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Im Felsen des Kalvarienberges bei Mautern liegt eine Höhle, die das Goldloch genannt wird. Hier soll ein alter Geizhals seine Schätze vergraben haben. Man erzählt darüber:
In Mautern gab es einmal einen Wirt, der war ein Geizhals, dem kein Mittel zu schlecht schien, Geld zusammenzuraffen. Er betrog die Leute, mit denen er zu tun hatte, wo er nur konnte, verwässerte den Wein, den er seinen Gästen vorsetzte, und hielt es mit Räubern und Dieben, denen er um ein Spottgeld ihre Beute abkaufte, um sie mit hohem Gewinn weiterzuveräußern. So häufte er Taler auf Taler und barg das zusammengescharrte Geld fein säuberlich in einer großen eisernen Truhe, die sich immer mehr füllte, so daß sein Geldhunger wohl hätte nachlassen können; denn er war ein vermögender Mann.
Aber Meister Kautz – so hieß der Wirt – war mit seinem Reichtum noch lang nicht zufrieden. Je voller die Truhe wurde, desto größer wurde seine Geldgier, desto ärger plagte ihn der Geiz. Er begann am eigenen Leib zu sparen und sich selbst die notwendigsten Bedürfnisse zu versagen. Und wenn spät in der Nacht der letzte Gast den Heimweg aus der Schenke angetreten hatte und die Haustür fest verschlossen war, schlich er in seine Kammer, riegelte die Tür hinter sich zu und überzeugte sich an den dicht verhängten Fenstern, daß kein unberufener Blick in sein Heiligtum dringen könne. Dann zog er mit zitternden Händen den Schlüssel hervor, öffnete seine Schatztruhe und ließ die klingenden Münzen mit einem Wonneschauer durch seine Finger gleiten, während ein grinsendes Lächeln seine Züge verzerrte. Dabei dachte er nicht an den Hunger, der in seinen Eingeweiden wühlte, nicht an die Kälte, die ihn erschauern machte, sein einziger Gedanke war, neue Wege zu ersinnen, um seinen Reichtum noch zu vergrößern.
Tag und Nacht ängstigte ihn der fürchterliche Gedanke, man könnte ihm seine Schätze stehlen, so daß er des Nachts auf der Truhe anstatt im Bett schlief. Aber auch das schien ihm noch zu wenig sicher; denn bei Tag hielten ihn seine Geschäfte ab, den Schatz zu bewachen, und wie leicht hätte da ein Dieb in seine Kammer steigen und ihn berauben können! So brachte er denn eines Tages seinen Reichtum außerhalb des Hauses in einen sicheren Versteck unter. Seit dieser Zeit sah man ihn häufig bei Nacht am Ufer der Liesing in der Nähe des Kalvarienberges auf und ab gehen. Bei Tag wucherte er und raffte zusammen, bei Nacht aber wachte er über seine Schätze, und nicht selten kam er erst beim Morgengrauen von seinen seltsamen Spaziergängen zurück. Dabei darbte und hungerte er, sättigte sich nur mit den Überresten, die seine Gäste zurückließen, und ging in abgetragenen, fadenscheinigen Kleidern umher. So suchte er auch die letzte Möglichkeit auszunützen, zu sparen und seinen Reichtum zu vermehren.
Eines Tages hinkte ein armer alter Mann in Mautern von Tür zu Tür und bat die Bürger um milde Gaben. Der Korb, den er am Arm trug, war fast bis zum Rand mit Brotstücken gefüllt, die ihm gutherzige Menschen geschenkt hatten. Als er zur Tür der Schenke kam, rief ihn Meister Kautz in die Wirtsstube hinein. Aber nicht etwa eine kleine Gabe erwartete den armen Alten drinnen, wie er gehofft haben mochte, sondern Kautz riß ihm mit rohem Griff den Korb vom Arm, leerte die Brotstücke aus und stieß den Bettler mit einem Fußtritt aus dem Haus hinaus, indem er den leeren Korb mit höhnischem Gelächter hinter ihm drein warf.
Das war aber die letzte Übeltat, die der schändliche Geizhals verübte. Am gleichen Abend noch geriet er mit einigen Kirchenräubern in Streit, die bei ihm eingekehrt waren. Als er ihnen für ihren Raub, den sie ihm zum Kauf antrugen, zu wenig bot und sie ihm daher Ihre Beute nicht überlassen wollten, setzte es heftige Worte, und der Streit artete zu einer wilden Prügelei aus, bei welcher der habgierige Hehler von den rohen Gesellen erschlagen wurde.
Als das Gericht nach einigen Tagen zur Vermögensaufnahme schritt, fand man in dem verwahrlosten Häuschen des Wirtes nicht einen Groschen von seinem sagenhaften Reichtum, und die Erben, die sich Wunderdinge von den Schätzen des Meisters Kautz erhofft hatten, mußten mit langen Gesichtern abziehen. Nicht lange darauf hieß es, man habe den bösen Kautz zur Nachtzeit am Ufer der Liesing auf und ab wandeln gesehen, und er bewache in Gestalt eines schwarzen Hundes seine Schätze, die er im Goldloch vergraben habe. Manche versuchten daraufhin ihr Glück in der Höhle, wurden aber von einem großen schwarzen Hund erschreckt und davongejagt.
Einmal aber träumte einem armen Bauern, der ohne sein Verschulden in Not geraten war, er finde im Goldloch den Schatz des Meisters Kautz. Schnell sprang er vom Lager auf, entzündete eine Kienfackel und eilte zum Kalvarienberg. Nachdem er ein Stoßgebet gesprochen hatte, kroch er in die Höhle hinein, die sich nach innen erweiterte. Als er fast an das Ende der Höhle gekommen war, erblickte er im Schein der Fackel eine große verrostete Truhe vor sich, auf der ein riesiger schwarzer Hund saß, der ihm zähnefletschend entgegenknurrte
»Gewiß ist in der Truhe der Schatz des Meisters Kautz«, dachte der Bauer, aber er wagte aus Furcht vor dem Hund nicht, näher heranzukriechen oder gar die Truhe zu berühren. Er überlegte hin und her, wie er den Hund von der Truhe weglocken könnte. Da kam ihm ein seltsamer Gedanke. »Meister Kautz«, sagte er sich, »hat ja solches Verlangen nach den Brotrinden des alten Bettlers gezeigt; vielleicht ist der knurrende Köter auch so begierig nach Bettlerbrot. Ich will's einmal damit versuchen.«
Langsam zog er sich aus der Höhle zurück und besorgte sich am nächsten Tag bei einigen Bettlern um ein paar Silbergroschen mehrere derbe Stücke Brot. Bei Nacht kroch er mit seiner Fackeln, das Brot in der Tasche, abermals in die Höhle hinein und fand den schwarzen Wächter wieder auf der Kiste vor. Er warf dem gespenstischen Tier seine Brotstücke hin, und dieses stürzte sich gierig auf den dargebotenen Fraß. Während der Hund heißhungrig die groben Bissen hinabwürgte, öffnete der Bauer die Truhe und fand sie wirklich bis zum Rand mit glänzenden Goldstücken voll. Eilig füllte er seinen Korb, der aber die Menge von Münzen, die in der Truhe lagen, gar nicht fassen konnte. Gut über die Hälfte ließ er noch in der eisernen Truhe zurück. Froh lief er nach Hause, denn jetzt hatte er Geld genug, seiner Not ein Ende zu machen. Das Goldloch aber suchte er nie wieder auf.