen, die haben wir wohl nötiger, wie sie uns, ganz wirklich, Herr, nicht bildlich gesprochen.
Finsterberg (verbissen). Wie Ihr bei solcher Ansicht noch in unserer Gemeinschaft bleiben mögt, begreif' ich nicht.
Hell. Das ist's, so war's noch immer! Wenn einem sein Gewissen höher galt, als Euer Meinen und heiliger sein Beruf, als Euer Vorteil, da saht Ihr zu, wie er mit Geschick wohl zu verlieren war, dann hieß es: Er war ein Apostat! Mit Denkenden unter Euch könnt Ihr nur in zwei Arten rechnen, als Gleichgültige oder Abtrünnige löst Ihr sie aus; ich bin weder zu dem einen noch zu dem andern zu gebrauchen, ich bleibe, wie ich bin!
Finsterberg. Dann hütet Euch vor der Exkommunikation.
Hell (auffahrend). Ausstoßen aus der Gemeinschaft, der ich nach bestem Wissen und Gewissen diene?! Man schleudert heutzutag den Bannstrahl nicht so leicht, man weiß es, der Verlorene lacht des Pfeiles, der matt ihm von der Brust abprallt, und nur die treuen Herzen trifft er schmerzvoll, unverdient; das beste Werkzeug würfe man zerbrochen so beiseite, um mit stumpfen zu arbeiten! Ausschließen mich? Ihr macht mich lachen! Aus welcher Gemeinschaft denn, aus Eurer? Der gehöre ich doch nicht an. Und Euch für eins zu halten mit jener Gemeinschaft, deren Heiligkeit ich anerkenne, der ich mit allen meinen schwachen Kräften diene, so weit werdet Ihr doch wohl Euren gnädigen Scherz, für welchen ich nunmehr mit kaltem Blute diese Unterredung halte, nicht treiben wollen.
Finsterberg (wütend). Und wenn ich Euch den Ernst zu Gemüte führe, daß Euch die Augen übergehen, wenn ich Euch beweise, daß ich eins bin mit jener Gemeinschaft und was ich in derselben zähle.
Hell (ruhig). Das ist nicht wahr!
Finsterberg. Bei St. Peter, meinem Patron, es ist!
Hell (wie oben). Münchhausen, St. Münchhausen, wollt Ihr sagen, denn Ihr gebt mir eine Lüge mit auf den Weg!
Finsterberg (toll). Herrgott!
Hell (geht). Gott befohlen!
Finsterberg (nachschreiend). Verblendeter, zittre vor den Folgen.
Hell (sich im Gehen wendend). Ich erwarte, was Ihr beginnt!
Finsterberg (knirschend). Du nimmst den Kampf auf?
Hell (schon an der Coulisse). Der ist Eure Sache, meine ist die Pflicht! (Ab links.)
Finsterberg (allein). Element, das hat mir noch keiner gesagt, so ist mir noch keiner gekommen! Lux – verdammt – Lux, keinen sichern Schuß hab' ich für heute in der Büchse, so zittert mir die Hand vor Aufregung! Ho, er soll an mich glauben! Lux – der Millionenhund läßt sich nicht sehen, dem will ich einstweilen seinen Waldprediger eintränken! (Stürzt rechts ab.)
(Schon nach dem Abgange Hells beginnt die Musik pianissimo einzelne Stellen des Wallfahrerchors und Hochzeitreigens, beide Tonstücke zugleich wie in Tönen herübergeweht, zu spielen.)
Nach dem Abgange Finsterbergs von links der Wirt und die Wirtin, mit Rechen und Kreunze auftretend, welche sie vor der Hütte ablegen, dann Hannsl. Zuletzt Wallfahrer, Schulmeister, Loisl, Michel.
Wirt. Horch, wie's der Wind 'rüberweht, 's muß a Musik in der Näh' sein!
Wirtin. Ich hör's schon die längste Zeit, i hab' unsern Hannsl auskundschaften g'schickt.
Wirt. 's liegt in der Luft wia a Kirchlied und a Schnaderhüpfel.
Hannsl (kommt gelaufen von links). Voda, Muada, i weiß schon, was's gibt.
Wirtin. Na, was denn?
Wirt. Na, so laß den Bub'n nur Luft schöpfen.
Hannsl (deutet nach rechts). Von da oben kommen die Altöttinger, die nach Matrey zur Volksversammlung ziehn; i hab's gleich kennt an ihnere Kirchfahnen, und von da auffa (zeigt nach links) kommen die Kirchfelder mit einer Hochzeitsmusik.
Wirtin. Die Kirchfelder? Ja, was thun denn die da, heirat' 'leicht eine weg vom Ort?
Hannsl (gewichtig). Alle zwei heiratens außer 's Ort!
Wirt. Dummer Bub, eins muß doch ins Ort g'hör'n.
Hannsl (lacht). Leicht nöt! Alle zwei g'hör'ns ins Ort.
Wirt. Du bist a Lapp, nachert brauchen s' ja nit außerm Ort sich kopulier'n z'lassen!
Hannsl (stemmt die Arme in die Seite, belehrend). Ja wohl, denn sie gehen aufs Bezirk und lassent sich dort kopulier'n, weil die Braut lutherisch is. Wißt's, es is a Zwifil-Ehe!
Wirt. Nöt möglich!
Hannsl (beteuernd). Na, wenn ich's sag', so is's a Red'! Der Thalmüller-Loisl heirat' die lutherische Bernbrunner-Franzl.
Wirtin. Da könnt' man schon irr' werd'n, was s' heuttags für neue Bräuch' aufbringen.
Hannsl (stößt den Wirt an). Voda, die Muada wird am Neuchen irrsinnig, das heißt man »reaktionnarrisch«.
Wirt. Jetzt werd' i dir aber gleich, kecker Bub –
( Forte. Musik.)
Walllfahrerchor (hinter der Scene, von oben rechts).
O stärk uns, Herr, an Seel' und Leib,
Auf daß wir rüstig kämpfen,
Des Satans höllisch Sündenreich
Und seinen Hohn zu dämpfen!
Wirt (läßt den Schopf Hannsls fahren). Da sein's schon!
Hannsl. Dös is g'scheit!
Hochzeitsreigen (hinter der Scene, von Seite links).
Heirassa, Hochzeit is,
Das is recht schicklich,
Heirassa, brave Leut'
Werd'n all'mal glücklich.
Hannsl. Juhu, da sein die a, jetzt kann's was setzen!
(Während die beiden Züge sichtbar werden, nach und nach die Wege herauf- und hinabmarschieren, singen sie da capo, doch gleichzeitig, jeder einen Chor. Der Gesang bricht momentan ab, wie der Schulmeister sein »Halt« schreit; der Zug der Wallfahrer hat dem Hochzeitszug den Weg zu verlegen; sobald beide Züge also stehen, ruft:)
Schulmeister. Halt! Was für profane Töne schlagen an unsere Ohren?!
Michel (Zugführer des Brautzuges, geputzt mit Bändern und Blumen, eine große Stange tragend, ebenfalls mit Blumen aufgeputzt, an deren Ende ein riesiger Strauß). Na, was gibt's? Laßts uns ruhig vorbeipassier'n und gehts euern Weg.
Schulmeister. Halt, sag' ich! Seh' ich recht? O, langmütiger Himmel! Altöttinger, hier seht ihr den ganzen Greuel des Unglaubens, der mit der sogenannten neuen freien Zeit über die Welt, ja selbst über unsere friedlichen, frommen Thäler hereingebrochen ist! Während wir zu unserer Erbauung nach Matrey ziehen, seht ihr hier die Kirchfelder, aufgeputzt wie die Schalksnarren, unter Sang und Klang den breiten Pfad der Sünde wandeln; diese Gemeinde schickt keinen einzigen Mann nach Matrey! Warum nicht? Weil sie einem öffentlichen Sünder das Geleite geben muß.!
Michel. Das gang dich und ganz Altötting ein' Teufel an; aber weil d' dich gar so kratzt, wo's dich doch nicht juckt, so kannst auch wissen, warum wir nicht nach Matrey gehen; weil unser Herr Pfarrer g'sagt hat, wir sollen's sein lassen, die Herren dorten könnten alles, was sie reden, recht gut meinen, aber wir könnten 's falsch verstehn!
Schulmeister (hustet verlegen). So, so, der Herr Pfarrer, hm, hm!
Michel. Ja! Und was ich weiß, das is, daß uns in Matrey und anderswo nur g'sagt wurd', die neuen G'setz' sei'n nix nutz – von den nämlichen Leuten, die ehnder es nit der Müh' wert g'funden hab'n, uns aufz'klär'n, warum grad die alten was hätten taug'n soll'n!
Schulmeister. Schweig du und laß mich reden! Thalmüller Loisl, öffentlicher Sünder, tritt vor, ich beschwöre dich, tritt vor. Siehst du nicht in dieser wunderbaren Begegnung, die ist, als ob sich dir die Heerscharen des Himmels selbst entgegenwürfen, einen Fingerzeig des Himmels?! Noch ist es Zeit, laß die unheilvolle Hand der Ketzerin fahren! Willst du der erste sein, der unserm Lande das verdammungswürdige Beispiel einer solchen Ehe gibt?
Loisl (verlegen). Aber, Schulmeister, einer muß doch anfangen.
Schulmeister. Lästerung! Keiner darf anfangen! Hast du auch den Schritt wohl überlegt, wie willst du mit der Haus- und Kinderzucht aufkommen? Dein Weib haltet nichts auf deinen Glauben und lacht dich hinter deinem Rücken aus – und was kannst du auf ihren Glauben geben, ohne selbst den deinen zu verleugnen? Was aber willst du deinen Kindern einst sagen, wenn sie so klug geworden sind und dich fragen: Wer glaubt denn recht von euch beiden, du oder die Mutter?
Loisl (kratzt sich hinterm Ohr). Das werd'n die kloan Sakra doch net frag'n.
Schulmeister (triumphierend). Das werden sie, verlaß dich drauf, das werden sie gewiß.
Michel (schlägt Loisl auf die Achsel). Zerstudier dich net, sag ihnen das, was man uns vor Zeiten g'sagt hat, wann wir ung'leg'n g'fragt haben: »Halts es Maul!«
Schulmeister. So redest du? Begreiflich, sehr begreiflich, du hast uns ja selbst enthüllt, daß ihr Kirchfelder einen reißenden Wolf im Schafspelze zum Pfarrer habt!
Loisl. Unsern Pfarrer verschimpf uns nit, du reißend's Schaf im Wolfspelz! Uns dekuraschierst net, wenn du auch noch so herumschreist! Wie wir heut morgen auszogen sein aus unserm Ort, so sein wir auch am Pfarrhof vorbei. Wer steht an der Thür? Der Herr Pfarrer! Wir grüßen ihn, er lacht freundlich, ich nehm' mir ein Herz, denn denk' ich mir, es ist wegen der G'meind', es gibt ja vielleicht doch manche, die etwa glauben, ich begeh' a Todsünd', weil ich die Franzl heirat', die a Lutherische is – ich geh' also hin mit ihr, wir küssen ihm die Hand und ich sag': »Hochwürden, ich thät' recht schön bitten –« Und verstanden hat er mich, hat ihr die Hand aufs Köpferl g'legt und hat g'sagt: »Der Herr geseg'n und behüt' dich!« In der Kirch'n hat er das freilich nit können, aber unser Pfarrer is a ein Pfarrer außer der Kirchen!
Schulmeister. Und soll es uns denn wundern, wenn da das Verderben hereinbricht?! Die Langmut Gottes ist unendlich –
Michel. Aber doch nit so lang wie du, Schulmeister, sonst wär' s' schon lang' ab'brochen! (Lachen.)
Schulmeister. Du spottest – und ihr lacht?! Lachet nicht!
Michel. Jetzt halt 's Maul und red: Willst du uns Kirchfelder ruhig vorbeilassen oder nit? Sag's, nachher wissen wir schon, was wir zu thun haben.
Schulmeister (zieht sich furchtsam zurück, hinter ein paar Bauern hervoragierend). Laßt euch vorerst doch sagen, welch eine furchtbare Sünde es eigentlich ist, eine Lutherische zum Weibe zu nehmen!
Michel. Lost's zu, das werd' ich euch sag'n! Musikanten, mein Kirtaglandler!
Alle. Juhu!
(Musik.)
Schulmeister. Ich protestiere!
Michel (singt).
Lied mit Chor.
's nimmt einer gar oft a
Rechtglaubige Dirn,
Die nachhert im Ehstand
Thut erst protestiern!
Doch, wenn ihm in d'Aug'n
A Luthrische lacht,
Kann's sein, daß im Ehestand
Katholisch er s' macht!
(Jodler mit Chor, Tanz.)
Gehts, schimpfts nöt, gehts, schreits nöt,
Oes ketzrische Bruat,
A lutherisch Derndel
Bußt grad a so gut!
Es is a der Gottseg'n
Bei ihr net verdurb'n,
A lutherisch Weiberl
Kriegt a klane Bub 'n.
(Jodler mit Chor.)
(Diesmal singen und tanzen die Wallfahrer mit.)
Schulmeister (wirft sich dazwischen). Vorwärts, vorwärts, fromme Gemeinde von Altötting! Zwar seid ihr auch ein nichtsnutziges Volk und habt eben um das goldene Kalb getanzt und ich sollte euch wie Moses zwei Steintafeln an den Kopf werfen.
Michel. Ja, Kehlheimerplatten!
Schulmeister. Aber ich will Nachsicht haben mit eurer Schwachheit, Nachsicht um der Sache willen, der wir heute dienen. (Kräht vorsingend.) O stärk uns, Herr, an Seel' und Leib!
Chor (einfallend). Auf daß wir rüstig kämpfen u. s. w.
Hochzeitschor. (fällt ein und beide Züge ziehen nach entgegengesetzten Seiten, als wo sie gekommen, ab)
Wirt (der am Ganzen teilgenommen). Jetzt weiß man erst wirklich net, wer recht hat.
Hannsl (lacht dumm).
Wirt. Was lachst denn?
Hannsl. Weil der Voda fragt, wer recht hat, und sie hab'n gar nit g'rauft!
Wirt. Na und was war' denn dabei 'rauskäma? Recht bleibt Recht.
Hannsl (keck). Ja freilich, wer d'Schläg kriegt, hat allemal unrecht.
Wirt. Mir scheint, du wirst aber gleich auch unrecht hab'n!
Hannsl. Das gibt's doch net; ich verkriech' mi hinter d'Muada, bis i so stark bin wie der Voda, donn kimm i schon herfür. Dös »Verkriechen« heißt man Konferenz.
Wirt. Zum Teufel, wer setzt dir denn das Zeugs in Kopf?
Hannsl (stolz). Ich hab' doch im Meraner Hotel für Fürsten und Grafen die Teller g'waschen!
Vorige. Wurzelsepp (Gebirgstracht, Kniehose und Bergstrümpfe, Gangstecken und Kreunze mit Blätterwerk, der ganze Anzug zerfetzt. Vierziger, finster).
Sepp (wirft, ohne zu sprechen, Gangstecken und Kreunze zur Erde und setzt sich an den Tisch).
Hannsl. Grüß dich Gott, Monbua!
Sepp (gibt ihm einen Rippenstoß). Willst du 'leicht mit mir anbahneln?
Hannsl (weinerlich). Na, aber hundertmal sag' ich so zu dir und du lachst dazu.
Sepp. Heut bin i zu die Dummheiten nit aufg'legt. Bring mir ein' Wein.
Wirt. So zeitlich heut? Willst so fruh in die Stadt?
Sepp. I geh' heut nit in d'Stadt.
Wirt. Na und auf die Berg kraxelst a nimmer herum um Kräuter für die Apothek?
Sepp. Mi leidt's heut an keiner Arbeit.
Wirt. Hast g'wiß heut wieder dein süffigen Tag? Schau, Sepp, es ist dir vergunnt, aber ich will's net aufs Gewissen nehmen, daß du dein bissel Geld bei mir sitzen laßt.
Sepp. Was i verlang', wird zahlt, das weißt. Wenn i nücht' bleiben will, brauch' ich dich net, wenn ich aber einmal nix von mir wissen will, gleichwohl ich auf der Welt bin, geht's dich doch nix an.
Wirt. Na, es war nur g'redt, mir kann's ja recht sein, es war ja nit schlecht g'meint.
Hannsl (hat Wein gebracht).
Sepp (hastig getrunken). Net schlecht g'meint? Das weiß ich, dazu bist du viel zu dumm! (Schlägt in den Tisch.) Ich sag' dir aber, es is alles eins, ob der Mensch dumm is oder schlecht! Ihr und die ganz G'scheiten, die ein'm Hirn und Herz aus'm Leib herausdisputier'n woll'n, seids doch ein Bandl; wann sich a ehrlicher Bursch amol aufbäumt und sagt: »Laßts mir Hirn und Herz, wie mir s' unser Herrgott in Leib einigeb'n hat!« da seid's ihr bei der Hand und duckts ihn unter, ganz unter, und wenn er euch unter den Fäusten liegen bleibt.
Wirt. Aber Sepp, besinn dich, es thut dir ja kein Mensch was!
Sepp (aufsehend). Jetzt freilich nimmer! (Heftig.) I bin ein anderer, aber ös seids die Alten!
Wirtin. Aber du bist heut wieder a Wildling! Und wie du ausschaust!
Sepp. Ahan, fallt's dir schon auf die lüftige Kluft, denkst dir selber, daß i net vom Haus so weg bin. Los' zu, Neugierige, wann's dich verintressiert. (Zu Hannsl.) Füll' nach.
(Kleine Pause.)
Wirtin Wo warst denn nachher?
Sepp. Laß dir verzählen. Gestern haben s' schon in unsere Nest herumtrommelt wegen dem Thalmüller seiner Hochzeit. Denk' i mir, morgen hast so kein Ruh, die Dirn' werd'n di necken, weil d' ledig bist – dö Gäns, als ob's an mir g'leg'n wär', daß i kein Weib kriegt hab', – i mag a nit dabei sein seit der Zeit bei einer Hochzeit – i mag net – beim Thalmüller schon gar net! (Sehr niedergeschlagen.) Aber schon gar net, ich weiß warum! Denk' i mir also, den Tag wirst dich 'nunterrackern und nachts wirfst dich aufs Heu und drehst di nit amol im Schlaf um; is auch gut, weißt von nix und willst von nix wissen! Halbnachtig war's noch, wie i mit der Kreunzen aus'm Haus bin, durchs Dorf auf'n Gamskogl zu – kein Hahn hat sich noch g'rührt, kein Hund und selbst der Wind war noch wie verschlafen und hat nur so a bisserl hing'wachelt, kaum daß er a Blatt'l auf'n Baum g'rührt hat – und i bin immer höher und höher hinaus nach'm Gamskogl zu, daß mir warm word'n is, und oben hab' i mi niederg'setzt und hab' ausg'rast' und g'wart', bis die Sonn' über'n Watzmann heraufkommt – sie is heraufkommen, langsam, ganz langsam, rot wie a glühende Kohl'n is s' da vor mir g'hängt; wie i so in die graue Welt g'schaut hab' – und ein G'frier is euch übers Land gangen, daß i mein' Jacken enger an mi anzog'n hab'. Ahan, hab' i mir denkt, die kalte Finstern macht sich noch einmal breit vor ihr'n End'. Aber der Nebel is in Fetzen zerfahr'n und Viertelstund um Viertelstund hat ihn die Sonn' mehr und mehr auf die Seiten druckt, bis er nimmer hat auskönnen – und da 'nein hat er sich in die tiefe Klamm und dorthin in d'Höllschlucht verschlossen. Mir hab'n die Aug'n schon weh than – und die Sonn' hat so freundlich geschienen und i hab' mir denkt: Was's doch die Sonn' gut hat, sie kann's derwarten, a Neichtel Zeit und sie leucht' halt doch üb'rall hin! (Senkt den Kopf.)
Wirtin. Na und nachher?
Sepp. Nachher hab' i ang'fangt Wurzeln ausz'stechen und Kräuter ausz'rupfen. als ob s' mir was anthan hätten, und hab' die Zähn' dabei übereinand' bissen – aber der Gedanken is mir net aus der Seel' 'gangen: Der Mensch aber kann's nit derwarten – a Neichtel Zeit und er is selber nimmer! Und dann is's so kummen nacheinander, wie wenn sich's vom Spinnradl abzwirnt, alles, was i erlebt hab', ohne daß i nur a Tipserl hätt' daneben werfen können, wenn i auch mög'n hätt', und da hab' ich 's Grabzeug von mir g'worfen und mich am Rand vom Gamskogl hing'legt und hinunterg'schaut in die weite Welt. – Gradüber auf der Edelwiesen is Altötting g'leg'n und drunt' tief im Thal unser Dörfl, Kirchfeld. – In Altötting hab 'n s' mit alle Glocken g'läut' und mit Fahnen sein s' auszog'n – und von Kirchfeld auf amol schallt's so 'raus, als ob mich einer mit der flachen Hand stad aufs Ohr hauet – da hab'n s' an Pöller g'löst – und bald darauf hab' ich's auch heraufziehn g'sehn. – Haben sie sich net da 'troffen auf der Bergstraßen?
Wirt. Freilich!
Sepp. Und sein s' so gut auseinander kämma? Dö können nach Matrey und der Loisl nach der Stadt? Is keins derschlag'n word'n?
Wirtin. Ei beileib!
Sepp (wild). So setzt er's doch durch? Möglich is's auf amol, was früher net 'gangen is?!
Wirt. Wer, was?
Sepp (abbrechend). Wie i so oben steh' und seh' die Altöttinger hinunter- und die Kirchfelder 'raufwurl'n, net größer wie die Ameisen, da hätt' i mög'n der Herrgott sein, i hätt' 'nunterg'langt und dös Unziefer mit der Faust zerdruckt. – Nimmer g'litten hat's mi oben, mein Gangstecken hab' i gnummen und bin über die steile Wand 'runter . . .
Wirtin. Heiliger Gott!
Sepp. Neben meiner is's losbröckelt vom Stein und 'runterpoltert und hat oft erst langmächtig darnach unt' in der Tiefen aufg'schlag'n – und i alleweil 'runter – und da hab' i mi so zug'richt'!
Wirtin. Du hätt'st di dabei totkugeln könna.
Sepp. Wär' a nix drang'leg'n!
Wirtin. Du red'st wie a Heid! Schau, Sepp, is's denn wirklich wahr, was die Leut' von dir red'n?
Sepp. Von mir reden s' gar viel; wann i erst zu allem ja oder nein sagen müßt', thät's mich verdrießen.
Wirtin. Nur eins möcht' i wissen, in Kirchfeld heißt's, daß man weder di noch dein' Mutter in der Kirch' sieht?
Sepp (plötzlich sehr schroff). Weißt, Wirtin, mein' Mutter is ein arms alts Weib, die is nimmer recht bei sich – die kann für nichts, die laßts mir in Fried'.
Wirtin. Aber du?
Sepp (lacht trotzig). Mich laßts auch in Fried'!
Wirtin. Schau, Sepp, das is net schön von dir, ös habts neuzeit, wie i hör', so ein' lieben guten Herrn Pfarrer; schon dem z'lieb, wann net dir zum Heil!
Sepp (wild). Was kümmerst dich um mich? Bin i dir 'leicht auf d'Seel 'bunden? Bist du verantwortlich für mich? G'wiß net! G'sagt hab'n sie's dir, was wir für ein' guten, lieben Herrn Pfarrer hab'n? Glaubst du's, is's gut für dich – ich net! I hab' sie kennen g'lernt und i will amol mit keinem was z' thun haben – weil i net will! Der müßt' erst kummen, der mir saget, was mir gefallt, der so thut, wie mir recht wär'. Es gibt kein'n, 's kann kein' geb'n und i weiß, wie i dran bin mit allen – mit allen! Sie singen doch ein Lied, der eine grob, der andere fein, dö Wörter sein d'nämlichen.
Wirtin (ängstlich). Also bist wirklich der Dorfketzer von Kirchfeld, wie s' sagen?
Sepp. Besser Dorfketzer, als Dorfhetzer! I kümmer' mich wenigstens um kein' Menschen, was er thut und treibt und trag's nit herum im Dorf und in der Fremd' und hetz' ihm nit die andern auf'n Hals. (Trinkt und lüftet sich das Halstuch.) Und jetzt laßts den dummen Diskurs, ös verstehts mich net und ich begreif' euch samt eurer Frummheit net, dö sich um den andern Leuten ihr' Seligkeit so viel kümmert! Oes kommts doch nit blind auf die Welt, wie die jungen Hund', aber sehet werds doch euer Lebtag net!
Wirt (stößt seine Frau mit dem Ellbogen an). Den bringst du nimmer auf gleich!
Sepp (hat den Kopf gesenkt, hebt ihn). Kannst recht hab'n! Herentgeg'n bin i aber a ordentlich verkrüppelt und zermudelt word'n!
Vorige. Annerl (ländlicher Sonntagsstaat, Bündel unterm Arm).
Entrée.
Dö Fischerln im Bach
Und d'Vögerln am Boam,
Dö wissent wo s' hing'hör'n
Und hab'n ihr Dahoam.
Nur 'n Menschen treibt 's G'schick
Oft hinaus in die Fremd',
Wenn er glei vor Hoamweh
Und Herzload derkämmt!
(Jodler.)
Dahoam hat mi angelacht
Beim Bacherl der Steg,
Dö Häuserln im Dörfel,
Jed's Stoanderl am Weg,
Doch weit von dahoam
Schaut jetzt fremd alles her,
Als ob i schon selber
Vergangen lang wär'.
(Jodler.)
Sepp (hebt den Kopf nach ihr). Du Derndl –
Annerl (wendet sich gegen ihn).
Sepp. Hat's dich 'leicht a bei der Falten 's Unglück, weil d' so traurig singst?
Annerl. 's is ma wohl nie gut gangen, aber hitzt weiß i gar nimmer, was's werden wird.
Sepp (bietet ihr den Krug). Trink eins.
Annerl (legt die Hände ans Mieder). I dank' schön, i kann net!
Sepp. Dir verschnürt 's Mieder ja völlig die Red', bist g'wiß g'loffen wie nit g'scheit?
Annerl. Ah na!
Sepp. Wann d' scho nit trinkst, so setz dich a weng – oder versäumst's?
Annerl. I soll nach Kirchfeld.
Sepp. So! I bin a Kirchfelder, kann i dich 'leicht weisen?
Annerl. Dös wär' recht schön von dir, Landsmann, wann d' mit mir gangst. Ich kann dir's net sagen, wie mir is; ich hab' heut mein lieb's Heimatdörfel verlassen und bin 'gangen, 'leicht auf Nimmerwiedersehn. Seit fruh bin i wie träumet die Berg 'raufg'stieg'n und hab' mir nit 's Herz genommen, daß i ein' Menschen g'fragt hätt' um den Weg; auf a paar bin i zu'gangen, aber mir is 's Wasser in die Aug'n geschossen, daß von mir wegg'schwommen sein, und sie war'n a schon weit weg, wann i nachher g'schaut hab'; sie müssen denkt hab'n, i bin a Bettlerin, oder nit recht g'scheit. Du bist der erste, der mich ang'red't hat, i hätt' kein' Red' von mir 'bracht.
Sepp. Ich hätt' dich a nit ang'red't, wann d' net so traurig gesungen hätt'st; aber dös is halt mein Gusto, andere sein gern dabei, wo's lustig und i, wo's traurig hergeht.
Annerl. Es wär' mir recht lieb, wann d' mi weisen wollt'st, so brauch' i kein' Menschen mehr Red' z' stehn als am Ort, da muß's freilich sein und i fürcht' mi schon drauf.
Sepp. Wo willst denn hin?
Annerl. Zu euern Pfarrer.
Sepp. So. Was willst ihm?
Annerl. Unser Pfarrer – i bin von St. Jakob in der Einöd' – legt a guts Wörtl bei ihm ein, daß er mich aufnehmet in Dienst.
Sepp. Schau.
Annerl. I bin völlig verzagt, wenn i denk', daß i dienen soll.
Sepp. Hast recht, und schon gar a so a Dienst! Pfarrknecht wär' a 's letzte, an was i denket.
Annerl. Du machst ein'm aber a 's Herz recht schwer, Landsmann.
Sepp. Na, du brauchst auch grad nit verzagt z' sein. Bei euch Weibsleut' is a anders, ös seids ja allweil die Frummern und Vertraglichern – vielleicht g'fallt dir der Dienst noch recht gut und is's dir recht, geht's eigentlich kan andern was an.
Annerl. Na, konnt'st du nit leicht a frumm und vertraglich sein?
Sepp. I glaub' kaum, daß i's zuweg'n bringet.
Annerl. Bist 'leicht euern Pfarrer feind? Schau, da thätst nit recht!
Sepp (aufstehend). Mein' liebe Dirn, man stift aften a nix Rechts, wann man ein'm z' gut is!
Wirt (zieht Sepp beiseite). Wer is denn das Derndl?
Sepp. Zu unsern Pfarrer woll'ns dö lebfrische Dirn schicken. Grad als ob s' ihm's z' Fleiß thäten.
Wirt. Du hast 's gottloseste Maul von der ganzen Gmoan!
Annerl (ist aufgestanden und hat das Bündel wieder genommen). Gehn wir 'leicht schon?
Sepp. Gleich, Derndl. (Gibt dem Wirt Geld.)
Wirt (schiebt das Geld ein). Richtig! Aber nit richtig, was du dir Sündigs denkst, gleichwohl das Dirndl mordsauber is.
Sepp. Wirt, frag doch über fünf Wochen, ob die Kirchfelder ihr'n Pfarrer noch für ein' Heiligen halten?! (Wendung zum Gehen.)
(Vorhang fällt. Musik fällt mit einem kurzen Allegro ein.)
Verwandlung.
(Freundliches Gemach, einfach, aber nett möbliert, Mittel- und Seitenthüre links, ein Fenster ganz vorne rechts, vor diesem ein Sekretär. Mitte der Bühne ein kleines gedecktes Tischchen mit Morgenimbiß für zwei Personen, zwei Gedecke, eine Bouteille, kleine Gläser. Ein Fauteuil mit hoher Lehne, ein Rohrsessel, nächst dem Sekretär eine Etagere mit Rauchrequisiten.)
Vetter (ein Greis mit kahlem Kopf und an den Schläfen herabfallenden langen weißen Haarflechten, Priestergehrock, Gewandung etwas abgetragen, sitzt behaglich in dem Fauteuil; er hat eine Serviette übergebunden, die er während der ganzen Scene nicht ablegt, er ist durchweg fein humoristisch aufzufassen). Hell (ein junger rüstiger Mann in der Soutane, sitzt ihm gegenüber auf dem Stuhl).
Hell (gerade im Begriffe das Glas seines Gastes nachzufüllen).
Vetter (deckt die Hand über das Glas und wehrt mit der andern die Bouteille ab). Nein, nein, ich danke, aber wahrhaftig, es wird sonst zu viel, ich bin es ja nicht gewöhnt.
Hell (setzt die Flasche zurück). Sie rauchen?
Vetter. Ja, das heißt – allerdings wohl –
Hell. Ich finde nichts Auffälliges daran, wenn Sie rauchen.
Vetter. Das ist sehr freundlich, manche wollten es mir übelnehmen.
Hell. Ich selbst rauche zwar nicht, aber wenn Sie erlauben – ich halte für meine Gäste ein gutes Kraut – so offeriere ich Ihnen ein Pfeifchen. (erhebt sich.)
Vetter (erhebt sich gleichfalls). Aber ich bitte, Sie bemühen sich zu viel um mich alten Mann, ich werde mich wohl selbst bedienen können.
Hell (hat ihn auf den Sitz zurückgedrückt). Aber bleiben Sie doch, Sie bringen sich ja aus Ihrer Behaglichkeit. (Geht nach der Etagere und holt das Erforderliche.)
Vetter (faltet vor sich die Hände). Ach ja, es war mir wohl schon lange nicht so behaglich.
Hell (stellt das Gebrachte auf den Tisch). Bedienen Sie sich.
Vetter (unter folgendem richtet sich eine Pfeife und raucht). Wenn Sie es erlauben! Wie Sie es doch gut haben, Herr Amtsbruder! Hm, wie hier alles so freundlich und behaglich ist, so recht wohlgefällig und lebensfreudig, so – gottesfriedlich! Sie sitzen auf einer der einträglichsten Pfarren und sind noch so jung, haben noch so viel vor sich – Sie haben wohl auch Protektion gehabt.
Hell. Nun, das wohl, der Propst von Elfkirchen ist mein Gönner, er kam oft in unser Haus, ich verdanke ihm viel, aber – Gott ist mein Zeuge – ich habe seine Protektion nicht gesucht, ich habe nicht versucht, irgend wen von seinem Platze zu verdrängen, um mich besser zu situieren.
Vetter. Hm, das ist doch wohl keine Sünde, das geschieht ja täglich an allen Orten und ich mag es Ihnen wohl gönnen! Ich bin schon ein alter Mann und zu wenig mehr nütze, nun sitze ich da oben in Eis und Schnee, ich habe mir das freilich nie gedacht, daß es so kommen würde, nun ist es eben so geworden. (Gesprächig.) Ich bin der zweite Sohn armer Bauersleute und Sie wissen, man hat es gern, daß das kleine Erbe für den ältesten beisammen bleibe, da hat man mich denn zum Priester gemacht. Ich habe, als ich das Seminar verließ, viele hinter mir gelassen, die jetzt gar hohe Kirchenfürsten sind – freilich waren sie meist schon von Haus aus von hoher Familie und manch andere, die sich geschickt in weltliche Dinge zu mischen wußten, wenn es der Vorteil der Kirche wollte, haben auch ihren Weg gemacht; nun, ich taugte eben nicht zu derlei, so haben sie mich denn von Pfarre zu Pfarre geschoben und endlich kam ich da hinauf. Es ist wahr, ich brauche wenig, aber die Leute dort oben brauchten doch einen, der mehr ist als ich; mein Trost sind meine weißen Haare und jeder Tag, der vorübergeht, macht mich die wenigen noch übrigen geduldiger ertragen, aber damit tröstet man doch nicht diese armen Leute, die noch recht rührig sind und – oft wie gerne! – leben wollen!
Hell (der in Nachdenken versunken). Wie heißt doch Ihre Pfarre?
Vetter. St. Jakob in der Einöd', Herr Amtsbruder. Ein Dorf, in welchem Sie nicht fünf Menschen finden werden, nicht fünfe, denen es so recht wohl und friedlich erginge. Alles herabgebracht vom Elend.
Hell. Das ist traurig, sehr traurig! Wie müssen Sie sich dabei befinden, das Elend sehen und nichts, gar nichts dawider thun können.
Vetter. Du lieber Himmel, das gewöhnt sich wohl, ich lebe ja wie sie, fast schlechter, einige, die es haben, leben jedenfalls besser als ich, ich neide es ihnen nicht – nur einem geht's gar elend, das ist der Schulmeister: winters über plagt er sich mit den Kindern, sommers laufen die ins Feld und er könnte sich wohl selbst zur Feldarbeit verdingen, wenn er es thun wollte, aber er will nicht. Ein eigener Mann, der Schulmeister, hat so überspannte Ansichten, will die Erde nicht recht als Prüfungsort gelten lassen und glaubt, die Menschen werden doch einmal ein Paradies daraus machen und der Herr seinen Segen dazu geben! – Hehehe! – Aber sonst ein braver Mann, der Schulmeister; sitzt aber seit Jahren nun da oben, ist so alt und so hinfällig wie ich und hofft, hofft noch immer, ich weiß nicht auf was.
Hell (ergriffen, faßt über den Tisch mit beiden Händen die Rechte Vetters). Liebster, Bester, und waren Sie denn immer so mutlos, so resigniert?
Vetter. Ach nein, ich war ja auch jung, aber wir werden doch alle so, der Esprit du corps, möcht' ich sagen, lehrt uns das Auffällige meiden und das Gute, das sich im bescheidenen Kreise thun läßt, drängt sich von selbst auf; da kommen die Ortsarmen, da kommen die Beichtkinder und zu den Sterbenden geht man hin, und im übrigen läuft die Welt so nebenher, ohne daß wir ihrer achten.
Hell (fährt sich mit der flachen Hand über den Scheitel und sagt dann rasch, wie um auf ein anderes Thema zu kommen). Und wie kommen Sie nun mit Ihrer herabgekommenen Gemeinde zurecht?
Vetter. Nun, früher ist's wohl leidlich gegangen, da konnte ich sie zu manchem Guten anhalten; aber jetzt, letztere Zeit, kann ich nicht mehr so recht in die Kanzel hineinschlagen und schreien und ein ruhiges Zureden hilft ja nichts. Eines hat freilich bisher immer als letztes Mittel geholfen und würde es wohl noch; das war, daß ich sagte: ich würde nun mich ganz von der Seelsorge zurückziehen, gehen, und im Priesterhause meine Tage beschließen und sie könnten dann sehen, wie sie mit einem neuen Pfarrer auskämen, der wohl, wie alle jüngeren, auch in weltlichen Gemeindeanliegen wird mit raten und thaten wollen! Es ist wahr, ich hatte auch schon oft den Entschluß gefaßt, zu gehen, es wollte schon eine Zeit her nicht mehr recht fort mit mir, ich bin nicht wie der Schulmeister, der hofft (näher rückend) und, Herr Amtsbruder, nichts für ungut, unter uns, vielleicht auch hoffen kann und soll, wenn auch nicht für sich; er hat gar liebe Kinder und hat ein braves Weib, das hält ihn aufrecht – wir haben das aber nicht, dürfen das nicht haben – so steh' ich denn allein und wenn ich heut oder morgen zusammenbreche, so kann ich mich auf niemanden stützen, darum bin ich nun ernstlich entschlossen und lass' jetzt die – wie es die Politiker nennen – die Kabinettsfrage aus dem Spiel, denn ob die Gemeinde nachgeben würde oder nicht, ich würde ja doch gehen und ich will ihr auch nicht einen frommen Betrug spielen. Weil ich das nicht wollte, haben sie diesmal in einer Angelegenheit wenig nach mir gefragt und weil ich das Drohen sein ließ, muß ich mich jetzt aufs Bitten legen und das thue ich bei Ihnen, Herr Amtsbruder, wenn Sie mir eine Bitte freistellen wollen.
Hell. Sie machen mich neugierig, sprechen Sie ungescheut.
Vetter. Die Sache ist die. Es lebte da jahrelang eine arme Witwe in St. Jakob, die sich kümmerlich durchbrachte mit ihrer Hände Arbeit und dabei recht christlich ihr einzig Kind, ein Mädchen, erzog, das wuchs so heran, half bei der Arbeit, und so ging's denn Jahr für Jahr, ein mühselig, einförmiges Leben! Fiel dann einmal eine Krankheit die Alte oder das Mädel an, nun so mußte obendrein geborgt werden und so ward das wenige liegende Eigentum, die Hütte und ein paar Joch Aecker richtig ganz verschuldet. Vorige Woche nun ist die Alte gestorben, da sind denn auch gleich die Gläubiger gekommen, nahmen, was vorhanden war, in Beschlag und jagten die Junge aus der Hütte ihrer Eltern; das arme Kind steht jetzt obdachlos, ganz einsam und verlassen auf der Welt. Wie ich bemerkte, ich konnte diesmal mich nicht so ins Mittel legen, daß es fruchten mochte, denn es ist viel, von diesen Leuten zu verlangen, daß sie entsagen, wo sie selbst kaum das Nötigste haben, das verhärtet das Herz; da hab' ich denn den Sarg der Alten aus Eigenem bezahlt und wegen der Jungen den Gang zu Ihnen gemacht. Ich weiß wohl, Sie haben die alte Brigitte, die haushält, aber die seufzt auch schon, wie ich höre, daß es ihr schwer ankomme, unserem Schulmeister hat sie ihre Not geklagt, er ist mit ihr verwandt; da dachte ich mir, ich wag' es, Sie zu bitten, daß Sie das Mädel ins Haus nehmen, da wäre sie wohl gut aufgehoben.
Hell. Auf Ihre Empfehlung hin bin ich gern bereit, das Kind aufzunehmen.
Vetter. Nun, das ist recht christlich. Es ist ein recht braves, gescheites, anstelliges Dirndl; ich habe sie hieherbestellt, daß Sie sie sehen können; gefällt sie Ihnen etwa nicht, nun dann kann ich sie ja wieder mit mir nach Einöd nehmen und sie dort bei irgend einem Bauer als Magd – freilich nicht so gut, als ich es mit ihr meine – unterbringen.
Hell. Ihre Empfehlung genügt. Die Sache ist abgemacht. (Gibt ihm die Hand.)
Vetter (schüttelt ihm die Hand). Ich danke Ihnen recht sehr!
Vorige. Brigitte (durch die Mitte).
Brigitte. Es ist ein Dirndl unt', das mit'n hochwürdigen Herrn aus Einöd reden möcht'.
Vetter. Das ist sie schon.
Hell. Führe sie nur herauf. – Das dürfte wohl deine Gehilfin werden, Brigitte!
Brigitte (schon an der Thüre, wendet sich um). So? Na, das wär' mir schon recht. Das Dirndl ist recht nett und sauber und net a bissel aufdringlich. I hol's gleich! (Ab.)
Hell (lächelnd zu Vetter). Ei, Ihr Schützling tritt unter günstigen Aspekten ins Haus. Sie müssen wissen, was das heißt, wenn die Brigitte das Lob eines jungen Mädchens singt, sonst weiß sie ihnen wenig Gutes nachzusagen und ist gegen alle, die sie nicht kennt, sehr mißtrauisch.
Vorige (ohne Brigitte). Annerl (bleibt unter der Mittelthür mit stummem Knicks stehen).
Vetter (ihr entgegen, indem er sie bei der Hand nimmt und vorführt). Komm nur, ich habe schon für dich gesprochen.
Annerl (hat ihm die Hand geküßt).
Vetter. Und der hochwürdige Herr hat mir bereits die Hand darauf gegeben, daß er dich aufnehmen will.
Annerl. Vergelt's Gott! (Küßt dem Hell die Hand.)
Hell (indem er ihr die Hand entzieht und ihr dieselbe auf den Scheitel legt). Wie heißt du, mein Kind?
Annerl. Anna Birkmeier.
Hell. Also . . . Anna, ich heiße dich in meinem Hause willkommen. Du weißt wohl selbst, daß Dienen kein leichtes Brot ist; indessen will ich dafür sorgen, daß dir von niemand dein Stand schwerer gemacht wird, als er es für dich ohnedies schon sein mag.
Annerl. Ich fürcht' mich nimmer vorm Dienst. Oben auf der Bergstraßen hab' ich ein' Kirchfelder getroffen, der g'sagt hat, daß er dein Feind is, hochwürdiger Herr, und der sich am Weg her alle Müh' geb'n hat, dir was Schlechtes nachz'reden und hat doch nix vorz'bringen gewußt. Da hab' ich mir denkt: was du für ein Herr sein mußt, wenn dir selbst die, die dir übel wollen, net zukönnen! Da bin ich um so couragierter auf'n Pfarrhof zugangen, jetzt hab' ich dich g'sehn und g'hört, wie gut und freundlich als d' bist, jetzt thät's mir fast weh, wann d' mir dir net dienen lassest!
Hell. Gewiß, du sollst bleiben!
Annerl. Es schreckt mich auch nit, daß d' für ein' geistlichen Herrn noch so viel jung bist.
Hell. Daß ich jung bin?
Annerl. Ich denk', besser kann a brave Dirn ninderscht aufg'hob'n sein, als bei dir.
Hell. Gewiß, Anna.
Vetter. Also, Herr Amtsbruder, lassen Sie sich das Kind recht empfohlen sein.
Hell (zu Annerl). Du denkst brav.
Annerl. I weiß's nit, aber recht wird's wohl sein.
Vetter (stärker). Herr Amtsbruder!
Hell. Recht und brav! (drückt ihr die Hand und sie stehen schweigend in Gruppe.)
Vetter. Herr Amtsbruder! (Kleine Pause – ängstlich beiseite.) O du lieber Gott, rechne mir's nicht an, wenn ich da etwa eine Dummheit gemacht haben sollte – du weißt es ja, ich habe es . . . nach bestem Wissen und Gewissen gethan!
(Gruppe steht.)