Sagen aus Griechenland
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Midas

König Midas hatte einst einen trunkenen Begleiter des jugendlichen Gottes Dionysos vor dem Gespött der phrygischen Bauern bewahrt. »Ich gewähre dir einen Wunsch!« sprach der Olympische, der als Gott der Reben auch Bakchos heißt, »denn ich will dir meinen Dank erweisen.«

König Midas überlegte nicht lange. »Erhabener Gott«, erwiderte er, »wenn ich wählen darf, so laß alles, was ich berühre, zu Gold werden.«

Nur ungern erfüllte Dionysos den Wunsch des habgierigen Königs. Midas aber eilte freudig davon und versuchte das Göttergeschenk, indem er einige Dinge berührte. Der Zweig, den er vom Baume brach, verwandelte sich in schimmerndes Gold; der Stein, den er aufhob, wurde zum Goldklumpen, die Ähren wie das Obst, das er pflückte, erglänzten golden in seinen Händen. Der Türpfosten, selbst das Wasser, das seine Hände berührten, verwandelten sich in Gold!

Überglücklich setzte sich der König zum Mahle, griff nach Brot und Braten – und – hielt funkelndes Gold in der Hand. Erschrocken führte er den Becher zum Munde: des Bakchos herrlicher Rebensaft hatte sich zu Gold verhärtet.

Da erst erkannte der König, wohin ihn seine Verblendung geführt hatte. Nicht Hunger noch Durst konnte er stillen, und der Tod war ihm gewiß. Flehend hob er die Hände und bat Dionysos, das todbringende Geschenk zurückzunehmen.

Mitleidig blickte der Gott auf den reuigen Toren, der sich von seiner Gier nach Reichtum hatte verleiten lassen. »Geh an den Fluß Paktolos hinauf bis zu der Stelle, wo er aus dem Felsen springt. Dort an der Quelle tauche dein Haupt in die kühle Flut und spüle mit dem Golde zugleich deine Schuld ab!«

Dankbar folgte Midas der Weisung und befreite sich von der verhängnisvollen Zauberkraft. Doch diese ging auf das Wasser des Flusses über, so daß er seither Gold mit sich führt.

Für alle Zeiten schien König Midas von seiner Habgier geheilt. Er mied den Königspalast und hielt sich gern in der Einsamkeit des Berges Tmolos auf, wo er in den Felsgrotten des Hirtengottes Pan zu Gast war.

Im Herzen aber blieb Midas trotz der deutlichen Lehre töricht wie zuvor. Der bockfüßige Pan, der den Nymphen seine Lieder vorzuspielen liebte, hielt sich für einen vollendeten Meister auf der Rohrpfeife, so daß er in seinem Fürwitz wagte, den göttlichen Apollon herauszufordern. Richter in dem Wettstreit sollte der greise Berggott Tmolos sein. Rings im Kreise saßen liebliche Nymphen und sterbliche Männer und Frauen, um dem Flötenspiel zu lauschen, auch König Midas.

Pan begann auf seiner Hirtenflöte, der Syrinx, barbarische Weisen zu spielen, doch Midas hörte ihn mit Entzücken. Dann schlug Apollon die Saiten seiner Leier aus Elfenbein, daß alle Hörer tief ergriffen waren. Für Tmolos gab es keinen Zweifel, er sprach Apollon den Siegespreis zu.

Nur Midas, obwohl nicht um sein Urteil gefragt, wagte als einziger, mit törichten Worten die Entscheidung des greisen Berggottes zu tadeln, und behauptete, dem Pan gebühre der Preis.

Da trat Apollon unsichtbar vor ihn hin. Er faßte ihn leicht an beiden Ohren, zog sie spitz in die Höhe und umhüllte sie mit grauem Fell. König Midas war fortan mit Eselsohren geziert.

Wie sollte er diese Schande vor der Mitwelt verheimlichen? Seitdem trug er einen mächtigen Turban um sein Haupt geschlungen. Nur seinem Haarschneider mußte er sich offenbaren; doch ließ er ihn schwören, zu keinem Menschen von der Verunstaltung zu sprechen.

Für den jungen Menschen aber war das Geheimnis so belastend, daß er nicht die Kraft hatte, es bei sich zu behalten. Da er nicht wagte, es einem Menschen zu verraten, ging er ans Flußufer und schaufelte ein Loch; hier flüsterte er die erregende Neuigkeit hinein und warf die Grube zu. Nun endlich hatte er sein Herz erleichtert.

Doch bald danach wuchs Schilfrohr an jener Stelle, und wenn der Wind in den Halmen rauschte, dann vernahm man deutlich ihr Flüstern: »König Midas hat Eselsohren.«

So wurde das Geheimnis des törichten Königs Midas verraten.

 


 


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