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Havanna in hellster Sonnenglut. Jeden Augenblick strauchelt mein armes Roß vor Ermattung. Wie froh bin ich, meine Depeschen schon abgeliefert zu haben! Endlich naht nun langersehnte Rast und Kühlung. Bald wird das Sternenbanner über der prächtigen Stadt flattern. Es ist unerträglich heiß, unaufhörlich tropft mir der Schweiß von der Stirn.
»Wo sind wir einquartiert, Pedro?«
Die Ordonnanz deutet auf ein weißes Häuschen, das wie ein reizendes Schmuckkästchen zwischen dichten Bäumen halb verborgen liegt.
»Also links.«
Wir reiten den Kiesweg hinunter, der zum Häuschen führt. Alle Fensterläden sind geschlossen, es herrscht Grabesstille. Ich reite bis an die Freitreppe – kein Mensch läßt sich blicken. Ich springe vom Pferde, und lasse absichtlich den Säbel schleifen und die Sporen klirren, während ich die Treppe hinaufsteige. Plötzlich dringt ein langgedehnter, klagender Ton an mein Ohr. Einen Augenblick bleibe ich horchend stehen, dann öffne ich mit festem Griff die Tür und betrete den Vorsaal. Geräuschlos öffnet sich eine Seitentür, ein hochgewachsener Mann mit schwarzem Bart und feurigen Augen tritt auf mich zu.
»Verzeihung, aber ich kann sie unmöglich aufnehmen. Es liegt eine Schwerkranke hier im Hause.«
Mich übermannt der Zorn, und ich sage kurz, fast befehlend:
»Ich bin Hauptmann Lorenzo und werde die Kranke nicht belästigen; morgen früh reite ich weiter, solange müssen Sie mich aufnehmen. Das ist Kriegsbrauch.«
Der Spanier, der in mir wohl einen Aufständischen zu sehen glaubte, blickte mich zornfunkelnd an. Da erscholl wiederum der langgedehnte, klagende Ton.
Und wiederum öffnet sich leise die Tür, und ein zweiter Herr erscheint: »Ich bin der Arzt,« sagt er, sich vorstellend; »dort drinnen liegt eine Kranke, die von Wahnvorstellungen verfolgt wird; sie ringt mit dem Tode. Sie könnten sie retten, wollten sie auf ein Viertelstündchen zu ihr gehen und mit ihr sprechen.«
Ich bin aufs höchste erstaunt. Aber noch erstaunter ist der Spanier, der den Arzt bei den Schultern packt und ihm zuruft:
»Was fällt Ihnen ein, Doktor?«
Der Arzt zieht ihn beiseite, spricht hastig auf ihn ein, und, wie es scheint, mit Erfolg.
Inzwischen stehe ich, noch immer wartend, im Vorsaal. Drei Nächte schon habe ich keinen Schlaf gehabt, seit gestern habe ich nichts genossen; meine Geduld ist erschöpft. Hastig stoße ich mit dem Säbel auf die Fliesen, nähere mich den beiden Männern und bin im Begriff, eine Erklärung für ihr seltsames Gebaren zu fordern, als zum dritten Male der langgedehnte Ton erklingt, doch schriller diesmal, und gellender: es ist der Schrei des Wahnsinns. Der Doktor zieht mich hastig mit fort.
»Seien Sie barmherzig, mein Herr, und retten Sie ein Menschenleben!«
Er führt mich in ein prächtig ausgestattetes Gemach. Ringsum schwere Teppiche, weiche Portieren, tropische Pflanzen und an der Wand ein breites Bett, auf dem eine Frau liegt. Als ich eintrete, wendet sie sich um, ihre wunderbaren, schwarzen Augen beginnen seltsam zu leuchten. Sie streicht sich das reiche, blau-schwarze Haar aus der Stirn und streckt mir ihre zarte, weiße Hand entgegen. Sie ist eine Kreolin von blendender Schönheit. Meine Hand umklammernd, zwingt sie mich, auf dem Stuhl neben ihrem Lager Platz zu nehmen. Und mit der Schnelligkeit des Gedankens schlingt sie ihre weichen Arme um meinen Nacken und küßt mich mit ihren trockenen, fieberheißen Lippen wild und leidenschaftlich, als wolle sie alles Blut aus meinen Adern saugen.
»Ach, Juan, wie lange, wie furchtbar lange hast du mich warten lassen; aber nun bist du doch endlich gekommen, Geliebter!«
Mit einem Schlage wird mir alles klar: sie verwechselt mich mit ihrem Geliebten, einem spanischen Offizier. Die Uniform und das Säbelrasseln haben ihr durch die wilden Fieberphantasien geschwächtes Hirn noch mehr erregt und ihre Gedanken verwirrt. Sie hält mich für jenen anderen. Mir ist die Sache außerordentlich peinlich. Meine Augen heften sich auf das Antlitz des Mannes, der an der entgegengesetzten Wand lehnt, wilde Eifersucht und ein entsetzlich quälender Schmerz sprechen aus den abgehärmten todesbleichen Zügen. Ich will mich erheben, allein die junge Frau drückt meine Hand fest an ihre Brust.
»Bleibe, Juan, bleib' bei mir, sonst sterbe ich.«
Ich setze mich wieder.
»Nach so langem ermüdendem Ritt müßten Sie etwas genießen, Sie sind gewiß hungrig und durstig,« spricht eine mir unbekannte Stimme dicht an meinem Ohr.
Man bringt mir Speise und Trank, aber ich esse ohne Appetit. Die Uniform klebt mir am Körper, die leidenschaftliche Erregung des schönen jungen Weibes jagt mir das Blut gleich Fieberschauern durch die Adern.
Plötzlich reißt sie mich an sich, lehnt das Köpfchen an meine Brust, lächelt und zupft mich neckisch an meinem Schnurrbart.
»Weißt du noch, Liebster, wie ich das letztemal bei dir war? Die Sonne verschwand mit rotgoldener Glut hinter den Bergen, und dann ging der Mond auf und warf seine bleichen Silberstrahlen über die Wellen ...«
Ein Beben packt mich und läßt meinen ganzen Körper erzittern. Darf ich diesen süßen Liebesworten länger lauschen? Ich blicke auf; der Doktor winkt mir, zu bleiben.
»Sieh, wie die kühlen Granatblüten über meine Schultern fallen.«
Ich hülle sie fester ein in ihre leichte Decke. Sie faßt meine Hand und küßt sie innig.
Endlich scheint der Schlaf sie zu übermannen. Als ich meine Hand vorsichtig aus der ihren lösen will, erwacht sie und bittet mich flehentlich, sie nicht zu verlassen. –
Die ganze Nacht verweilte ich am Lager der Kranken. Nach Mitternacht fiel sie in einen tiefen, friedlichen Schlaf.
»Die Krisis ist glücklich überstanden,« flüsterte mir der Arzt zu.
Als ich am Morgen Abschied nehmen wollte, wandte mir der Spanier schweigend den Rücken. Nach dieser einen Nacht schien der Gatte der Kreolin um zehn Jahre gealtert.