Sagen aus Brandenburg
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Der große Stechlin

Nahe dem Dorf Neuglobsow breitet der den Bauern von Menz gehörige große Stechlin-See seine Gewässer über einen Flächenraum von ungefähr 500 Hektar aus. Ein prächtiger Wald, mit den schönsten Eichen, Buchen und Kiefern bestanden, und hohe, zum Teil sehr steil zum Uferrand abfallende Berge schließen schützend seine silberklaren Fluten ein, welche uns gestatten, noch bei 10 Meter Tiefe bis auf den Grund zu schauen. Man glaubt, einen Alpen-See vor sich zu haben. Die bergige Beschaffenheit seiner Umgebung setzt sich noch unter dem Wasser fort, und wenn auch keine Inseln in ihm zutage treten, so erheben sich doch inmitten der sehr großen Tiefe an fünf bis sechs Stellen Berge steil bis dicht an die Oberfläche. Der Boden ist zum Teil moorig und mit Wasserpflanzen, namentlich der sogenannten Pest, dicht bewachsen; auch ganze Baumstämme, die im Lauf der Zeit in die Tiefe gesunken sind, haben sich dort eingebettet. Alle diese Umstände machen den Fischern bei ihrem Handwerk große Schwierigkeiten. Es kommt oft vor, daß Netze und Taue reißen oder Holzmassen sich in dem Fischerzeug festsetzen, ja einmal brachten die Fischer anstatt der leckeren kleinen Maräne (Coregonus albula L.), die der See in Menge birgt, mehrere Scheffel Steine in ihrem Netz ans Tageslicht.

Das alles mag mit Veranlassung gegeben haben, daß sich manches Geheimnisvolle und Sagenhafte im Verlauf der Jahrhunderte an den See geknüpft hat. Schon Bratring erzählt vom Stechlin, daß man am Tag des Erdbebens von Lissabon (1. November 1755) Bewegungen auf ihm verspürt habe, und noch heute lebende alte Personen haben es in ihrer Kindheit von den Großeltern bestätigen hören, daß der See an jenem Tag geschäumt und Wellen geschlagen habe, trotz des heiteren und stillen Wetters. Der See ist ein »Kreuz-See«, d. h., er hat eine einem Kreuz ähnliche Gestalt. Schon dieser Umstand hat dem Volk zu denken gegeben. So heißt es, kein Gewitter könne über ihn hinwegziehen, im Winter friere er nur selten zu, insbesondere aber berge er in seinem unergründlichen Innern einen ,gewaltigen und bösen purpurroten Riesenhahn, der das Messen der großen Tiefen und das Fischen an gewissen Orten nicht dulden wollte und seine Herde im See gegen die raubgierigen Menschen schirme und schütze. Die Jetzige Generation freilich weiß nur wenig oder gar nichts mehr von diesem Ungeheuer der Tiefe, allein in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ,war der große Hahn im Stechlin noch in aller Munde: schon manchem wäre er erschienen und hätte auch manchen, der seine Warnungen nicht beachtet oder gar verlacht hätte, in die Tiefe hinabgezogen.

Von diesem roten Hahn nun erzählte vor ungefähr 70 Jahren ein damals fast 50jähriger alter Mann folgende Geschichte, von deren Wahrheit er so fest überzeugt war, daß er sie auf das Evangelium beschwor.

Vor vielen Jahren lebte im Fischerhaus am Stechlin ein Fischer namens Minack. Das war ein roher und wilder Mann, der im Vertrauen auf seine gewaltigen Kräfte weder Menschen noch Geister fürchtete. Selbst wenn ihm Nachbarn und Freunde den guten Rat gaben, er solle vor dem großen Hahn im Stechlin-See Respekt haben und sich wohl hüten, an den und den Orten zu fischen, wo der Hahn es nicht dulden wolle, so lachte er nur dazu. Und wiesen sie darauf hin, daß bereits seine Vorgänger, wenn sie sich an eine der verrufenen Stellen gewagt, ihren Frevel mehrfach durch Verlust ihrer Netze und andere Unfälle gebüßt hätten, ja daß einer hier beim Fischen »den Totenzug« getan und ertrunken wäre, so ließ sich Minack durch all das Gerede nicht schrecken, sondern fischte nach wie vor, wo und wie er wollte. Einst gedachte nun Minack an einer der tiefsten und gerade darum verpöntesten Stellen einen Hauptfang zu machen, da er genau wußte, daß sich hier die Maränen besonders zahlreich aufhielten. Es war böses, stürmisches Wetter, und mit Zitten und Zagen folgten ihm seine Gesellen. Das Netz wird auf der Höhe des Sees ausgeworfen, man fährt an das Ufer und beginnt an den mehrere hundert Ellen langen Tauen das Netz herauszuwinden. Doch bald gehen die Winden schwerer und immer schwerer herum, bis man schließlich vollständig festsitzt. Minack fährt mit seinem bereitgehaltenen Nachen auf die Höhe des Sees, um das Fischerzeug, das sich vielleicht in Schlamm und Kraut verfangen haben mochte, zu lüften. Dies geschieht in der Art, daß man das Tau, an welchem das Netz befestigt ist, über den kleinen Kahn hinnimmt und diesen demnächst am Tau auf den See hinaufzieht. So machte es denn auch Minack. Doch das Tau wird immer straffer und straffer und droht schon, den kleinen Kahn unter Wasser zu drücken. Da ruft Minack seinen Gesellen am Ufer zu: »Halt! Haltet an, laßt die Winden los!« Aber der Sturm war jetzt stärker losgebrochen, und bei dem Toben der Elemente verstehen jene fälschlich: »Windet zu, windet zu!« und arbeiten um so kräftiger darauflos. Jetzt füllt sich der kleine Nachen des Minack schon mit Wasser; das straffe Tau vom Kahn herunterzuheben, ist ihm unmöglich; in seiner Todesangst holt er sein Messer hervor und zerschneidet es. In dem Augenblick, in welchem die beiden Enden des durchschnittenen Taues in die Tiefe fahren, teilt sich die Flut, und aus den Wogen rauscht der rote Hahn empor. Indem er mit seinen mächtigen Flügeln das Wasser peitscht, betäubt er mit donnerndem Krähen den Fischer und zieht ihn hinab.

Auch von einem im See versunkenen Dorf oder gar Stadt wurde früher viel erzählt, vor allem als man vor Jahren ein Stück Holz, ähnlich dem Knopf einer Dorfkirche, einmal beim Fischen aus dem Wasser zog. Fährt man an einem schönen stillen Sonntagvormittag über die Stelle, wo die Stadt untergegangen ist, so kann man noch heute, heißt es, aus dem Wasser herauf das Läuten der Glocken vernehmen.

In der Nähe der nördlichen Spitze des Stechlin, die Kreuzlaute genannt, befindet sich ein Luch. Dort erscheinen dem nächtlichen Wanderer drei Jungfrauen mit brennenden Laternen und führen ihn so in die Irre, daß er stundenlang laufen muß, ehe er den rechten Weg wieder findet.

 


 


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