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1854-1936
Er mochte gehen, wohin er wollte: das letzte Band, das ihn noch an die alte Hütte fesselte, war zerrissen: die Großmutter lag dort unten auf dem Kirchhof von Errazu.
Er würde sich die Stirne nun nicht mehr im Schatten der Kastanienbäume kühlen, würde das Plätschern des Wassers und den fröhlichen Sang der Bauerndirnen nicht mehr hören, nie mehr die erhitzten Köpfchen der spielenden Kinder und das glückliche Lächeln der Mutter sehen.
Er war allem, ganz allein in der verräucherten Hütte, durch deren kleine Scheiben man hinter den Zweigen des Kastanienbaumes das tiefe Tal erspähte.
Seine vier Schwestern waren in verschiedenen Ortschaften verheiratet; die älteste in Berrueta, zwei in Arizcun und die jüngste in Errazu. Mit knapper Mitgift versehen, hatten sie das heimatliche Haus verlassen.
Pedro Mari, der Erbe des Hofes, wollte ledig bleiben, nicht, weil er keine passende Frau finden konnte, sondern nur, weil er seit seiner frühesten Jugendzeit eine bestimmte Idee, einen bestimmten Plan hegte.
In dem Kopfe dieses Jünglings mit den stahlblauen Augen, dem maisfarbenen Teint und den lächelnden Zügen, der schlank wie eine Tanne und stark wie eine Eiche war, lebte ein Gedanke, der ihn völlig beherrschte: er wollte nach Amerika auswandern, und sich dort, wie viele seiner Landsleute, bereichern.
Wie? darüber war er sich nicht klar. Er wußte nichts und glaubte doch genug zu wissen. In Amerika werden die Leute reich, das genügte ihm.
Nach dem Tode der Großmutter verkaufte er die Schafherde und das Hausgerät an seine Schwester Leocadi, die in Errazu lebte und die reicher, oder besser gesagt, weniger arm war als die andern.
Die heimatliche Hütte behielt er selbst, um einst mit gefüllten Taschen dorthin zurückkehren zu können.
Veranlassung zum Auswandern fand sich bald. Man sprach viel von dem nahe bevorstehenden Krieg zwischen Spanien und Frankreich. Die Hütte lag hart an der Grenze, und daher würde er wohl Soldat werden und in französische Lande eindringen müssen ...
Und Pedro Mari haßte den Krieg, mehr noch den Dienst, die Disziplin und die Kaserne. Das Leben in den Bergen hatte in seiner Seele die Liebe zur ländlichen Ruhe, seine Herkunft die Liebe zur persönlichen Freiheit erweckt, weder der Hirt noch der Baske in ihm konnte sich mit dem Militärdienst befreunden.
Er hatte seine Reise auf den folgenden Tag festgesetzt: eine weite beschwerliche Fußwanderung bis zu dem einzigen andalusischen Hafen, wo er sich einschiffen konnte, ohne andere Hilfsmittel als ein wenig Geld, ohne andere Aussichten als das Empfehlungsschreiben des Herrn Pfarrers an einen verwandten in Valparaiso.
Nach einem frugalen Mittagessen schlug er gegen Abend freudigen Herzens den Pfad nach Izpegi ein. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, von jenen blauen Gipfeln aus den letzten Blick auf das Tal zu werfen, warum gerade nördlich von Izpegi an den Apfelbäumen entlang, auf dem schönen, grünen Rasen, von dem sich wie reine, frisch zum Trocknen aufgehängte Wäsche, das Häuschen von Eyaraldea abhebt? Dort wohnte Katalin. die schöne und lustige Bäuerin, die beinahe Pedro Maris abenteuerliche Pläne gekreuzt hätte. Und vielleicht lebte, ihm unbewußt, in der Tiefe seines Herzens die Erinnerung an seine einzige Liebe fort: wie die glühende Asche auch in der kältesten Nacht im ausgebrannten Herdfeuer fortglüht.
Es war im Monat März eines Jahres, in dem es nur wenig Schnee und Eis gegeben hatte. Die milde, feuchte Witterung hatte schon früh alles zur Blüte gebracht; hinter frischen Blättchen im Gebüsch waren die jungen Nester der piependen Vögel versteckt. Ab und zu zeigte der Frühling sein lachendes Gesicht, um ebenso rasch wieder hinter Wolken zu verschwinden; aber wohin man sah, in Feld und Wald, überall leuchtete der Saum seines vielfarbigen Gewandes.
Pedro Mari setzte sich auf einen Stein. Der Himmel wechselte fast unmerklich seine Farbe: dort ein mattes Blau, hier kristallner Glanz. Im fernen Westen schwebte ein Wölkchen langsam dahin, wie eine schwimmende, von Goldadern durchzogene Insel. Der wundervolle Wasserfall verlieh den hohen Felsen und den Hügeln von Astate und Arieta einen seltsamen Glanz; rückwärts zogen sich die Berge hin, deren höchste, immer umwölkte Gipfel beinahe in den Himmel ragten. Ihnen zu Füßen erstreckten sich rechts und links die Täler von Baztan und Baigorri mit ihren Dörfern, Hütten, Flüssen, Wäldern und selben Saatfeldern, die einen güldenen Glanz über die grünlichen Schattierungen breiteten. Fröhliche Vogelstimmen erfüllten die Luft, und es rauschten die Bächlein, die wie tanzende Bauernburschen über Bergabhänge ins Tal hinuntereilten.
Mit dem Lärmen in der Natur vereinte sich das Echo ferner Gesänge: weibliche Stimmen mischten sich mit dem lieblichen Geläute der Schafherden und dem Rauschen der schnellfließenden Bäche, ohne es zu übertönen. Pedro Mari begann den Abhang hinunterzusteigen. Ihn lockte die Hütte Katalins mehr als der Gesang. Auf den an die ersten Hütten stoßenden Feldern war ungefähr ein Dutzend Bauernmädchen mit dem Jäten beschäftigt. Hell beschien die Sonne ihre roten Röcke, ihre bunten Kopftücher. Die Mädchen sangen:
»Ich spinn und spinn
Und sinn und sinn
Und meine Tränen fließen.«
Die fröhliche und tändelnde Melodie, in der doch eine leichte Melancholie lag, stimmte merkwürdig gut zu Pedro Maris Empfindungen.
Die Bauerndirnen bemerkten ihn sofort und lächelten ihm freundlich zu, mit ihren schrillen Stimmen singend und nach jeder Strophe in lautes Gelächter ausbrechend.
»Schwestern, wollt ihr einen Mann,
Geht hinab zur Mauer,
Für fünf Sous man finden kann
Achte auf der Lauer.«
Pedro Mari legte die Hand an den Mund und antwortete mit folgender Strophe:
»Männer, wollt ihr eine Frau,
Geht hinab zum Garten,
Dort findet ihr im Abendtau
Achtzehn auf euch warten.«
Während seines Gesanges tanzte und hüpfte eine etwa sechzehnjährige Bäuerin, klein und behende wie ein Eichhörnchen, auf dem Felde herum.
»Für 'ne gute Tänzerin gibt's kein schlechtes Tamburin, – nicht wahr?« rief ihm eine hübsche, rothaarige Bäuerin mit schwarzen Augen entgegen, die mit herausforderndem Lächeln auf ihn zukam.
»Komm mir nicht nahe, Kind!«
»Warum?«
»Du kennst doch das Sprichwort:
»Manches, was von weitem schön,
Darf man nicht genau besehn!«
»Ich kann auch Verse machen; mich nennen sie die Dichterin.«
»Sage mir einen; in deinem Munde werden sie süß sein wie Honig.« –
»In dem kleinen Dorf Baztan
Sieht viel große Esel man.«
Lautes Gerächter erscholl darauf und klang von Berg zu Berg, bis es in dem Rauschen der Bäche erstarb.
Pedro Mari war zu dumm, zu schwerfällig und zu denkfaul, um einem Dutzend scherzender Frauen antworten zu können. Ihr Gelächter brachte ihn aus der Fassung.
Er errötete, machte kehrt und verschwand in den nahen Wäldern, tief betrübt, Katalin nicht gesehen zu haben. Spottend klang der Gesang der Bäuerin hinter ihm her:
»Verliebte sehen schrecklich aus,
Bleich wie der Tod, ein wahrer Graus.«
Als er seine Schritte in andere Richtung lenkte, kamen ihm drei Burschen entgegen, – einen von ihnen kannte er, Martin aus Zamukegi.
Dieser antwortete ihm auf seine Fragen:
»Meine beiden Kameraden sind aus Bidarray – wir gehen nach Elizondo, um Vieh zu kaufen, was du wohl wissen wirst, wir wandern aus, kehren Frankreich den Rücken und wollen in Pamplona bleiben, bis alles vorüber ist. Ich fürchte, wenn wir zurückkommen, werden die Bäume ihre Wurzeln in den Himmel und ihre Zweige in die Erde strecken. Die Aufwiegler sind in das Tal gedrungen, haben die Kirchen gestürmt, mit Heu gefüllt, die Kelche, die heiligen Gefäße und die Monstranzen geraubt und einen Baum aufgepflanzt, um den sie, Gotteslästerungen heulend, einen wüsten Tanz aufführen. Unter ihnen sind viele abtrünnige Priester, Schweinehunde! – die gern heiraten wollen und dem Teufel die Hand bieten.«
Pedro Mari bekreuzigte sich.
»In Wirtshäusern und Hütten verkünden sie, das heilige Gefäß in der Hand, neue Lehren und erwarten, daß wir alle dieser Republik zujauchzen, die sie auf den Königsthron setzen wollen. Sie sagen, daß sie die Republik auch in Madrid verkünden werden, und daß es von nun an in ganz Spanien weder Mönch noch Inquisitor mehr geben soll. Manch einem rauben sie das klare Urteil. Sie bilden ein Heer von Freiwilligen, und da sich zu wenige melden, fangen sie jetzt an, die Burschen gewaltsam einzuziehen, heute werfen sie ihre Netze nach uns aus, und so werden wir von den Gendarmen mit gezücktem Säbel durchs Gebirge verfolgt! So geht es in Spanien zu. Mag da dienen, wem es gefällt, und rufen, es lebe die Freiheit! wir sind frei, frei in Pamplona!«
Martin wandte sein Gesicht gen Frankreich und stieß einen jubelnden Ruf aus, der kräftig widerhallte.
Beim Abschied trat er an Pedro Mari heran und flüsterte ihm zu:
»Weißt du schon das neueste? Katarin von Eyaraldea heiratet Miguel Elorga, das heißt, wenn sie ihn nicht zum Soldaten machen.«
Wenige Augenblicke darauf waren die drei Burschen im Schatten der Bäume verschwunden. Pedro Mari verharrte unbeweglich und nachdenklich, bis ihn ein leises Geräusch aufschreckte. Ein Vogel pickte mit seinem schwarzen Schnabel an einem dürren Ast. Er hob den Kopf. Die ersten Sterne breiteten einen matten, goldigen Schein über das Laub der Bäume. Der melancholische Ruf des Kuckucks übertönte das leise Murmeln der Quellen und Bäche. Langsam senkten sich die Nebel über das Tal.
Kaum drang der Strahl der ersten Morgendämmerung durch die schlecht schließenden Fenster der Hütte, als Pedro Mari, der nur wenig geschlafen hatte, sich von seinem Lager erhob. Er kleidete sich an, schnallte den Gurt mit dem Geldbeutel um, ergriff den Stock, an dem sein Bündel, der Korb mit Lebensmitteln und seine Stiefel hingen, und trat, nachdem er einen flüchtigen Abschiedsblick auf das Haus geworfen, hinaus. Den Schlüssel legte er so nahe an die Tür, daß man ihn von außen bequem erreichen konnte; gerade als beabsichtige er, bald zurückzukehren.
Ihn dürstete, und er nahm einen Schluck Wasser aus der Quelle. Der Morgen war frisch, aber schön, ein Junitag im März: die Luft rein, der Himmel klar, die Berge rosig und die Wälder ruhig.
Freudige Hoffnung verdrängte bald die Traurigkeit, die jeder Abschied mit sich bringt. Die gesunde Bewegung erhöhte sein Wohlbefinden; weit ausschreitend, schlug Pedro Mari den beschwerlichen Weg zum Hafen ein. Unweit der Schenke von Ulzama stieß er auf einen Trupp Soldaten und später auf zwei Regimenter und zahlreiche, kostbar gekleidete Reiter. Sie erzählten ihm, daß der Vizekönig ernannt und Frankreich der Krieg erklärt worden sei.
Um allen neugierigen Fragen aus dem Wege zu gehen, hielt er sich von den Dörfern fern und suchte die abgelegensten einsamsten Schenken auf.
Auf seiner Wanderung durch Pamplona, das öder und weniger bebaut ist, schien es ihm durch die Ähnlichkeit der Trachten, Sitten und Sprache dennoch, als habe er Baztan nicht verlassen. Trotz des lachenden Himmels und der fruchtbaren Erde lag über den Bergen, der hügeligen Ebene ohne Flüsse, Wiesen, Schaf- und Kuhherden etwas wie düstere Trauer.
Bald erreichte er Altkastilien und bemerkte zu seinem Ärger, daß trotz des klaren Himmels die Gegend immer reizloser wurde; kahle Gebirgszüge, schroffe Felsblöcke, düstere Engpässe, dürftige Pinien und unweit davon die endlose, staubige, braune Steppe, begrenzt von den Bergen, die wie von großen Riesenmaulwürfen aufgeworfene Erdhügel aussahen. Unter der goldigen Lichtflut der Sonne machten die elenden Dörfchen, die Lehmhütten, die zitronengelben, mageren, zerlumpten Männer und Weiber einen besonders jämmerlichen Eindruck. Und auf den ärmlichen Gehöften verkündete weder Lachen noch Gesang den Anbruch des Feierabends. Mürrisch und schweigsam wie die Lastesel traten sie den Heimweg an.
Nach langen, anstrengenden Tagesmärschen bat ihm die Nacht in schmutzigen, unordentlichen Schenken, deren Boden niemals ein Besen berührte, nur wenig Erholung. Als einziger Hausrat hing ein irdenes Trinkgefäß zum allgemeinen Gebrauch an der Wand, und oft bestand der ganze Proviant nur aus ein wenig Brennholz, Wein und Öl, so daß jeder, der nicht mit leerem Magen zu Bett gehen wollte, gezwungen war, sich sein kärgliches Mahl selbst mitzubringen. Unfreundliche Wirte, zerlumpte und liederliche Kellnerinnen mit schmutzigem Mieder und zerrissenem Flanellrock, abends kein Gast in der Schankstube, nur einzelne Passanten und zuweilen ein paar lustige Maultiertreiber aus der Nachbarschaft, das Bett ohne Decke und die Unterhaltung karg.
Unzählige Male kam Pedro Mari das Bild alter Freunde und ein Lied seiner Heimat in den Sinn, und so summte er es, sich auf seinem Strohsack ausstreckend, leise vor sich hin.
Jeden Morgen trat er von neuem und mit größerer Sehnsucht seinen Marsch an, sich über jede Strecke freuend, die ihn dem andalusischen Hafen näher brachte, in dem er sich nach Chile einschiffen wollte.
Eines Abends, als seine Vorräte erschöpft waren, trat er in eine kleine Dorfschenke und setzte sich an einen Tisch. Zwei Männer näherten sich ihm, höflich grüßend, sie sahen nicht allzu vertrauenerweckend aus, aber als Pedro Mari an seinen verbrannten Teint, seinen verschossenen Anzug, das schmutzige Hemd, die zerrissene Jacke und die geflickte Hose dachte, gab er sich zufrieden. Einer der beiden war groß, der andere klein, der eine sah aus wie ein Hamster, der andere gelb und dürr wie ein Tamburin; Stirn und Wangen mit Narben bedeckt.
Ihr Aussehen und ihre Tracht brachten Pedro Mari auf den Gedanken, daß sie keine Bauern seien, sie kamen aus dem nahe gelegenen Madrid und begannen sogleich ein Gespräch. Der größere war Soldat gewesen und hatte die Bestürmung von San Sebastian mitgemacht. Er sprach baskisch und Pedro Mari kastilianisch, so daß sie sich sehr gut verständigen konnten. Sie ließen Wein kommen aus Freude über die vornehme Bekanntschaft, wurden aber während ihres Hin- und Herredens plötzlich durch den Lärm von der Straße aufgeschreckt.
Die beiden Freunde stürzten hinaus; auch die übrigen Gäste verschwanden durch die Hintertür. Nur Pedro Mari blieb allein zurück und verzehrte sein Mahl mit der größten Seelenruhe.
Dann erhob er sich, um zu bezahlen, leichter und behender denn je, so leicht, daß er das Empfinden hatte, er habe ein Gewicht, eine hindernde Last abgestreift. Unwillkürlich griff er nach seinem Beutel: das Geld war verschwunden. Blaß und verstört stieß Pedro Mari, am ganzen Leibe zitternd, ängstliche Hilferufe aus.
Von seinem Schanktische aus beobachtete der Wirt ihn scharf und fragte kurz:
»Was ist los, Brüderchen? Seid Ihr verrückt geworden? Hört auf mit dem Kauderwelsch und dem Geschrei.«
Schreck und Bestürzung hatten Pedro Mari derartig in Aufregung versetzt, daß er kein einziges kastilianisches Wort herauszubringen vermochte. Endlich stieß er jammernd hervor:
»Sie haben mich bestohlen! Sie haben mich bestohlen!« Der Wirt schnitt eine Grimasse. »Das macht einem andern weis! Solche Finten nützen hier nichts, Brüderchen. Ich bin ein armer, alter Mann und lasse mich nicht von Schmarotzern aussaugen. Entweder Ihr bezahlt, oder ich hole die Polizei.«
Pedro Mari verstand ihn nicht, holte aus der Westentasche das Geld, das er zum täglichen Gebrauch dort eingesteckt hatte, und rief noch wütender: »Sie haben mir mein Geld gestohlen, hier, hier haben sie mir mein Geld gestohlen!«
Diese Worte brachten den Wirt zur Raserei.
»Verdammt!« rief er aus. »Das fehlte mir nur noch, daß solch ein Gauner einen armen, ehrlichen Christen wie mich ins Verderben stürzt!«
Der Streit wurde immer heftiger, und Pedro Mari wiederholte immer lauter: »Sie haben mir mein Geld gestohlen!«, während der Wirt ihn mit Vorwürfen und Drohungen überhäufte, sie schrien so laut, daß sie den Eintritt mehrerer Soldaten ganz überhört hatten und ihre Gegenwart erst bemerkten, als der Sergeant Pedro Mari die Hand auf die Schulter legte mit den Worten:
»Soldat Seiner Majestät!«
Pedro Mari, erschreckt durch den Anblick der Gewehre und Bajonetts, begann zornig den Hergang der Geschichte zu erzählen und versuchte sich schreiend loszumachen.
»Mir hat man mein Geld gestohlen, und nun soll ich ins Gefängnis?«
Niemand hörte auf ihn. Die Soldaten banden ihm die Hände und trieben ihn unter Stoßen und Schlagen auf die Straße.
»Herr Sergeant!« schrie der Wirt hinter ihm herlaufend, »dieser Schurke hat noch nicht bezahlt!«
»Wer dem König dient, kann sich doch wenigstens umsonst satt essen,« lautete die lakonische Antwort.
Pedro Mari wurde einem Trupp zerlumpter, wüster Gesellen zugeteilt, die unter der Aufsicht einer Kompagnie Soldaten vor der Tür standen. Man rührte die Trommel, und nach Aufstellung der Truppe verlas ein Offizier mit lauter Stimme einen Erlaß seiner katholischen Majestät, des Königs D. Karlos IV., und darauf einen anderen von dessen Vorgänger D. Karlos III. vom 11. September 1773, der unter dem Vorwand eines Krieges zwischen Spanien und der französischen Republik die militärische Einberufung aller Müßigen in Madrid und den umliegenden Ortschaften befahl.
Nun befreiten die Soldaten Pedro Mari von seinen Fesseln, denn er war für sie nicht der Dieb, als welchen der böse Wirt ihn bezeichnet hatte. Sie wollten ihn zum Soldaten machen. Vergebenes Bemühen! Von der kastilianischen Aushebung befreiten ihn sowohl seine navarrische Herkunft als auch sein Grundbesitz in Baztan. Wie aber das hier beweisen? Für den Augenblick war es unmöglich, denn die Soldaten hörten auf keinen, und sobald einer laut sprach, schlugen sie ihn... aber über kurz oder lang würde sich wohl Gelegenheit dazu bieten.
Er beschloß, sie ruhig abzuwarten; inzwischen hatte er reichlich Zeit, über sein Mißgeschick zu grübeln. Man hatte ihn bestohlen! Seine Ersparnisse waren verschwunden, und ihm war die Möglichkeit benommen, den Spuren der beiden Diebe zu folgen. Als er die Schenke betrat, hatte er das Geld noch, das wußte er genau. O, über diese verdammten Freunde! Zweifellos hatten sie ihn bestohlen. Würde er mit dem bißchen Geld, das ihm geblieben war, den fernen Hafen erreichen und die teure Überfahrt bezahlen können? Vielleicht, wenn er sich alle nur denkbaren Entbehrungen auferlegte... Aber wovon sollte er die erste Zeit in Amerika leben? Wäre es nicht besser, wenn er einfach umkehrte und seinen Plan ganz aufgäbe? Aber ohne Geld, ohne Vermögen nach Baztan zurückkehren, das war unmöglich!
Eine schöne Reise! Er konnte sich dann als Hirt oder als Knecht verdingen. Und der Hohn der Freunde, der Verwandten, der Nachbarn! Mit Spottliedern würden ihn die Mädchen am Brunnen empfangen. Nein, tausendmal nein! Lieber betteln gehen, lieber beim Militär dienen, als das ertragen!
Diese Gedanken durchkreuzten sein Hirn, als er während des ganzen Abends und der halben Nacht über die öden, ausgedörrten Felder marschierte. Endlich erreichten sie eine Stadt, Alcala, und wurden nun in einen niederen Stall geführt, der nichts anderes enthielt, als eine Pritsche. Man brachte ihnen einen großen Kessel mit Essen, das Pedro Mari lebhaft an das Schweinefutter in Baztan erinnerte. Ein Hauptmann, gefolgt von vier Unteroffizieren, machte die Runde, untersuchte die Taschen der Ausgehobenen und nahm ihnen das Geld ab. Pedro Mari widersetzte sich ihm, und nach derben Faustschlägen drohte man ihm sogar mit Gefängnis. Nun begann er sich bitterlich zu beklagen und mit leidenschaftlichen Worten und Gebärden sein unglückseliges Geschick zu verwünschen. Niemand hatte Mitleid mit ihm, sogar seine Schicksalsgenossen machten sich über ihn lustig und verhöhnten ihn. So fügte er sich denn schweigend, flüchtete in einen Winkel und verbrachte die Nacht wachend, ohne einen Bissen zu sich genommen zu haben. Bald verfiel er in völlige Ermattung; ihm war es klar geworden, daß er in eine Falle geraten, aus der es keinen Ausweg gab.
Die ersten Strahlen der Morgensonne drangen durch das schmale Fenster. Die Hitze war drückend, die Luft schwer, die Atmosphäre verdorben.
Hier schnarchte der Auswurf der menschlichen Gesellschaft, ein Haufen zerlumpter, blasser Gesellen, den Stempel von Elend und Laster auf den Zügen.
Und zu derselben Zeit ging die Sonne in ihrer strahlenden, goldenen Schönheit über den baztanesischen Bergen auf.
Die Gefangenschaft dauerte noch den größten Teil des folgenden Tages. Die schlechte Luft verursachte ihm Übelkeiten. Pedro Mari schmerzte der Kopf so heftig, als drücke ein eiserner Ring auf seine Schläfen. Vergebens war die Bitte um Nahrung und frische Luft; die Türen blieben hermetisch verschlossen. Zuweilen ließ sich der Schritt der auf- und abgehenden Schildwache vernehmen. Die Reste des Essens wurden unter häßlichen Streitigkeiten verschlungen. Pedro Mari ekelte sich davor, und wäre lieber Hungers gestorben, als daß er auch nur einen Bissen zu sich genommen hätte, heftiger Durst quälte ihn, und so entschloß er sich, einen Schluck von dem warmen, schlecht schmeckenden Wasser zu trinken, das am Boden stand. Um vier Uhr nachmittags wurde die Tür geöffnet, und wie losgelassene Stiere stürzten alle hinaus in die frische Luft.
Ein Hof mit hohen, kahlen Mauern; zwei Reihen Soldaten mit gezücktem Bajonett; in der Mitte eine Gruppe von Offizieren in den verschiedensten Uniformen, die lachend und scherzend ihre Pfeife rauchten.
Sie befahlen den Ausgehobenen, sich aufzustellen, und begannen die Reihen zu inspizieren.
»Teufel auch! das ist ja das reine Gesindel!« rief ein Reiteroffizier von aristokratischem Aussehen und in prächtiger Uniform, mit verächtlicher Gebärde aus. »Die sehen aus wie entlaufene Sträflinge, nicht wie Bauern. Ist das ein Pack!«
»Mit Ausnahmen, Pepita!« entgegnete ein Hauptmann der Infanterie, »hier ist ein Bursche, groß und schlank wie eine Tanne, den stecken wir zu den Grenadieren. Er sieht anständig aus und scheint ein Fremder zu sein. Wie zum Teufel kommt Ihr zu dem?«
Die Soldaten wurden in kleine Trupps geteilt, und Pedro Mari dem kleinsten zugewiesen.
Als der Hauptmann sich näherte, um dem Sergeanten seine Befehle zu erteilen, grüßte Pedro Mari respektvoll und äußerte verlegen und demütig seine Wünsche.
Dieser hörte ihn geduldig und mit wohlwollender Miene an.
»Wem sagst du das, mein Sohn? Der König befiehlt und« ... militärisch grüßend setzte er hinzu: »auch du mußt gehorchen. Und ich glaube kaum, daß die Bewohner von Navarra den Wunsch hegen, daheim still am Herd zu sitzen, während sich die übrigen Spanier mit den Franzosen schlagen. Dort oder hier, das bleibt sich gleich.«
Pedro Mari wollte noch etwas erwidern, aber der Hauptmann schnitt ihm mit strenger Miene das Wort ab.
»Schweig' oder ich laß dich Spießruten laufen.« Mit diesen Worten drehte er sich kurz auf dem Absatz herum.
Einer der Offiziere, der den Vorgang beobachtet hatte, rief wütend aus:
»Diese Hunde haben immer eine Ausrede, wenn es gilt, dem König zu dienen, wenn mir so einer in die Hände fällt, soll's ihm schlecht ergehen, Herr Hauptmann!«
Es war unnütz, absolut unnütz, sich aufzulehnen. Das wurde Pedro Mari bald klar. Nachdem er einmal zwischen die Räder der militärischen Maschine geraten, sah er keinen Ausweg mehr.
So ergab er sich denn geduldig in sein Schicksal, mit der schwachen Hoffnung auf bessere Zeiten. Wie oder wann würde das sein? Jeder Mensch, auch der verzweifeltste, hegt noch unbestimmte Hoffnungen.
Wie gewöhnlich traf der Krieg Spanien auch dieses Mal ganz unvorbereitet. Täglich wurden neue Rekruten aus allen Gegenden zur Instruktion nach Alcala befohlen. Früh von sechs bis elf und nachmittags von drei bis sieben Uhr waren Pedro Mari und seine Kameraden auf dem Manöverfeld, um nach preußischer Art gedrillt zu werden. Tausend unnütze Kleinigkeiten erschwerten die einfachsten Bewegungen des Körpers, Wie viel Schwierigkeiten liegen zum Beispiel schon in der Ausführung des einfachen Befehls: Augen rechts!
Wie sehr Pedro Mari sich auch bemühte, er konnte doch die lispelnd in kastilianischer Spräche erteilten Befehle seines Vorgesetzten kaum verstehen. So machte er rechts Kehrt, wenn links kommandiert wurde, und verwechselte stets den Laufschritt mit dem gewöhnlichen Marschieren. Der Sergeant schrieb all diese Versehen seiner Dummheit zu, und so endete der Tag gewöhnlich mit Schwarzbrot, Karzer und dem üblichen Spießrutenlaufen. Dies alles und noch dazu der Spott der Kameraden machte aus dem kräftigen, an Bewegung in frischer Gebirgsluft gewöhnten Landmann alsbald einen Schwächling. Dazu die Uniform: die engen Kleider, das Riemenwerk, die Knöpfe und Schnallen, die Halsbinde, die ihn drückte, und die Stiefel, die ihm, der sonst barfuß auf dem feuchten Grase umherlief, die Füße einzwängten.
Tiefe Traurigkeit und ein unüberwindliches Heimweh befielen ihn. Bei dem Gedanken an den strahlenden Sonnenuntergang am kastilianischen Himmel, der seinen blauen Schein über die goldschimmernden Wiesen warf, traten ihm die Tränen in die Augen, und mit Neid, dem tiefen, ehrlich empfundenen Neid eines Gefangenen verfolgte er den freien Flug der gen Norden ziehenden Kraniche.
Allein und verlassen, ohne Freunde und Kameraden, empfand er die verletzende Gleichgültigkeit noch tiefer als den beißenden Hohn. Unter den Rekruten war ihm nur ein einziger zugetan: Gregorio, ein Bergbewohner aus Burgos.
Er sprach oft mit ihm von der Kirchweih, vom Jahrmarkt in Señorio, vom fröhlichen Tanz beim Klang des Tamburins.
»Die Biskayanerinnen sind muntere, fröhliche Dirnen,« sagte er. »Für einen Tanz mit ihnen gebe ich die beste Kuh aus meinem Stalle her.«
So gut es gehen wollte, vor allen Dingen aber so rasch wie möglich wurden die Rekruten gedrillt, und so kam alsbald der Tag, an dem sie dem Regiment in Cordoba einverleibt wurden.
Am Tage des Abmarsches war der Himmel klar und wolkenlos; vom frühen Morgen an wogte eine große Menschenmenge durch die Straßen von Alcala. Die Glocken läuteten, Raketen flogen in die Luft, und alle Häuser waren festlich geschmückt. Aller Orten erklang der begeisterte Ruf: Es lebe der König! Es lebe Spanien!
Die zum Gefecht bestimmten Regimenter wurden in die Kirche geschickt, wo der Priester an diesem Tage mit besonderer Begeisterung für die unlösbare Vereinigung von Thron und Altar eintrat und die ruchlosen Prinzipien der französischen Revolution mit vernichtender Strenge verdammte. Die Predigt verfehlte ihren Eindruck auf die Zuhörer nicht; nur Pedro Mari schlief fest, den Kopf an einen Pfeiler gestützt. Die monotone Stimme und die ihm unverständliche, langatmige Rede hatten ihn eingeschläfert.
Eine halbe Stunde später verließen die Truppen Alcala mit lautem Siegesruf, flatterndem Banner und lustigem Trommelwirbel. In Saragossa stießen sie mit dem Navarresischen Regimente zusammen; das war für Pedro Mari ein freudiger Augenblick, dem bald eine bittere Enttäuschung folgen sollte, da kein einziger Navarrese dabei war. Diesen Namen hatte der König von Spanien dem Regiment willkürlich verliehen. Einen leisen Trost gewährte ihm schon der Anblick des roten Banners an der Spitze des zweiten Bataillons, und wie ein Kind seine Mutter, verfolgte er es unablässig mit seinen Blicken.
Der Weg von Saragossa nach Lérida führte über endlose Ebenen, über öde, mit dürftigem Getreide bewachsene Felder, über graue, trockene, staubige Erde unter den versengenden Strahlen einer unerbittlich glühenden Sonne. Kein Vogel in der Luft, kein Schatten auf dem Weg, nirgends ein Quell, um die trockene Kehle anzufeuchten, nur in weiter Ferne die nebelumhüllten, schneebedeckten Pyrenäen.
Und voller Neid dachte Pedro Mari daran, wie dort im baztanesischen Gebiet keine Blume sei, deren Stengel und Krone nicht mit kristallenen Tautropfen getränkt.
Ricardo's Heer nahm seine Position ein, und das Regiment von Cordoba lagerte am Fuß des Pertus.
Der schnelle Marsch durch die katalanischen Ebenen erschien Pedro Mari fast wie ein Traum. Ihm blieb nur eine unbestimmte Erinnerung an fruchtbare Felder, fremdartige Blumen und Sträucher und wunderbare Gebirgsseen. Das Regiment erhielt den Befehl, die französische Grenze zu überschreiten. Nachdem sie ihre Gewehre vor den Zelten aufgepflanzt, begannen die Soldaten zu schwatzen und zu spielen. Pedro Mari hatte sich auf einen Baumstumpf gesetzt und betrachtete aufmerksam den schäumenden Wasserfall, der ihm das Gesicht benetzte; die erhabene Schönheit dieser Gebirgsgegend ließ ihn seine tiefe Traurigkeit noch schmerzlicher empfinden.
Um die Mittagszeit wurde Alarm geschlagen, und das Regiment zog aus, um den Hügel von Pertus zu besetzen.
Pedro Mari hatte die Aufgabe, bis zur französischen Grenze vorzudringen.
Allein am Abhang stehend, stützt er die an den friedlichen Hirtenstab gewöhnten Hände fest auf sein Gewehr.
Die Sonne neigt sich ihrem Untergang, und die Schatten vertiefen sich immer mehr, vom Westen, von Bellegarde her hört man laute Kanonaden ertönen, die etwas Furchtbares verkünden: den nahenden Krieg. Pedro Mari fürchtet ihn nicht, nein! er fühlt, daß er auch den größten Gefahren mit unerschütterlichem Gleichmut zu trotzen vermag; er steht dem großen Ereignis kalt und gleichgültig gegenüber. Er weiß kaum, warum und für wen er kämpft. Seine Feinde haßt er nicht, aber er empfindet auch keine Liebe für seine Freunde. Jenes dreifarbige Banner, das von Bellegardes Zinnen weht, – das ist sein Feind. Der Feind, den er nicht kennt, der ihn nie beleidigte, mit dem er aber dennoch kämpfen muß, wie mit einem wilden Tier. Der Befehl drückt und demütigt ihn, macht ihn zum Automaten. Er sieht seine Zukunft vernichtet, denkt an seine verkaufte Habe, an sein gestohlenes Geld, an all die Strafen, all den Spott, an seine Verlassenheit, seine Verzweiflung im Kerker ...
Die Nacht bricht herein; ringsum tiefes Schweigen. Keine menschliche Stimme, kein Laut in der Natur. Ein Schweigen, das den bedrückten Heimatlosen noch trauriger stimmt. Das einzige, was ihm zu tun übrig bleibt, ist: sich in das Unvermeidliche fügen, sich den Gesetzen unterwerfen und den Befehlen gehorchen ... Pedro Mari neigt das Haupt, und eine Träne rinnt langsam auf seinen Kittel herab.
Was für ein Lärm unterbricht plötzlich dieses tiefe Schweigen? Ist es das Rauschen der Pinien, das Murmeln der Bäche? Nein, es ist ein immer lauter werdendes Gemurmel, das aus weiter Ferne herüber dringt. Ein Gewirr von menschlichen Stimmen, von unverständlichen Worten, nichts als ein dumpfes Geräusch. Pedro Mari hebt den Kopf, lauscht; heftig pulsiert das Blut in seinen Schläfen, er vermag kaum etwas zu hören. Mit zitternden Händen betastet er seinen Körper und blickt ängstlich umher, wie um sich zu überzeugen, daß er noch auf demselben Fleck steht. Es ist kein Traum, kein Fieberwahn; er ist wach, seine Füße berühren kastilianische Erde und dennoch ... kein Zweifel, – es ist der Gesang der Baigorriner Mädchen. Mit zitternder Stimme fällt er ein und singt wie ein Wahnsinniger, während seine Brust, sich weitend, den frischen Hauch der Euskarinischen Berge einatmet.
Das Gewehr fällt ihm aus der Hand, er macht ein paar Schritte vorwärts ... eine geheime, unwiderstehliche Macht lockt ihn. Jetzt hat er die Grenze überschritten, jetzt ist er in Frankreich; er läuft den Berg hinunter durch den dunklen Pinienwald, gelangt ins Tal und erkennt beim matten Schein der Sterne eine Gruppe Männer, die ihren Gesang unterbrechen, sobald sie die Schritte hören.
»Halt, wer da!« ruft eine Stimme im baskischen Dialekt.
Pedro Mari schreit wie ein Gefangener, der seine Ketten gesprengt hat: »Baske!«
Es waren ihrer acht, sie trugen halb militärische Kleidung: blaue Jacke, graue Hose, rote baskische Mütze und die dreifarbige Schärpe. Man sah ihnen an, daß sie Bauern waren, die kürzlich vom Felde gekommen; alle waren aus Baigorri und Pedro Mari deshalb nicht unbekannt.
Sie waren sehr vergnügt, und der Geruch des Weines verriet bald die Ursache ihrer Fröhlichkeit. Pedro Mari wollte ihnen seine Geschichte erzählen und auch die ihrige hören, und sie gaben ihm mit der Versicherung, daß es sehr gut sei, navarrischen Rotwein zu trinken. Er blickte auf das Lager, das sich über die ganze Ebene erstreckte, in deren Mitte das Dorf lag. Der Lärm war groß. Pedro Mari, an die strenge Zucht der spanischen Armee gewöhnt, geriet von einem Staunen ins andere. Die Uniformen waren sehr verschieden und wenig militärisch. Aus den geöffneten Fenstern drang wüster Lärm, Geschrei, Gelächter, Gläserklirren.
Pedro Mari trat mit seinen Kameraden in eines der Häuser. Rund um einen Tisch saßen mehrere Basken, die essend und trinkend den melancholischen Gesang, der von draußen hereinklang, mit lauten Faustschlägen begleiteten. Pedro Maris Eintritt rief hellen Jubel hervor, man umringte ihn, bot ihm Wein an, und auf allgemeines Verlangen erzählte er seine Geschichte.
Und dann ließ er sich berichten; das Heer setzte sich ausschließlich aus Freiwilligen zusammen, einem narbonischen Bataillon und drei Kompagnien aus Navarra.
»So seid ihr alle Freiwillige?« fragte Pedro Mari erstaunt.
Minutenlanges Schweigen.
»Du, Churio, so antworte ihm doch endlich!«
»Man nennt uns Freiwillige,« entgegnete der andere, höhnisch lächelnd. »Mich haben die Gendarmen beim Kragen gepackt und über die Grenze geschleppt. Nennt ihr das freiwillig?«
Lautes Gelächter beantwortete diese Frage.
»Er soll uns den Fall Barneche erklären, der Weise von Banka!«
»Erklären, erklären!« riefen alle einstimmig aus.
Der Weise von Banka war ein langer, hagerer Bursche, der mit dem Kopf fast an die Decke stieß, seine riesengroßen Ohren standen unter der Mütze ab, wie die Henkel einer dickbäuchigen Flasche, und die Nase, die fast bis an den Mund reichte, die schmale Stirn und der spitze Bart verliehen seinem Aussehen etwas Groteskes. Nach längerem Zureden begann er mit großer Ruhe:
»Der Hund liegt an der Kette und hütet das Haus, aber nicht zu seinem Vergnügen. Deshalb beißt und bellt er; und so sind auch wir.«
»Aber ich denke, aus eurer Heimat kommen lauter Freiwillige?«
»Anfangs ja, da gab es viele; Leimruten, um Vögel einzufangen! – Die sind alle dort geblieben. Aber uns hielt man für die tapfersten und schickte uns deshalb in ferne Lande.«
»Die schwarzen Kastilianer haben uns die Kühe und unsere ganze Habe gestohlen, die verfluchten Hunde!«
»Und die roten Gendarmen, die einen einfach beim Kragen nehmen, was, Churio?« rief Joanis aus.
»Mögen sich die Roten und die Schwarzen in den Haaren liegen, was geht uns das an? Gott hat die freien Berge für uns Basken geschaffen.«
» Vive la nation!« schrie, den Ton und den Akzent der Franzosen nachahmend, ein kleiner zwölfjähriger Knabe, der die hellleuchtenden Metallwirbel der Trommel über der Brust gekreuzt trug.
Zum erstenmal sah Pedro Mari diesen Knaben mit den mädchenhaften Zügen aufmerksam an und warf einen fragenden Blick auf die Anwesenden.
Der Weise von Banka fuhr dem Jungen mit seiner Riesenhand zärtlich über den rothaarigen Kopf.
»Das ist der Tambur der Kompagnie, Pello Larralde, ein armer Waisenknabe aus Irulegi, den wir alle wie unser eigenes Kind lieben.«
Der Kleine lachte, und sich zärtlich an den Riesen von Banka schmiegend, sagte er schmeichelnd wie ein Kind, das um Süßigkeiten bittet:
»Denkst du an dein Versprechen?«
»Ja, ja, ich vergesse es nicht. – hört nur,« sagte er, sich an die Umstehenden wendend, »tausend und abertausend Mal hat er mich gebeten, ich soll ihn im Kampf mein Gewehr abfeuern lassen, wenn er es nur halten könnte!«
»Aber du sollst mir ja helfen! Es wird doch mit einer Kugel geladen?« fragte Pello erregt.
Und in seinen Veilchenaugen erglänzte eine Träne, die sie noch blauer erscheinen ließ.
Plötzlich dringt wilder Lärm von der Straße herein. Türen werden zugeschlagen, Hunde bellen, Kinder und Frauen schreien, und alle stecken die Köpfe zum Fenster hinaus. Menschliche Stimmen, Gesang und eine Menge, die sich in ungeordnetem Zuge durch das Dorf wälzt: gebräunte Männer, alle gleich gekleidet – ohne Uniform zu tragen –, mit der im Winde flatternden dreifarbigen Schärpe. Ein Haufen halbnackter Kinder trägt Fackeln, in deren rauchigen Flammen die Säbel- und Bajonettspitzen erglänzen.
Dahinter vier Kanonen, von einer Gruppe zerlumpter Männer gezogen, Frauen, denen das wirre Haar an der schweißbedeckten Stirn klebt und die mit den Artilleristen schäkern! Den Zug beschließt ein Reiter in einem dunkelblauen Rock mit großem Kragen und Aufschlägen, weißen Beinkleidern, gelben Stulpenstiefeln, einem Helm mit flatterndem Federbusch und dreifarbiger Kokarde, Pistolen und einem großen Säbel im Gurt; Männer und Weiber umringen sein Pferd, und schreien ihm zu: »Es lebe der Bürger! Es lebe die nationale Verbrüderung!« Aber die Hochrufe wurden übertönt von den Klängen der Hymne, die das Bataillon anstimmt.
Dann plötzlich feierliches Schweigen und endlich lautes Schreien, das den Befehl zu mutigem Vordringen erteilt.
Eine schnarrende Stimme hinter ihnen veranlaßte sie, die Köpfe umzuwenden.
»Das ist der Hauptmann,« sagte Joanis leise zu Pedro Mari, »der Gelehrte von Azkarate.«
Der Hauptmann war klein und schlank, sein Gesichtsausdruck fanatisch und seine Augenbrauen eng zusammen gewachsen, selbst die militärische Tracht vermochte ihm nichts von seinem theologischen Aussehen zu nehmen.
»Landsleute,« sagte er mit dumpfer Stimme, »nehmt euch an der Tugend der Marseiller ein Beispiel. Die reinste Vaterlandsliebe glüht in ihrer Brust. Basken, eure Ahnen haben im Schatten dieser heiligen Bäume die Gesetze diktiert, die euch die patriarchalische Wissenschaft überliefert. Zeigt euch euerer Vorgänger würdig, die niemals das Haupt vor einer Monarchie beugten, auch nicht, als sie durch Cäsar, Karl den Großen oder Ludwig XIV. verkörpert war. Ihr, die ihr die Freiheit über alles liebt, nehmt sie euch wieder! Vereint mit den Nachkommen euerer berühmten Vorgänger sollt ihr diese wilden Berge in die Thermopylen verwandeln, in denen die Satelliten des despotischen spanischen Bourbonen, die entsetzlichen Henker der Inquisition ihren Tod finden sollen. Und dann wird der berühmte Areopag der französischen Nation euere Heldennamen mit goldenen Lettern in den heiligen Altar des Vaterlandes eingraben.«
Pedro Mari und seine Freunde hörten dem Hauptmann Mendizi respektvoll zu, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Aber die Rede war, trotzdem sie in baskischer Sprache gehalten wurde, infolge der vielen klassischen Anspielungen für sie ganz unverständlich. Der Redner hatte auf Beifall oder doch wenigstens auf ein Zeichen der Zustimmung gehofft. Allein es herrschte tiefes Schweigen. Und seinen harten Blick scharf auf Pedro Mari richtend, rief er aus:
»Ach, du bist es, der die Fesseln des Despotismus gesprengt hat. Du wirst den Ruhm genießen, deinen Landsleuten, die ihm noch untertan sind, als erster vorangegangen zu sein!«
Auf eine an ihn gerichtete Frage antwortete Pedro Mari, daß die Spanier, weit davon entfernt, die Flucht zu ergreifen, sich bereit hielten, in Frankreich einzufallen.
»So, meinst du?« fragte der Hauptmann Mendizi ironisch. Und, seinen Ton dann plötzlich ändernd, legte er Pedro Mari die Hand auf die Schulter und sagte fast zärtlich:
»Und du kommst mit uns, nicht wahr? Ich werde Befehl erteilen, daß man dir den ersten Platz anweist, zur Belohnung für deine spontane Befreiung. Von heute an sollst du ein freier Mann sein.«
»Wenn ich frei bin,« rief Pedro Mari beglückt, »trenne ich mich noch heute von meinen Freunden. Ich gehe ...«
Zornig unterbrach ihn der Hauptmann: »Glaubst du, daß die Freiheit im Egoismus besteht, daß dich keine sozialen Pflichten binden? Deine Strafe soll es sein, unseren unsterblichen Heldentaten beizuwohnen, ohne daran teilzunehmen, und als unser Sklave die niedrigsten Geschäfte zu verrichten.«
Und verächtlich die Achseln zuckend, wandte er sich ab.
»Jeden Abend hält er uns eine Predigt,« sagte Churio, »wenn er uns nicht sein kleines Buch zu lesen gibt, das er immer bei sich trägt und das von einem gewissen Juan Jacobo geschrieben ist. Ich weiß nicht, wer das ist, und was mich anbetrifft, – ich habe ihn auch nie gekannt.«
»Spiegelfechtereien,« bemerkte der Gelehrte von Banka philosophisch.
»Geht, Kinder, tanzt, so lange es noch Zeit ist!« schrie Istebe Arrechea.
Und eine kleine baskische Flöte aus der Tasche ziehend, begann er darauf zu spielen.
Bald darauf tanzten die Basken mit wüsten Gebärden und tollen Sprüngen um den Tisch herum.
Pedro Mari schreckte aus seinem tiefen Schlaf auf. Er hatte sich auf einen Strohsack geworfen und war eingeschlafen. Das Tageslicht drang durch das kleine Dachfenster des Schuppens. von der Straße her tönte wüster Lärm: schreiend lief alles durcheinander, man hörte das Abfeuern der Gewehre in der Ferne.
Pedro Mari wollte hinaus, die Tür war verriegelt. Wie sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, sie mit Gewalt zu öffnen. Er tappte sich an der Lehmwand entlang, die ihm in ihrer schimmernden Weiße entgegenleuchtete; er hörte, wie darauf losgeschlagen wurde und sah, wie kleine Kalkstückchen absprangen; schrilles Pfeifen ertönte, und dann, nur wenige Schritte entfernt, ein lauter, dumpfer Schlag. Dichter Pulverqualm erfüllte den Raum; er untersuchte den Fußboden und entdeckte eine Kugel, holte eine Bank herbei, und, sich an der Lehmwand emporziehend, sprang er durch das kleine Fenster auf die Straße.
Sie war leer; in ihrer Mitte nur eine große Blutlache. Das Knallen der Kanonen übertönte den anderen Lärm, und unzählige Geschosse regneten, Dächer und Wände sprengend, auf das Dorf herab. Pedro Mari drang weiter auf den Platz vor; der Anblick mehrerer Leichname entsetzte ihn. Und mitten unter diesen Toten stand Pello, der kleine Tambour, ganz allein, und schlug unverdrossen seinen Wirbel. Er rührte die Trommel mit wahrer Wut. Dumpf widerhallte das Echo.
»Gut geschlagen, Junge!« rief Pedro Mari aus. »Aber was machst du hier? wo sind die andern?«
»Das weiß ich nicht. Der Hauptmann hat mir befohlen, hier die Trommel zu rühren. Aber's kommt niemand. Ich trommle aus Leibeskräften. Die Toten werden vielleicht aufstehen, aber die Lebenden ...«
Der Knabe trommelte so heftig, daß man glaubte, das Fell müsse platzen; seine roten Haarsträhnen klebten an der feuchten Stirn. Plötzlich verstummte der Wirbel; Pello überschlug sich und stürzte in dumpfem Fall mit dem Kopf auf die Fliesen. Sein linkes Auge war ausgelaufen, und aus der Augenhöhle floß blutige Gehirnmasse.
»Banditen!« schrie Pedro Mari, wie rasend beim Anblick des kleinen Leichnams.
In demselben Augenblick drangen Soldaten mit dröhnenden Schritten aus einer schmalen Gasse auf den Platz. Pedro Mari bückte sich, nahm ein Gewehr und schoß blindlings, ohne zu wissen, auf wen. Gleich darauf sah er sich von seinen Angreifern umringt und entwaffnet.
Er schaute sich die Umformen an: er war Gefangener der Spanier.
Das Dörfchen war von Franzosen überschwemmt, und bald versammelten sich die Truppen beim Geläute der Glocken auf dem Marktplatz, wo ihnen das Essen gereicht wurde; von links tönten laute Schüsse und Kanonaden herüber: der Feldmarschall Escofet stürmte mit dem Rest des Vortrabs die mutig verteidigte Festung San Lorenzo de Cerdà.
Pedro Mari erhielt mehrere Kolbenhiebe auf Brust und Schulter. An Händen und Füßen gebunden, verharrte er traurig in dumpfem Schweigen, inmitten der Menge, neben Pellos Leichnam sitzend, während er staunend die jähe Veränderung dieser mädchenhaft zarten Züge beobachtete. Er hätte die Hände frei haben wollen, nur um die Fliegen zu verscheuchen, die summend in dichtem Schwarm sich auf den toten Körper setzten. Die Soldaten starrten Pedro Mari höhnisch an. Einige warfen ihm trockene Brotrinden an den Kopf, die ihm das Gesicht zerkratzten. Er sah sich unrettbar verloren.
Da plötzlich verstummten die Soldaten, richteten sich stramm auf und grüßten zwei hereintretende, hochgestellte Offiziere. Der eine war ein Alter, mit einer weißen Perücke, tadellos in elegante Generalsuniform gekleidet, als wäre er soeben aus den Vorzimmern von Aranjuez gekommen. Der andere, jung, schlank gewachsen, von kriegerischem und doch gutmütigem Aussehen, mit rötlichem, kurzgestutztem Backenbart, trug mit großer Würde die Uniform eines Obersten.
»Bist du,« fragte der General barsch, Pedro Mari scharf ansehend, »bist du der Navarrese?«
Pedro Mari traute seinen Ohren nicht. Der General sprach baskisch zu ihm! Welch eine Freude!
Der General hielt sein Schweigen für Zustimmung. Seine Augen sprühten Funken; am ganzen Körper zitternd, stieß er seinen Degen auf den Boden und sagte:
»Navarrese, Navarrese! Lauter Lügen! Du fürchtest dich vor dem Tod, das ist alles! Weißt du denn nicht, daß es nichts schöneres und Ehrenvolleres gibt, als sein Blut für den König zu vergießen? Ein Navarrese Deserteur! Ein Navarrese, der den Feind flieht! Man hat mir gesagt, daß du zum Regiment von Cardoba gehörst, und während deine Kameraden ruhmreich bei S. Lorenzo de Cerdà kämpfen, stehst du hier, ein Verbrecher! Ich werde Befehl erteilen, daß man dich wieder in dein Regiment steckt und erschießt, sobald der Kampf beendet ist. Nein, du bist kein Navarrese! Du bist der Sohn eines Hergelaufenen! Kanaille!«
Als Pedro Mari, der auf Trost und Mitleid gerechnet hatte, diese grausamen Worte vernahm, empfand er einen bitteren Schmerz, den schwersten, den er je empfunden. Der schwache Hoffnungsstrahl schwand wieder, und ein jäher Abgrund öffnete sich von neuem vor seinen Blicken. Es war ihm, als brächten die Worte des Generals den Fluch von ganz Navarra über ihn: er empfand die Qual eines Verworfenen, der nur Feinde hat, und warf sich verzweifelt zur Erde, sich die Lippen wund beißend, um nicht zu schreien.
Da drang eine volltönende, harmonische Stimme an sein Ohr, – freundliche Trostesworte in baskischer Sprache, wer war es? Gab es wirklich noch Mitleid und Wohlwollen auf Erden? Er richtete sich auf, nicht ohne Furcht vor neuen Enttäuschungen. Der General war zu einer anderen Gruppe getreten. Der neben ihm stehende Oberst fragte ihn nach seinem Namen, seiner Herkunft und dem Grund seines Aufenthalts in Katalonien.
Pedro Mari brach das Schweigen und erzählte mit tränenerstickter Stimme seine Geschichte, nach Art der Bauern jeden Satz mehrfach wiederholend.
Der Oberst hörte ihn geduldig an, ohne ihn zu unterbrechen. Auf seinem Antlitz lag ein Zug von Trauer und Mitleid.
»Sie haben eine Infamie an dir begangen! die Gesetze außer acht gelassen! Ich werde es dem Könige melden, wenn ich etwas vermag, soll dir Genugtuung zuteil werden. Aber ...« Der Oberst schwieg einen Augenblick, dann fragte er Pedro Mari mit bewegter stimme und traurigem Blick:
»Hast du Verwandte?«
»Ja, verheiratete Schwestern.«
»Soll ich ihnen irgendwelche Nachricht zukommen lassen?«
»Wozu? es ist besser, sie wissen nichts.«
Pedro Mari neigte das Haupt; eine Träne floß langsam auf seine Wange herab ... Er hatte den Sinn dieser Frage verstanden. Der Oberst streckte ihm liebevoll die Hände entgegen.
»Unseliger, Unseliger! wie konntest du dieses unverzeihliche Verbrechen begehen, dich gegen dein Vaterland und deinen König aufzulehnen!«
Pedro Maris Erwiderung klang sanft, wie die eines Menschen, der klagt, ohne anzuklagen.
»Herr!« sagte er, indem er versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen. »Das habe ich nicht gewollt ... jene waren Basken ... ich auch ...«
Er sagte das alles mit so tiefem, echtem Empfinden, daß der Oberst zu der Überzeugung gelangte, die Stimme der Natur müsse wohl stärker sein, als alle Gesetze und Befehle.
»Eine Bitte, Herr!«
»Sprich sie aus,« erwiderte er kurz.
»Ihren Namen?«
»Ich bin der Marquis von Socorro, Don Francisco Solano.«
»Ich werde Gott bitten, Ihnen ein langes Leben und einen schönen Tod zu gewähren ... nicht einen, wie er mich jetzt erwartet.«
Von neuem aufs tiefste bewegt, näherte der Marquis sich Pedro Mari und drückte ihm zum Abschied beide Hände.
»Hab' Dank für deine Segenswünsche, Pedro Mari; ich werde deine Seele der heiligen Jungfrau empfehlen.«
Ach, wie gut, daß die Zukunft dem Marquis mitleidig das Bild verhüllte, wie Pedro Mari zu Beginn des spanischen Freiheitskrieges, von spanischen Händen gebunden, durch die Straßen von Cadix geschleift wurde!
Schwere Schritte, Stimmen, Waffengeklirr ... die Tür des Gefängnisses wird heftig aufgerissen, und Pedro Mari schreckt aus seinem Schlaf empor, dem unruhigen, unerquicklichen Schlaf des zum Tode Verurteilten. Die wüsten Bilder der letzten sechsunddreißig Stunden hatten ihn unaufhörlich gequält: sein Übertritt zu dem Regiment von Cordoba, die kurzen Befehle des Sergeanten, das Kriegsgericht, die Verlesung des Urteils ...
Durch das Fenster drang das helle Sonnenlicht des hereinbrechenden Tages und das fröhliche Gezwitscher der Vögel, wie herrlich war dieser Tag – – und doch sein letzter!
Sein letzter! wie ein glühender Stahl durchbohrte dieser Gedanke Pedro Maris Hirn.
»Kommt ihr, um mich zu morden? wer gab euch das Recht dazu?« rief er in seiner Sprache aus.
Diese Worte, die er nicht verstanden hatte, für Widerstand haltend, befahl der Oberst der Division, daß dem Gefangenen die Arme gebunden werden sollten, und während dies geschah, zeigte ihm der Priester mit ermahnenden Worten das Kruzifix. Weinend küßte Pedro Mari inbrünstig die blutigen Füße des Herrn.
Bald darauf war man auf der Straße: überall die düsteren Bilder des Krieges, rauchende, zerstörte Häuser, in einer Blutlache die rote Mütze, von der Pedro Mari den Blick nicht wenden kannte.
Sie erreichten eine Ebene; die Truppen stellten sich auf, rechts das Regiment von Cordoba mit seinem Banner an der Spitze. Die Trommel wurde gerührt, und der Befehl verlesen, der im Namen des Königs jedem Soldaten bei Todesstrafe verbot, Gnade für den Verurteilten zu erflehen. Eine unnötige Vorsicht, denn es wäre niemandem eingefallen; sie alle betrachteten Pedro Mari mit haßerfüllten Blicken.
Man gebot ihm, niederzuknien, verlas den Urteilsspruch und führte den Verbrecher, nachdem er ein paar Worte mit dem Priester gewechselt hatte, an den Exekutionsort. Man band ihn an einen Pfahl, legte ihm ein Tuch über die Augen, der Sergeant machte das Zeichen und die Soldaten gaben Feuer.
Ein Schwarm Finken flog laut piepend davon. Als man den Leichnam losgebunden, sank er zurück, das Antlitz gen »Navarra« gewandt.
Noch einmal wurde die Trommel gerührt, die Truppen marschierten weiter mit dem Ruf: »Es lebe der König! Es lebe Spanien!«
Ach, wie war die Erde rot gefärbt von baskischem Blut!