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In einem sonnseitig gelegenen Steinbruch auf dem Weg von Eppenstein nach Kathal im Bezirk Judenburg wimmelte es vorzeiten von Schlangen; darunter sah man eines Tages auch eine weiße, die ein Krönlein auf dem Haupt trug, die Schlangenkönigin. Nur alle hundert Jahre soll die gekrönte Schlange zu finden sein. Ihre kostbare Krone aber, der man geheime Zauberkräfte beimißt, wird von den Bergmännlein im Innern der Erde auf höchst kunstfertige Weise geschmiedet.
In der Nähe des Steinbruches stand eine ärmliche Hütte, die ein Steinbrecher mit seiner Frau und seinem Töchterchen bewohnte. Das kleine Mädchen saß oft vor der Tür der Hütte und aß aus einer Schale seine Milch, in der Brotstücklein eingebrockt waren. Als die Kleine eines Abends wieder ihr Mal hielt, kam, angelockt durch den Duft der Milch, die Schlangenkönigin herbeigekrochen und leckte begierig an der Milch, während das Kind ruhig weiterlöffelte und neugierig dem Tun der Schlange zusah. Nach einiger Zeit aber sagte das Kind zur Schlange, wie die Mutter wohl oft das Kind ermahnt haben mochte: »Du darfst nicht nur die Milch schlecken, du mußt auch Bröcklein essen.« Die Schlange freilich kümmerte sich um diese kindliche Mahnung nicht und leckte mit dem spitzen Zünglein weiter nur an der Milch. Da rief die Kleine erbost »Du willst nicht, da werde ich dir aber helfen!« und schlug der Schlange mit dem Löffel auf den Kopf. Dabei fiel das Krönlein dem Kind in den Schoß; die Schlangenkönigin aber kroch eilends fort.
Die Mutter des Mädchens hatte aus der Ferne noch gesehen, wie das Kind nach der Schlange schlug und wie diese enteilte, und kam entsetzt herbeigelaufen, um zu sehen, ob ihr Töchterlein, das die Gefahr nicht ahnte, der es ausgesetzt war, keinen Schaden genommen habe. Als sie erkannte, daß das Kind unverletzt war, nahm sie es unter Freudentränen auf den Schoß und herzte und küßte es. Das Kind aber plapperte fröhlich, erzählte der Mutter von der Schlange und zeigte das glitzernde Krönlein, das es im Fäustchen hielt. In der Hütte wurde das Mädchen zu Bett gebracht und schlief bald ruhig ein. Die Steinbrecherleute aber betrachteten beim Schein der Kerze mit Erstaunen das schimmernde Gebilde, das ganz aus Gold und Edelsteinen gefertigt war. Plötzlich wurden sie durch ein unheimliches Zischen und Rasseln, das vom Fenster her in die Stube drang, aus ihrer stummen Bewunderung aufgescheucht. Als sie erschrocken die Blicke zum Fenster wandten, sahen sie eine Unzahl von Schlangen, die zischend und züngelnd am Fenster hin und her glitten und mit den Köpfen an die Scheiben stießen. Aufspringend bemerkten sie auch am gegenüberliegenden Fenster Schlangen und wieder Schlangen, die in die Stube einzudringen suchten. Sie mochten wohl das verlorene Krönlein hier gewittert haben und wollten zu ihm hingelangen. Schaudernd sahen die Eheleute ihr Heim von wütenden Schlangen umgeben und wußten nicht, wie sie dieser Belagerung entrinnen sollten. Da kam dem Mann ein rettender Gedanke. Er nahm das Krönlein und warf es durch ein verborgenes Schiebefenster, das er schnell wieder verschloß, ins Freie hinaus. Kurze Zeit hörten die beiden noch das Getöse und Zischen der Schlangen, die von den Fenstern verschwanden, dann trat allmählich Ruhe ein. Trotzdem konnte das Ehepaar infolge des ausgestandenen Schreckens lange keinen Schlaf finden.
Als der Mann am nächsten Morgen vorsichtig die Haustür öffnete und einen Blick ins Freie tat, war nichts Merkwürdiges mehr zu sehen. Nur vor der Tür lag tot eine große weiße Schlange. Es war die Schlangenkönigin, die von ihren Gefährtinnen getötet worden war, weil sie durch ihre Genäschigkeit den höchsten Schmuck ihres Schlangenkönigtums. die Krone, und damit ihre Macht verloren hatte. Es müssen abermals hundert Jahre vergehen, bis die Schlangen wieder zu einer Königin kommen werden.